Der Krisenmanager
18.12.2020, 06:11 Uhr
Guy Parmelin: «Der Adrenalinspiegel ist konstant hoch»
Die Corona-Pandemie fordert Führungskräfte in Wirtschaft und Politik wie selten zuvor. Bundesrat Guy Parmelin über Management auf Sicht, Remote Leadership und wie die Schweizer Wirtschaft nachhaltig gestärkt die Corona-Krise hinter sich lassen kann.
Guy Parmelin: «Wichtigstes Ziel ist es, die Pandemie zu überwinden und wieder allen echte Perspektiven zu vermitteln»
(Quelle: WBF)
Der Bundesrat steht in der Corona-Krise im Rampenlicht. Die Arbeit der Regierung im Frühling und nun in der zweiten Welle bietet ausführlichen Anschauungsunterricht in Sachen Leadership in der VUCA-Welt. Unsere «Swiss Leader» sollen den Weg aus der Krise aufzeigen, wo sie ihn doch selbst nicht kennen und sich die Situation täglich ändert. Besonderer Druck lastet auf Wirtschaftsminister und (ab 2021) Bundespräsident Guy Parmelin. Er muss das Land durch eine der schwersten Krisen seiner jüngeren Geschichte steuern und die Gesellschaft einen. Corona-Leugner bekämpfen Befürworter der Gegenmassnahmen, derweil schmelzen der Wirtschaft die Reserven weg. Hinzu kommen Herausforderungen wie die digitale Transformation, die Cybersicherheit oder die Ausbildung der nächsten Generation digital versierter Fachkräfte.
Computerworld: 2020 ist bald vorüber. Sind Sie froh?
Guy Parmelin: Ich glaube nicht, dass sich schwierigere Jahre einfach mit einem Jahreswechsel abhaken lassen. Insbesondere die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie werden sich erst abschätzen lassen, wenn die gesundheitlichen Konsequenzen ausgestanden sind. Umso mehr schaue ich vorwärts, nicht zurück.
CW: Viele haben 2020 bereits als Katastrophenjahr abgeschrieben. Leider gingen durch die Pandemie die Good News unter. Welche Erfolge abseits der Krisenbewältigung kann Ihr Departement vorweisen?
Parmelin: Wir haben in verschiedenen Bereichen vorwärtsgemacht. Beispielsweise wurde «Die Botschaft 2021–2024» zur Förderung von Bildung, Forschung und Innovation aufgelegt. Auch die «Agrarpolitik 22+» ist unterwegs. Und in verschiedenen Verhandlungen für die Modernisierung oder den Abschluss neuer Freihandelsabkommen wie kürzlich mit Indonesien wurden Fortschritte erzielt. Das Tagesgeschäft stand wegen der Corona-Krise nicht einfach still.
CW: Mit der Corona-Krise leben wir in der sogenannten VUCA-Welt. Alles verändert sich, man kann nur auf Sicht planen, wenn überhaupt. Dennoch werden vom Bundesrat klare Ansagen gefordert. Wie begegnen Sie dieser Herausforderung?
Parmelin: Das ist eben Krisenmanagement! Auch in normalen Zeiten versuchen wir, Klartext zu reden. In schwierigen Situationen ist das sogar zwingend. Dabei bin ich mir voll bewusst, dass manchmal in der Eile auch Fehler passieren. Dazu muss man stehen und als Exekutivpolitiker auch damit umgehen können.
CW: Home Office und Social Distancing führen zwangsläufig zu einem veränderten Stil des Leadership. Wie leiten Sie momentan Ihr Team? Welche Tipps haben Sie für andere Führungskräfte?
Parmelin: Wie viele andere Betriebe verbringen wir jetzt viel Zeit mit Telefon- und Videokonferenzen. Auch die meisten internen Sitzungen werden virtuell abgehalten. Ich verfüge aber über ein sehr gut eingespieltes Team, sodass zwar der Austausch etwas weniger spontan, aber doch immer sehr direkt ist. Eine gepflegte Gesprächskultur hat bei uns Tradition. Daran haben wir nichts geändert. Ich traue übrigens allen Führungskräften zu, dass auch sie in dieser Situation den richtigen Ton finden.
CW: Sie leben seit Monaten mit einem aussergewöhnlichen Stresslevel. Wie vermeiden Sie Ermüdungserscheinungen, Verschleiss und Burnout bei Ihnen und auch bei Ihren Mitarbeitenden?
Parmelin: Ja, der Adrenalinspiegel ist konstant hoch. Aber Sie wissen ja, das hält wendig und wach! Und gelegentlich gibt es doch auch kleine Pausen, die man sich gewähren muss. Vielleicht wird sich eine Reaktion bemerkbar machen, wenn die Situation wieder richtig unter Kontrolle und die Gefahr gebannt ist. Aber das ist leider noch Zukunftsmusik.
CW: Wann wurde Ihnen bewusst, dass sich das Corona-Problem zu einer Krise in der Grössenordnung der Finanz- oder gar der Ölkrise entwickeln wird?
CW: Wann wurde Ihnen bewusst, dass sich das Corona-Problem zu einer Krise in der Grössenordnung der Finanz- oder gar der Ölkrise entwickeln wird?
Parmelin: Das Bewusstsein war schnell da. Wenn man einen Lockdown wie im vergangenen Frühjahr anordnet, dann muss man sich bewusst sein, was die Folgen sind.
Wir haben von Anfang an Prognosen erstellt. Bei der ersten Welle sind wir noch mit einem blauen Auge davongekommen, weil unsere sicher pessimistisch kalkulierten Töpfe nicht ausgeschöpft wurden. Aber jetzt mit der zweiten Welle müssen wir in einigen Bereichen nochmals nachlegen.
CW: Gesundheitsexperten fordern den harten Lockdown. Stimmen aus der Wirtschaft und Kultur pochen auf die Eigenverantwortung und Öffnung von Ladengeschäften, Restaurants oder Tourismusdestinationen. Ein Widerspruch, bei dem Sie als Entscheider eigentlich nur verlieren können. Wie gehen Sie damit um?
Parmelin: Tatsache ist, dass jetzt nicht mehr der Bund die alleinige Verantwortung trägt. Dass uns trotzdem viel Kritik entgegenschlagen würde, war uns von Anfang an bewusst. Meine Devise war immer, ungeachtet aller Widerstände nach bestem Wissen und Gewissen Entscheide zu treffen. Dann fällt es leichter, die Kritik entgegenzunehmen und damit umzugehen.
Das WBF
Das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF)
wurde 2013 gegründet. Dem WBF sind sechs Bundesämter und sieben Verwaltungsstellen angegliedert. Zu deren Aufgabengebieten zählen unter anderem Aussenhandel, Wirtschaftspolitik, Bildung und Beschäftigung, Forschung und Innovation, digitale Transformation und Landwirtschaft.
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