Patrick Naef über CIOs 28.04.2021, 08:00 Uhr

«Was ist falsch an der Schatten-IT?»

Wenn die Firmen-IT Anforderungen aus dem Business nicht erfüllen kann, wird das Business selber aktiv. CIOs ist diese Schatten-IT ein Dorn im Auge. Der Ex-CIO Patrick Naef findet hingegen nichts Falsches daran.
Patrick Naef leitete während Jahrzehnten die IT-Organisationen von Luftfahrtgesellschaften
(Quelle: Emirates)
Viele Grosskonzerne in der Schweiz sind schwer beschäftigt mit der Einführung neuer Business-Software. Dieses ist vielenorts notwendig, frisst aber auch viele Ressourcen. Da bleibt kaum Zeit, um dem Fachbereich kurzfristig eine dringend benötigte Lösung für eine Produktinnovation bereitzustellen. Da wundert es nicht, dass der Produktmanager fix selber eine App bauen lässt. Der Digitalisierungsberater Patrick Naef sieht in diesen dezentralen IT-Teams eher eine Chance für das Unternehmen. Warum, erklärt er im Interview.
Computerworld: CIOs bekämpfen oftmals gegen Schatten-IT-Organisationen in ihren Unternehmen. Sie sagen, es ist nichts Falsches an der Schatten-IT. Warum?
Patrick Naef: Die weit verbreitete Ansicht war, dass alles was die IT betrifft, zentral vom CIO und seiner IT-Organisation kontrolliert und gesteuert werden müsse. Begründet wurde dies durch Security und Risiko-Aspekte, Kostenoptimierung, Standardisierung, Vermeiden von Doppelspurigkeit usw. Zwar konnten die Kosten durch die Zentralisierung der gesamten IT optimiert werden, die Kehrseite war jedoch, dass Geschwindigkeit, Innovationskraft und Nähe zum Geschäft und den Endkunden unter einem solchen Ansatz litten.
Schatten-IT-Teams hingegen sind in der Regel viel näher am Geschäft – sie sind sogar vollständig ins Business integriert – und verstehen das Geschäft, den Markt und die Kunden besser als zentrale IT-Organisationen. Zudem sind sie aufgrund ihrer geringeren Grösse und ihres begrenzten Overheads typsicherweise viel schneller und agiler, um rasch auf Marktgegebenheiten zu reagieren.
CW: Wie sollten CIOs stattdessen mit der Schatten-IT umgehen?
Naef: Die Schatten-IT-Teams sollten von CIOs eher als Segen denn als Fluch angesehen werden. Die Tatsache, dass Führungskräfte im Business Schatten-IT-Teams fördern und verteidigen, zeigt, dass sie sich um die IT kümmern und sie als eine wesentliche und strategische Komponente ihres Unternehmens betrachten – und das ist doch gar nicht so schlecht.
Meiner Meinung nach sind die Zeiten vorbei, in denen grosse, zentralisierte IT-Organisationen die gesamte IT im Unternehmen kontrollierten. Mit zunehmender Digitalisierung von Unternehmen und ihren Produkten/Dienstleistungen muss die Verantwortung und die «Ownership» über die IT als strategischer Teil des Unternehmens (zurück) in das Business verlagert werden. Innovation durch Technologie sollte auf allen Ebenen stattfinden und so nah wie möglich am Geschäft sein. Daher sind Schatten-IT-Teams am besten in der Lage Innovationen durch Technologie zu erzielen, da sie buchstäblich im Kern des Geschäfts sitzen.
Zur Person
Patrick Naef
war von 2006 bis 2018 der Konzern-CIO der Fluggesellschaft Emirates in Dubai. 2011 wurde er von den Lesern des deutschen Magazins «CIO» zum «CIO der Dekade» gewählt. Zuvor amtete der Schweizer als CIO bei SIG sowie Swissair und hatte Führungspositionen bei der Zurich Versicherung, HP und Bank Julius Bär inne. Heute begleitet Naef Organisationen bei der Digitalisierung, unterstützt Geschäftsleitungen bei IT-Themen und coacht IT-Führungskräfte und Start-ups. Er ist Managing Partner bei der Executive-Search-Firma Boyden in Zürich sowie Partner bei Acent in Deutschland und sitzt im Verwaltungsrat der Franke.

CIO als Netzwerk-Architekt

CW: Da wäre es wohl am Einfachsten, jeder Geschäftsbereich installiert sich seine eigene IT…
Naef: Nein, das kann nicht die Antwort sein. Silo-Denken, Doppelspurigkeit, Ineffizienzen und Inkompatibilitäten wären vorprogrammiert. Vielmehr müssen wir von den traditionellen hierarchischen Strukturen wegkommen. Denn wir leben im Netzwerk-Zeitalter! Das Ziel muss es sein, eine vernetzte Struktur von IT-Fachleuten zu schaffen, die sich durch die gesamte Organisation zieht. Die Experten müssen von einem gemeinsamen Zweck (Purpose) getrieben werden und auf gemeinsame Ziele hin arbeiten.
Dies ist vergleichbar mit der Art und Weise wie Agile Squads organisiert sind und effektiv zusammenarbeiten. Diese Teams setzen sich aus Mitgliedern verschiedener Organisationseinheiten (im traditionellen hierarchischen Sinne) zusammen, werden von einem gemeinsamen Zweck getrieben, arbeiten auf gemeinsame Ziele hin, organisieren und managen sich meist selbst und kümmern sich nicht um Berichtslinien und hierarchische Unternehmensstrukturen.
CW: Der CIO würde dann quasi zu einem (grossen) Knoten im Netzwerk…
Naef: Vielleicht nicht unbedingt ein Knoten, sondern eher ein Strippenzieher. Zweifellos muss sich seine Rolle aber grundlegend ändern. Und zwar weg von der zentralen Kontrolle der IT als operative Einheit hin zu einem Coach, Katalysator und Netzwerker, der es dem Unternehmen ermöglicht, sich in ein digitales Unternehmen zu transformieren. Dafür muss sich der CIO auch aktiv vom traditionellen hierarchischen Denken lösen und ein Vorbild für eine vernetzte Organisation werden.
Heute bestimmt nicht die Grösse der IT-Organisation, gemessen an der Anzahl Mitarbeitenden, oder die Höhe des IT-Budgets die Bedeutung der IT und damit die des CIOs. Entscheidender ist der Mehrwert, den der CIO und die IT bringt und der Impact, die er/sie auf die Stakeholder des Unternehmens, sprich, das Business, die Mitarbeitenden, Kunden, Umwelt usw. ausüben kann.
CW: Wie und wo soll der CIO beginnen?
Naef: CIOs müssen in der Lage sein, mit Schatten-IT-Teams im gesamten Unternehmen zusammenzuarbeiten, diese zu nutzen, von deren Nähe und Verständnis für das Geschäft sowie von deren Flexibilität und Innovationskraft zu profitieren. Dabei dürfen sie allerdings niemals die Kosten oder Sicherheit gefährden oder gar in ein unkontrolliertes Chaos abdriften. Darum müssen trotz allem gewisse unternehmensweite Prinzipien, Regeln und Architekturen gemeinsam fürs ganze Unternehmen definiert und befolgt werden, zum Beispiel auch im Bereich der Cyber Security.
Zur Serie
Die künftige Rolle des CIO
Im Interview äussert Patrick Naef prägnant seine Meinung über aktuelle und künftige Herausforderungen der IT. Für Computerworld skizziert er die künftige Rolle des CIO. Die Beiträge zu Themen wie Digital Leadership, den Mehrwert von IT, Open Innovation und die Virtualisierung des Geschäfts sind in regelmässigen Abständen auf www.computerworld.ch zu lesen.
Bisherige Artikel:
Patrick Naef: «Was ist falsch an der Schatten-IT?» (dieser Beitrag)




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