SAP-Migration und Altsysteme
11.03.2019, 11:47 Uhr
Thomas Failer, DMS: «Beim Stilllegen gibts Millionen-Sparpotenzial»
Die Migration auf ein neues SAP-System kostet viel Geld. Das Stilllegen von Altsystemen birgt aber auch riesiges Sparpotenzial, sagt Thomas Failer von Data Migration Services im Interview.
Thomas Failer hat sich mit Data Migration Services auf das Stilllegen von Legacy-Systemen spezialisiert
(Quelle: Data Migration Services)
Die Umstellung der SAP-Systeme auf das neue S/4Hana beschäftigt Schweizer CIOs. Bis 2025 muss die Migration über die Bühne gebracht sein, sagt der deutsche ERP-Hersteller. Im Zuge des Updates bietet es sich an, die Infrastruktur grundlegend zu erneuern und Altsysteme abzuschalten, sagt Thomas Failer. Seine Firma Data Migration Services ist spezialisiert auf Systemstilllegungen – im SAP-/Non-SAP-Umfeld und auch für M&A-Szenarien, wie er im Interview mit Computerworld sagt.
Computerworld: Sie versprechen riesiges Sparpotenzial durch das Stilllegen von Altsystemen und tiefere Lizenzkosten bei schlanken Neuinstallationen. Das tönt viel zu gut, um wahr zu sein. Wo ist der Knackpunkt?
Thomas Failer: (seufzt) Ja, der Knackpunkt. Ich sehe zwei: Erstens ist das Stilllegen von Altsystemen nicht gerade ein Projekt mit hoher Priorität bei den CIOs. Von 100 Unternehmen haben vielleicht fünf Firmen eine Massnahme für die Legacy in der Umsetzung. Das ist in den USA übrigens ganz anders. Dort ist klar: Es gibt kein S/4Hana-Projekt, ohne vorher die Systemlandschaft aufzuräumen. Dort erkennt man den Mehrwert des Stilllegens viel eher als etwa in der Schweiz. Ein Hauptgrund ist, dass der Return für ein solches Vorhaben in vielen Fällen unter einem halben Jahr liegt und dabei Einsparungen zwischen 1 und 100 Millionen Franken realisiert werden können. Zweitens ist das Thema auch im S/4-Umfeld noch nicht so heiss. Die SAP-Migrationen sind vielerorts noch in der Planung, mit dem tatsächlichen Projektstart ist meist erst 2021 zu rechnen. Diese Verzögerung oder Zurückhaltung sind für uns allerdings kein Problem. Wir wachsen seit drei Jahren mit um die 50 Prozent und gehen aufgrund der wachsenden Pipeline sogar von Wachstumsraten deutlich höher als 50 Prozent aus. Mit der steigenden Aufmerksamkeit für potenzielle Kosteneinsparungen durch Stilllegung – insbesondere im Zusammenhang mit den bevorstehenden SAP-Projekten – bin ich sehr zuversichtlich, dass wir unsere Ziele wieder erreichen werden.
CW: Wie steht die Schweiz da bei der Migration auf SAP S/4Hana? Genügen das Know-how und die Ressourcen?
Failer: Die rund 12'700 Kunden von SAP im deutschsprachigen Raum müssen alle bis 2025 umgestiegen sein. In den letzten fünf Jahren vor dem Termin werden noch 10'000 Firmen umstellen. Im Idealfall sind es 2000 pro Jahr. Für die reine Datenmigration – die erfahrungsgemäss 25 Prozent des Projekts ausmacht – gibt es viel zu wenig Experten. Meine Schätzung wäre, etwa die fünffache Anzahl Personen ist erforderlich, um den Bedarf in Zukunft zu decken. Heute gibt es im deutschsprachigen Raum ca. 3000 Spezialisten für diese Themen. Bei den Migrationen wird Software helfen müssen. Aufgrund unserer Projekterfahrung lässt sich etwa 50 Prozent des Aufwandes reduzieren. So liesse sich dann auch der Engpass beim Personal verringern.
CW: Wie kann eine Software den Migrationsaufwand verringern helfen?
Failer: Traditionell bedeutet eine Migration, dass man probiert, sämtliche Daten aus den Altsystemen auf die neue Plattform zu transformieren – wie sinnvoll das auch immer ist. Dabei entstehen Silos mit historischen Daten, die aus Gründen der Compliance in ihrem ursprünglichen Format abgelegt werden müssen. Diese Datenhaltung durch Weiterbetrieb der Altsysteme verursacht enorme Kosten. Nur selten wird die Möglichkeit erwogen, die Informationen getrennt von den Altsystemen zu verwahren. Gemäss Schätzungen des Beratungsunternehmens Capgemini könnten bis zu 50 Prozent der Altsysteme abgeschaltet werden, wenn es eine einfache Exportmöglichkeit und Plattformen gäbe, mit denen man die Daten wie zuvor anzeigen kann. Wir haben mit Jivs eine Lösung entwickelt, die auf Knopfdruck zum Beispiel die Daten aus einem SAP-System vollständig extrahiert und sie in einem maschinenlesbaren Format speichert. Der Zugriff kann dann qualitativ gleich wie bisher erfolgen.
CW: Ist es tatsächlich erforderlich, sämtliche alten Daten für die künftig operativen Systeme vorzuhalten?
Failer: Ein klares Jein. Zwischen 80 und 90 Prozent der Transaktionsdaten haben eine Durchlaufzeit von maximal zwei Jahren. Dann sind die Waren angeliefert, bezahlt, verschickt. Anschliessend haben die Informationen für die Buchprüfer oder das Business wie zum Beispiel After-Sales einen Wert. Diese Altdaten haben aber keinen direkten Nutzen mehr für die operative Abwicklung auf dem Neusystem. Ergo müssen nur zwischen 10 und 20 Prozent der Daten noch ins neue System übernommen werden. Wenn doch ein Prüfer oder jemand aus dem Fachbereich die historischen Daten sehen möchte, kann er dies auf der Datenhistorienplattform machen. Dieser bimodale Ansatz – wie wir ihn nennen – hilft den Kunden, bis zu 50 Prozent der Migrationskosten zu sparen. Weiter müssen sie nur noch einen Bruchteil der Systeme betreiben, weil die Legacy abgeschaltet und die Daten separat gespeichert sind. Die neuen Anwendungen sind drittens nicht mehr mit den Altdaten belastet, womit die Betriebskosten sinken. Unter dem Strich betragen die möglichen Einsparungen bis zu 80 Prozent.
CW: Die europäische Datenschutz-Grundverordnung schreibt vor, dass Kundendaten auf Antrag gelöscht werden müssen. Funktioniert das in Ihrem System?
Failer: Ja, im Gegensatz zu den meisten Legacy-Systemen schon. Viele der Altsysteme erlauben einen ausschliesslich lesenden Zugriff. Wer dort Informationen endgültig löschen muss, steht vor einem Problem. Bei Jivs haben wir eine entsprechende Funktion vor Inkrafttreten der Datenschutz-Grundverordnung implementiert. Wer nun einen Löschantrag erhält, kann die fraglichen Informationen gesetzeskonform löschen. Alle Modifikationen der Originaldaten werden dabei protokolliert.
CW: Können Sie mir bitte zwei Schweizer Kundenprojekte nennen, die Sie für bemerkenswert halten?
Failer: Ein sehr bemerkenswerter Kunde ist die Eidgenössische Finanzverwaltung. Sie setzt auf eine SaaS-Lösung (Software as a Service), bei der wir eine Verfügbarkeit von 25 Jahren garantieren mussten. Denn die Verwaltungseinheit ist auch zuständig für Bauprojekte, bei denen so lange Aufbewahrungsfristen vorgeschrieben sind. Der erste Kunde mit einer S/4-Migration ist die Zur Rose Gruppe. Die Versandapotheke hat mehrere Systeme konsolidiert, die Geschäftspartnerstammdaten harmonisiert und bereinigt. Ebenfalls auf Basis von Jivs werden die Daten migriert und man hat sich entschieden, dass man die Altsysteme mit Jivs stilllegen wird. International interessant ist auch LafargeHolcim mit einem Projekt, das weltweit aus der Schweiz getrieben wird und auch Nicht-SAP-Systeme miteinbezieht.
CW: Bleiben wir noch bei SAP: Welchen Ansatz wählen Ihre Kunden bei der Migration? Starten sie auf der «grünen Wiese» oder zügeln sie die Altsysteme?
Failer: Wir beobachten nicht zwei, sondern drei Strategien: die Konvertierung von einem Standardsystem in ein neues Standardsystem. Dann die Transformation, wenn viele Eigenentwicklungen vorhanden sind, die auch in der neuen Umgebung weiterverwendet werden sollen. Schliesslich der Greenfield-Ansatz, bei dem die Altsysteme abgeschaltet und die Lösung von Grund auf neu aufgebaut wird. Meine Einschätzung wäre, dass vermutlich nicht einmal 10 Prozent der Kunden in der Lage sind, die Standardsysteme zu konvertieren. Denn so gut wie niemand arbeitet mit dem Standard. Die Transformationsprojekte sind sehr komplex. Dabei sollen Applikationen mit 100'000 Tabellen in Systeme mit nur noch 10'000 Tabellen migriert werden. Hier müssen sehr leistungsfähige Werkzeuge und viel Know-how aufgeboten werden, um die Umstellung zu schaffen. Auch bei dieser Gruppe an Unternehmen dürfte es sich um eine Minderheit handeln. Die Mehrheit wird einen Greenfield-Ansatz wählen oder eine Kombination mit der Transformation und SAP-Konversions-Tools. Dann werden die Grundsysteme neu aufgebaut sowie Prozesse neu definiert und implementiert. Und gewisse Funktionen werden aus den Altsystemen migriert.
Zur Person
Thomas Failer
ist Besitzer und Verwaltungsratspräsident von Data Migration Services. Er widmet sich hauptsächlich dem Aufbau internationaler Unternehmensstrukturen. Zwischen 2011 und April 2018 war Failer Geschäftsführer von T-Systems Data Migration Consulting. In dieser Funktion war er auch Mitglied der Geschäftsleitung der Muttergesellschaft T-Systems Schweiz. Failer hatte das Beratungsgeschäft an die Grosskundensparte des deutschen Telkos verkauft und war selbst engagiert worden. Sein Tätigkeitsschwerpunkt war das Systemintegrationsgeschäft.