Grosse Erwartungen an HR & Recruiting

Work-Life-Balance

Zufriedenheit senkt die Fluktuationsrate

Die Mitarbeiterfluktuation war schon immer ein wichtiges Kapitel im dicken Buch der Unternehmenssorgen.Schliesslich geht dadurch oft auch wertvolles Know-how verloren. Doch hat es sich in letzter Zeit noch einmal verschärft. Im Zuge der Pandemie haben sich die Einstellungen vieler Angestellten gewandelt. Wer unzufrieden im Homeoffice war, bei dem ist oft die Sehnsucht nach einer neuen beruflichen Herausforderung gewachsen.
Laut statistischem Bundesamt lag die Fluktuationsrate im Jahr 2021 bei 29,8 Prozent. Zugrunde liegt die Gleichung Fluktuationsquote = (Abgänge: durchschnittlicher Personalbestand) x 100 %. Für Christian Diestelkamp ist die wichtigste Aufgabe deshalb das Zuhören, um Sorgen und Wünsche wahrzunehmen. «Ziel muss es sein, eine starke und breite Kontaktfläche zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu erhalten, damit sich jede einzelne Person als das fühlen kann, was sie ist: höchst relevant.»
Was kann HR also tun? Wieland Volkert nennt einige grundsätzliche Stellschrauben: «HR muss sich zunächst als strategische Abteilung verstehen, die als Bindeglied zwischen Unternehmensführung und Belegschaft fungiert. HR ist das Kulturzentrum eines Unternehmens. Anders wird HR ihre Aufgabe nicht mehr richtig ausfüllen können. In dieser Eigenschaft gestaltet HR die Employee Experience, also die Erfahrungen und Erlebnisse, die ein Mitarbeiter mit seinem Unternehmen täglich erlebt, vom Eintritt bis zum Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis.»
“Themen wie das Gehaltsniveau und Arbeitszeitenregelungen sind Hygienefaktoren, die stimmen müssen, aber nicht mehr entscheidend sind für die Bindung von Fachkräften.„
Kristina Gerwert
Leiterin Human Resources bei Adesso
Zunehmende Bedeutung für die Erwartungen von Beschäftigten und Bewerbern gewinnt auch das Thema ethische Führung. Wenn sich Mitarbeitende nicht gleichbehandelt fühlen, zum Beispiel beim Gehalt, oder wenn sie das Gefühl haben, dass die Führung ihnen gleichgültig gegenübersteht, kann das schnell zu Kündigungen führen. Der Arbeitsmarkt war schliesslich selten so aufnahmefreudig wie heute.
«Auf operativer Ebene hat die HR ein ganzes Arsenal an Möglichkeiten, die Stimmung in der Belegschaft zu ergründen», führt Volkert weiter aus. Dazu gehöre eine richtig eingesetzte Mitarbeiterbefragung, die als Frühwarnsystem mögliche Unzufriedenheiten frühzeitig aufdecken könne. «Ganz wichtig dabei ist, dass das Feedback der Mitarbeitenden auch zu Änderungen führt. Bekommen die Angestellten den Eindruck, dass ihre Kritik oder Verbesserungsvorschläge nicht ernst genommen werden, dann sind solche Massnahmen kontraproduktiv.»
«Themen wie Gehaltsniveau und Arbeitszeitenregelungen sind Hygienefaktoren, die stimmen müssen, aber nicht mehr entscheidend sind für die Bindung von Fachkräften», findet Kristina Gerwert. Anderes sei wichtiger geworden: «Ehemals weiche Faktoren wie Work-Life-Balance oder Freiraum für Fortbildungen sind heute handfeste Argumente im Wettbewerb um kluge Köpfe. Hinzu kommen die Themen Nachhaltigkeit und Purpose. Sowohl ökologisches Wirtschaften als auch ein positiver Sinn der Arbeit helfen dabei, Talente zu gewinnen und Fachkräfte zu halten.»

Hybride Arbeit aus HR-Sicht

Auch die Entwicklung flexibler Arbeitszeitmodelle fordert Personalverantwortliche zunehmend, zunächst wegen ganz praktischer Probleme: Wie koordiniert man die Platzbelegung bei einer geschrumpften Bürogrösse? Wie schafft man den regelmässigen Austausch innerhalb eines Teams und zwischen Mitarbeitern und Unternehmen, wenn die Mitarbeiter über längere Zeit nicht im Büro vor Ort sind, und wie muss die IT-Ausstattung im Homeoffice aussehen?
Noch wichtiger ist in den Augen von Kristina Gerwert aber ein ganz anderer Faktor: «Hybrides Arbeiten erfordert vor allem eines – Vertrauen. Dazu ist elementar wichtig, als Unternehmen integrativ zu wirken, ein sehr gutes Wissensmanagement zu etablieren und klare Absprachen zu treffen, auf die sich alle Beteiligten verlassen können.»
Christian Diestelkamp sieht noch ein weiteres Problem: «Das persönliche Zusammentreffen – ein wichtiger Kitt in der Mitarbeiterbindung – findet nicht mehr automatisch zufällig auf dem Gang statt, sondern muss aktiv herbeigeführt werden, ohne dass sich ein Gefühl von Zwang einstellt.»
Speziell durch die bei Remote-Arbeit übliche direkte Aneinander-Planung von Terminen ohne Pause träten schnell Überlastungssituationen auf. Zusammen mit der Nichterreichbarkeit von Personalverantwortlichen könne schnell ein Gefühl der Hilflosigkeit und eine Entfremdung vom Unternehmen entstehen.

Andreas Dumont
Autor(in) Andreas Dumont



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