SAP-Vorstand Leukert
21.11.2016, 18:27 Uhr
«Kunden von hohem Innovationstempo überfordert - wünschen sich vor allem stabile IT»
Von wegen Tempo, Tempo, Tempo. Viele Kunden fühlen sich durch die schnellen Innovationszyklen überfordert, können nicht mehr mithalten, sagte SAP-Vorstand Bernd Leukert im Interview mit CW. SAP präsentiert für Kunden die bimodale Strategie: Hana 1 und Hana 2.
SAPs In-Memory-Plattform, die neue Hana 2, kommt am 30. November auf den Markt. Der deutsche ERP-Konzern hat besonders am Daten- und Datenbank-Management und an den analytischen Engines gefeilt. Neu hinzu gekommen sind zum Beispiel Algorithmen für Klassifizierungs-, Assoziations-, Zeitreihen- und Regressionsanalysen. Ausserdem kommen neue Cloud-Microservices wie die E-Commerce-Lösung der Schweizer Spezialistin Hybris „SAP Hybris as a Service (YaaS)“ auf den Markt. Den meisten SAP-Kunden aber drückt ganz woanders der Schuh. Viele unserer Kunden seien mit dem hohen Innovationstempo überfordert und wollen das gar nicht, sagte SAP-Vorstand Bernd Leukert zu CW. Deshalb schaltet der ERP-Weltmarktführer sozusagen in einem bimodalen Modus der zwei Geschwindigkeiten. CW führte das Interview mit Leukert am Rande der SAP TechEd in Barcelona.
Herr Leukert, SAP hat ein neues Release seiner Echtzeit-Plattform Hana, die Hana 2, vorgestellt. Was hat sich verbessert?
Bernd Leukert: Hana 2 haben wir eingeführt, weil einige unserer Kunden uns gesagt haben, dass sie die enorme Innovationsgeschwindigkeit überfordert. Diese On-premise-Kunden haben nicht die Ressourcen, sämtliche Innovationen sofort zu konsumieren, und wünschen sich eine Hana-Plattform, die für eine gewisse Zeit stabil bleibt. Diesen Kunden garantieren wir drei Jahre lang Maintenance und Support auf Basis des Hana-Shipments vom zweiten Quartal 2016, ohne dass in die Codeline weitere Innovationen eingepflegt werden müssen.
Interessantes Feedback, Gartner-Analysten prognostizieren bereits tägliche Deployments, das sei die Zukunft der Business-IT. Jetzt sagen einige Kunden, dass sie das gar nicht wollen.
Leukert: Tägliche Deployments macht zum Beispiel Google. Dabei bleibt schon noch die Frage, wie viel Google am Sourcecode tatsächlich ändert. Aber es ist richtig: Wer Software selbst on-premise betreibt, muss mit der Innovationsgeschwindigkeit seines Providers mithalten können.
Das spricht ja für die Cloud, dort kümmert sich der Anbieter um Updates. Der Kunde muss sich um nichts mehr kümmern.
Leukert: Genau. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass die Cloud das Software-Beschaffungsmodell der Zukunft ist. Dort wird die ganze Arbeit dem Kundenunternehmen und dem Endbenutzer abgenommen. In der Cloud werden wir unsere Innovationsgeschwindigkeit beibehalten, dort läuft Hana 2. Hana 1 läuft on-premise und bleibt dort für eine gewisse Zeit stabil.
Neu bei Hana 2 ist unter anderem, dass lesende Suchanfragen jetzt auch über gespiegelte Sicherheitsreplikate laufen können. Das verkürzt besonders unter Voll-Last die Latenzzeiten, wenn also viele Nutzer gleichzeitig auf das System zugreifen. Schreibzugriffe erfolgen weiterhin auf dem Original und dem Replikat, dort erzielen sie keine Vorteile. Bei lesenden Zugriffen aber verteilen wir über einen Load Balancer die Zugriffe auf zwei Systeme und verkürzen damit die Wartezeiten.
Eine zweite Innovation in Hana 2: Kunden haben Probleme damit, ihr Daten-Management ohne maschinelle Intelligenz effizient zu betreiben. Daten, die für das operative Geschäft nötig sind, gehören in den Hauptspeicher. Alle anderen Daten, die Sie zum Beispiel für Wirtschaftsprüfer oder für Audits vorhalten müssen, haben im schnellen Hauptspeicher aber nichts verloren. Wir helfen unseren Kunden, beide Datentypen sauber voneinander zu trennen und auf dem richtigen Datenträger zu speichern.
Die dritte Neuheit ist Data Tiering, die automatisierte Speicherung auf unterschiedlich schnellen und teuren Datenträgern je nach Zugriffsfrequenz.
Nächste Seite: Strafen bis zu 4% des Jahresumsatzes
Ist die Cloud mittlerweile Mainstream? Viele Analystenhäuser behaupten das, aber was sagen ihre Kunden?
Leukert: Das zukünftige Beschaffungsmodell für Business-Software ist die Cloud, da bin ich mir sicher. Kunden werden ihre Softwarer aus der Cloud konsumieren. Dort sind wir aber heute flächendeckend noch nicht. Die Mehrzahl der installierten SAP-Systeme läuft immer noch on-premise.
Es gibt aber einige Anwendungsbereiche wie HCM/Personalwirtschaft, da ist die Cloud auch heute schon Mainstream. Die EU hat eine neue Datenschutzregel erlassen, die General Data Protection Regulation (GDPA), die im zweiten Quartal 2018 in Kraft tritt. Wer dagegen verstösst, kann zu einer Strafzahlung verdonnert werden, die bis zu vier Prozent des Jahresumsatzes beträgt.
Cloud-Anwendungen sind automatisch konform, dafür sorgt der Cloud-Provider. On-premise müssten Sie einen eigenen Juristen und einen eigenen IT-Spezialisten dafür abstellen. Nehmen Sie den Bereich Recruiting: Angenommen, Sie haben einen Bewerber nicht eingestellt, sondern sich für einen anderen entschieden. Dann sind Sie dazu verpflichtet, die Daten des abgelehnten Bewerbers nicht nur logisch, sondern auch physisch zu löschen, so das eine Wiederherstellung auch durch Restore-Programme ausgeschlossen ist. Sonst drohen Strafzahlungen.
Wir schreiben gerade Programme, die diesen Job zuverlässig erledigen. Und für diese Anwendungen bietet der Bezug aus der Cloud unbestreitbare Vorteile. Also mein Fazit in Sachen Cloud lautet: Ein hybrides Modell ist heute Mainstream und wir sehen hohe Zuwachsraten in der Cloud.
Können Sie Zahlen nennen?
Leukert: Es sind Neukunden und Bestandskunden gleichermassen, die in die Cloud gehen. Die Cloud generiert 30 bis 35 Prozent des Umsatzes und wächst stark. Im klassischen On-premise-Geschäft hatten wir in den letzten Quartalen eine schwarze Null, allenfalls einmal ein niedriges einstelliges Wachstum. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, dann werden wir bis Ende 2018 etwa 50 Prozent unseres Umsatzes mit unseren Cloud-Angeboten erzielen.
Viele Kunden sagen mir, dass sie in nicht-differenzierenden Bereiche Best-Practices aus der Cloud einführen wollen. Die wollen nicht jeden Schnörkel im Prozess on-premise hinlegen müssen. Es wird ausserdem schwerer, junge Mitarbeiter zu finden, die sich um 20 oder 30 Jahre alte Systeme kümmern wollen. Diese Systeme sind Auslaufmodelle, junge Mitarbeiter aber schauen in die Zukunft. Für Unternehmen ist das ein weiterer Grund, in die Cloud zu gehen und Software als Service zu konsumieren.
Nächste Seite: So sieht die SAP der Zukunft aus
Wie werden die neuen Beschleunigertechnologien IoT, Machine Learning und Künstliche Intelligenz das Geschäft der SAP verändern? ERP war lange Zeit das Kernprodukt, das den meisten Umsatz generierte. Werden ERP-Systeme in Zukunft an Bedeutung verlieren?
Leukert: ERP wird essenziell für unser Geschäft bleiben und von allen Unternehmen auch in Zukunft gebraucht werden. Firmen wollen ihre integrierte End-to-end-Prozesse nicht aufgeben. Allerdings werden die Edge-Applikationen, die sie genannt haben, signifikant zu unserem Wachstum beitragen. Der solide Kern bleibt aber unser ERP und S/4Hana, und durch die Modernisierung unseres digitalen Kerns durch S/4Hana konnten wir zum ersten Mal seit Jahren wieder recht viele Neukunden gewinnen. 4100 Kunden nutzen heute S/4Hana, davon sind 40 Prozent Neukunden.
Der ERP-Gesamtmarkt wird aber nicht wachsen. Das Wachstum findet im Internet der Dinge, Machine Learning und Best-Practices-Applikationen aus der Cloud statt. Kunden gehen immer mehr dazu über, SaaS-Komponenten einzukaufen, und erwarten von der SAP, dass diese Komponenten perfekt in den digitalen Kern (ERP/S/4Hana) integriert sind, ganz gleich, ob S/4 Hana on-premise oder in der Cloud läuft.
Kunden haben nicht nur SAP ERP, sondern auch zum Beispiel Salesforce CRM und Microsoft Office 365. Wie gut kann SAP die Clouds anderer Anbieter ins eigene Portfolio integrieren?
Leukert: Auch in der On-premise-Welt hatten wir die gleiche Situation. Diesem Wettbewerb müssen wir uns stellen. Wir haben den Anspruch, in jedem Marktsegment, in dem wir aktiv sind, das beste Angebot zu stellen.
Im ERP-Markt ist das keine Frage. Beim CRM wird es aber schon schwieriger, da sind Salesforce und auf dem nordamerikanischen Markt Workday sehr präsent.
Leukert: Im Bereich Salesforce Automation, die Initialidee von Salesforce-Chef Marc Benioff, haben wir in der Tat einen schweren Stand. Denken Sie aber an die Gesamtabdeckung der Kundenbedürfnisse (Customer Engagement), da hat SAP schon die Nase vorn. Geht es um Sales, Services, Marketing und E-Commerce, dann haben wir mit der E-Commerce-/Multichannel-Lösung der Schweizer Übernahme Hybris die führende Lösung im Markt.
Der Kauf – diesen Schluss lassen Statistiken zu - verlagert sich weg vom Direktverkauf mehr und mehr in Richtung E-Commerce. Salesforce dominiert das Geschäft der Vergangenheit, SAP beherrscht das Geschäft der Zukunft.
Und Cloud-Konkurrent Microsoft?
Leukert: Microsoft spricht mit seinen Dynamics-Produkten kleine und mittlere Unternehmen an. In diesem Marktsegment ist Microsoft für uns ein Konkurrent. In der Cloud sehe ich Anbieter wie Microsoft, Amazon und Google jedoch als Partner, weil sie grosse Cloud-Infrastrukturen anbieten. Kunden müssen dann allerdings akzeptieren, dass sie - mit allen Vor- und Nachteilen - die Cloud eines US-amerikanischen Anbieters nutzen. Wir forcieren deshalb eine eigene Rechenzentrums-Infrastruktur, die mit den EU-Datenschutzrichtlinien und Compliance-Anforderungen kompatibel ist.