Gastbeitrag
21.05.2018, 09:15 Uhr
Die Chancen der Agilität
Agile Organisationen gelten gerade im IT-Bereich als ideales Werkzeug, um die Digitalisierung mit ihren Anforderungen an Flexibilität und Schnelligkeit zu meistern. Doch viele Organisationen stehen bei der Umsetzung noch am Anfang.
Die agile Organisation gilt mittlerweile als die adäquate Struktur, um den digitalen Wandel gestalten und mit dem hohen Tempo auf den Märkten mithalten zu können. Anders als die traditionellen Linienorganisationen mit ihren oft bis ins Detail geregelten Abläufen und ausgeprägten Hierarchien passen sich agile Organisationen neuen Anforderungen einfacher an. Sie bieten eine ungleich höhere Flexibilität, um Produkte zu entwickeln, Projekte zu bearbeiten oder Mitarbeiter einzusetzen und ermöglichen kürzere Reaktionszeiten im Unternehmen. Angesichts dieser theoretischen Vorteile müssten viele Unternehmen längst auf dem Weg in eine agile Organisation sein. Oder nicht? Dieser Fragestellung ist das Institut für Beschäftigung und Employability (IBE) nachgegangen. In einer empirischen Studie wurden über 1000 Unternehmen und Organisationen in Deutschland, Österreich und der Schweiz befragt. Die Ergebnisse fasste das Institut in seinem HR-Report 2018 zusammen.
“Liebgewonnene Muster, die früher Sicherheit boten, greifen in der digitalen Welt nicht mehr„
Frank Schabel
Noch nicht im Alltag angekommen
In der Tat geben 51 Prozent der Teilnehmer an, dass die Bedeutung einer agilen Organisation in ihren Unternehmen bereits heute gross beziehungsweise sehr gross sei. Befragt nach der Bedeutung des Themas in drei Jahren, steigt die Zustimmung gar auf 69 Prozent. Die Unternehmens-IT ist heute der Bereich, wo agile Strukturen am verbreitetsten sind: In jedem sechsten Unternehmen arbeitet der IT-Bereich bereits agil. Bis in drei Jahren sollen es sogar vier von zehn Unternehmen sein. Interessant ist jedoch, dass hier bedeutende Unterschiede zwischen den Ländern bestehen. So ist man in Deutschland offensichtlich schon viel weiter mit der Einführung entsprechender Strukturen: Während bei unserem nördlichen Nachbarn die IT schon in jedem fünften Unternehmen agil arbeitet, gilt dasselbe hierzulande erst für jedes neunte.
Mittlerweile steht Unternehmen ein umfangreiches Set agiler Methoden zur Verfügung. Doch im Alltag vieler Organisationen sind diese neuen Werkzeuge offensichtlich noch kaum angekommen. Die drei wichtigsten Methoden sind aus Sicht der Teilnehmer Design Thinking (30 %), Innovationslabore (26 %) und Lean Startup (22 %). Genutzt wird Design Thinking jedoch erst von 19 Prozent, die beiden anderen Methoden von 12 beziehungsweise 14 Prozent. Bei der Frage nach der Bedeutung und der Nutzung zeigt sich allerdings ein deutlicher Altersgraben: Nur 17 Prozent der jüngeren Befragten bis 40 Jahre schätzen die agilen Methoden als nicht wichtig ein. Bei den über 50-Jährigen sind es schon 36 Prozent.
Die agile Organisation
Agile Organisationen zeichnen sich durch eine hohe und schnelle Anpassungsfähigkeit an veränderte Rahmenbedingungen und Marktsituationen aus. Flexibilität hinsichtlich der Anpassungen von Produkten, Prozessen und vor allem der Mitarbeiter mit ihren Kompetenzen sind entscheidende Kriterien. Agile Organisationen sind in einem hohen Grad vernetzt, und die Mitarbeiter organisieren sich selbst. Zudem sind die Arbeits- und Projektteams in der Lage, in gewissem Umfang autonom Entscheidungen zu treffen.
Nebeneinander führt zu problemen
Die Einführung agiler Organisationsmethoden in Unternehmen hat jedoch ihre Tücken. Denn auch wenn das Modell mit seinen kreativen Netzwerken verheissungsvoll klingt, bleiben für zahlreiche Unternehmensprozesse Einheit, Ordnung und klar definierte Aufgabenteilung noch immer unabdingbar. Beide Formen haben deshalb ihre Daseinsberechtigung. Auf diese Weise entsteht ein Nebeneinander zweier verschiedener Arbeitsweisen und Kulturen: Hier das etablierte hierarchische System für das Tagesgeschäft, dort ein zweites System mit einer agilen, netzwerkartigen Struktur, das geeignet ist, um konstant nach neuen Lösungen und Ideen zu suchen.
Wo aber die Linienorganisation und agile Organisationsformen gleichermassen im Unternehmen implementiert sind, kommt es an der Schnittstelle immer wieder zu Problemen bei der Abgrenzung. Hier ist es besonders wichtig, dass Verantwortlichkeiten wie beispielsweise die Vorgesetztenfunktion geklärt und vorhandene Prozesse und die dazugehörenden Strukturen neu ausgebildet werden. Zudem muss das in vielen Abteilungen noch immer ausgeprägte Silodenken aufgebrochen werden.
Das Nebeneinander von Arbeitsgruppen hat darüber hinaus nicht zu unterschätzende Auswirkungen auf die Führung der Mitarbeiter und auf die Unternehmenskultur. Im Zentrum der Anforderungen an die Führungskultur in agilen Organisationen stehen die Förderung der Eigenverantwortung der Mitarbeiter sowie deren aktive Beteiligung an den Entscheidungsprozessen. Zugleich sollen sich die Führungskräfte von Kontrolleuren hin zu Unterstützern der Mitarbeiter wandeln. All diese verschiedenen Anforderungen verlangen in Zukunft eine weitaus intensivere Form der Kommunikation der Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern als heute. Das bedeutet aber auch, dass bei der Auswahl neuer Führungskräfte deren kommunikativen Fähigkeiten grösseres Gewicht zukommen sollte als dem Fachwissen. Doch noch immer fussen Führungskarrieren nach übereinstimmender Meinung der Befragten in überwiegendem Masse auf überzeugenden fachlichen Kompetenzen.
Mehr Mut zur Lücke!
Alles in allem zeigt der HR-Report 2018 auf, dass die Diskussion über flexiblere Strukturen zwar gerade angesichts der digitalen Transformation breit und intensiv geführt wird, dass jedoch noch nicht vieles davon im Alltag der Unternehmen angekommen ist. Zu hoch ist das Beharrungsvermögen unserer vertrauten Organisationswelten. Das bedeutet, dass Firmen, die agiler werden wollen, eine Wende vollziehen müssen. Es braucht eine Abkehr von den starren Prozessen und Abläufen: weniger Prozesshandbuch, mehr Mut zur Lücke. Liebgewonnene Muster und alte Zöpfe, die früher Sicherheit geboten haben, greifen in der neuen digitalen Welt nicht mehr. Im Gegenteil, sie verlangsamen Organisationen, statt sie zu beschleunigen.
Zum Autor
Frank Schabel ist Head of Marketing und Corporate Communications beim Personaldienstleister Hays.