Matthias Stürmer im Interview
18.06.2021, 07:00 Uhr

«Der Open-Source-Markt ist am Wachsen»

Bei vielen Schweizer Unternehmen ist Open Source Software inzwischen nicht mehr aus dem Arbeitsalltag wegzudenken. Wir haben uns bei Matthias Stürmer von der Forschungsstelle Digitale Nachhaltigkeit der Uni Bern nach den Gründen für den Boom erkundigt.
(Quelle: Universität Bern)
Die Nutzung quelloffener Software ist in den letzten drei Jahren sprunghaft an­gestiegen. Was hinter dem Boom steckt und wo die Open Source Community noch Hausaufgaben machen muss, erklärt Matthias Stürmer von der Forschungs­stelle Digitale Nachhaltigkeit der Universität Bern.
Computerworld: Die Ergebnisse der ak­tuellen Open Source Studie sind da. Welches waren die grössten Veränderungen während der letzten drei Jahre im Schweizer Open-Source-Markt?
Matthias Stürmer: Erfreulich ist, dass sich Open Source Software gemäss Umfrage in immer weitere Einsatzgebiete ausbreitet. 2018 gab es erst 29 Prozent «Vielnutzer», jetzt sind es mit 49 Prozent bereits fast die Hälfte der Antwortenden, die in 15 oder mehr der 28 abgefragten Einsatzgebiete Open Source verwenden. Einen grossen Sprung nach vorn haben beispielsweise die Open-Source-Desktop-Anwendungen und die Cloud-Technologien gemacht.
CW: Ein Hemmschuh ist der Mangel an firmeninternem Open-Source-Wissen. Andererseits hat sich die Anzahl der professionellen Vielnutzer von Open-Source-Lösungen mit 49 Prozent fast verdoppelt. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?
Stürmer: Dieser Effekt lässt sich gut mit der wachsenden Anzahl Open-Source-Service­anbietern erklären. Wenn IT-Abteilungen Open Source einsetzen wollen, geht das oftmals rascher mit einem externen Lieferanten, der kompetent unterstützen kann. Der Markt ist am Wachsen, das OSS Directory listet über 200 aktive Open-Source-Anbieter auf.
CW: Die digitale Souveränität wird für Anwender wichtiger. Gibt es ein neues Bewusstsein für Vendor Lock-ins, liegt es an der GDPR oder welches sind die Treiber?
Stürmer: Ich bin sicher, dass sich das Bewusstsein der IT-Verantwortlichen bezüglich Abhängigkeiten von der Big-Tech-Industrie und auch von lokalen Software-Lieferanten verändert. Noch vor einigen Jahren war es den meisten Leuten egal, wo ihre Daten gespeichert sind, heute spielt es immer häufiger eine wichtige Rolle. Kein Wunder also, bauen Microsoft und Google grosse Rechenzentren in der Schweiz.
CW: Wie wurde die Open-Source-Nutzung durch die Pandemie beeinflusst?
Stürmer: Corona hat sicher die IT-Nutzung erhöht, fast alle globalen und nationalen IT-Anbieter haben durch die Verschiebung ins Home Office einen Boom erlebt. So werden auch zahlreiche Open-Source-Technologien für die New-Work-Trends der dezentralen Kollaboration und virtuellen Kommunikation eingesetzt. Dazu zeigen wir in der Studie detaillierte Ergebnisse zur Nutzung von Open-Source-Chat-Lösungen (wie Threema und Signal), Omnichannel-Tools (Slack-Alternativen wie Rocket.Chat und Mattermost) und Video-Conferencing-Lösungen (wie BigBlueButton und Jitsi).
CW: Wo es Licht gibt, entstehen auch Schatten. Welche Probleme gibt es mit Open-Source-Technologien, die noch gelöst werden müssen?
Stürmer: Wir haben leider erneut feststellen müssen, dass Open-Source-ERP- und Open-Source-CRM-Lösungen gar nicht vom Fleck kommen. Für mich ist das ein Rätsel, gibt es doch zahlreiche sehr gute Open-Source-ERPs wie Odoo oder metasfresh. Die Erklärung ist wohl einfach, dass die proprietären Ange­bote noch besser und attraktiver sind – und vor allem noch intensiver vermarktet werden, vermute ich.
CW: «Unsicherheiten bezüglich Open-Source-Lizenzen und rechtliche Risiken» haben zugenommen. Woran liegt das und wie könnte ein Lösungsvorschlag aussehen?
Stürmer: Diese Entwicklung hat mich auch erstaunt! Ich hätte vermutet, dass sich nach 30 Jahren das Know-how bezüglich Open-Source-Lizenzen und Copyleft etwas verbreitet hat. Aber vielleicht kümmern sich viele auch erst um solche Lizenzfragen, wenn sie sich vertiefter mit Open Source befassen und Open Source in geschäftskritischen Orten einsetzen. Ausserdem gibt es Trends wie die Server Side Public License (SSPL), die neue Fragen aufwerfen. In der Studie haben wir dazu einen Fachbeitrag von Prof. Simon Schlauri publiziert.
Hinweis: Die Ergebnisse der Open Source Studie 2021 kommentiert Matthias Stürmer in diesem Artikel.



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