«Digitale Transformation ist der falsche Begriff»
Königsweg zur Digitalisierung
CW: Wie haben Sie Ihre Vorgesetzten und die Inhaberfamilie des Traditionsunternehmens Vorwerk überzeugt, dass der Weg der richtige ist?
Ganns: Wir hatten stets grosse Rückendeckung sowohl in der Thermomix-Bereichsleitung als auch dem Executive Board des Konzerns. Das Management war überzeugt, dass unser Weg einen Versuch wert ist. Das primäre Ziel war nicht, mit dem System Geld zu verdienen. Die ursprüngliche Idee war: Die Lösung muss sich selbst tragen, sodass wir einen zusätzlichen Wettbewerbsvorteil aufbauen können. Der Markt hat uns erst gezeigt, dass der Kundenwert für die digitalen Add-ons – wie den Cook-Key – und Services so hoch ist, dass die Kunden dafür zahlen. Heute haben wir zwei Millionen Geräte online.
“Das Management war überzeugt, dass unser Weg ein Versuch wert ist„
Julius Ganns
CW: Wann haben Sie erkannt, dass die Digitalfunktionen mehr Potenzial bergen? Und wie?
Ganns: Mit der Einführung des Cook-Keys veränderte sich das Verhalten der Kunden: Die Hardware und das Software-Update integrierte den TM5 mit dem digitalen Ökosystem, in dem der Thermomix selbstständig Rezepte synchronisieren, Einkaufslisten abgleichen und in einigen Ländern auch die Zutaten online bestellen konnte. Diese neuen Funktionen führten zu einer vermehrten Nutzung. Die Kunden entdeckten immer mehr Details. Wir mussten uns dazu auch intern neu organisieren, denn unser Team bestand zum grössten Teil aus externen Unterstützern.
CW: Sie sprechen von mehr als 100 Personen. Waren diese ausschliesslich mit dem digitalen Thermomix beschäftigt?
Ganns: Hauptsächlich mit dem digitalen Ökosystem, beim Thermomix kommen noch einmal mehr Leute hinzu. Die Kollegen waren zuständig für die Entwicklung der Apps und Webseiten, die Datensynchronisation, Cloud, Security, das Integrieren mit den ERP-Systemen der verschiedenen Länder, den Support und so weiter. Die meisten dieser Tätigkeiten sind notwendig für den Betrieb, aber für den Kunden überhaupt nicht sichtbar. Angesichts der Tatsache, dass 80 Prozent unserer Kunden den TM5 direkt mit Cook-Key kaufen, war ein Setup mit vielen Externen dauerhaft nicht nachhaltig. Mit dem Dienstantritt unseres neuen, sehr digitalen CMOs Markus Dobbelfeld haben wir begonnen, eine interne Organisation aufzubauen. Unser Ziel war, das Wissen über alle Kernprozesse in die Firma zu verlagern, um so die Digitalstrategie weiterentwickeln zu können.
Wir bekamen Ende 2016 das Mandat, Vorwerk Digital aufzubauen. Dabei handelt es sich nicht etwa um einen ausgegründeten Geschäftsbereich, sondern vielmehr um eine virtuelle Organisation. Sie besteht aus mehreren Sub-Teams, die innerhalb der bestehenden Firmenstruktur agieren. Die Kollegen bleiben in ihrer angestammten Abteilung und sind gleichzeitig Mitarbeiter von Vorwerk Digital. So können wir alle besser mitnehmen auf die digitale Reise. Die leitende Einheit hier in Zürich wurde vor dem Hintergrund geschaffen, dass wir uns international aufstellen. Hier sind die Kollegen mit der Steuerung und der Strategie befasst. Dazu gibt es noch weitere, kleinere Standorte.
CW: Das tönt mysteriös: «weitere, kleinere Standorte». Geht es um geheime Labors in China oder Indien?
Ganns: Nein, nein. [lacht] Es handelt sich dabei um Orte in Europa. Während wir sonst grossen Wert darauf legen, dass alle Teams in ihrem eigenen Umfeld arbeiten, ziehen wir sie in den heissen Phasen alle zwei Wochen für jeweils drei Tage zusammen. Das ist die «Sprint Colocation». In diesem Modus entwickeln bis zu 80 Personen fokussiert zum Beispiel ein grosses Update. An den Anlässen sind auch viele Externe und Zulieferer dabei, mit denen wir weiterhin eng zusammenarbeiten. Aber wir achten darauf, dass die Führung bei Vorwerk liegt. Intern angesiedelt sind die Architektur, die Customer Experience, das Programmmanagement, die Qualitätssicherung und natürlich die Strategieentwicklung. Weiter haben wir Kompetenzen aufgebaut, um Externe zu steuern, technisch wie auch in der Entwicklung.
Ein grösserer Anteil digitaler Lösungen kommt in vielen Bereichen besser aus dem Zulieferermarkt: Eine App, ein Embedded-Modul für ein IoT-Gerät oder der Wi-Fi-Adapter können durchaus extern entwickelt werden. Die Lieferanten sind spezialisiert, haben die Ressourcen und Qualifikationen. Vorwerk selbst muss kein neues Wi-Fi-Modul entwickeln. Wir bauen nur interne Entwickler an den Stellen auf, an denen wir langfristig einen Wettbewerbsvorteil sehen.