04.02.2013, 11:50 Uhr
«Meg Whitman hat bei HP für Ruhe gesorgt»
In einem exklusiven Interview für Computerworld Schweiz äusserte sich Marcel Borgo, HPs erster Mann und Managing Director der Schweiz, über die Beziehung zum Mutterhaus, ihren neuen Plänen im ultramobilen Bereich und spannenden Cloud-Lösungen.
Computerworld: Herr Borgo, Sie sind jetzt rund 60 Tage offiziell im Amt als HP-Chef der Schweizer Niederlassung. Wie gefällt Ihnen Ihr Job bisher?
Marcel Borgo: (lacht) 60 Tage können kurz oder auch lang sein. Aber ja: sehr, sehr gut. Für mich ist ein Traum in Erfüllung gegangen, dass ich solch eine Verantwortung übernehmen darf.
Nun sind Sie ja wohl nicht durch Zufall dort angekommen, wo Sie jetzt sitzen, oder? Was können Sie in die Firma einbringen?
Ich arbeite schon seit 24 Jahre für HP, durfte in fast allen Sparten tätig sein. Mir ist das Fundament von HP wichtig: Die klaren Werte unseres Unternehmens und für diese stehe ich ein. Mit dieser Berufserfahrung baut man auch enge Kundenbeziehungen auf, zu Business-Partnern, Retailern, aber auch zu den Mitarbeitern. Die Voraussetzungen für weitere Erfolge sind damit gegeben. Aber genauso wichtig ist harte Arbeit, um die Aufgabe, auch für mich persönlich und den weltweit operierenden Konzern, gut zu erfüllen.
Gerade die Beziehungen zum amerikanischen Mutterhaus dürfte in der jüngsten Vergangenheit nicht immer so einfach für HP Schweiz gewesen sein.
Was meinen Sie genau?
Das Hin- und Her mit dem Spin-Off der Personal System Group (PC-Geschäft, Anmerk. der Redaktion), erst die Übernahmen von EDS und Autonomy. Dann die Milliarden-Abschreiber. Nervt das «Gesamt-Package», das Sie als kleine, aber erfolgreiche HP-Aussenstelle mittragen müssen, nicht ein wenig?
Nein – ich kann sagen: Die Beziehung zum Mutterhaus ist besser denn je. Denn seit dem Amtsantritt von Meg Whitman vor eineinhalb Jahren herrscht Klarheit: Über die Strategie – und die notwendigen «Aufräumarbeiten». Hier muss man aber genau unterscheiden. Die Abschreibungen sind vor allem etwas, was unsere Aktionäre betrifft. Unsere Business-Partner und Kunden haben darauf kaum reagiert. Gerade hier gibt es auch viel Positives: Die von uns kürzlich lancierte Radiologie-Cloud benutzt Autonomy-Technologie. Da bei Röntgenbildern unstrukturierte Daten verwendet werden, ist es der Spitalabteilung mit Hilfe von Autonomy möglich, die Archive nach ähnlichen Fällen zu untersuchen und zu analysieren. Das hilft enorm, wenn man ohne Zeitverzögerung unterschiedliche Behandlungsmethoden vergleichen kann. Wir haben in der Schweiz gleich mehrere, grosse Projekte mit Autonomy und sehen ein grosses Potenzial dafür.
Zu den Entscheidungen rund um unsere Personal System Group: Intern hat man sicherlich den Fehler gemacht, dass man diese strategischen Überlegungen, die jedes Unternehmen macht und machen muss, kommuniziert hat. Und damit die ganze Spekulationswelle ausgelöst hat.
Lesen Sie auf der nächsten Seite: Über Vertrauen zum Mutterhaus, Plänen und neue Innovationen von HP.
Computerworld: OK, das heisst auch Sie wurden überrascht? Hat deshalb nicht doch ein wenig das Vertrauen zum Mutterhaus gelitten?
Daniel Borgo: Zuerst: Vertrauen fängt immer bei einem selbst an. Zweitens: Vertraue ich der momentanen Führung von HP? Ich sage klar zu 100 Prozent. Insbesondere der jetzigen Chefin, Meg Whitman. Seit sie das Ruder übernommen hat, ist innerhalb von HP wieder Ruhe eingekehrt. Sie hat eine klare, einfach verständliche Strategie kommuniziert.
Und die wäre?
Die Strategie baut auf vier Säulen: Technologie, Software, Services und Solutions. Genau hier liegt unsere Kernkompetenz, auch unsere Kunden sehen diese zentrale Stärke.
Können Sie das etwas genauer fokussieren?
Fundament unserer Strategie ist die IT-Infrastruktur – wir erzielen mit Hardware 70% unseres Umsatzes. Darauf baut Software auf, die dazu dient, unsere Infrastruktur noch besser zu nutzen. Also um etwa sichere und automatisierte Cloud Service Center auf der Basis unserer Infrastruktur aufzubauen. Beim nächsten Layer «Services» greift das PDIM-Modell (Plan, Design, Implement und Manage, Anmerk. der Redaktion). Wir können eine Umgebung z.B. Datacenter, Workplace etc. planen, integrieren diese in einen definierten Prozess, und unterhalten ihn mit unseren Services bis hin zur Reparatur. Und viertens: Solutions. Dieser schmiedet die drei zuvor genannten Layer zusammen, um dem Kunden und Businesspartner die bestmögliche «Experience» zu bieten. Genau das schätzt der Kunde an uns.
Aber hat nicht genau dieses Wertschätzung durch die letzten fragwürdigen Entscheidungen gelitten?
Grundsätzlich muss man sich Vertrauen und die Loyalität erarbeiten. Es ist sicher richtig, dass die Führungswechsel an der Spitze (Mark Hurd und Leo Apotheker, Anm. der Redaktion) nicht für Vertrauen gesorgt haben. Andererseits muss man sehen, dass wir in der Schweiz sehr stabil unterwegs waren und weiter sind. Und wenn man sich unsere letzten anderthalb Jahre anschaut, haben wir auch international wieder viel zurückgewonnen. Das hat bei unseren letzten Events mit Business-Partnern zu deutlich besseren Rückmeldungen als noch vor 12 Monaten geführt. Wir haben in der Schweiz sehr loyale Kunden, und wir haben das dichteste und beste Partnernetz. Auch deshalb legen wir an Stabilität zu, haben unsere Ziele erreicht und können eine Reihe an Innovationen bieten.
Dann geben Sie uns doch bitte konkrete Beispiele der neuen Innovationskraft.
Im Managed-Print-Bereich lancieren wir derzeit die Officejet Pro X-Series. Das entsprechende MFG-Flaggschiff X576dw MFP druckt mit seinen rund 42'000 Düsen dokumentenecht. Mit dem fixen Druckkopf schafft das MFG bis zu 70 Seiten pro Minute. Damit ist es so schnell wie ein vergleichbares Lasergerät, eine Seite kostet aber nur halb so viel. Es benötigt auch über 80 Prozent weniger Energie als ein vergleichbarer Laser. Ein anderes Beispiel: Im März zeigen wir offiziell einen «Moonshot»-Server, der energieeffiziente Smartphone-Prozessoren enorm dicht verbauen lässt.
Server für bestimmte Aufgaben gibt es schon lange, was ist daran also innovativ?
Seine hohe Packungsdichte: Wir bringen 2800 Server in ein einziges Rack – das hat sonst niemand. Wir sparen 90% Strom und 80% Platz. Das hat zur Folge, dass sich die Gesamtkosten um 50 Prozent reduzieren. Sie können Sich vorstellen, dass das gerade für Service-Provider von Webserver neue Perspektiven eröffnet.
Lesen Sie auf der nächsten Seite: Bringt HP doch ein Smartphone?
Computerworld: Ok, Server und Printer gehören fast schon traditionell zu Ihren Stärken. Was aber ist mit Tablets und Smartphones? Der Markt brummt – bisher und grösstenteils ohne HP. Hat HP denn keine passende Antwort?
Marcel Borgo: Alles was HP macht, soll zur Folge haben, dass wir Nummer eins oder Nummer zwei am Markt werden. Das ist jetzt möglich. Die Frage ist doch, warum kommt HP erst jetzt mit solchen Geräten? Bisher konnten wir uns nicht in dem Masse differenzieren, um unserem Anspruch gerecht zu werden. Die jetzigen Geräte sind doch grösstenteils für den privaten Bereich entwickelt worden.
Und was will nun HP?
Der Kunde will mittlerweile sein Gerät nicht nur im privaten, sondern auch im Business-Umfeld nutzen.
Aber ein iPhone oder iPad findet doch auch immer häufiger den Weg ins Geschäftsumfeld, oder?
Mag sein, aber nicht ohne grössere Kompromisse hinsichtlich Einbindung oder Sicherheitsaspekten. Beides bedeutet doch für IT-Verantwortliche einen zusätzlichen Zeit- und Kostenaufwand. Wir haben uns genau aus diesem Grund bis jetzt Zeit gelassen. Wir bringen jetzt Geräte, die für den privaten als auch geschäftlichen Nutzen optimal sind. Denn diese beiden Welten verschmelzen zusehends.
Und jetzt haben Sie Ihr Wunschgerät gebaut?
Mit dem ElitePad 900, unserem neuen Business-Tablet, können wir das leisten. Es lässt sich mit seinem Zweitakku («Akku-Jacket» wird auf den Geräterücken aufgeschoben, Anm. der Redaktion) so konfigurieren, dass Sie damit einmal um die Welt fliegen können, ohne neu aufzuladen. Dabei bleibt es aber immer noch handlich. Und wenn Sie es schlanker machen wollen, klicken Sie das Akku-Jacket ab. Dann haben Sie das leistungsfähige Business-Gerät in ein schlankes Windows-8-Tablet verwandelt. Damit haben wir ein Alleinstellungsmerkmal.
Wie kann das Tablet Software- und Service-seitig ihren Anforderungen nachkommen?
Wir haben das Gerät für Anwendungen offen gehalten. Ein Beispiel: Sie sind Third-Party-Anwender, und wollen das Gerät etwa für Kassensysteme im Retail-Markt oder als praktizierender Arzt in Spitälern nutzen. Alles, was Sie vom technischen Aspekt her benötigen, ist eine entsprechende App zu programmieren, worüber sich die Schnittstelle des Tablets ansprechen, respektive die Anwendung ausführen lässt. Bereits heute finden sich schon sehr gute Lösungen, mit denen ein Tablet zum Kreditkarten-Leser umfunktioniert wird.
Ihre Rechnung für Tablets mag im Business-Bereich noch aufgehen. Aber bei Smartphones müssen Sie doch passen.
Meg Whitmann hat verschiedentlich gesagt, dass der Smartphone-Markt wichtig ist, und für HP eine Bedeutung hat.
Das heisst wir dürfen uns doch noch auf ein Smartphone von HP in diesem Jahr freuen?
Mobilität ist einer der ganz wichtigen Schwerpunkte bei HP. Wir bieten unseren Kunden mobile Endgeräte, von denen sie jederzeit auf ihre Anwendungen und Daten zugreifen können. Diese «Fenster zur Information» sind wichtig – wie immer man sie dann nennen wird. Es wird wohl zunehmend eine ganze Vielfalt solcher Geräte geben.
Und wie sähe so ein Smartphone, rein hypothetisch, aus?
Wenn es kommt, wird es sicherlich kein 08/15-Gerät. Nur angedacht: Ein ultramobiles Gerät wie ein HP-Smartphone müsste sich auch in unsere Cloud-Lösungen nahtlos einfügen lassen. Genau dort sehen wir als HP unseren Wettbewerbsvorteil – mit einem solchen fürs ultramobile Business optimierten Arbeitswerkzeug.
Lesen Sie auf der nächsten Seite: Wie sich HP die neuen Cloud-Welt vorstellt.
Computerworld: Sie sprechen damit Ihre Cloud-Lösung «Converged Infrastructure» an?
Marcel Borgo: Genau, die «Converged Infrastructure Architecture» ist die Basis unserer HP-Cloud-Lösungen. Will ein Unternehmen in die Cloud, ist das die beste Infrastruktur-Basis dafür. Dabei ist es doch unterm Strich egal, mit welcher Art von Endgerät gearbeitet wird. Im Business-Bereich gibt es dabei immer nur ein Ziel: die wichtige Information überall und jederzeit abrufen zu können.
Aber ist das nicht das Brot- und Buttergeschäft für das Cloudgeschäft?
Wir verfolgen einen dreistufigen Ansatz in unserer Cloud-Strategie. Unsere zertifizierten Businesspartner und wir selbst sind in der Lage, bei unseren Unternehmenskunden die leistungsfähigsten und flexibelsten Private Clouds aufzubauen. Unsere Geschäftspartner sind dafür sehr wichtig: Damit erreichen wir im Cloud-Zeitalter auch kleine und mittlere Kunden. Zweitens haben wir im Cloud-Bereich Service-Provider als Kunden. Das sind international tätige Telecom-Firmen. Wir bieten diesen unser Cloud-Programm an, mit dem sie, in einer Art Baukastensystem (Storage, Server, Netzwerk, Security) entsprechende Prozesse und Dienstleistungen selbst erstellen und anbieten können. Das reduziert Komplexität für diese Kunden. Und drittens: Wir haben in der Schweiz ein Cloud-Zentrum gebaut. Hier können wir ganz gezielt Private-, Hybrid- oder eben Public-Cloud-Lösungen für unsere Partner bis hin zu Grosskunden anbieten.
Nun ist es aber in der Realität doch so, dass man in der Schweiz zwar viel virtualisiert, aber noch längst nicht in dem Masse auch ins Cloud-Zeitalter eingestiegen ist – gerade was das Grosskundengeschäft betrifft.
Betrachten Sie es als eine Reise. Die gesamte «Cloudisierung» wird sicherlich noch 10 bis 20 Jahre andauern. Zuerst kommt die Standardisierung, danach die Virtualisierung von Server, Storage und Netzwerk. Was dann folgt ist die Automatisierung. Genau hier stehen momentan viele unserer Kunden im Enterprise-Bereich. Danach steigen sie in das Cloud-Zeitalter ein. Beispielsweise als Service-Provider, die ein Applikation zur Verfügung stellen. Danach werden Sie irgendwann Service-Broker.
Welche Rolle spielt dabei die neue geschaffene Cloud-Unit «HP Converged Cloud Unit»?
Das ist wie eine übergeordnete Organisation, um Unternehmen den Einstieg zu erleichtern. Und sie in einer für sie passenden Cloud-Lösung unterstützen. Einfach ausgedrückt wird aus eben den Standardkomponenten wie Storage, Sever, Netzwerk, Virtualisierungs- bis hin zu Software eine Lösungen kundengerecht für das jeweilige Business modelliert. Das ist Teil eines umfassenden Planes: Mit OneHP wollen wir die Synergien des Unternehmens über die einzelnen Geschäftseinheiten hinaus bündeln.