Urs Lehner, Leiter Swisscom Geschäftskunden 28.09.2023, 08:30 Uhr

«Innovation prägt die Geschichte der Swisscom»

Im ICT-Bereich ist das Geschäftskundensegment besonders attraktiv. Urs Lehner, Mitglied der Konzernleitung der Swisscom, lässt uns als profunder Marktkenner an seinen Erkenntnissen über die Entwicklung seines Geschäftsbereichs und des Unternehmens teilhaben.
Urs Lehner, Leiter Business Customers und Mitglied der Konzernleitung von Swisscom.
(Quelle: Rüdiger Sellin)
Swisscom ist seit ihrer Gründung vor 25 Jahren erfolgreich unterwegs. Der Mix aus Beständigkeit und fortlaufender Innovation, verbunden mit der dazu nötigen Finanzkraft und den Skills haben diese Erfolgsgeschichte begründet und über Jahrzehnte getragen. Dies offenbart sich besonders im Geschäftskundensegment, das Urs Lehner seit 2017 leitet.
Computerworld: Herr Lehner, Sie leiten seit über sechs Jahren erfolgreich den hochprofitablen Bereich Geschäftskunden. Ihr Vorgänger operierte mit deutlich weniger Glück. Wie haben sich die Geschäfte seither entwickelt?
Urs Lehner: Wir bewegen uns schon seit mehreren Jahren in einem kompetitiven Marktumfeld mit hoher Dynamik. Die Geschwindigkeit nimmt weiter zu. Somit müssen wir uns konstant hinterfragen und weiterentwickeln. Mit der Zusammenführung des KMU- und Grosskundengeschäfts per 2020 haben wir eine wichtige Grundlage geschaffen, um schneller auf Marktveränderungen zu reagieren und Kundenbedürfnisse noch besser zu adressieren.
Auch als Team arbeiten wir noch besser und teamübergreifend zusammen. Der Druck auf die Preise und Margen ist und bleibt jedoch hoch. Umso mehr freut es mich, zusammen mit meinem Team jedes Jahr aufs Neue eine solide Leistung am Markt zu zeigen und die Digitalisierung der Schweizer Wirtschaft mitzuprägen.
CW: Wegen hoher Margen und grosser Auftragsvolumina ist das Segment der Geschäftskunden attraktiv, aber auch umkämpft – besonders bei Themen wie Cloud und Security.
Lehner: Im IT-Umfeld bewegen wir uns in einem Markt mit vielen kleinen, aber auch grossen nationalen und internationalen Mitbewerbern. Der Markt ist somit fragmentiert, sämtliche Provider investieren in diese Wachstumsbereiche, der Wettbewerb spielt ausserordentlich stark. Klar ist, dass nicht alle Unternehmen ihre Cloud- und Security-Dienstleistungen bei uns einkaufen. Fakt ist jedoch: Wir wachsen im IT-Lösungsgeschäft und sind mit unseren Cloud- und Security-Lösungen erfolgreich unterwegs.
Der Markt für Public Cloud wächst sehr stark, besonders im Bereich SaaS. Davon profitieren jedoch vor allem Software-Anbieter. Im Themenfeld IT-Security sind wir in den letzten Jahren immer im zweistelligen Bereich gewachsen, in gewissen Segmenten wie «Detection & Response» sogar im sehr hohen zweistelligen Bereich. Die Nachfrage nach «Cloud & Security» nimmt weiter zu und wir sehen hier weiteres Wachstumspotenzial.
CW: Viele Kunden assoziieren die Swisscom eher mit Telefonie, Mobilfunk und Leitungen sowie ausgewählten IT-Dienstleistungen wie Workplace. Könnte dies der Grund sein, dass bei Cloud und Security eher andere, auch global agierende Player zum Zug kommen? Roche vertraut seit 2012 auf Google und Novartis seit 2019 auf Microsoft.
Lehner: Dass Swisscom in der breiten Öffentlichkeit insbesondere für Telko-Dienstleistungen bekannt ist, ist historisch bedingt. Für Grosskunden sind wir seit über 20 Jahren eine etablierte ICT-Anbieterin mit umfassendem Portfolio und bedienen neben vielen national agierenden Kunden auch global agierende Unternehmen mit Schweizer Hauptsitz. Zudem bieten wir auch für Schweizer KMU ein umfassendes Portfolio an ICT-Services, die speziell auf die Bedürfnisse kleiner und mittelgrosser Unternehmenskunden zugeschnitten sind.
CW: Kommt hinzu, dass Swisscom «nur» Wieder­verkäufer für klangvolle Namen wie AWS und Azure ist. Warum sollten multinationale Unternehmen unter den Grosskunden Swisscom vertrauen?
Lehner: Heute wird primär die Public Cloud wahrgenommen, wobei fast alle unserer Kunden in einer hybriden Welt leben. Das wird auch noch sehr lange so sein. Im Cloud-Umfeld sehen wir uns insbesondere als Integrationspartnerin und bieten unseren Kunden bedürfnisgerechte Lösungen aus allen Welten. Mit der Swisscom Cloud, hybriden Lösungen, Public-Cloud- oder On-Premises-Lösungen bieten wir Unternehmenskunden auf sie zugeschnittene Cloud-Lösungen in Kombination mit einer zuverlässigen Telekommunikationsinfrastruktur und State-of-the-Art-IT-Services. Der Vorteil für Kunden: Sie haben mit Swiss­com nur eine Ansprechpartnerin für alles.
CW: Während der Schweizer Markt längst gesättigt ist, vermeldete Ihre Tochter Fastweb auch 2022 wieder ein sattes Wachstum von 22 Prozent. Für 2023 könnte Ihnen der schwache Euro die Bilanz verhageln. Gäbe es neben Italien weitere Wachstumsmärkte?
Lehner: Swisscom schaut sich laufend mögliche weitere Wachstumsfelder an.  Fastweb entwickelt sich sehr erfreulich und wächst mit Mobilfunkangeboten, Unternehmenslösungen und im Wholesale-Bereich.
CW: Kommen wir zu den KMU, die Swisscom traditionell von Partnern betreuen lässt. Besonders beim Umstieg auf All IP hat Ihnen besonders ein Mitbewerber viele Kunden abgejagt, weil er näher am KMU-Markt operiert und attraktive Migrationsverträge offerierte. Von treuen KMU-Kunden hören wir immer wieder, dass sie von Swisscom nur selten kontaktiert werden. Was könnte man hier verbessern?
Lehner: Mit der All-IP-Migration haben wir die Basis für die Digitalisierung der Schweizer Wirtschaft geschaffen. Die Zusammenarbeit mit unseren zertifizierten Swisscom Partnern in den Regionen ist für uns zentral, um nah bei unseren Kunden in der gesamten Schweiz zu sein. Darüber hinaus stehen wir in regelmässigem Kontakt zu unseren Kunden. Beispielsweise haben wir in diesem Jahr bereits 4000 sogenannter Care-Calls durchgeführt. Dabei rufen wir proaktiv an und erkundigen uns, ob wir auf irgendeine Art und Weise behilflich sein können.
CW: Seit 2007 sind Swisscom Fixnet und Swisscom Mobile Geschichte. Ein Hauptthema bei deren Auflösung war die Konvergenz der Technologien. 2023 sehen wir ein universelles IP-Netz für alles Mögliche und ein Mobilfunknetz für mobile Anwendungen. Was ist also aus der Konvergenz geworden?
Lehner: Konvergenz spielt nach wie vor eine grosse Rolle, sowohl im Access bei den Kunden als auch bei uns. Dazu haben wir gerade einen neuen konvergenten Core in Betrieb genommen und führen konvergente Kundenangebote, etwa den Internet-Booster für Privatkunden, der Mobilfunk und Festnetz für mehr Bandbreite verbindet. Unsere Geschäftskunden profitieren von einem Fixed-Wireless- und einem konvergenten Microsoft-Teams-Angebot. Wir werden beide Ansätze weiter forcieren.
“Wir investieren allein in der Schweiz jedes Jahr rund 1,6–1,7 Mia. Franken in den Ausbau von Netzen und Infrastruktur.„
Urs Lehner
CW: Nach der Pannenserie im ersten Halbjahr 2020 mit vier Ausfällen innert fünf Monaten mussten Vertreter der Swisscom-Konzernleitung vor der zuständigen Nationalratskommission im Bundeshaus erscheinen. Besonders der Ausfall der Notfallnummern sorgte für Negativpresse. Was hat sich seither getan?
Lehner: In den vergangenen Jahren wurden die Notrufsysteme gemeinsam mit den Notruforganisationen stark verbessert. Verfügbarkeit und Redundanz der Systeme wurden erhöht und neue Funktionen im Notrufnetz umgesetzt, was externe Audits bestätigen. Besonders zu erwähnen sind die Implementation der dynamischen Leitweglenkung bei allen Notruforganisationen und der Ausbau des proaktiven Monitorings aller notrufrelevanten Systeme. 2022 und 2023 konnten wir die Serviceunterbrüche klar reduzieren, wobei eine hundertprozentige Verfügbarkeit aller technischer Systeme niemand garantieren kann.
CW: Swisscom meldet regelmässig gute Zahlen. Die Jahresberichte der letzten sechs Jahre ähneln sich sehr – leichter Rückgang in der Schweiz, Wachstum bei Fastweb (Italien). Ihr EBITDA vor Abschreibungen mit konstant gegen oder über 40 Prozent erscheint uns sehr hoch. Parallel dazu steigt die Eigenkapitalquote weiter (Anfang 2023 auf 46,1 %). Dreht sich im Verwaltungsrat oder in der Geschäftsleitung alles um Margenoptimierungen und Millionensaläre?
Lehner: Dieses Bild wird uns überhaupt nicht gerecht. Wir investieren jedes Jahr allein in der Schweiz rund 1,6 bis 1,7 Milliarden Franken in den Ausbau von Netzen und IT-Infrastruktur. Insgesamt investieren wir rund 1/5 unseres Umsatzes. Diese Investitionen kommen der Schweiz zugute – in Form einer Top-Infrastruktur. Im B2B-Bereich verzeichneten wir einen Rückgang im klassischen Telefoniegeschäft, konnten uns aber im Lösungsgeschäft gut entwickeln sowie im Bereich Cloud und Security wachsen.
Swisscom-Konzern in Zahlen 2018–2022
Quelle: Swisscom
CW: Swisscom steht unter Dauerbeobachtung durch WEKO, BAKOM, ComCom, BUWAL, Preisüberwacher und natürlich auch durch Mitbewerber. Hat man da nicht bei jeder Offertabgabe Sorgen, dass ein unterlegener Mitbieter die WEKO einschaltet wie 2015 beim Post-Case?
Lehner: Nein. Es ist unser Anspruch, verantwortungsvoll zu handeln und marktwirtschaftlich geltende Rahmen­bedingungen einzuhalten. Dabei nehmen wir das Kartellrecht sehr ernst, dessen konkrete Auslegung jedoch oft unklar ist. Die Verfahren sind technisch, rechtlich und ökonomisch komplex, was zu unterschiedlichen Interpretationen führt. So überrascht es nicht, dass regulatorische Verfahren eingeleitet werden – auch durch Mitbewerber initiiert, die sich bessere Rahmenbedingungen im Markt erhoffen. Dies ist in anderen internationalen Telko-Märkten ähnlich.
“Mit der All-IP-Integration haben wir die Basis für die Digitalisierung der Schweizer Wirtschaft geschaffen.„
Urs Lehner
CW: Wie andere Firmen bekundet auch Swisscom Mühe, qualifiziertes Personal zu finden. Zudem stehen viele erfahrene Kräfte kurz vor der Pensionierung oder sind nicht mehr an Bord. Ist ein Outsourcing im grossen Stil zu erwarten, etwa beim Customer Service oder im Netzbetrieb? Und wie will Swisscom in einem solchen Szenario den Service Level halten?
Lehner: Die Alterspyramide ist in der Tat auch bei uns präsent und bildet eine Herausforderung, ähnlich wie die Rekrutierung neuen Personals mit der gewünschten Ausbildung und in der nötigen Menge, um unsere Netze und Systeme zu konzipieren und zu betreiben. Dazu haben wir eine ganze Reihe von Massnahmen aufgesetzt. So beschäftigen wir rund 300 Mitarbeitende in Rotterdam und weitere in Riga, wobei die Stellen zuerst in der Schweiz ausgeschrieben werden. Beispielsweise bilden wir in der Schweiz rund 800 Lernende aus, vorwiegend in IT-Berufen, fördern mit dem Junior Program interne Talente und setzen auf Partnerschaften mit Hochschulen und anderen Organisationen.
Swiss­com Business Park, Zürich.
Quelle: Rüdiger Sellin
CW: Auf Ihrer Homepage liest man, dass Swisscom «eines der nachhaltigsten und innovativsten Unternehmen der Schweiz» ist. Dank Abfallvermeidung, Recycling oder Reduktion des Energieverbrauchs ist die Nachhaltigkeit sichtbar. Aber wo sehen Sie echte Innovationen?
Lehner: Swisscom hat eine Geschichte, die von Innovation geprägt ist und in der wir uns kon­stant neu erfinden. 2020 stellten wir einen Weltrekord mit 50 Gbit/s übers Glasfasernetz auf und sind seit Ende 2022 das erste Schweizer Unternehmen, das eine feste Internetanbindung via 5G-Mobilfunk herstellt. Wir entwickeln Wachstumsfelder in Bereichen wie Fintech oder Trust Services gezielt weiter, betreiben im Silicon Valley mit unserem Outpost Technologie-Scouting und -Transfer für Swisscom. Swisscom Ventures vernetzt Start-ups mit den Geschäftseinheiten von Swisscom, um so Innovationsimpulse zu setzen.
Swisscom-Trends 2023
Swisscom analysiert regelmässig Trends. Daraus werden greifbare, kurz- bis mittelfristige Themen mit direktem Einfluss auf das Business von Swisscom ausgewählt.
Das sind aktuell vor allem:
  • Automation und Robotics
  • Ultra Broadband und 5G
  • Cloud und Edge Computing
  • Diversified Entertainment
  • Cyber Security
  • Internet of Things
  • Privacy, Trust und Ethics
  • Artificial Intelligence
CW: GPON mit 50 Gbit/s war ein innovativer Laborversuch, ist aber weit von einer Markteinführung entfernt. Viele Anschlüsse auf dem Land dümpeln mit einigen 100 Mbit/s dahin. Wann wird die Schweiz mit einem Gbit-FTTH erschlossen sein?
Lehner: Mit GPON haben wir gezeigt, was technisch möglich ist. Im Innovationzyklus testen wir zuerst im Labor, danach im Netz und starten erst dann den Rollout. Die ­Situation beim Breitbandausbau ist besser, als von Ihnen beschrieben: Aktuell bieten 81 Prozent aller Anschlüsse mindestens 200 Mbit/s und 44 Prozent bis zu 10 Gbit/s.Zudem wird im nächsten Jahr die Grundversorgung auf 80 Mbit/s erhöht. Wir erwarten aber Lösungsansätze vom Bund, wenn noch höhere Leistungen in der Grundversorgung gefordert werden. Bis Ende 2025 wird Swisscom die Glasfaserabdeckung (FTTH) auf rund 55 Prozent erhöhen, bis 2030 auf 70 bis 80 Prozent.
FTTH-Arbeiten für Swisscom im Berner Mittelland.
Quelle: Rüdiger Sellin
Aufgrund der bereits mehr als zwei Jahre andauernden WEKO-Untersuchung haben wir uns Ende letzten Jahres entschieden, unsere Netzbauweise im Sinne unserer Kunden anzupassen. Aktuell sind über 500 000 Anschlüsse blockiert, die wir nun von Point-to-Multipoint auf Point-to-Point umbauen.
CW: Wir vermerken positiv, dass Urs Lehner bei Kunden und Mitarbeitenden gleichermassen mit viel Empathie bedacht wird. Sie grüssen Ihre Kollegen in Ihren Grossraumbüros grundsätzlich – auch beim Sprint zum nächsten Termin – und begrüssen an Mitarbeiteranlässen jede(n) Einzelne(n) mit Handschlag. Wie halten Sie sonst noch Kontakt zur Mitarbeiterfront?
Lehner: Der Kontakt zu den unterschiedlichen Teams sowie der persönliche Austausch mit unseren Kunden liegt mir sehr am Herzen. Grundsätzlich steht meine Tür jederzeit offen für Anliegen aller Art. Zusätzlich setzen wir selbstverständlich auch in der internen Kommunikation auf diverse Formate, wie zum Beispiel unseren B2B Talk, in dem wir regelmässig über aktuelle und strategische Themen per Livestream berichten, ergänzt mit virtuellen Q&A-Formaten oder unserem traditionellen Mitarbeiterevent in Luzern. Punktuell verteilen mein Führungsteam und ich auch mal Glace im Büro so wie dieses Jahr kurz vor den Sommerferien.
CW: Wir danken Ihnen für das Gespräch.
Zur Person und Firma
Urs Lehner (Jahrgang 1968) ist seit 2017 Leiter Business Customers und Mitglied der Konzernleitung von Swisscom. Der Informatikingenieur FH war ab 1997 in verschiedenen Funktionen massgeblich am Aufbau des IT-Dienstleisters Tri­vadis beteiligt. 2011 stiess er als Leiter Marketing & Sales Corporate Business zu Swisscom und bekleidete anschliessend verschiedene Leitungsfunktio­nen im Geschäftskundensegment. Seit der Zusammenlegung der Segmente KMU und Grosskunden im Januar 2020 verantwortet Lehner den gesamten Bereich Business Customers von Swisscom.
Swisscom ist der führende ICT-Konzern der Schweiz. Mit Sitz in Worblaufen bei Bern ­bietet das Unternehmen eine breite Palette von Dienstleistungen an, einschliesslich Mobilfunk, Festnetztelefonie, Internet und digitalem Fernsehen. Swisscom hat auch Tochtergesellschaften in Italien und anderen Ländern. www.swisscom.com/ch



Das könnte Sie auch interessieren