Gut durchgebissen
ICT-Dienstleister
Eine gute Basis für die fortschreitende Digitalisierung ist somit in Sachen Infrastruktur trotz möglicher Behinderungen und Rückschläge gelegt. «Wir sprechen mit unseren Kunden vermehrt über das ‹How›, nicht mehr über das ‹Why› von Digitalisierungsvorhaben», gibt Swisscoms Lehner die Grundstimmung im Land wieder.
Eine grosse Rolle spielen hier die ICT-Dienstleister. Und eines der virulentesten Themen in diesem Bereich ist die Adaption von Cloud Computing durch Schweizer Firmen. Wie der Branchenverband Swico in seiner «House View 2022» aufführt, investieren die befragten eigenen Mitglieder mit 30 Prozent am meisten in die Cloud, wenn auch zwei Prozentpunkte weniger als im letzten Jahr. Auch was die laufenden Projekte anbelangt, mischen Cloud-Vorhaben mit 24 Prozent ganz vorne mit und werden nur von Projekten im Bereich digitale Plattformen, also der Bereitstellung von Online-Marktplätzen für Produkte und Dienstleistungen, mit einem Anteil von 26 Prozent überholt. Besonders aktiv in Sachen Cloud-Projekten sind einmal mehr die Finanzdienstleister und Versicherungen. In dieser Branche finden mit 15 Prozent die meisten Cloud-Projekte statt, was einem erneuten Anstieg um einen Prozentpunkt gleichkommt. Eine weitere Branche mit erhöhtem Projektvolumen ist die öffentliche Verwaltung inklusive Erziehung/Unterricht mit 12 Prozent (plus zwei Prozentpunkte gegenüber 2021) am Gesamtvolumen.
Mit ein Grund für diese landesweite «Züglete» der IT-Ressourcen in die Daten- und Rechenwolke ist zweifelsohne der Tatsache zuzuschreiben, dass bald alle Cloud-Grossanbieter physisch auf helvetischem Territorium Server-Farmen betreiben. Nachdem sich die Hyperscaler Google, Microsoft und Oracle hierzulande schon seit einiger Zeit betätigen, wird nun auch Amazon Web Services (AWS) dazustossen, und zwar mit der Lancierung der «AWS Europe (Zurich)»-Region in der zweiten Jahreshälfte 2022. Derweil wird kräftig weiter in den Cloud-Standort Schweiz investiert. Zuletzt hat Microsoft am Zürcher Flughafen das «Microsoft Technology Center» eröffnet und parallel dazu mit «Innovate Switzerland» eine Community aus Kunden und Partnern gegründet, die sich in erster Linie an Mieter in Microsofts Schweizer Rechenzentren wendet.
Wie weit die Schweiz in Sachen Cloud-Verbreitung schon fortgeschritten ist, hierzu gibt es bei den von Computerworld angefragten Industrievertretern zum Teil unterschiedliche Auffassungen. Für viele von ihnen ist die Schweiz als Cloud-Land auf gutem Weg. «Noch einmal beschleunigt durch die Pandemie, wurde die Cloud praktisch zum neuen Rechenzentrum», meint Christopher Tighe, Geschäftsführer von Cisco Schweiz. «Unternehmen betreiben geschäftskritische Applikationen in Umgebungen, die nicht ihnen gehören. Wir bei Cisco sind der Meinung, dass eine hybride, Multi-Cloud- und App-zentrierte Infrastruktur zum De-facto-Standard für den Betrieb der IT geworden ist», konstatiert er.
Auch Marc Holitscher, National Technology Officer von Microsoft Schweiz, attestiert den helvetischen Nutzern einen hohen Reifegrad. «Die Cloud hat sich als Innovationsplattform etabliert. Dies zeigt sich daran, dass Unternehmen zusehends geschäftskritische Anwendungen und Daten auslagern», sagt er. «Aber auch betreffend Nutzungskompetenz ist die Maturität heute eine andere: Unsere Kunden verstehen, dass eine Cloud-Transformation ganzheitlich gedacht werden muss», fügt Holitscher bei und ergänzt: «Neben technischen Veränderungen müssen kulturelle und organisatorische Faktoren berücksichtigt werden. Beispielsweise was das Rollenverständnis des CIOs oder die Verortung seines Bereichs in der Firmenstruktur betrifft.» Ebenso sei heute das Bewusstsein bei Verwaltungsräten und in Geschäftsleitungen gegeben, dass moderne Technologien für den künftigen Unternehmenserfolg absolut strategische Bedeutung hätten, konstatiert Holitscher.
“Unternehmen, die bereits Cloud-Services genutzt haben, konnten ihre Umgebungen viel besser skalieren, betreiben und auch innovieren„
Christoph Schnidrig, AWS
Für Roger Semprini, Managing Director von Equinix Schweiz, wird die Schweiz daher immer mehr zum «Cloud-Land», nicht zuletzt, da die grossen Cloud-Anbieter immer mehr Fuss fassen können. «Folgerichtig müssen sie sich in einem der lokalen Data Center einmieten», gibt er mit Blick auf die eigene Tätigkeit zu bedenken. Daher werde die Schweiz als Rechenzentrums-Standort immer beliebter, so Semprini weiter, und spricht von unserem Land diesbezüglich als «Safe Haven».
Defizite bei der Cloud-Adaption sieht dagegen Christoph Schnidrig, Solutions Architect Manager bei AWS in der Schweiz. Zwar spricht auch er davon, dass Cloud-Services der grösste Paradigmenwechsel in der IT seit Einführung des Internets seien. «Wir befinden uns mitten in einem fundamentalen Wandel und der Markt in der Schweiz steht verglichen zum Ausland relativ am Anfang», gibt er zu bedenken. «Viele Firmen planen ihren Schritt in die Cloud, während andere, typischerweise Grossfirmen, bereits in grossen Migrationen stecken», meint Schnidrig.
In jedem Fall bringt der Einsatz von Cloud-Services eine gewisse Flexibilität. «Während der Pandemie wurde offensichtlich, wie viel besser und einfacher die Unternehmen, die bereits Cloud-Services genutzt haben, ihre Umgebungen skalieren, betreiben und auch innovieren konnten», berichtet Schnidrig und nennt als Beispiel den Reiseanbieter TUI. Dieser habe seine plötzlich ungenutzten Ressourcen flexibel herunterfahren und die Hälfte seiner IT-Infrastrukturkosten sofort einsparen können, führt Schnidrig aus. «Andere hingegen, wie das Bundesamt für Gesundheit, waren sofort in der Lage, unsere Cloud-Services zu nutzen und zu skalieren, um den Anfragen auf ihrer Webseite oder in der Covid-App standhalten zu können», bringt er als Gegenbeispiel.