Interview mit Marc Holitscher 07.04.2025, 10:35 Uhr

«KI wird Teil unseres Lebens»

Unsere Realität wird zunehmend von Künstlicher Intelligenz geprägt. Davon ist Marc Holitscher, National Technology Officer bei Microsoft Schweiz, überzeugt.
«Die nächste Phase der digitalen Transformation wird nicht nur von leistungsfähigeren KI-Modellen geprägt sein, sondern auch davon, wie gut wir als Gesellschaft lernen, mit diesen Systemen umzugehen und sie verantwortungsvoll zu nutzen.»
(Quelle: Microsoft)
Vom Schweizer Microsoft-Hauptsitz geniesst man freie Sicht auf den Flughafen. Was liegt da näher als über Piloten, genauer über Microsoft 365 Copilot, zu sprechen? Kommen dann noch Agenten dazu, wird es richtig spannend. Wie alles zusammenhängt und welche Rolle Künstliche Intelligenz dabei spielt, erklärt der «Technologie-Pilot» Marc Holitscher, National Technology Officer bei Microsoft Schweiz.
Computerworld: Windows, Word & Co. sind im geschäftlichen, aber auch im privaten Umfeld ein Quasi-Standard. Nun werden die Produkte von Microsoft immer mehr mit KI angereichert. Wie reagieren Ihre Kunden auf die neuen Technologien?
Marc Holitscher: Ich bin seit fast 20 Jahren bei Microsoft, aber ich habe noch nie erlebt, dass neue Technologie und Produkte so schnell adaptiert wurden wie Microsoft Copilot und die damit verbundenen KI-Anwendungen. Nicht nur das, die Lösungen werden inzwischen auch an vielen Orten über alle Branchen hinweg produktiv eingesetzt. Was ich fast noch spannender finde: Die Unternehmensgrösse spielt dabei keine Rolle. Früher war das gerade bei komplexeren Anwendungen ein Ausschlusskriterium. Erst ab einer gewissen Organisationsgrösse standen entsprechendes Know-how und Spezialisten zur Verfügung. Jetzt sehen wir, wie auch kleinere und mittlere Betriebe die neuen Möglichkeiten nutzen. Ich denke, das hat sehr viel damit zu tun, dass für die Interaktion mit dem IT-System die natürliche Sprache verwendet werden kann. Ein allgemeines Beispiel: Mein 90jähriger Vater hat sich noch nie gross mit Computern beschäftigt oder Betriebsanleitungen gelesen. Heute spricht er mit seiner «Maschine», was ihm den Zugang zu einer ganz neuen Welt von Informationen erschliesst. Die Art und Weise, wie wir mit IT umgehen, hat sich durch KI komplett geändert. Dieser einfache Zugang ist meines Erachtens auch einer der Hauptgründe, warum KI so schnell überall Fuss fasst.
CW: Und das trotz immer wieder geäusserter Bedenken hinsichtlich Datenschutzes und Datensicherheit? Oder ist das Kundenvertrauen in Microsoft so gross, dass man das gar nicht hinterfragt?
Holitscher: Doch, doch, unsere Kunden hinterfragen das sehr genau. Gerade in regulierten Branchen wie Banken oder Versicherungen wird jeder Anwendungsfall geprüft und einem Risiko-Assessment unterzogen. Hilfreich ist es, dass viele Kunden diesbezüglich über langjährige Erfahrungen mit unseren Produkten verfügen und unseren Schweizer Rechenzentren vertrauen. Das zeigen auch Beispiele wie das Kantonsspital Luzern, welches die Einsatzplanung der Mitarbeitenden mittels generativer künstlicher Intelligenz unterstützt. Oder die Mobiliar Versicherung, die als reguliertes Unternehmen für die Mitarbeitenden den Mobi ChatGPT einsetzt, um die Kundenkommunikation durch automatisierte Texterstellung, Übersetzungen und Datenanalysen zu unterstützen. Die Bandbreite ist gross, das zeigt auch das Beispiel des Schweizer Traditionsunternehmens Bernina, welches die Kundenschnittstelle über generative KI bewirtschaftet und mit ihrer Produktdatenbank vernetzt. Die Anwendungsmöglichkeiten sind fast grenzenlos. So ist beispielsweise die UBS dabei, rund 50’000 Copilots produktiv einzuführen.
CW: Stösst man da bei den Anwendern nicht oft auf Hürden wie Kulturwandel, Technologiephopie oder Akzeptanzprobleme? Was sind Ihre Erfahrungen mit Schweizer Unternehmen?
Holitscher: Nun ja, in der Schweiz sind wir vielleicht nicht immer die allerersten, welche eine neue Technologie annehmen (lacht). Aber wenn wir uns einmal dazu entschieden haben, dann findet eine unglaublich rasche und konsequente Nutzung statt. Sobald die Skepsis dem Vertrauen weicht, wird auch umgesetzt. Wichtig ist – und das sage ich immer wieder – dass neue Technologie zu beschaffen eben nur das eine ist. Entscheidend für den Erfolg ist es, diese auch sinnvoll zu nutzen. Was KI betrifft, haben wir kürzlich eine Umfrage bei Schweizer Führungskräften gemacht. Weit über 70 % der Befragten halten KI für ihre Geschäfte entscheidend, aber nur 50 % haben einen Plan. Da gibt es also noch viel Handlungsbedarf. Allerdings möchte ich betonen, dass viele Unternehmen KI-Projekte sehr professionell und strukturiert angehen. Viele sind sich auch bewusst, dass KI im Unternehmen mit Kulturwandel verbunden ist und führen daher auch Change-Management Projekte durch.
«Die Art und Weise, wie wir mit IT umgehen, hat sich durch KI komplett geändert.»
Quelle: Microsoft
CW: Nun haben ja die meisten Schweizer KMU ein begrenztes IT-Budget. Lohnt sich Microsoft Copilot auch für kleinere Firmen, oder richtet sich das Angebot eher an grössere Unternehmen mit umfangreicher IT-Infrastruktur? Wer erreicht den ROI am ehesten?
Holitscher: Wie gesagt, die Grösse des Unternehmens spielt keine Rolle. Viel mehr steht die Produktivität der Mitarbeitenden im Vordergrund. Ich denke, da haben alle die gleichen Anforderungen. Die Musik spielt bei der Anwendung in den einzelnen Use Cases. Da bieten wir das gesamte Spektrum von der Ad-hoc-Nutzung bei der Zusammenstellung relevanter Projektinformationen bis hin zur Automatisierung hochkomplexer Workflows mittels Agenten. Der Einstieg ist bewusst niederschwellig gehalten. Auch ohne Programmierkenntnisse kann bereits ein ROI erzielt werden. Wenn es um hochgradig automatisierte Arbeitsabläufe mit Entscheidungsfindung und Berücksichtigung abhängiger Daten geht, kann der Copilot problemlos mithalten. Die Technologie steht zur Verfügung, gefordert ist die Kreativität im Business. Ein Beispiel am Rande: Ich habe mir vor Kurzem von Copilot im Handumdrehen eine Lösung erstellen lassen, um Herr meiner etwas unstrukturierten Datenablage zu werden und Informationen rasch zu finden. Statt vieler Verzeichnisse brauche ich heute nur noch ein Einziges. Den Rest übernimmt Copilot.
CW: Da fällt mir der Spruch ein: We sell the stuff, we eat the stuff. Wie nutzt man bei Microsoft selbst ein Produkt wie Copilot?
Holitscher: Tatsächlich nutzen wir unsere eigenen Produkte (schmunzelt). Im Ernst, wir bei Microsoft sind ja quasi unser Kunde 0. Copilot wurde von Anfang an über die ganze Firma ausgerollt. Und damit das kein Lippenbekenntnis ist, sorgt unser internes Trainingsprogramm «Copilot Yoga» dafür, dass täglich bei allen eine kleine Aufgabe ins Postfach flattert. Die kann man locker in 5 bis 10 Minuten erledigen, fordert einem aber auf, sich mit den Möglichkeiten von KI zu beschäftigen. Nur mit täglichem Training wird man fit für die neue Arbeitswelt und lernt die Vorteile von Produkten wie Microsoft Copilot kennen. KI ist definitiv ein Change. Effizienz und Produktivität sind aber keine Selbstläufer. Nur wer die Technologie beherrscht, erzielt daraus auch einen Nutzen.
CW: Werfen wir nun einen Blick auf Microsoft Copilot selbst. Wie unterscheidet sich dieser von anderen KI-gestützten Assistenten auf dem Markt?
Holitscher: Einerseits fügt sich der Copilot harmonisch in den Arbeitsalltag eines Unternehmens ein und ist Teil der gewohnten Arbeitswerkzeuge wie Word, Excel oder Teams. Er ermöglicht also eine unterbruchfreie Nutzung. Fast noch wichtiger ist es, dass die vorhandenen Sicherheits- und Datenschutzanforderungen nahtlos eingehalten werden. So wird vermieden, dass die Anwenderinnen und Anwender separate Tools nutzen, was zu einer gefährlichen Schatten-IT führen könnte. Beispiele, wo diese eine unkontrollierte Verbreitung vertraulicher Daten verursacht hat, gibt es ja genügend. Ausserdem ist Copilot natürlich verankert in der Datenwelt des eigenen Unternehmens und lässt sich beliebig auf die individuellen Bedürfnisse jeder Nutzerin und jedes Nutzers konfigurieren. Last but not least, Copilot steht für den strukturierten Dialog mit unstrukturierten Daten. Hinzu kommt, dass hinsichtlich Benutzererfahrung eine enge Verbindung zu den bekannten Microsoft Office Produkten besteht. Dabei ist der Copilot bei der Datenbewirtschaftung in keiner Weise an Microsoft-Daten gebunden. Auch Drittsysteme wie SAP oder Salesforce lassen sich problemlos einbinden.
CW: Nun gibt es ja auch noch die «Agenten». Wie unterscheiden sich diese von Copilot? Besteht da nicht langsam Erklärungsbedarf bei den Kunden?
Holitscher: Durchaus, aber nicht die Produktpalette als solches steht im Vordergrund, sondern wie die Systeme funktionieren. Mir persönlich ist es wichtig, die Kunden aufzuklären, was die Vorteile der einzelnen Systeme sind und wie sich diese nutzen lassen. Etwas salopp formuliert, Copilot unterstützt den Nutzer bei der täglichen Arbeit – er ist ein Assistent. Agents hingegen gehen einen Schritt weiter: Sie sind eigenständiger agierende Systeme, die Prozesse automatisieren und steuern können, sofern die Nutzer das so einrichten und definieren.
Quelle: Microsoft
CW: Kaum jemand ist näher dran an der technologischen Entwicklung von Microsoft. Geben Sie uns einen Einblick, woran aktuell gearbeitet wird bzw. wie die Geschichte von Copilot und Agents weitergeht?
Holitscher: Die Zukunft von Copilot und Agents wird stark von zwei grossen Entwicklungen geprägt sein. Erstens sehen wir eine zunehmende Spezialisierung von KI-Modellen. Während die ersten generativen KI-Modelle sehr breit aufgestellt waren, erleben wir jetzt eine Differenzierung: Spezifische KI-Modelle für verschiedene Branchen wie Gesundheitswesen, Finanzdienstleistungen oder Fertigung werden immer wichtiger. Unternehmen möchten nicht nur eine generische KI, sondern eine, die ihre spezifischen Prozesse und Datenstrukturen versteht und optimal unterstützt. Zweitens beobachten wir eine enorme Effizienzsteigerung bei den Modellen. Die Kosten für generative KI sind in den letzten Jahren rasant gesunken – ein gutes Beispiel ist GPT-3.5, dessen Nutzung heute nur noch einen Bruchteil dessen kostet, was bei seiner Einführung verlangt wurde. Diese Entwicklung bedeutet, dass KI-Lösungen für Unternehmen jeder Grösse wirtschaftlich sinnvoller werden. Ein weiterer entscheidender Punkt ist die zunehmende Automatisierung und Autonomie von KI-Agents. Während Copilot heute ein intelligenter Assistent ist, der den Menschen bei täglichen Aufgaben unterstützt, können Agents immer komplexere Prozesse fast selbstständig steuern. In der Lieferkette eines Unternehmens könnten solche Systeme beispielsweise automatisch auf Marktentwicklungen reagieren, Lagerbestände optimieren und alternative Lieferanten vorschlagen, wenn es zu Engpässen kommt. Allerdings wird sich auch die Art der Zusammenarbeit mit KI verändern. Es wird zunehmend wichtiger, dass Unternehmen und Mitarbeitende verstehen, wie sie KI optimal nutzen können. Wir müssen also nicht nur an der Technologie arbeiten, sondern auch an der digitalen Kompetenz der Menschen. 
CW: Wie sehen Sie persönlich die KI-Welt in naher Zukunft? Worauf sollten wir uns einstellen?
Holitscher: KI wird Teil unseres Lebens. Sie wird schon bald nicht nur am Arbeitsplatz eine zentrale Rolle spielen, sondern uns auch im Alltag begleiten. Man kann sich eine Zukunft vorstellen, in der wir nicht nur mit KI-Systemen im Büro interagieren, sondern auch mit unseren Autos oder Haushaltsgeräten. Die nächste Phase der digitalen Transformation wird nicht nur von leistungsfähigeren KI-Modellen geprägt sein, sondern auch davon, wie gut wir als Gesellschaft lernen, mit diesen Systemen umzugehen und sie verantwortungsvoll zu nutzen.
Zur Person und Firma
Marc Holitscher
Seit 2015 beaufsichtigt Marc Holitscher als National Technology Officer die Entwicklung von Microsofts Technologievision und -strategie für Microsoft Schweiz. In dieser Funktion übersetzt er innovative Technologien in wirtschaftliche Effekte und Ergebnisse für Kunden und andere Stakeholder. Marc Holitscher hat einen Doktortitel in Internationalen Beziehungen der Universität Zürich.
Microsoft
Das US-amerikanische Technologieunternehmen mit Sitz in Redmond wurde 1975 gegründet. Die Niederlassung in der Schweiz besteht seit 1989. Hier beschäftigt Microsoft über 1000 Mitarbeitende an 5 Standorten. www.microsoft.ch



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