28.12.2014, 10:00 Uhr
Der IT-Jahresrückblick der Computerworld. Teil 1/3
Masseneinwanderung, Seco-Skandal, NSA-Vorwürfe. Was die Schweizer ICT in diesem Jahr bewegte, zeigt der dreiteilige Jahresrückblick der Computerworld.
Das Jahr 2014 war ein aufregendes für die ICT-Branche. Sowohl national als auch international gab es spannende Konkurrenzkämpfe, überraschende Urteile und wegweisende Produkte. Computerworld lässt die nach Meinung der Redaktion wichtigsten Ereignisse des Jahres in kurzen Zusammenfassungen noch einmal Revue passieren, kommentiert sie teilweise und schafft auf diese Weise einen ganz eigenen ICT-Jahresrückblick. Masseneinwanderungsinitiative ###BILD_48995_fullwidth### Was am 9. Februar 2014 in der Schweiz geschah, verändert das Land auf lange Zeit nachhaltig und versetzte die restliche Welt in heftige Erregung. An dem Tag wurde die Masseneinwanderungsinitiative der SVP mit 50,3 Prozent angenommen, womit künftig die Zuwanderung von Ausländern kontingentiert werden muss. Bis 2017 muss der Bundesrat eine Lösung finden, wie er diese Immigrationskontrolle umsetzen und trotzdem die bilateralen Verträge mit der EU beibehalten kann. Gemäss einer Studie ist die Schweizer ICT berdurchschnittlich auf auslndische Fachkrfte angewiesen. Verschiedene internationale Unternehmen haben darum bereits begonnen, Arbeitsplätze in andere Länder zu verlegen. Und wer es nicht getan hat, denkt über Massnahmen nach. Für Schweizer ICT-Firmen bedeutet die Entscheidung auch, dass der Export von Hard- und Software ##{"type":"InterRed::Userlink","linktype":"b","linkoffset":0,"ziel_ba_name":"cwx_artikel","bid":0,"cid":0,"extern":"","fragment":"","t3uid":"65402","page":0,"text":"noch schwieriger werden wird","target":"_top","alias":"","_match":"","_custom_params":[]}#!. Nach der Abstimmung setzte die EU zudem Verhandlungen ber die Partnerschaft an EU-Forschungsprogrammen aus. Von denen die Schweiz als Gesamtes und die ICT im Besonderen in der Vergangenheit profitierte. Bis die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative konkretisiert ist, hat die Schweiz den Status eines teil-assoziierten Lands und kann teilweise wie bisher an europäischen Forschungsprojekten teilnehmen. Zudem unterstützt der Bund nun die Forschung mit grossen Mitteln. Findet die Schweiz bis am 9. Februar 2017 aber keine für die EU zufriedenstellende Lösung für die Personenfreizügigkeit, wird sie definitiv von den Programmen ausgeschlossen. Was für die Schweizer ICT-Forschung einen nie wiedergutzumachenden Wettbewerbsnachteil mit sich bringen würde. Wer kaufte wen? ###BILD_32860_fullwidth### Auch 2014 wechselten diverse Tech-Firmen den Besitzer oder verloren ihre Eigenständigkeit. An der Spitze liegt Facebook, die fr WhatsApp ber 20 Milliarden Dollar ausgaben. Gemäss Börsenzahlen erzielte WhatsApp für jeden seiner 400 Millionen aktiven Nutzer letztes Jahr weniger als 3 Cent Ertrag. Facebook zahlte aber 55 Dollar pro WhatsApp-Nutzer. Der Deal zeigt, wie schwer es ist, den Wert einer Tech-Firma einzuschätzen. Entsprechend hat die Kauflust in der Branche im Vergleich mit dem Vorjahren etwas abgenommen. Wie jedes Jahr waren SAP und Oracle fleissig am Zukaufen. SAP kaufte fr 8,3 Milliarden Euro Concur und investierte auch in die Firmen SeeWhy und Fieldglass einiges Geld. Konkurrent Oracle beschränkt sich auf den Erwerb eines einzigen Unternehmens und kauft für 5,3 Milliarden den POS-Anbieters Micros. Wenig Aufsehen machte derweil das Verschwinden der Marke Motorola. Motorola Solutions Enterprise Business wurde für 3,5 Milliarden Dollar vom Tracking-Spezialisten Zebra Technologies übernommen. Und Lenovo kaufte sich Motorola Mobility fr 3 Milliarden Franken von Google, die für das Unternehmen 2010 12,5 Milliarden Dollar zahlten und nach wie vor diverse Patente und die Forschungsabteilung behalten. Mehr Aufsehen machte da der Kauf der Kopfhörerfirma Beats durch Apple (3 Milliarden Dollar) und des Spieleherstellers Minecraft durch Microsoft (2,5 Milliarden Dollar). Ob die Grosskonzerne die Zukäufe gewinnbringend einsetzen können, muss abgewartet werden. Die beiden grössten Übernahmen der Tech-Branche betreffen aber den TV-Bereich. AT&T will für 48,5 Milliarden Dollar den Satelliten-TV-Betreiber DirecTV übernehmen, braucht aber noch die Zustimmung der Behörden. Das gilt als Antwort auf ein 44 Milliarden-Dollar-Angebot von Comcast, die Time Warner Cable übernehmen wollen und auch noch auf die Bewilligung warten. Auch im Investorenbereich ging einiges. So konnte sich der kontroverse Taxidienst Uber 1,4 Milliarden Dollar unter anderem von Google Ventures sichern. Konkurrent Lyft erhielt 250 Millionen Dollar und liegt damit im Ranking der grössten VC-Tech-Deals hinter dem Nachrichtendienst Tango (280 Millionen) auf Rang drei. Finanzdienstleistungen im Umbruch ###BILD_48996_fullwidth### Der Bankenplatz befindet sich im Umbruch. Durch immer neue Online-Dienste erhalten traditionelle Finanzgeschäfte unerwartete Konkurrenz. So hat Swisscom dieses Jahr den NFC-Dienst Tapit lanciert, mit dem Rechnungen über das Handy bezahlt werden können. Orange und Sunrise haben sich dem Projekt angeschlossen. Diverse Warenhäuser wie Coop, Migros oder Valora haben ihre Bezahlterminals entsprechend umgerüstet, noch hat sich Tapit aber nicht etabliert. Trotzdem müssen die Banken nun handeln und tun dies auch. Die Postfinance will in der zweiten Jahreshälfte 2015 ihr eigenes Bezahlsystem namens Twint herausbringen. Die Informationen dazu sind noch vage, es soll aber weder eine Kredit- noch eine Debitkarte dafür benötigt werden, sagt die Bank. Und auch die Migros-Bank plant in diesem Bereich etwas eigenes. Auch andere Finanzinstitute sind nicht unttig. Unter dem Projektnamen «SwissAlps» haben sich Unternehmen wie Aduno und Swisscards zusammengetan, um eine Plattform zu entwickeln, in welche verschiedene Zahlungssysteme integriert werden können. In erster Linie geht es dabei um Apple Pay. Apple Pay ist Apples eigener Bezahldienst, der in der Schweiz noch nicht verfügbar ist. Schaffen es die Banken, Apple als Partner zu gewinnen, könnten sie Bezahldienste ohne SIM-Karten anbieten. Und würden den Telkos dadurch ein Schnippchen schlagen. Noch hat sich Apple aber nicht entschieden, ob man eher mit den Banken oder den Telkos zusammenarbeiten will. Von ihrer Entscheidung wird abhängen, welches System sich in der Schweiz kurz- und mittelfristig durchsetzen wird. Lesen Sie auf der nächsten Seite: BÜPF & Recht auf Vergessen BÜPF ###BILD_48997_fullwidth### Der Ständerat segnete im März die Revision des Bundesgesetzes betreffend Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Büpf) ab. 94 Prozent waren dafr, dass die Strafverfolgungsbehörden künftig Trojaner einsetzen oder die Telekommunikationsfirmen Randdaten länger aufbewahren müssen. Die Vorlage liegt nun beim Nationalrat, der eigentlich schon im Sommer darüber entscheiden wollte. Daraus wurde allerdings nichts, auch in der Herbst- und Wintersession wurde das Thema nicht behandelt. Es fehlte die Zeit, sich sorgfältig vorzubereiten, sagten die Parlamentarier. Denn auf der einen Seite steht fast die gesamte ICT-Branche und die Datenschützer, welche viele der Neuerungen im Gesetz für masslos halten. Auf der anderen Seite stehen die Verfechter eines starken Überwachungsstaates, in dem mehr Macht der Behörden den Bürgern mehr Sicherheit gibt. Der Nationalrat wird im Frühling 2015 über das BÜPF entscheiden. Für die ICT-Branche wäre es von Vorteil, die Politiker würde bis dahin Fakten haben, welche sie zur Ablehnung tendieren liessen. Zwar gibt es mittlerweile eine Rechnung – und Zahlen sehen Politiker immer gerne – allerdings sind diese vllig bertrieben. Obwohl die Mehrheit der Brger gegen das BPF ist, scheinen Datenschtzer zu resignieren. Denn sie erreichen die Politiker nicht. Schade ist, dass in der Debatte derzeit vergessen wird, worum es wirklich geht. Um die Verhältnismässigkeit. Sollen tatsächlich Hotels ihre Daten speichern müssen, nur weil sie WIFI anbieten? Ist es wirklich nötig, Daten 12 Monate zu speichern, wenn die Polizei ihre grössten Ermittlungserfolge in den ersten paar Wochen verbucht? Auf diese Fragen hat bislang niemand eine sinnvolle «Ja»-Antwort gegegen. Auch wenn verschiedene Nationalräte gegen das BÜPF sind und es durchaus kontrovers diskutiert wird, dürfte es – Stand heute – ohne grosse Probleme im Frühling 2015 durchgewunken werden. Neuausrichtungen in der Hardware-Branche ###BILD_48998_fullwidth### Das Jahr 2014 stand für viele grosse Hardwareunternehmen im Zeichen grosser Umstrukturierungen. Beispiel 1: HP. Fortan soll Hewlett Packard aus zwei Unternehmen bestehen, von denen sich das eine um die Geschäftsbereiche Personal Computern und Druckern kümmern soll, das andere will dagegen Dienstleistungen sowie Technik für grosse Unternehmen abdecken. Die Strategie dahinter ist logisch: die grossen Margen liegen vor allem im Softwaregeschäft, dieses soll nicht mehr das Hardware-Geschäft quersubventionieren müssen. Für das einst so stolze PC-Geschäft von HP bedeutet dies, dass man sich nicht mehr hinter anderen Abteilungen verstecken kann. Wenn sich der Erfolg nicht wieder einstellt – und danach sieht es derzeit aus – wird diese Unternehmenssparte mittelfristig immer mehr an Bedeutung verlieren. Den Platz als Leader im PC-Geschäft hat HP bereits verloren. An Lenovo. Beispiel 2: Lenovo selbst ist ebenfalls nicht untätig geblieben dieses Jahr. Nach langem Zögern sicherte sich der chinesische Computerbauer im Januar endlich die x86-Serversparte vom IBM. 2,3 Milliarden Dollar kostete der Deal, der sich für die Zukunft aber auszahlen dürfte. Man leidet zwar wie HP unter schwächelnden PC-Absätzen, allerdings nicht ganz so stark. Zudem kann Lenovo auf eine starke Kundenbasis im Consumer-Geschäft zählen. Im Smartphone-Markt ist man je nach Statistik auf Rang 3 oder 4, im Tablet-Geschäft ebenfalls gut dabei. Und mit dem Server-Geschäft kann Lenovo nun auch einen Fuss in den Business-Computing-Markt setzen. HP dürfte davon wenig begeistert sein. Beispiel 3: Samsung. Die Südkoreaner haben entschieden, sich in Europa aus dem Laptopgeschäft zurückzuziehen. An ihre Stelle sollen Gadgets wie Smartwatches oder VR-Brillen treten, welche Samsung alle im Angebot hat. Und natürlich Tablets, wo man zusammen mit Apple den Weltmarkt dominiert. Allerdings ist die Ankündigung von Samsung mit Vorsicht zu geniessen. Vor einigen Jahren klang es genau gleich, um später trotzdem wieder Notebooks nach Europa zu liefern. Zudem gibt es Tendenzen, dass sich der PC-Markt erholt. Gut möglich darum, dass Samsung ein zweites Mal zurückrudern wird. Mit ihren neuen Strategien reagieren die Hardwarehersteller auf die Marktbedürfnisse. Bereits letztes Jahr hatte sich Dell von der Börse zurückgezogen, um ohne Zeitdruck das Unternehmen umbauen zu können. Das muss hervorragend klappen, laut Gründer Michael Dell verkaufte man dieses Jahr 20 Prozent mehr PCs als im Vorjahr. Die Hardware-Unternehmen haben spätesten dieses Jahr eingesehen, dass sie sich neu aufstellen müssen. Ob die Erkenntnis bei allen rechtzeitig kam, werden die nächsten Jahre zeigen. Das war Teil 1 unseres Jahresrückblicks. Morgen geht es unter anderem um die Seco-Affäre und den neuen Microsoft-Chef.