«Fehlende Fokussierung bremst Innovation»
SAP-Migration und der Fachkräftemangel
CW: Gutes Stichwort. Die Kunden von SAP haben noch gut fünf Jahre für den Wechsel auf die S/4-Plattform. Mit welchen Fragen kommen die Kunden auf Sie zu?
Lehner: Die häufigste Frage ist die nach unserer Einschätzung, wie ernst es SAP mit dem Support-Ende meint. Eine Antwort kann ich nicht geben – das wäre unseriös.
Wir registrieren aber, dass sich viele Kunden mittlerweile Gedanken machen über ihre SAP-Installation. Mit der «S/4Hana Transformation Factory» haben wir versucht, den Wechsel weitestgehend zu industrialisieren. Die Kunden werden mithilfe von Meilensteinen durch die Migration geführt, was ihnen auch Planungssicherheit gibt.
Derzeit ist die erste «Prepare»-Phase mehr als ausgebucht. Unsere Berater sind viel damit beschäftigt, mit den Kunden ein Konzept für die Migration zu entwickeln. Swisscom ist übrigens auch selbst in dieser Phase. Es vergeht aber einen Moment, bis wirklich der Entscheid für den Wechsel gefällt wird. So sind dann auch erst wenige Kunden schon migriert, weil die meisten noch Zeit benötigen.
Unsere ursprüngliche Planung sah vor, dass die Entscheidungsphase nicht so lange dauert. Entsprechend verlief auch die Rekrutierung. Nun arbeiten die Berater am Anschlag, während die Kollegen für die S/4-Implementierung noch freie Kapazitäten haben. Jedoch ist es ja nur eine Frage der Zeit, bis sich auch hier die Arbeitslasten verschieben.
CW: Woher bekommen Sie das Personal für die Projekte?
Lehner: Es ist heute eine grosse Herausforderung, gute Berater und Entwickler zu finden. Die meisten IT-Unternehmen und auch die Anwenderfirmen arbeiten mittlerweile in Nearshore-Modellen. Swisscom baut hier kontinuierlich aus, kann zum Beispiel auch auf Ressourcen in Vietnam – aus dem Zukauf von OpenWeb Technologies – und neu Rotterdam zurückgreifen. Daneben partnern wir mit Nearshore-Anbietern, die themenspezifisch weiteres Know-how bereitstellen. Wirklich kompensieren lässt sich der Mangel an Fachkräften damit aber auch nicht.
So stehen wir vor der Frage, wie in Zukunft die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz gesichert werden soll. Nur schon die lokale Nachfrage kann bei Weitem nicht durch die Absolventen von Hochschulen und Universitäten gedeckt werden. Wenn nun noch mehr Innovation mit Software und digitalen Lösungen realisiert wird, entsteht noch eine grössere Personallücke.
CW: Sehen Sie eine Lösung für den Fachkräftemangel?
Lehner: Wir müssen erreichen, dass sich die Gesellschaft viel mehr nicht nur für die Informatik, sondern allgemeiner für die MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) begeistert. Diese Domänen sind heute beherrscht von Asien und den USA. Der Nachholbedarf in der Schweiz und Europa ist riesengross. Es gilt, hier aufzuschliessen, indem besonders junge Menschen animiert werden, in den MINT-Berufen ihre Zukunft zu sehen.
Wenn es nach mir geht, wird heute noch viel zu wenig darüber gesprochen, wie vielfältig die Technikberufe mittlerweile sind. Informatiker landen nicht automatisch am Programmierpult, sondern finden sich auch in der Industrie, der Dienstleistungsbranche oder im Kraftwerk wieder.
CW: Ein nationaler Ansatz ist der «Digitaltag». Halten Sie diese Initiative für geeignet, junge Menschen für die Informatik zu interessieren?
Lehner: Die Initiative ist wichtig und richtig. Aber sie ist nicht mehr als ein Tropfen, der ein Bassin füllen muss.
Um im Bild zu bleiben: Entscheidend ist, dass der «Digitaltag» bewirkt, dass sich das Bassin kontinuierlich füllt. Sprich: Es muss dafür gesorgt werden, dass digitale Technologien in der Bevölkerung ankommen und nachhaltig verankert werden. Die Schweiz mit ihren föderalistischen Strukturen tut sich schwer, Veränderungen auch «auf die Strasse» zu bringen. Hier brauchen wir mehr Tempo.
Selbst wenn Studien der Schweiz attestieren, sie sei das innovativste Land der Welt: Bürger müssen immer noch Formulare ausfüllen und Krankenakten umhertragen. Wenn wir mit Digitaltechnologien den Menschen ihren Alltag erleichtern, beginnen sie selbst zu realisieren, welches Potenzial in der IT steckt. Wenn die Innovation so erlebbar ist, benötigen wir keine schmeichelhaften Studien mehr.
Zur Firma
Swisscom
ist das nach eigenen Angaben führende Telekommunikations- und eines der führenden IT-Unternehmen der Schweiz mit Hauptsitz in Ittigen. Der Konzern beschäftigt rund 19'600 Mitarbeiter, davon 960 Lernende. Im ersten Halbjahr 2019 erzielte Swisscom einen Umsatz von 5,7 Milliarden Franken, rund 80 Prozent davon im Heimatmarkt. Ausserhalb der Schweiz ist der Konzern mit Fastweb in Italien präsent. Swisscom gehört zu 51 Prozent dem Bund.