06.09.2013, 09:55 Uhr
«Open Data hat unbestreitbares Wirtschaftspotenzial»
Der Bund lanciert ein Open-Data-Portal. Der Begriff wird damit endgültig auf die gesellschaftliche und politische Agenda gesetzt. Wie sinnvoll ist dieser Schritt, wo liegen die Risiken, was muss besser werden? Computerworld sprach mit dem Open-Data-Experten André Golliez.
André Golliez, Management-ing Partner itopia AG und Präsident des Vereins OpenData.ch, spricht über das Open-Data-Portal des Bundes
Der Bund wird am 16. September eine Open-Data-Plattform vorstellen, die in der Schweiz den endgültigen Startschuss ins Zeitalter der frei verwertbaren Daten darstellen soll. Wo sind die Vorteile, welche Probleme gibt es? Computerworld sprach darüber mit André Golliez, der als Managing-Partner der itopia AG die Plattform mit konzipierte und sich als Präsident des Vereins OpenData.ch dafür einsetzt, dass Verwaltungsdaten öffentlich zugänglich sind.
Computerworld.ch: Am 16. September startet der Bund ein Open-Data-Portal: Was halten Sie davon?
André Golliez: Dieses Projekt ist grossartig. Das ist das, was wir seit Jahren verlangen. Seit 2 Jahren gibt es in der Politik entsprechende Vorstösse, dies ist nun der Anfang.
Was ist denn so grossartig an diesem Projekt?
Wir gehen davon aus, dass eine Dynamik ausgelöst wird, die sich auf Open Data und die Wirtschaft auswirken wird. Klar, momentan sind es nur einzelne Bundesämter und wenige Datensätze. Aber beispielsweise wird das Bundesamt für Gesundheit (BAG) bald dazukommen, der Kanton Zürich hat ähnliches geplant. Die Daten von Bund, Kantonen und sogar Gemeinden können so auf einer zentralen Plattform für alle zugänglich sein, die etwas damit anfangen können. Informatiker, Medien, Firmen oder einfach auch Privatpersonen. Und auch wichtig: die Daten sind maschinenlesbar gemacht.
Wer wollte, konnte sich diese Daten doch schon vorher besorgen?
Da muss man differenzieren. Denn es gibt keine generelle Verpflichtung, Daten zugänglich zu machen. In der Schweiz herrscht das Öffentlichkeitsprinzip, das ist reaktiv. Nur wer Daten will, bekommt sie auch.
Die Politik soll also dafür sorgen, dass die Verwaltungen die Daten rausrücken müssen, damit das Portal einen Sinn hat?
Ja. Es muss eine gewisse Verbindlichkeit geben, dass Ämter ihre Daten freigeben müssen. Dieses Proaktiv-Prinzip für Behördendata ist übrigens auch auf dem G8-Gipfel im vergangenen Juni beschlossen worden («Open Data by default»).
Aber Sie wollen doch sicher nicht, dass beispielsweise Kriminalstatistiken öffentlich werden?
Die rechtliche Situation ist eines der grössten mittelfristigen Probleme. Es gibt viele Einschränkungen, beispielsweise, wie Daten publiziert werden. Alle sind in Gesetzen verankert. Nur die Daten, auf denen keine Restriktionen herrschen, sollen öffentlich werden. Der entscheidende Vorteil dieses Portals ist es nicht, dass geheime Daten publiziert werden, sondern dass alle offenen Daten über ein Portal zugänglich sind.
Lesen Sie auf der nächsten Seite: Welchen Mehrwert bieten die Daten?
Die beim Portalstart aufgeschalteten Datensätze sind also fast klinisch sauber, ohne jegliche Restriktionen. Bieten sie überhaupt einen Mehrwert, damit Ihre angesprochene Dynamik in Gang kommen kann?
Ich denke, dass vor allem die Geodaten interessant sind, die werden überall gebraucht. Auch die Meteo-Messwerte werden Interesse wecken. Wenn dann das Bundesamt für Gesundheit BAG dazu kommt, wird es zusätzlich interessant. Man denke nur an den Streit des Eidgenössischen Departementes für Inneres EDI mit Comparis (Anm. der Redaktion: lesen Sie hier mehr zum Thema). Aber es ist nicht vorauszusagen, was bei den Leuten wie ankommt. Oft sind es auch Nischen. Der Online-Katalog des Bundesarchives wird für die breite Öffentlichkeit beispielsweise kaum interessant sein, für Historiker und Journalisten aber sehr wohl.
Nischen hin- oder her: Zu Beginn werden 400 Datensätze aufgeschaltet, viele Menschen werden sich für diese Zahl nicht begeistern können. Können Sie uns darum sagen, wie viele Datensätze es ungefähr gibt, damit das Potenzial abgeschätzt werden kann?
Das weiss beim Bund leider niemand. Darum fordere ich ein Dateninventar. In Grossbritannien beispielsweise, die seit 4 Jahren Open Data haben, wurde kürzlich ein Katalog online gestellt, in dem man die Möglichkeit hat, Daten als Open Data zu markieren. So etwas wird es bei uns auch irgendwann geben, das kostet aber Zeit.
Geht es nach einer Studie vom EDI, soll sich das Zeitinvestment aber lohnen. Es wird von bis zu 1,2 Milliarden Franken Wertschöpfung und bis zu 7200 neuen Arbeitsplätzen durch OGD (Anm. der Redaktion: Open Government Data, der Begriff bezeichnet offene Verwaltungsdaten und wird in der Studie verwendet, der Einfachheit halber verwenden wir in diesem Interview den Begriff Open Data) gesprochen. Sind diese Zahlen realistisch?
Das kann ich nicht sagen. Das ist einfach eine Zahl aus der Studie, es daran festzumachen, finde ich falsch. Open Data hat aber unbestreitbares Wirtschafspotenzial. Dieses lässt sich jedoch nur realisieren, wenn sich Leute damit beschäftigen. Sie haben Recht, die bisherigen 400 Datensätze reichen dafür sicher noch nicht. Das ist aber quasi auch die Embryophase. Ich denke, wir müssen bei der Ausschöpfung des Wirtschaftpotenzials einen Zeithorizont von zehn und mehr Jahren in Betracht ziehen.
Lesen Sie auf der nächsten Seite: Wer profitiert?
Profit wird vor allem die IT-Branche ziehen können. Gibt es noch andere Bereiche?
Ich denke, dass beispielsweise auch die Medien profitieren können, Stichwort Datenjournalismus. Und ich sehe das wirtschaftliche Potenzial auch in etablierten Unternehmen, wie Banken oder Versicherungen, oder im Gesundheitsbereich. Und wer irgendwie mit Umwelt, Verkehr, Raumplanung oder Risikobewertung zu tun hat, wird in Zukunft sicher auch mit Open Data zu tun haben. Es dürften also viele Bereiche profitieren können, die Unternehmen müssen nur herausfinden, wie sie Open Data für ihre Dienstleistungen nutzen können.
Diese werden dann aber wohl auch von Datenschützern in die Mangel genommen. Denn irgendwie lassen sich Open Data und Datenschutz nicht richtig miteinander vereinbaren.
Das ist in der Tat eine der grossen Herausforderungen. Aber ich persönlich finde, dass die Bestimmungen die wir beispielsweise auf Gesundheits- und Verkehrsdaten haben, zu restriktiv sind.
Kürzlich hat ein Forscher aufgezeigt, dass beispielsweise eine Krankenakte, die mit einem öffentlichen Wahlregister abgeglichen wird, was in den USA gemacht wird, ##{"type":"InterRed::Userlink","linktype":"b","linkoffset":0,"ziel_ba_name":"cwx_artikel","bid":0,"cid":0,"extern":"","fragment":"","t3uid":"64151","page":0,"text":"zu 60-80 Prozent de-anonymisiert werden kann","target":"_top","alias":"","_match":"","_custom_params":[]}#!. Das kann doch nicht in Ihrem Interesse sein?
Natürlich nicht. Der Staat und die verwaltung sollen transparenten sein, nicht der Bürger! Es muss Rahmenbedingungen geben und bis es soweit ist, wird es viele Diskussionen geben. In Dänemark beispielsweise wird sogar das Personenregister, das Namen, Adressen und Telefonnummern enthält, publiziert. Das gleiche gilt übrigens auch für Firmen: Soll es ein Firmenregister geben? Sollen Eigentumsbeziehungen zwischen Firmen grundsätzlich offen gelegt werden? In England ist dies geplant, Steuerhinterziehungen sollen dadurch verhindert werden. Wie weit die Schweiz gehen will, muss eine politische Diskussion zeigen. Auf diese bin ich sehr gespannt.
Sie haben vorhin davon gesprochen, dass Datenschutzbestimmungen eine der grossen Herausforderungen sind. Welches sind die anderen?
Da gibt es vor allem noch die Gebührenfrage, die eine wichtige Barriere ist.
Lesen Sie auf der nächsten Seite: Die Gebührenfrage
Was meinen Sie damit?
Wir haben auf verschiedenen Daten Gebühren, beispielsweise auf bestimmten Geodaten und auch auf Meteodaten. Diese müssen abgeschafft werden. Denn es gibt den klaren empirischen Nachweis, dass gebührenfreie Daten viel intensiver und breiter genutzt werden.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Der Kanton Baselland hat vor drei Jahren die Gebühren auf allen Geodaten abgeschafft, innerhalb eines Jahres hat er dadurch eine Vervierfachung der Datennutzung erreicht. Im Jahr darauf noch einmal eine Verdoppelung.
Man muss aber auch sehen, dass diese Gebühren anderweitig wieder hereingeholt werden müssen. Sonst leiden Ämter wie MeteoSchweiz oder das Bundesamt für Landestopografie swisstopo unter dem Einnahmenausfall. Alleine auf Geodaten werden beim Bund schätzungsweise über 20Millionen Franken Gebühren erhoben, das muss kompensiert werden. Die Qualität der Daten kann sonst nicht wie bisher gewährleistet werden, was niemandem nützt. Es braucht darum einen übergeordneten finanzpolitischen Entscheid, damit die betroffenen Ämter entschädigt werden können.
Die Politik ist also in mancherlei Hinsicht gefordert. Wie gut kommt Open Data in Bern an?
Das ist das Schöne: seit 2 Jahren gibt es immer wieder Vorstösse aus dem Parlament, die Open Data betreffen. Diese kommen von links bis rechts, niemand hat wirklich ein Problem mit Open Data. Natürlich gibt es Politiker oder Parteien, die entsprechendes gerne schneller umgesetzt hätten als andere, aber Wahlkampf betreiben kann mit diesem Thema kaum. Und warum auch? Alle wissen, dass an Open Data keine Verwaltung vorbeikommt. Weder in der Schweiz, noch im Ausland. Open Data nützt einfach allen.