13.06.2012, 16:17 Uhr
Internet-Provider kassieren von Facebook & Co.
Holland zwingt seine Internet Provider als erstes europäisches Land zur Netzneutralität. Warum das auch in der Schweiz zu einem Thema werden könnte, erklärt der Netstream-CEO Alexis Caceda.
Alexis Caceda ist Mitbegründer und CEO des Internet- und Content-Providers Netstream. Sein Unternehmen verantwortet in der Schweiz fast alle IP-TV-Angebote. Zudem ist Netstream ein kleiner Internet Provider. Der Branchenkenner spricht im Interview über die Netzneutralität und erklärt, warum er ein Gesetz für unnötig hält, obwohl die Gefahr besteht, dass Kunden bevormundet werden. International wird derzeit das Thema Netzneutralität intensiv diskutiert. Holland verabschiedete als erstes europäisches Land bereits ein entsprechendes Gesetz. Erläutern Sie bitte kurz worum es geht. Es geht darum, dass Provider keine Webdienste priorisieren und diese damit für den Kunden attraktiver machen. Cablecom, Sunrise und Swisscom sagen selbst sie seien netzneutral. Diskriminierungen von einzelnen Content-Anbietern gibt es in der Schweiz heute meines Wissens nicht. Aber es bewegt sich ganz klar in diese Richtung, denn alle haben Engpässe in ihren Netzen. Um Kunden zu behalten, müssen attraktive Websites schnell sein. Heisst denn Netzneutralität nicht gleiche Bandbreite für alle? Doch, auch. Aber gleiche Bandbreite für alle heisst auch, dass die Netze ausgebaut werden müssen. Kein Wunder, dass Ihnen das nicht passt, wenn Sie als Internetprovider die Kosten tragen müssten… Das ist so. Jede Interessensgruppe argumentiert natürlich so, dass sie am Ende des Tages nichts zahlen muss (lacht). Und jetzt wollen Provider tatsächlich anfangen, von Content-Anbietern Geld zu nehmen und ihre zahlenden Kunden zu bevormunden… Es kann tatsächlich ein neuer Business-Case sein, von YouTube, Facebook oder auch uns als IP-TV-Anbieter Geld zu verlangen, damit die Dienste attraktiver beim Kunden ankommen. In der Vergangenheit hätte nie jemand dafür bezahlt, aber heute will jeder seine Kunden halten und tut viel dafür. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Gefährliche Entwicklung Das ist doch eine extrem gefährliche Entwicklung, wenn zahlende Content-Anbieter gegenüber anderen von Internet-Providern priorisiert werden. Der Kunde sollte entscheiden dürfen. Absolut korrekt. Wenn jemand zahlt, wird der andere zurückgebunden. Das würde beispielsweise Startup-Unternehmen oder neuen, spannenden Webdiensten das Wachstum massiv erschweren. Innovation wird gebremst. Wurden Sie als Content-Anbieter von Serviceprovidern bereits gefragt, ob Sie für priorisierten Zugang zahlen möchten? Fragen Swisscom und die anderen grossen Provider? Ja. Sie haben die meisten Kunden unter Vertrag und aus ihrer Sicht sollen wir froh sein, dass sie die Leute auf unsere Plattformen bringen. Und dafür sollen wir zahlen. Aber das kann man auch umdrehen: Wir haben den Content und ohne den hätten Swisscom & Co. vielleicht weniger Kunden. Haben Sie denn schon mal dafür bezahlt, dass Ihr Content priorisiert wird? Nein. Wir bieten netzneutral an und wollen auch nicht, dass unsere Dienste anderen technisch bevorzugt werden. Es soll eine offene und transparente Kommunikation stattfinden. Gibt es Anbieter die das machen? Das weiss man nicht. Das sind oft geheime Verträge, bei denen es heikel ist, wenn es der Konsument erfährt. Nehmen wir an, einer Ihrer Konkurrenten zahlt für die Priorisierung seines Contents. Dann müssten Sie nachziehen, um nicht an Boden zu verlieren. Klar. Sobalds einer macht, müssen alle anderen nachziehen. Bei der Sache gewinnt keiner. Ausser die Internetprovider… Genau. Der hat sowohl den zahlenden Kunden wie auch die Einnahmen der Content-Anbieter. Interessant zu beobachten wird nun sein, ob Swisscom oder andere Provider von Facebook tatsächlich mehrere zehntausend Franken pro Monat kassieren kann, oder ob Swisscom gar nicht auf deren Radar steht. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Wie kann man dieser Entwicklung entgegenwirken? Angenommen es gibt solche Deals. Die Provider können diese marketingtechnisch gar nicht nutzen, weil sie es sonst zugeben würden. Doch, ich habe entsprechende Papiere gesehen. Man könnte es als Paket anbieten. Es gäbe ein Grundangebot. Für internationale Dienste wie Facebook & Co. würden Kunden beispielsweise fünf Franken monatlich dazubezahlen. Aber ich zweifle, ob das funktioniert. Im Internet war immer alles frei. Wir sollten keinen Schritt zurück machen. Wie kann man dieser bedenklichen Entwicklung entgegenwirken? Muss der Bund eingreifen? Wir sind der Meinung, dass die Entscheidung den Providern selbst überlassen werden sollte. Der Markt zwischen den Providern muss spielen. Wenn der Bund die Netzneutralität erzwingt, haben wir einen regulierten Markt, der nicht sein muss. Swisscom soll diesen Weg weitergehen, wir gehen unseren. Der Kunde soll am Schluss entscheiden. Aber vielleicht ist ein Gesetz die einzige Lösung, wenn Provider wirklich beginnen Content zu priorisieren. Denn die Leidtragenden sind die Kunden. Wenn es wirklich ausartet, haben Sie Recht. Im Moment sind wir noch in einem normalen, freien Markt, der solche Deals noch nicht kennt. Hat die Politik das Problem bereits realisiert? Tut sich etwas? Es gab eine Anfrage von Nationalrat Balthasar Glättli an den Bundesrat, der derzeit keinen Handlungsbedarf sieht. Aber mit der nächsten Revision des Fernmeldegesetzes soll das Thema Netzneutralität mit aufgenommen werden. Das dauert aber noch mehrere Jahre. Was müsste im Gesetz stehen, damit das Problem gelöst wird? Dass man Webseiten nicht beschleunigen oder diskriminieren darf. Zum Beispiel, dass Swisscom oder ein anderer Anbieter Skype eindämmt, nur um seine eigenen Dienste zu pushen, darf nicht passieren.