Interview mit Stefan Fraude 31.01.2025, 10:42 Uhr

«Als CEO bin ich Coach und Enabler»

Es ist Black Friday. Bei Brack Alltron in Willisau herrscht Hochbetrieb. Trotzdem nimmt sich der CEO Stefan Fraude Zeit für ein Gespräch über den Online-Handel in der Schweiz und die künftige Ausrichtung von Brack Alltron.

Dr. Stefan Fraude, CEO Brack-Alltron-Gruppe
(Quelle: Competec)
 Als ich den Werdegang von Stefan Fraude studiere, kann ich ein «Wow» nicht unterdrücken. Das ist einer, der das Business versteht und für den die Digitalisierung genau zur richtigen Zeit kommt. Wir treffen uns am Black Friday. Trotz Hektik nimmt sich Stefan Fraude Zeit und lässt es sich nicht nehmen, das logistische Wunderwerk von Brack Alltron in Willisau zu zeigen.
Computerworld (CW): Stefan Fraude, nach dem Rundgang durch das Logistik-Universum von Brack Alltron habe ich das Gefühl, ich war gerade in einer anderen Welt. Alles greift minutiös ineinander wie bei einem Uhrwerk. Kann man da als neuer CEO überhaupt etwas verändern, ohne dass das Ganze kollabiert?
Stefan Fraude: Keine Sorge, dieses Uhrwerk wird auch in Zukunft präzise weiterticken. Was wir ausserhalb verändern, wird die eingespielten Logistikprozesse nicht gross tangieren. Vielmehr ist es unser Ziel, die verschiedenen Zahnräder unter dem Competec-Dach – Brack.ch AG, Alltron AG, Competec Logistik AG, Competec Service AG und Jamei AG – noch besser aufeinander abzustimmen. Jede dieser Firma hat ihre eigene DNA. Das macht auch unsere Stärke aus. Wir haben uns gefragt, ob diese «Standalone»-Zahnräder auch in Zukunft weiterfunktionieren oder ob es nicht vorteilhafter wäre, gewisse Synergien zu nutzen. Darauf haben wir uns entschieden, diese unterschiedlichen Geschäftsbereiche noch besser miteinander zu verzahnen. Das verbindende und zentrale Element für alle ist dabei ganz klar die Logistik und die IT.  
CW: Man könnte sagen, Sie schweissen Einzelkämpfer zu einem Team zusammen?
Fraude: Richtig. Unsere Transformation besteht im Wesentlichen darin, in den Einzelfirmen ein übergreifendes Firmendenken mit gemeinsamen Funktionsbereichen wie Sales, Marketing, Commercial, Finance, HR oder Logistik zu entwickeln. Das gibt uns die Möglichkeit, weiterhin mit unseren starken Brands nach Aussen aufzutreten, aber im Hintergrund die Prozesse zu vereinheitlichen.
“Grundsätzliches Ziel ist es, dass das gesamte Ecosystem noch perfekter zusammenspielt.„
Stefan Fraude
CW: Die Brands sind über eine lange Zeit historisch gewachsen. Brack ist 30 Jahre alt, Alltron sogar 40 Jahre. Jetzt kommen Sie mit neuen Ideen. Wie wird man da im Unternehmen empfangen?
Fraude: (lacht) Da müssten Sie unsere Mitarbeitenden fragen. Klar, ich habe eine anspruchsvolle Aufgabe in einem sehr erfolgreichen Unternehmen übernommen. Dazu aber ein kurzer Rückblick in die Firmengeschichte. In der Corona-Zeit haben wir zwei fundamentale Dinge erlebt. Das Volumen, der Umsatz und die Mitarbeiterzahlen haben sich während der Pandemie fast verdoppelt. Dieser Sprung war für unser Unternehmen eine grosse Herausforderung. Auch wenn wir uns immer noch jung und frisch wie ein Start-up fühlen, sahen wir uns gezwungen, Prozesse und Strukturen im Sinne eines grösseren Unternehmens anzupassen. Wir wollen weiterwachsen und den Markt gestalten. Die Kleider von früher, so bequem sie auch waren, sind zu eng geworden. Kurz, was uns hierhergebracht hat, wird uns nicht dorthin bringen, wo wir hinwollen. Zum Glück treffe ich in unserem Unternehmen eine grosse Offenheit an, Veränderungen anzupacken. Für mich ist das Wichtigste, dass alle verstehen, dass und warum wir uns verändern müssen. Aber ich möchte auch nicht verhehlen, dass es dabei punktuell auch weh tun kann. Das gehört zu einem Veränderungsprozess.
CW: Bleiben wir beim Bild des Uhrwerks. Welches sind aus Ihrer Sicht die Stellschrauben, um Brack Alltron erfolgreich in die Zukunft zu führen?
Fraude: Grundsätzliches Ziel ist es, dass das gesamte Ecosystem noch perfekter zusammenspielt. Dabei spielen Prozessstandardisierung und Automatisierung eine zentrale Rolle. Um das zu erreichen, wollen wir die Digitalisierung weiter vorantreiben. Ich möchte dabei betonen, dass es nicht um Stellenabbau geht. Wir brauchen weiterhin gleich viel Mitarbeitende. Aber wir können mit intelligenten Tools und optimierten Prozessen gemeinsam ein grösseres Volumen bewältigen. Die bereits erwähnte Veränderung wird auch vor den Mitarbeitenden nicht Halt machen. Wir brauchen alle, aber vielleicht in anderer Funktion und mit anderen Aufgaben. Nur so schaffen wir es zu wachsen. Hinzu kommt, dass wir künftig die vorhandenen Daten noch besser nutzen wollen. Standardisierung, Automatisierung und Digitalisierung sind unsere Zukunft.
Stefan Fraude
Quelle: Computerworld
CW: Die Pandemie brachte ein ausserordentliches Wachstum. Wie stark kann der Markt noch wachsen? Stellt sich da nicht eine gewisse Sättigung ein?
Fraude: Da wir verschiedene Kanäle beliefern, müssen wir genauer differenzieren. Wir sprechen vom Fachhandel, vom B2B-Kanal und vom B2C-Kanal. In allen Bereichen haben wir ein gutes Wachstumspotenzial. Nehmen wir als Beispiel den Fachhandel. Mit unserem einzigartigen Partnerportal helfen wir unseren rund 12'000 Handelspartnern bei der Digitalisierung. Da hat es noch viel Luft nach oben. Zudem sind wir im Bereich Value-Added-Services erst in der Aufbauphase. Auch hier werden wir weiterwachsen. Dieser Bereich erstreckt sich auch in den B2B-Markt. Hier wollen wir uns mit unserem Service vermehrt in die Unternehmen integrieren. Insgesamt bietet uns der Fachhandelskanal und der B2B-Kanal weiterhin ein grosses Wachstumspotenzial. Als drittes Standbein kommt mit Brack.ch der B2C-Kanal dazu. Dieser ist weiter ausbaufähig, sei dies geografisch in der Schweiz oder mit neuen Produktsegmenten.
CW: Wird sich Brack Alltron verändern müssen, um dieses Wachstum zu erreichen oder arbeiten Sie dazu intensiver mit Partnern zusammen?
Fraude: Im Moment fokussieren wir uns eher darauf, die verschiedenen Firmen zu konsolidieren. Wie gesagt, Ziel dieser Transformation ist es, die einzelnen Zahnräder unseres Unternehmens noch besser miteinander zu verzahnen, um mehr Effizienz und Effektivität zu erreichen.
CW: Sie haben erwähnt, dass dabei auch eine verbesserte Nutzung von Daten angestrebt wird. Welchen Zweck verfolgen Sie damit?
Fraude: Dazu gibt es einige Ideen. Wir können zum Beispiel anhand der Transaktionsdaten im B2C-Kanal wichtige Trends für den Fachhandel ableiten. Im Onlinehandel sind wir sehr nahe bei den Endkunden und wissen, was gut läuft und wohin sich der Markt bewegt. Wir möchten unsere Fachhändler noch stärker an diesen Erkenntnissen teilhaben lassen und sie in ihrem Business unterstützen. Ein weiteres Feld ist die Customization im B2C-Bereich anstatt des heutigen «one size fits all». Unsere Vision ist es, damit jedem Menschen sein eigenes Portal zu bieten, wo sie oder er individuell massgeschneiderte Inhalte und Produkte findet. Wir wollen Daten auch vermehrt in den Logistikprozessen nutzen, speziell bei der KI-unterstützten Robotik. Eine weitere Anwendung ist die Aufbereitung und Anreicherung von Produktdaten. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, wo uns eine verstärkte Datennutzung weiterbringen wird. Um dies zu erreichen, können wir unsere bestehenden Portale sowohl für die Datengewinnung als auch für Auswertungen nutzen. So können wir dank einer intensiveren Datennutzung und -aufbereitung auch hier noch effizienter werden und gleichzeitig unseren Kunden und Partnern einen Mehrwert bieten.
“Das Volumen, der Umsatz und die Mitarbeiterzahlen haben sich während der Pandemie fast verdoppelt. Dieser Sprung war für unser Unternehmen eine grosse Herausforderung.„
Stefan Fraude
CW: Da stehen einige grosse Themen auf Ihrer Agenda. Könnte man vereinfacht sagen, dass Ihre Hauptaufgabe ist, interne Synergien zu optimieren und neues Potenzial zu erschliessen?  
Ziel der Transformation: In den Einzelfirmen ein übergreifendes Denken mit gemeinsamen Funktionsbereichen zu entwickeln.
Quelle: Computerworld
Fraude:
Das beschreibt es sehr gut. Als neuer CEO sehe ich dieses Potenzial aus der neutralen Sicht eines Aussenstehenden. Dadurch ist es für mich einfacher, Bestehendes zu hinterfragen und Veränderungen anzustossen, als für jemanden, der schon länger dabei ist. Deshalb ja: Meine Rolle ist es, zu konsolidieren, zu innovieren und zu koordinieren. Es gibt so viele grossartige Ideen in unserem Unternehmen, welche wir nicht alle gleichzeitig umsetzen können. Daher ist es auch meine Aufgabe, diese Innovationsflut in geordnete Bahnen zu lenken.
CW: Prägt dieses Lenken und Entscheiden auch Ihren Führungsstil? Beim Rundgang durch die Logistik ist mir aufgefallen, wie straff diese mittels Rapporte und Notfallplänen durchorganisiert ist. Das erinnert fast ein bisschen ans Militär.
Fraude: (lacht) Nein, das ist gar nicht mein Führungsprinzip. Wir müssen dabei klar unterscheiden zwischen den Logistikprozessen einerseits und anderen Abteilunge wie IT oder Marketing. Logistik ist wie eine Maschine, bei welcher die besagten Zahnräder exakt ineinandergreifen müssen, damit sie reibungslos läuft. Wenn etwas in der Logistik passiert, muss man sofort reagieren und schon vorher festlegen, wer was wann und wo zu tun hat. Würde man dies auf das ganze Unternehmen anwenden wollen, käme es wahrscheinlich zum Stillstand. Und was meine Rolle als Führungskraft betrifft, wäre es völlig vermessen, wenn ich behaupten würde, ich wüsste alles und erst noch besser. Bei Brack Alltron haben wir ausgezeichnete Mitarbeitende, welche sich im Detail mit allen Prozessen auskennen. Abgesehen davon ist es auch nicht meine Aufgabe, die Abläufe neu zu definieren, sondern dem gesamten Ecosystem unserer Firma neuen Schwung zu verleihen, Prioritäten zu setzen und eine klare Richtung vorzugeben. Ich versuche, die richtigen Leute zusammenzubringen und den Handlungsraum zu definieren, daher sehe ich mich eher als Coach und Enabler.
CW: Bei Brack Alltron weht ein frischer Wind. Wie ist das Echo auf diese Veränderungen?
Fraude: Wir sind im Moment mitten in diesem Veränderungsprozess, daher kann ich noch kein abschliessendes Urteil abgeben. Ich spüre aber sehr viel Motivation. Allen ist klar, warum wir das machen und wohin die Reise geht. Vieles war schon vorhanden oder wenigstens angedacht, bevor ich zum Unternehmen gestossen bin. Ich sorge lediglich dafür, dass die Dinge noch stärker ins Rollen gebracht werden. Es ist also nicht so, dass da jemand von aussen gekommen ist und alles umkrempelt. Das ist, was ich intern auch wahrnehme. Natürlich haben alle Veränderungen auch negative Seiten, aber insgesamt ist die Stimmung gut. Die Mitarbeitenden schätzen den neu eingeschlagenen Weg sehr.
CW: Mit welchen Erwartungen werdet ihr seitens Endkunden im B2C-Markt konfrontiert?
Fraude: Ein grosses Thema ist «One-Stop-Shop». Also ein Ort, wo E-Commerce affine Menschen, einen grossen Teil ihres Lebensbedarfs abdecken können. Wir können schon heute sehr viele Produkte liefern, stellen uns aber immer wieder die Frage, wie weit wir unser Sortiment ausbauen wollen. Da sind wir noch in einer Findungsphase mit dem Ziel, in Zukunft ein «One-Stop-Shop» zu werden. Wichtig dabei ist unser Credo, alles aus unserer eigenen Logistik zu liefern im Unterschied zu anderen Anbietern, welche als Plattformen oder Marktplätze fungieren. Bei uns wird alles aus Willisau geliefert und ist am nächsten Tag beim Kunden. Das bedeutet wiederum, dass wir uns gut überlegen müssen, welche Produkte nehmen wir ans Lager. Die Endkunden erwarten schon heute von uns ein grosses Sortiment, günstige Preise und schnelle Lieferung. Zusätzlich geht der Trend vermehrt in Richtung Content, Gamification und Loyalty. Diese drei Bereiche bilden die Basis für die künftige Hyperpersonalization oder Customization. Die Kunden wollen die passenden Produkte mit einem personifizierten, spannenden Einkaufserlebnis, bei dem sie immer wieder profitieren können. Wir lassen uns dabei auch von anderen Anbietern inspirieren, z.B. aus USA oder China, ohne diese kopieren zu wollen. Wir bleiben wir, wollen uns aber auch laufend verbessern. Bei all diesen Überlegungen spielen Daten eine wichtige Rolle.
“Ich bin überzeugt, dass wir dank unserer «Swissness» – Zuverlässigkeit, Qualität, Kundennähe, Swiss Content – weiterhin gut gegen die ausländischen Mitbewerber behaupten können.„
Stefan Fraude
CW: Sie sprechen über diese Zukunftsvision mit viel Enthusiasmus. Sie sind motiviert, in diese Richtung zu gehen?
Fraude: Ja, total. Ich probiere auch viel aus, lade mir jede App herunter und bestelle überall. Es wäre falsch zu sagen, dass die grossen Anbieter alles falsch machen. Im Gegenteil, es gibt dort viele spannende Features. Wenn sich diese mit einem echten Kundenbedürfnis verbinden lassen, übernehmen wir solche Trends auch. Überhaupt finde ich es spannend, was sich gerade im Markt bewegt. Nicht zuletzt auch dank Künstlicher Intelligenz. Es geht schnell voran. Das ist etwas, was mich sehr interessiert und auch antreibt.
CW: Wie ist Brack Alltron in diesem Umfeld aufgestellt?
Fraude: In vielen Bereichen sind wir sehr gut aufgestellt, zum Teil besteht aber auch noch Nachholbedarf. Mit der aktuell laufenden Transformation wollen wir unsere Marktposition stärken und schärfen. Ich bin überzeugt, dass wir uns dank unserer «Swissness» – Zuverlässigkeit, Qualität, Kundennähe, Swiss Content – weiterhin gut gegen die ausländischen Mitbewerber behaupten können. Im Gegensatz zu anderen Playern in der Schweiz verfügen wir in Willisau über grosse Ausbaureserven. Die verstärkte Nutzung vom erwähnten Triangel – Content, Loyalty und Gamification – haben wir ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Onlinehändlern. Alles in allem sind wir sehr gut aufgestellt und haben gleichzeitig noch unheimlich viel Potenzial für weiteres Wachstum.
Zur Person
Stefan Fraude
Der heutige CEO von Brack Alltron war zuvor Geschäftsführer von MediaMarkt Schweiz. Davor war er sieben Jahre lang tätig für Digitec Galaxus, wo er unter anderem den Marktplatz aufbaute, leitete und zuletzt das internationale Category Management führte. Stefan Fraude ist zudem Co-Gründer und VR-Präsident der B2B-Lernplattform MaxBrain. Er hat zum Thema «Leadership & High-Performance-Teams» promoviert, hält nebst dem Doktortitel einen Master in BWL und Marketingmanagement der Universität St. Gallen.



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