«Ein ‹Lift & Shift› in die Cloud ist oft nicht sinnvoll»

Grenzen der künstlichen Intelligenz

CW: Wo sehen Sie die Grenzen der künstlichen Intelligenz – für Dynatrace und Ihre Kunden?
Greifeneder: Die künstliche Intelligenz ist eine sehr wichtige Technologie und nicht mehr wegdenkbar. Allerdings gibt es verschiedene Methoden und mir erscheint eine differenzierte Betrachtung dabei sinnvoll.
Schon fast als ein Allheilmittel wird KI auf Basis maschinellen Lernens mithilfe neuronaler Netzwerke gerne gesehen: Ich sehe darin ein Hilfsmittel, das eine Aussage treffen kann, die für gewisse Anwendungen genau genug ist, für andere aber nicht ausreicht. Ein Beispiel: Apple baut in das iPhone einen KI-Chip für die Foto-Optimierung ein, der auf einem neuronalen Netzwerk basiert, das mit Milliarden Bildern von Profifotografien trainiert wurde. Die künstliche Intelligenz verbessert meine Fotos mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent, was für diese Anwendung sehr gut ist. Bei einer Automatisierung hingegen – nehmen wir ein autonomes Fahrzeug – sind 95 Prozent natürlich nicht ausreichend.
Bernd Greifeneder arbeitet regelmässig noch selbst mit der Dynatrace-Software
Quelle: Dynatrace
In unserem Anwendungsfall – der IT – müsste dieses Netzwerk anhand historischer Daten trainiert werden. Wenn ein Problem jedoch noch nie aufgetreten ist, kann die KI auch nicht lernen, wie es gelöst werden kann. Zudem handelt es sich bei IT-Systemen meist nicht um statische Infrastrukturen. Der PC kann sich das Schachspiel mittels Deep Learning beibringen, weil es ein starres Regelwerk hat. Eine IT-Infrastruktur ist niemals starr, sondern verändert sich mit jedem eingespielten Patch oder Update. Hier ist es für die KI viel schwieriger, sich an historischen oder vorgegebenen Mustern zu orientieren.
Lösungswege sind: höhere Datenqualität, Einbezug von Kontext und Semantik der Daten in die Analyse sowie das Berücksichtigen der Beziehungen der Daten zueinander. Wir generieren heute innerhalb von Minuten und Sekunden aktuelle Abhängigkeitsgraphen, die bei einem neuen Deployment sofort die nötige Entscheidungsgrundlage liefern, um Alarm schlagen zu können, wenn eine Komponente nicht so arbeitet, wie sie soll. Dieser kausale und erklärbare Ansatz – wir nennen ihn «Davis AI» – ermöglicht die nötige Präzision, um den Betrieb von Software weitgehend zu automatisieren, auch wenn Software mit agilen Methoden kontinuierlich verändert wird.
CW: Können Sie eine Idee davon geben, in welchen Kundenszenarien diese KI arbeitet?
Greifeneder: Unser grösster Kunde betreibt die Lösung in einer Infrastruktur mit 200'000 Hosts – heute würden wir Container sagen. Hier helfen wir, die Zusammenhänge zu verstehen, wenn zum Beispiel die User Experience auf der Webseite leidet oder ein Prozess eine 100-prozentige CPU-Last erzeugt. Soll das Problem mit einem Patch gelöst werden, darf nicht an der Webseite angesetzt, sondern es muss auf die Drosselung der CPU-Last gezielt werden.
CW: Welche Hilfe ist Dynatrace beim Wechsel von On-Premises in die Cloud?
Greifeneder: Ich würde sagen: Dynatrace ist immer eine grosse Hilfe! [lacht]
Aber genug des Eigenlobes. Eine einzige Antwort auf diese Frage gibt es hier nicht, denn die Kundenszenarien sind zu verschieden. Nehmen wir an, ein Kunde möchte via «Lift & Shift» seine bestehenden On-Premises-Systeme in die Cloud bringen. Das ist in den meisten Fällen keine gute Idee, weil kaum Automatisierung und Optimierung möglich ist. Aber bei einigen Anwendungen ist es nicht zu vermeiden. Dynatrace kann dann immerhin die Performance der alten und der neuen Systeme messen und dem Kunden dabei helfen, die optimalen Konfigurationen für die Cloud zu finden – um zumindest Kosten einsparen zu können.
Der eigentliche Nutzen der Cloud besteht nicht in der Auslagerung der Systeme, sondern in der Automatisierung des Betriebs und dem Nutzen von Cloud-Schnittstellen. Hier setzt Dynatrace an unterschiedlichen Stellen an: dem Messen der Automatisierungsroutinen sowie der Schnittstellen-Performance mit anschliessender intelligenter Optimierung anhand der Feedback-Loops. Wenn möglich, werden hier auch Business-Parameter, wie beispielsweise Shop-Ladezeiten, mit einbezogen.
Selbst wenn der Webshop schnell ist und die Wege zum Einkaufskorb entsprechend kurz, heisst es noch lange nicht, dass Endkunden auch zufrieden sind. Hier setzen wir an und messen, ob ein Service auch die Anwendungen ausliefert, die er ausliefern soll. In der Ebene darüber geht es um die User Experience und anschliessend um die Business Goals. Wenn die Kunden ihre IT-Systeme derart automatisiert und optimiert haben, dass sie das Endverbraucherverhalten steuern können, sind wir am Ziel.



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