Interview: Digitale Zukunft
27.12.2017, 07:35 Uhr
«Wo bleibt der Alfred Escher des Digital-Zeitalters?»
Schweizer Unternehmen stehen vor der digitalen Disruption. Was müssen Firmenchefs tun, um in der anstehenden vierten industriellen Revolution einerseits den Unternehmenskahn sicher durch stürmische Zeiten zu bringen, andererseits selbst auf der Brücke zu bleiben?
«Die grösste Herausforderung bei der Digitalisierung ist nach wie vor die Kultur in den Unternehmen», ist Jörg Eugster überzeugt
(Quelle: Samuel Trümpy)
Das digitale Zeitalter ist angebrochen und wird Wirtschaft, Politik und Privatleben in nächster Zukunft kräftig durchschütteln. Mit welchen Strategien werden Unternehmen den sich abzeichnenden digitalen Tsunami überleben? Computerworld sprach hierüber mit dem Schweizer Internetpionier, Unternehmensberater, Dozent und Buchautor Jörg Eugster.
Computerworld: Sie bezeichnen sich selbst als «Botschafter der digitalen Zukunft». Was verstehen Sie genau darunter?
Jörg Eugster: Der Ausdruck hat sich erst nach einer gewissen Zeit herauskristallisiert. Zunächst wurde ich einmal bei einer Konferenz als «Zukunftsforscher» tituliert. Als das sehe ich mich aber nicht, denn niemand kann wirklich die Zukunft voraussehen. Sonst hätten all jene, die damit tituliert werden, kräftig in Firmen wie Google, Facebook und Amazon investiert und wären heute Multimillionäre. Danach bezeichnete ich mich als Missionar für die digitale Zukunft. Doch dieser Begriff tönt in vielen Ohren zu negativ. So landete ich schlussendlich beim Botschafter. Ein Botschafter stellt sein Land positiv dar. Auch ich möchte Lust auf die digitale Zukunft machen und keine Angst verbreiten.
CW: In Ihrem Buch «Übermorgen» (vgl. Kasten) sprechen Sie viel von digitaler Disruption. Welche Branchen sind in nächster Zukunft am meisten hiervon betroffen?
Eugster: Ich berufe mich hier auf eine Studie von Deloitte Digital, welche die verschiedenen Branchen danach kategorisiert hat, wie stark und wie bald sie von der digitalen Disruption betroffen sein werden. Demnach ist beispielsweise die Chemiebranche relativ sicher. Dagegen ist die Medienbranche stark betroffen und steht wie auch die Finanzindustrie mitten im Umbruch. Gleiches gilt für die Tourismusbranche, den Detailhandel und die Bildung. Selbst die Gastronomie dürfte bald betroffen sein.
CW: Wirklich? Wie muss ich mir das vorstellen?
Eugster: Dass beispielsweise Roboter hinter der Theke stehen. Das könnte sogar in der Hotellerie passieren. Denken Sie an die bereits existierende Roboterfrau Sophia, die sich dank viel künstlicher Intelligenz schon fast natürlich mit einem unterhalten kann. So eine Maschine könnte beispielsweise als Concierge fungieren, der Ihnen, wenn Sie um zwei Uhr morgens ins Hotel kommen, beim Check-in behilflich ist.
Buchtipp
Übermorgen – Eine Zeitreise in unsere digitale Zukunft
Unser Alltags- und Geschäftsleben steckt mitten im Umbruch. Wohin führt uns die Digitalisierung? Jörg Eugster zeichnet in seinem Buch «Übermorgen» ein realistisches Bild der unmittelbaren Zukunft und erläutert dieses, indem er heutige Trends klar und verständlich analysiert.
Das Werk ist allerdings nicht nur «eine Zeitreise in unsere digitale Zukunft», es hat auch das Zeug zum Handbuch für all jene, die sich privat und professionell mit der Digitalisierung auseinandersetzen wollen. Denn der Autor liefert darin nicht nur wertvolle Tipps, sondern gibt auch Antworten auf die brennenden Fragen unserer Zeit: Welche Fähigkeiten brauchen Arbeitnehmer, um in Zukunft erfolgreich zu sein? Warum brauchen Unternehmen eine umfassende Digitalstrategie für ihren Weg der digitalen Transformation? Und er zeigt auf, dass die Politik hier besonders gefragt ist, um die Rahmenbedingungen zu schaffen.
Zudem ist «Übermorgen» ein Buch, das als «work in progress» laufend online mit neuen Erkenntnissen des Autors ergänzt wird.
Info: wifimaku.com/uebermorgen
ISBN: 978-3-907100-73-8
Die Zukunft des Arbeitsmarkts
CW: Das hat natürlich Folgen für den Arbeitsmarkt. Es gibt ja schon Berechnungen, dass gut die Hälfte der heutigen Arbeitsplätze verloren gehen werden. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Eugster: Ich kenne diese Berechnungen auch, bin aber skeptisch, ob sie zutreffend sind. Meiner Meinung nach kann man das nicht berechnen. Zudem wird sich die Digitalisierung wohl nicht mit der Geschwindigkeit durchsetzen, wie es heute oft behauptet wird. Meine Erfahrung ist, dass wirklich tiefgreifende Wandlung ihre Zeit braucht und meist zehn bis fünfzehn Jahre später eintrifft, als zunächst vorausgesagt. Dies heisst nicht, dass es in bestimmten Bereichen nicht auch schneller gehen kann.
Nehmen wir als Beispiel die Transportbranche. Hier wird es sicher eine Generation dauern, bis Jobs wie Lastwagenfahrer durch autonome Fahrzeugtechnologien ersetzt werden. Beispielsweise werden dort pensionierte Arbeitskräfte erst einmal nicht mehr ersetzt.
Auf der anderen Seite werden neue Jobs entstehen. Ich denke da an App-Entwickler, die es erst seit gut zehn Jahren gibt. Ganz neu dürfen Sie Virtual-Reality-App-Entwickler dazu zählen. Die Frage ist einfach, wird dies die Jobs der Lastwagenfahrer, die verloren gehen, kompensieren. Meiner Meinung nach ist dies fast nicht möglich.
Daher werden wir auch eine ganz neue Gesellschaft haben. Ich sehe eine Zweiklassengesellschaft entstehen: Es wird Leute geben, die nicht mehr arbeiten müssen. Diesen werden wir ein bedingungsloses Grundeinkommen zukommen lassen müssen. Ich bin kein Linker, aber hiervon bin ich überzeugt. Dann wird es eine zweite Klasse geben, die arbeiten «darf». Dieser Arbeitsmarkt wird hart umkämpft sein.
CW: Muss man dann aber nicht diejenigen, die keine Arbeit mehr haben, anderweitig fördern, dass sie nicht völlig sinnlos in den Tag hineinleben?
Eugster: Genau, meiner Meinung nach müsste es dann eine Art Bonussystem geben, das soziale Interaktionen fördert. Wenn beispielsweise jemand ins Altersheim geht und mit den Senioren Ausflüge organisiert, könnte er zunächst Likes und Punkte erhalten, mit denen er dann zum Beispiel Ferien machen darf. Das Engagement für die Gesellschaft könnte so gefördert werden. Gleichzeitig wird er dadurch belohnt, dass er etwas Sinnvolles tut und in unserem Fall positives emotionales Feedback von den Heimbewohnern erhält.
CW: Wird es auch Jobs geben, die voraussichtlich nicht verschwinden werden?
Eugster: Auf jeden Fall. Am besten erkläre ich das aber mit den Jobs, die sicher wegfallen werden. Ich bezeichne diese im Dienstleistungsbereich als «FAQ-Jobs». Das sind Jobs, bei denen immer die gleichen Fragen gestellt werden. Nehmen wir als Beispiel Aufgaben bei einer Bank. Für simple Dinge wie die Eröffnung eines Kontos braucht es sicher keine Menschen mehr. Selbst komplexere Vorgänge wie bei der Hypothekenberatung lassen sich schon zum jetzigen Zeitpunkt automatisieren. Daneben werden all jene Arbeitsstellen wegfallen, die durch Roboter ersetzt werden können.
Überleben werden dagegen all jene Arbeiten, die sozial und kreativ sind. Auch die meisten Führungsaufgaben werden bestehen bleiben. Bei Letzterem denke ich allerdings nicht ans untere und mittlere Management, sondern lediglich ans obere und oberste Management. Das heisst an jene, welche die Strategien vorgeben.
Selbst bei den sozialen und kreativen Jobs gibt es Einschränkungen. Viele einfachere Aufgaben wie das Übersetzen von Dokumenten lassen sich mithilfe künstlicher Intelligenz bewerkstelligen. Selbst das Zusammenstellen eines Trailers zu einem Kinofilm kann heute bereits ein Computer übernehmen. IBM hat dies mit Watson vor Kurzem vorgeführt, meines Erachtens mit exzellentem Ergebnis. Und das bei einer Aufgabe, die wirklich einen kreativen Prozess bedingt. Auch im Sozialbereich werden Roboter unterstützend wirken. Trotzdem wird ein psychologisches Gespräch beispielsweise noch lange von Menschen geführt werden.
CW: Wird es aber nicht auch an der Akzeptanz fehlen, etwa im Pflegebereich, dass sich die Leute nicht von Robotern betreuen lassen wollen?
Eugster: Kurzfristig ja, längerfristig nicht. Erinnern Sie sich noch an die Zeit, als die Handys aufkamen? Damals wurden in Gartenrestaurants Störsender installiert. Heute würde so etwas zu einem Aufstand führen. Gewisse Dinge brauchen Zeit. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir uns an den Umgang mit Robotern selbst in Bereichen wie der Pflege gewöhnen werden. Wenn ich nämlich irgendwann die Wahl habe zwischen keiner Betreuung und der Betreuung durch einen Roboter, ist wohl klar, für welche Option ich mich entscheide. Die Japaner machen es vor und sind oft Jahre voraus. Ich erinnere mich an eine Japanerin, die vor Jahren an einem Event berichtet hat, dass bei ihnen das Verlassen des Hauses ohne Smartphone so schlimm sei, wie wenn man den Hausschlüssel vergesse. Damals dachten viele, wie krank ist das denn. Und heute geht es uns genauso!
Gibt es ein Schweizer Uber?
CW: Bei der digitalen Disruption werden immer die Beispiele Uber, Airbnb und Amazon genannt. Gibt es auch Schweizer Unternehmen, die in Sachen Digitalisierung ihre Hausaufgaben bereits gemacht haben?
Eugster: Wir müssen immer unterscheiden, was wirklich disruptiv ist und wo es allein um die digitale Transformation bereits existierender Prozesse geht. Wenn wir von Disruption sprechen, dann wird eine Technik komplett durch eine andere ersetzt. Ein gutes Beispiel sind digitale Kameras: Diese haben die Filmproduktion und -entwicklung obsolet gemacht, sodass es heute kaum noch analoge Kameras gibt. Auch die digitalen Kompaktkameras werden gerade disruptiv durch Smartphones ersetzt. Disruptiv können aber auch Geschäftsmodelle sein wie etwa mit Airbnb.
Bei der Digitalisierung werden dagegen bestehende Prozesse transformiert. Und hier gibt es in der Schweiz diverse gute Beispiele. Ich denke nur an den Detailhandel. Migros und Coop leisten hier Grossartiges: Zum Beispiel ist mir heute dieses Mittel aus der Migros ausgegangen [hält es in die Höhe]. Nun kann ich mit der entsprechenden App den Barcode einscannen und die Ware in meine Einkaufsliste aufnehmen. Die Digitalisierung geht aber weiter, ich gehe nicht mehr mit einem Portemonnaie in den Laden, denn dort scanne ich bereits alle Produkte und bezahle am Selbst-Checkout mit der Kreditkarte, die ebenfalls in der App hinterlegt ist. Kurzum: Dies ist meiner Meinung ein gutes Beispiel für die Digitalisierung von Geschäftsprozessen, es ist aber nicht disruptiv. Klar, für die Kassiererin an der Kasse wird es einen Einfluss haben, denn ihre Aufgabe wird es irgendwann nicht mehr geben. Aber der Detaillist wird weiterhin Bestand haben, für ihn ist es nicht disruptiv.
CW: Ein Schweizer Uber gibt es somit noch nicht?
Eugster: Nein, meines Wissens nicht. Es gibt lediglich Firmen, die ein in den USA entwickeltes disruptives Geschäft sehr schnell kopiert und in der Schweiz eingeführt haben, wie etwa Deindeal.ch, das sich das Konzept von Groupon angeeignet hat, oder Ricardo, das Ebay hierzulande zuvorkam und heute umsatzmässig das grösste Warenhaus der Schweiz darstellt und beispielsweise das Einkaufszentrum Glatt schlägt.
So meistern Firmen die Digitalisierung
CW: Sie sind im Beraterumfeld tätig. Welche Fragen haben Unternehmen derzeit am meisten in Bezug auf die Digitalisierung? Welche Probleme wollen sie lösen?
Eugster: Die Digitalisierungsprojekte, die Firmen in Angriff nehmen und dazu einen Berater beiziehen wollen, sind ehrlich gesagt noch etwas bescheiden. Meist geht es darum, den eigenen Webauftritt zu erneuern, um ihn zum Beispiel für Mobilgeräte fit zu machen. Auch in Sachen Online-Marketing erhalte ich viele Anfragen, aber auch dies ist noch nicht revolutionär.
CW: Was müsste sich ändern, dass Schweizer Unternehmen bei der Digitalisierung mehr Gas geben könnten?
Eugster: Die grösste Herausforderung ist nach wie vor die Kultur in den Unternehmen. Wir Schweizer haben nicht den Spirit, der für die Veränderungen nötig wäre. Beispielsweise bräuchte es Visionen, wie sie etwa Elon Musk von Tesla hat. Solche Leute hatten wir früher auch in der Schweiz. Denken Sie nur an einen Alfred Escher oder an die Planer der Jungfraujochbahn, die ja eigentlich ursprünglich bis auf den Jungfraugipfel geführt werden sollte. Das waren für die damalige Zeit völlig verrückte Ideen. Solche Visionen sind in der Schweiz heute so gut wie nicht mehr vorhanden. Was wir stattdessen hierzulande oft antreffen, sind sogenannte Tabellenkalkulations-Manager, die zuerst danach fragen, ob sich ein neues Vorhaben rechnet. Wir brauchen dagegen mehr PowerPoint-Manager mit Visionen!
CW: Auf welche Hürden stossen Sie in den Unternehmen?
Eugster: Am schwierigsten ist es, wenn man an den Schlüsselpositionen auf Leute trifft, die das Alte bewahren wollen und nicht für Neues offen sind. Oft begegne ich Firmen, bei denen das Management Angst davor hat, dass die Mitarbeiter die Veränderungen nicht mittragen werden. In solchen Unternehmen werden dann oft die innovativ denkenen Leute als Freaks und Nerds abgetan. Wenn diese Firmen realisieren, dass sie nun dringend digitalisieren müssten, ist es meist schon zu spät.
CW: Was müsste also geschehen, dass eine Firma für die Digitalisierung fit gemacht werden kann?
Eugster: Es müssten digital denkende Menschen an die Schalthebel des Unternehmens gelangen. Meistens handelt es sich dabei um jüngere Leute. Ich bin als Babyboomer wohl einer der seltenen «Exemplare» digital denkender Menschen meiner Generation.
Dann müssen Firmen den Mut aufbringen, etwas zu tun, auch auf die Gefahr hin, dass es beim ersten Anlauf nicht funktioniert. Denn aus solchen Fehlschlägen lässt sich lernen. Zumindest hat man sich so schon einmal mit der Thematik beschäftigt. Wir müssen endlich davon wegkommen, dass Fehler und unternehmerische Misserfolge stigmatisiert werden.
CW: Sie schlagen also eine Fehlerkultur vor, wie sie im Silicon Valley anzutreffen ist. Wie könnte die Schweiz mehr zum Silicon Valley werden, oder anders gefragt: Gäbe es eine Schweizer Idealmischung, eine Kultur also, die Innovation mit Tradition und Bewahrung vereint?
Eugster: Das grösste Manko in der Schweiz ist nicht die mangelnde Innovationskraft, sondern das Fehlen von Risikokapital. Firmen wie Google und Facebook sind hierzulande nicht möglich, weil die mutigen Geldgeber fehlen. Hier macht man sich aber schon auch Gedanken. Ich habe vor Kurzem einen Vorschlag gelesen, man könnte doch
einen winzigen Teil unseres Pensionskassenkapitals für die Unterstützung von Start-ups einsetzen. Es wäre dann Geld für unternehmerische Versuchsballons vorhanden, mit dem Potenzial, dass auch hierzulande grosse Ideen umgesetzt werden könnten.
Am wichtigsten wäre es aber, wenn wir Leute, die etwas wagen und damit auf die Nase fallen, nicht so verächtlich behandelten und ihnen deshalb keine künftigen Erfolge mehr zugestehen. Auch die relative Missgunst gegenüber jenen, die eine Business-Idee erfolgreich umgesetzt haben, müsste aufhören. Denn in den USA werden solche Leute bewundert und nicht kritisch beäugt.
Die Rolle von CDO und CEO im digitalen Zeitalter
CW: In Ihrem Buch schlagen Sie ja unter anderem auch den Einsatz eines Chief Digital Officers (CDO) in Unternehmen vor. Kann so jemand in Anbetracht der Zurückhaltung so vieler Schweizer Unternehmen überhaupt etwas bewirken?
Eugster: Auf jeden Fall. Denn er wirkt wie ein digitaler Botschafter im Unternehmen und treibt die Entwicklung voran, und zwar auf allen Ebenen der Digitalisierung. Zu diesen gehören nicht nur die Prozesse, sondern auch das Online-Marketing mit Neukundenakquise, die Kundengewinnung etwa via Social Media und digitale Geschäftsmodelle.
CW: Müsste nicht der CEO vom gleichen Schlag sein wie der CDO, respektive sollte er nicht gleich selbst die Funktion des CDOs übernehmen?
Eugster: Unbedingt. Ich stelle immer die provokative Frage: «Sind Sie der CEO, der Ihr Unternehmen in die digitale Zukunft führen kann?» und antworte gleich: «Wenn nicht, ist es Zeit für Sie abzudanken.»
Ideal ist es somit, wenn der CEO gleich tickt wie der CDO. Er braucht diesen aber dennoch, um konkrete Projekte umzusetzen. Denkt der CEO aber nicht digital und stellt einen CDO ein, kann dies für Letzteren eine sehr frustrierende Erfahrung werden. Ein guter Freund, der von einem Medienunternehmen als CDO eingestellt wurde, hat gerade diese Erfahrung selber machen müssen.
CW: Apropos CEO. Nehmen wir einmal an, ein Unternehmen macht seine Hausaufgaben und digitalisiert seine Prozesse. Verflacht sich dann nicht auch die Hierarchie? Oder etwas ketzerisch gefragt: Braucht es in der digitalen Firma noch den CEO?
Eugster: Die Hierarchie wird dann auf jeden Fall flacher. Ob dies allerdings gleich zur Holacracy, also zum hierarchielosen Unternehmen führen wird, glaube ich nicht. Es braucht nämlich schlussendlich jemanden, der entscheidet und das Unternehmen noch führt. Aber Firmen werden mehr aus relativ autonomen Teams bestehen. Damit entsteht eine eigene Dynamik, die strikte Hierarchien dann eher abwürgen würden.
CW: Sie haben Ende der 1990er-Jahre einige Internetfirmen gegründet. Wie unterscheidet sich ein Firmengründer heute zu früher und was wird er in Zukunft mitbringen müssen?
Eugster: Ich bin leider nicht mehr so tief in dieser Materie drin. Was ich aber feststellen kann, ist, dass etwa an den Hochschulen viel mehr Spin-offs entstehen als früher. Auch bei der Investitionskultur hat sich einiges zum Besseren gewandelt. Es gibt hier doch mehr Initiativen. Auch der Staat greift mit entsprechenden Programmen und Weiterbildungsmassnahmen unter die Arme. Selbst was den Wettbewerb für die besten Ideen anbelangt, hat sich einiges getan. Die Konkurrenz und das Niveau der Teilnehmer an entsprechenden Wettbewerben ist stark gestiegen.
Was sich dagegen nicht geändert hat, ist die Maxime, dass die Leute noch wichtiger sind als die Ideen. Gerade kürzlich habe ich mit einem Investor gesprochen, der ein Start-up mit Geld bedacht hat. Auf meinen Einwand, dass mir die Idee der Firma nicht so gefalle, meinte er, er sei da auch skeptisch, aber das Gründerteam sei top. Wenn die Idee nicht funktioniere, seien diese Leute schnell in der Lage, etwas anderes aufzubauen. Kurzum: Sie brauchen die richtigen Leute, die Ideen umsetzen sowie bereit sind, morgens etwas früher aufzustehen und abends etwas später ins Bett zu gehen ... Das war übrigens auch früher schon so, das hat sich nicht geändert.
Jörg Eugster
Zur Person
Jörg Eugster
Jörg Eugster ist seit 1998 Internetunternehmer und zählt daher zu den Webpionieren der Schweiz. Er hat mit «jobwinner.ch» und «swissfriends.ch» zwei Internetplattformen gegründet und später an Medienunternehmen verkaufen können. Heute ist er als «Botschafter der digitalen Zukunft» beratend tätig, nimmt mehrere Verwaltungsratsmandate wahr, tritt als Keynote Speaker auf und betreibt weiterhin Webprojekte wie «topin.travel», «swisswebcams.ch» und «wifimaku.com».