Chris Tanner von AdNovum im Interview 18.03.2019, 06:00 Uhr

«Blockchain und KI sind Hot Topics»

Mit dem Car Dossier, Blockchain-Projekten und einem Inkubator hat AdNovum in seinem Jubiläumsjahr für Aufsehen gesorgt. CEO Chris Tanner spricht im Interview über die Strategie des Software-Hauses, Trends und wie sich die IT seit der Firmengründung verändert hat.
Chris Tanner leitet seit 2014 das Software-Haus AdNovum
(Quelle: AdNovum)
Computerworld: AdNovum arbeitet intensiv an Private Blockchains. Mit dem Car Dossier hat Ihr Unternehmen vergangenes Jahr für Aufsehen in der Branche gesorgt. Wird AdNovum zur Blockchain-Company? 
Chris Tanner: Wir fokussieren mit unserem Angebot auf Consortium Blockchains. Das Car Dossier ist Ergebnis der Arbeit unseres Incubators. Hier nehmen wir technische Trends auf, entwickeln daraus Ideen und leiten Prototypen für das Business ab. So entstand auch unsere erste Blockchain-Lösung, das Car Dossier, aufbauend auf einer Consortium Blockchain. Damit können wir den Lebenszyklus eines Autos zuverlässig und vertrauenswürdig abbilden. Die Lösung wird mit Hochschulen sowie Partnern aus der Wirtschaft entwickelt und von der Innovationsagentur des Bundes, Innosuisse, gefördert. Car Dossier ist für uns weit mehr als ein Showcase, aber als solcher ist es herausragend. Wir erhalten verstärkt Anfragen von Kunden aus dem Unternehmens­umfeld nach ähnlichen Blockchain-Lösungen. 
CW: Was wird nachgefragt? 
Tanner: Auf einzelne Projekte kann ich derzeit nicht ein­gehen. Aber viele Firmen sondieren die Möglichkeiten der Technologie. Sie überlegen, was die Blockchain für ihr künftiges Geschäftsmodell bedeutet. Einige evaluieren noch die Möglichkeiten, andere sind bereits weiter und kommen mit konkreten Projektanfragen auf uns zu. Daher sehen wir gerade ein Momentum und glauben, dass die Blockchain eine relevante Rolle in der Wirtschaft spielen wird. Entsprechend wollen wir uns an diesem Markt positionieren. 
CW: Welche weiteren Anwendungsbereiche sehen Sie für die Blockchain noch, ausser dem Lifecycle Management in der Automobilbranche? 
Tanner: Grundsätzlich ist der Einsatz von Blockchain überall dort interessant, wo wenig Vertrauen im Business vorhanden ist wie etwa bei grenzüberschreitenden Prozessen. Oder auch im Supply Chain Management empfindlicher Produkte wie Nahrungsmittel oder Medikamente, wo es darauf ankommt, die Kühlkette auf dem Transportweg einzuhalten und zu kontrollieren. 
CW: Wird die Blockchain zum neuen strategischen Geschäftsfeld für AdNovum? 
Tanner: Das Car Dossier ist zwar ein Hot Topic, läutet aber noch keine Strategieänderung für uns ein. Wir sehen es als Bestandteil unseres Entwicklungsportfolios und mit unseren Services werden wir das Produkt zum Fliegen bringen. Unser Unique Selling Point ist, dass wir den Lebenszyklus einer Software mit IT-Security verbinden. Das ist das Hauptthema für uns. So gesehen, passt die Blockchain-Technologie gut zu unserem Gesamtangebot.
CW: Wie läuft es denn im Kerngeschäft IT-Sicherheit? 
Tanner: Unser Security-Angebot ist breit gefächert und beginnt beim Produkt für Identity and Access Management (IAM) NEVIS, wo wir auf den Bereich Customer Identity und Access Management fokussieren. Ergänzend bieten wir Security Consulting an. Gemeinsam mit den Kunden führen wir eine Standortbestimmung durch betreffend der IT-Sicherheit und passender Lösungsansätze. Zusätzlich sichern wir Software während des Lifecycles Ende zu Ende ab. Wir beobachten, dass sich Cyberrisiken und -angriffe häufen, weswegen wir auch in Zukunft weiterhin wachsen können. 
CW: Aber auch Sie werden kaum hundertprozentige Sicherheit bieten können, oder? 
Tanner: Wir können Kunden aufzeigen, wo ihre Schwachstellen sind und wie sie sich schützen können. Etwa, wie man Mitarbeiter schult und sensibilisiert, um ein Bewusstsein für IT-Sicherheit zu schaffen. Sodass beispielsweise niemand automatisch E-Mail-Anhänge öffnet, sondern diese zunächst auf ihre Authentizität hin prüft. 
CW: Wie entwickeln sich Ihre Kundengruppen? Gibt es Veränderungen bei der Zusammensetzung der Kunden? 
Tanner: Wir beobachten, dass sich zunehmend mittelgrosse bis hin zu kleinen Unternehmen mit Cyberrisiken aus­ei­nandersetzen. Für uns sind dann Assessments ein guter Startpunkt für den Aufbau einer Kundenbeziehung. Wir zeigen dabei möglichen Nachholbedarf auf. Es kann sein, dass NEVIS eine Möglichkeit für den Kunden ist oder dass es eine andere Soft- oder gar Hardware braucht. Hier kommen dann möglicherweise auch andere Anbieter zum Zug. 
CW: Wie fügt sich der Incubator in die Struktur von AdNovum ein? Ist er künftig Ihre Abteilung für Forschung und Entwicklung? 
Tanner: In unserem Incubator nehmen wir ICT-Trends auf, analysieren diese und evaluieren, inwieweit sie zu unserem Markt und zu unseren Kunden passen. Anschliessend entwickeln wir Prototypen in Form eines Minimal Viable Products, sodass wir möglichen Kunden auch etwas vorführen können. Für diese Projekte ziehen wir Mitarbeitende mit den passenden Fähigkeiten aus den Bereichen Consulting, Applikationsentwicklung und Service Delivery hinzu. Man könnte den Incubator als eine Art R&D-Zentrum betrachten. Allerdings betreiben wir in allen Abteilungen Innovation. Das Besondere am Incubator ist, dass er das Vehikel für die angesprochenen Hot Topics bildet und nicht unmittelbar Umsatz erwirtschaften muss. 
CW: Woran arbeiten Sie derzeit? 
Tanner: Neben Blockchain-Lösungen arbeiten wir im Incubator an kognitiven Technologien und an Human Centric Interfaces. Hierzu zählen Systeme wie Voice- und Chat-Bots. Wir hosten für einen Kunden ein Spracherkennungssystem für Schweizer Mundart. Die Lösung haben wir in Zusammenarbeit mit Partnern entwickelt. Hierin sehen wir ein Marktpotenzial im Bereich First-Level-Support. Jede Hotline wäre prädestiniert dafür, eine derartige Sprachlösung einzusetzen. Anstatt dass man anruft und über das Eintippen von Nummern durch einen Prozess geführt wird, könnte man den Kunden-Support über die Spracherkennung steuern. 
CW: Welche Rolle spielt die Sicherheitsplattform NEVIS künftig, wo doch neue Technologien über den Incubator in das Unternehmen getragen werden? 
Tanner: NEVIS bleibt eine tragende Säule unseres Kern­geschäfts. Wir entwickeln die Security Suite stetig weiter und bieten laufend Produktneuerungen wie jüngst in der NEVIS-Administrationsplattform. So können wir heute Methoden wie DevOps mit NEVIS besser abbilden. Zudem arbeiten wir im Rahmen der NEVIS-Mobile-Authentisierungs-Lösung an einer Access-App, die wir bald lancieren werden. 
CW: AdNovum agiert seit 30 Jahren am Software-Markt. Welches waren in dieser Zeit die Höhepunkte? 
Tanner: Ein Highlight ist für mich, dass wir seit der Unternehmensgründung kontinuierlich wachsen konnten und nie einen massiven Einbruch erleben mussten. Auch unsere Internationalisierungsstrategie ist eine Erfolgsgeschichte. Diese begann mit der Eröffnung des Standorts in Ungarn im Jahr 2004. Es folgten Standorte in Singapur, Vietnam und Portugal. Ein weiteres Glanzlicht ist die vergrösserte Kundenbasis. Wir haben nicht nur mengenmässig Kunden gewonnen, sondern konnten viele auch über einen langen Zeitraum begleiten. Es zeigt, dass uns die Kunden als Trusted Partner sehen. Was mich aber ganz besonders freut, ist die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen. Die AdNovum lebt von ihren Mitarbeitenden. Sie sind unser höchstes Gut und wir versuchen, ihnen Sorge zu tragen. Daher möchte ich an dieser Stelle einmal unseren Mitarbeitern Danke sagen. Ohne sie hätten wir nicht so einen Erfolg auch auf internationaler Ebene. Es ist uns gelungen, die Kulturen an allen Standorten zu harmonisieren. 
“«Die AdNovum lebt von den Mitarbeitenden. Sie sind unser höchstes Gut»„
Chris Tanner
CW: Welches Projekt zählt zu den Highlights?
Tanner: Da gibt es einige. Eines ist das Zemis-Projekt. Im Zentralen Migrations-Informations-System (ZEMIS) des Bundes werden im Staatssekretariat für Migration die Daten von über 11 Millionen Personen zentral verwaltet. Hierfür mussten wir zwei Host-Applikationen migrieren und durchliefen den kompletten Zyklus einer Host-Ablösung in diesen Dimensionen. Aus einem frühen Projekt entstand unsere NEVIS-Software, die inzwischen ein Kernprodukt unserer Firma ist. Unsere Aktivitäten im Bereich der Mobile-Entwicklung zählen ebenfalls zu den Highlights. Wir schufen die Grundlagen für Twint, das sich inzwischen als Standard in der Schweiz unter den Mobile-Payment-Lösungen etabliert hat. Hierfür konnten wir mit unserer Arbeit entscheidende Starthilfe leisten. 
CW: Wie hat sich das Software-Geschäft seit dem Start von AdNovum entwickelt? 
Tanner: Die Entwicklung von Software unterliegt einem Industrialisierungsprozess in einem frühen Stadium. Vergleicht man die Entwicklung mit der anderer Industrien, sind wir noch nicht sehr weit. Es gibt zwar Branchenstandards, diese sind aber noch nicht vergleichbar mit der Fertigungsindustrie oder dem Bauwesen. Dennoch ist IT heute etwas anderes als noch vor 30 Jahren. 
CW: Inwiefern, was hat sich verändert? 
Tanner: Als ich in der IT anfing, gab es in der AdNovum neben dem CEO drei Jobprofile: den Software-Entwickler, den Tester und Mitarbeitende für die Dokumentation. Heute arbeiten unsere Mitarbeitenden in über 35 verschiedenen Funktionen. Mit den Jahren kamen neue Spezialisten und Experten für bestimmte Aspekte hinzu. Beispielsweise Experten für User Experience. Diese spielt inzwischen eine gewichtige Rolle im Entwicklungsprozess, da Anwender heute erwarten, dass sich Software intuitiv bedienen lässt. Hier war Apple Vorreiter und ebnete der gesamten Branche den Weg. Auch die Programmiersprachen haben sich gewandelt. Früher waren es etwa C und C++, heute sind Java und andere moderne Sprachen sehr gefragt. Die Komplexität wurde damit aber nicht geringer, sie ist sogar weiter gestiegen. 
CW: Wie änderten sich die Kundenbeziehungen?
Tanner: Business und IT wachsen zusammen. Früher diskutierten wir mit den Entscheidern aus der IT, heute sprechen wir mit den Vertretern aus dem Business. Ihnen ist die Komplexität einer Lösung gleichgültig, für sie steht der geschäftliche Nutzwert einer Software im Vordergrund. Um die Komplexität kümmern wir uns als Entwicklerfirma. Das sind alles Veränderungen, die ich begrüsse. Denn heute wird die IT nicht mehr als Kostenfaktor betrachtet, sondern als Enabler, der hilft, neue Geschäftsfelder zu erschliessen. 
CW: Was treibt Sie persönlich an? 
Tanner: Ich begann meine Karriere als Software-Ingenieur und habe somit meine Wurzeln in der IT. Grundsätzlich fasziniert mich die Software-Entwicklung und was man alles damit realisieren kann. Heute würde ich mir allerdings nicht mehr zutrauen zu coden, auch wenn ich es sicher wieder lernen würde (lacht). 
CW: Sie machen einen lockeren und optimistischen Eindruck. Gibt es denn auch etwas, das Ihnen Sorge bereitet im Hinblick auf die Zukunft? 
Tanner: Ein grosser Teil unserer Kunden ist im Finance-Sektor unterwegs und sie haben Schwierigkeiten, Umsätze im Zinsgeschäft zu generieren aufgrund der Niedrig- bis Nullzinspolitik. Banken müssen sich deshalb neu orientieren. Noch spüren wir das nicht. Aber früher oder später wird sich diese Entwicklung auf uns und unser Business auswirken. Wenn wir die Finanzkrise von 2008 betrachten, sind der­artige Veränderungen aber eher positiv für uns. Wenn Kunden sparen müssen, überlegen sie sich, ob sie manche Teile ihrer IT selber oder extern betreiben. Der Markt wächst grundsätzlich und ich blicke optimistisch in die Zukunft. Die digitale Transformation ist für viele Unternehmen ein Thema und wir sind hier gut aufgestellt, um unsere Kunden dabei zu unterstützen, diese anzupacken. 
CW: Welches sind die Hot Topics in der Software-Entwicklung für dieses Jahr? 
Tanner: Die Blockchain ist ein Top-Trend. Hinzu kommen Anwendungen im Bereich der KI. Zudem bleibt die Verarbeitung von Datenmengen ein heisses Thema im Hinblick auf die wirtschaftliche Nutzung von Daten nach dem Motto «Daten sind das neue Öl». Hinzu kommen Entwicklungen beim Datenschutz, wie die europäische Datenschutz-Grundverordnung und natürlich Open Banking. In der EU ist die Bereitstellung von APIs für den Finanzdatenaustausch bereits Pflicht. Hier werden die Schweizer Banken wohl nachziehen, insbesondere wenn sie, wie einige unserer Kunden, inter­national tätig sind. Aktuell laufen hierzu bereits Projekte. Zudem werden neue Player den Schweizer Markt betreten.
CW: An welche Player denken Sie da? Sehen Sie die eher als Chance oder als Bedrohung für AdNovum? 
Tanner: Das kommt darauf an. Wenn grosse Plattformen wie Apple oder Facebook ins Retailbanking einsteigen sollten, dann könnte dies eher eine Gefahr für uns sein. Tauchen neue innovative Firmen hierzulande auf, so kann dies wiederum befruchtend für den gesamten Finance-Markt sein. Das ist momentan noch schwierig zu beurteilen. Aber ich sehe die Entwicklung eher optimistisch. Uns wird die Arbeit nicht so schnell ausgehen und es wird neue spannende Projekte und Vorhaben geben.



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