26.07.2012, 09:30 Uhr
«Wer mehr zahlt, wird priorisiert»
Akamai verkauft seine Dienste an Weltkonzerne wie Apple, Facebook, Microsoft, Philips oder Yahoo. Der Produkte- und Entwicklungschef, Rick McConnell, spricht im Interview über die Zukunft des Webs und warum es ihn nicht stört, dass sein Unternehmen fast niemand kennt.
Netzneutralität heisst, dass niemand Webdienste priorisiert und alle gleichermassen beim Endkunden ankommen. In der Schweiz gehört Netstream zu den grössten Content-Distributoren und verantwortet alle IP-TV-Angebote ausser Wilmaa und Zattoo. Für die beiden Plattformen ist die weltweit operierende Akamai zuständig. Dieser ist im Gegensatz zu Netstream (siehe Interview mit CEO Alexis Caceda) kein Bekenntnis zur Netzneutralität zu entlocken.
Auf Ihrer Website wird sehr prominent über IPV6 informiert. Dabei ist der Umstieg doch noch viel zu früh. Sehen Sie das anders?
Es ist von der Region abhängig. Wir erwarten, dass IP-Adressen in Asien schneller zur Neige gehen, als andernorts. Deshalb müssen sich dort Firmen bereits heute auf den Umstieg auf IPV6 vorbereiten. Wir bieten das unseren Kunden seit April diesen Jahres an.
Das war eine schöne Werbebotschaft. Mit welchen Investitionen müssen Unternehmen rechnen?
Das hängt von vielen Faktoren ab, unter anderem von der Firmengrösse. Ich kann Ihnen deshalb keine Summe nennen.
Schade. Aber Sie kennen doch bestimmt den Durchschnittswert aller Investitionen?
Nein. Aber schauen Sie: Ich arbeitete früher bei Cisco. Bei einer IPV6-Adaption in einem Unternehmen dieser Grösse sind die Kosten enorm. Eine sehr sehr signifikante Investition.
Wann müssen Firmen investieren? Es bleibt schon noch etwas Zeit, oder?
Die Zeit läuft uns davon. Die Anzahl Geräte, die eine IP-Adresse benötigen, steigt rasant an. Bald haben wir keine Adressen mehr, die wir den Geräten zuteilen können. Aufgrund der hohen Kosten zögern Firmen noch, aber irgendwann müssen sie investieren.
Den meisten völlig unbekannt
Obwohl Sie einer der grössten Content-Distributoren weltweit sind, kennt man nur Ihre Kunden. Akamai selbst ist den meisten völlig unbekannt. Stört Sie das?
Eine gute Frage. Wir fokussieren uns seit unserer Gründung auf den Enterprise-Markt. Wir beeinflussen zwar die User-Experience und sorgen für Sicherheit. Aber es stört mich nicht, dass wir nicht bekannter sind. Millionen von Anwendern nutzen täglich Akamai...
...ohne es zu wissen...
Ohne es zu wissen, ja. Aber sie kommen mit unseren Kunden in Kontakt. Die sind das Zielpublikum. Wir brauchen keine Präsenz beim Endanwender. Wir werden zwar unser Produktportfolio auch für KMU öffnen, aber dort wird das Angebot enden.
Sie müssen den Content sehr schnell und verzögerungsfrei bereitstellen. Bei dem aktuellen Datenwachstum eine grosse Herausforderung. Wie tun Sie das?
Wir haben jährlich Innovationen, die uns dabei helfen, das Tempo hochzuhalten. Das ist aber nicht mehr das wichtigste. Sicherheit erhält bei uns Top-Priorität. Attacken auf Firmenwebseiten nehmen täglich zu. Auch Mobilität nimmt immer mehr zu, auch dort müssen wir den Nutzern eine gute Performance bieten. Lesen Sie auf der nächsten Seite Akamais Sicht zum Thema Netzneutralität.
Sie sprachen zuvor die gewaltige Zunahme von mobilem Surfen an. Was sind dort derzeit die grössten Herausforderungen für Akamai? Was wollen die Kunden?
Die Verbindung auf der letzten Meile. Der Weg zur Zelle ist dasselbe wie beim Festnetz. Von dort zum Endgerät ist das Problem. Wie können wir dort das Tempo hochhalten? Dazu haben wir eine Partnerschaft mit Ericsson. Dank dieser können wir für einige Kunden den Netzverkehr priorisieren. Oder wir können standardmässig grosse Bilder komprimieren und nur in kleiner Form auf den Smartphones anzeigen lassen.
Vielleicht haben Sie die neuen Preispläne von Swisscom bereits gesehen, die das Tempo und nicht mehr das Datenvolumen in den Vordergrund stellen. Ist das die Zukunft von Mobilfunk?
Ja, Kunden werden bereit sein, für mehr Tempo mehr zu bezahlen. Das wird sicher bei weiteren Providern ein Thema sein.
Netzneutralität ist kein Thema
Aber dadurch ergibt sich für die Provider ein Problem: Sie müssen das Tempo garantieren, für das Anwender zahlen. Können Sie als Akamai Swisscom & Co. dabei unterstützen?
Das ist in der Tat eine große Herausforderung. Für die Geschwindigkeit müssen die Provider selber sorgen, wir bei Akamai können die Performance auf der «Last Mile» zum Endgerät verbessern. Wenn Swisscom Dienste priorisieren will, können wir sie also dabei unterstützen.
Das klingt jetzt stark nach einer Verletzung der Netzneutralität... Ist das nicht besonders wichtig für Sie?
Ich will jetzt nicht pro oder kontra Netzneutralität argumentieren. Ich denke, Netzneutralität muss dafür sorgen, dass Preise ökonomisch fair und vertretbar sind.
Nicht nur. Netzneutralität heisst auch, dass alle Dienste gleichermassen beim Endkunden ankommen. Wenn Sie anfangen Dienste zu priorisieren, verletzen Sie die Netzneutralität.
Wir haben verschiedene Services im Angebot. Diese beinhalten verschiedene Priorisierungsstufen. Wer das kleinste Paket wählt, erhält logischerweise nicht dasselbe Produkt wie Kunden, die mehr investieren.
Ergo werden Kunden, die mehr zahlen, priorisiert und haben demzufolge eine performantere Webseite?
Ja. Es steht jedem frei, dasselbe Paket zu kaufen. Wir bremsen allerdings niemanden aus. Und wir treffen auch keine Auswahl, wer schneller sein soll, sondern führen nur aus, was unsere Kunden wollen. So wie Sie anstelle eines Volkswagens einen Ferrari kaufen können. Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie das Internet in zehn Jahren aussieht.
Wo sehen Sie künftig das grösste Datenwachstum? Sind es die Videos oder doch Telepresence?
Ganz klar Video. Telepresence hat sich nicht so entwickelt, wie sich das die Hersteller Cisco, Polycom etc. gewünscht haben. Dafür ist es noch zu teuer. Dagegen ist der Traffic bei Videostreaming immens. An einem durchschnittlichen Tag werden über unsere Server sechs bis acht Terabyte Videomaterial pro Sekunde transferiert. Das macht rund 25 Prozent des gesamten Webverkehrs aus.
Eine Tasse Kaffee zur rechten Zeit
Was ist der Unterschied für Sie als Plattformbetreiber zwischen Live-Video wie bei Internettelefonie und Streaming wie bei YouTube?
Für uns ist es kein grosser Unterschied. Am meisten differenziert sich noch die Bandbreite. Bei Telepresence zum Beispiel ist sie sehr hoch. Dort ist aber meistens eine stabile Leitung vorhanden. Zudem weiss man, welche Leitung die Gegenstelle besitzt. Bei Videostreaming ist die grosse Herausforderung, dass es beim Abspielen zu keinen Unterbrüchen kommt. Passiert das, ist der Anwender weg.
Wie lösen Sie das Problem beim Videostreaming?
Unsere Technik erlaubt es, Videos im Voraus zu buffern, so dass diese selbst bei einem Verlust der Verbindung nahtlos abgespielt werden können.
Blicken wir in die Zukunft: Was läuft im Internet in zehn Jahren?
Das nächste grosse Ding wird Echtzeit-Gaming sein. Mit LTE gibt es endlich genügend schnelles mobiles Internet, um online gegeneinander zu spielen. Zudem wächst die Anzahl der Geräte mit Internetverbindung substantiell. Künftig weiss meine Kaffeemaschine, wann ich heimkomme und schaltet sich automatisch ein. Dasselbe gilt für Licht, Klimaanlage oder den Alarm: Dank Remote-Zugriff kann ich alles von unterwegs steuern.