Huawei-Chef Felix Kamer
18.02.2013, 17:03 Uhr
«Komme an zweiter Stelle»
Seit gut drei Monaten ist Felix Kamer Länderchef von Huawei Schweiz. Zuvor war er Verkaufschef und hat den Ausbau der Schweizer Niederlassung von 5 auf 450 Mitarbeiter mitverantwortet. Mit Computerworld sprach er über Sonnen- und Schattenseiten des schnellen Erfolgs, chinesische Philosophie und Lohndumping.
Computerworld.ch: Sie sind seit gut 100 Tagen Länderchef von Huawei Schweiz. Inwiefern hat sich ihr Aufgabengebiet vom vorherigen Posten als Verkaufschef konkret geändert? Es ist doch im Prinzip dasselbe...
Felix Kamer: Die grösste Herausforderung ist, dass ich keinen Verkaufschef mehr habe. Der bin ich selbst, das ist halt manchmal die Realität. Eine Landesgesellschaft zu führen gibt mehr Verantwortung und neue Aufgaben, aber da geht es mehr um die Quantität. Ich war vorher als Stellvertreter schon mit den ähnlichen Aufgaben konfrontiert.
Also stimmt der Eindruck, dass man als Länderchef eines globalen Konzerns mehr Verkaufschef ist?
Nein, das kann man nicht sagen. Der Verkauf ist zwar wichtig, aber ich habe deutlich mehr Aufgaben im Delivery, um unsere Projekte erfüllen zu können.
Was konnten Sie seit Amtsübernahme verändern, bewirken, beeinflussen?
Es war eine sehr intensive Zeit. Eine neue Rolle bringt per se neue Herausforderungen. Dazu sind wir mit Swisscom in grossen Verhandlungen gewesen, die wir nun kommunizieren konnten. Bei solchen Deals ist man auch persönlich sehr involviert. Und weil wir im Bereich Mitarbeiter so schnell wachsen, sind wir auch bei der Rekrutierung und Organisation gefordert. Also war mein Beginn intensiv, aber auch sehr spannend.
Das Swisscom-Projekt läuft aber länger als 100 Tage, konnten sie da überhaupt noch extra etwas bewegen?
Nun, die letzten 100 Tage waren schon sehr intensiv. Aber klar, wie alle Projekte in diesem Grössenbereich läuft auch dieses neun bis zwölf Monate. Im letzten Herbst gab es dann die Vorentscheidung für uns, aber bevor der Vertrag nicht unterzeichnet ist, ist er ja das Papier nicht wert, auf dem er geschrieben steht. Da gab es noch viele Fragen, welche wir geklärt haben. Aber auch intern gab es einiges zu tun: nach der Übernahme führten wir Verbesserungsprogramme durch, um besser und effizienter zu werden. Die Phase ist sehr entscheidend, denn effizient muss man zu Beginn werden, nicht am Schluss!Sie waren vorher bei Swisscom.
Hat ihnen das im Kampf um den Deal den entscheidenden Vorteil gebracht?
Also es ist schon bald fünf Jahre her, dass ich dort war. Primär hilft es, dass ich die Swisscom-Strategie gut verstehe. Klar kennt man auch Leute, aber für Swisscom ist es vor allem gut, weil sie jemanden haben auf der Gegenseite, der ihre Sprache spricht. Also ja, es hat sicher Vorteile, dass man in dieser Industrie aufgewachsen ist und dass man bei genau diesem Arbeitgeber war, ist sicher kein Nachteil.
Wer war in diese Gespräche involviert?
Das Projekt ist sowohl für den Kunden wie auch für Huawei sehr wichtig. Für Swisscom ist es entscheidend, den Kunden schweizweit sehr hohe Bandbreiten anbieten zu können. Für die Industrie ist es das erste Projekt, dass die nächsten beiden Access Tecnologien (Vectoring und G.Fast) umfasst. Deshalb hatten wir eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen dem Kunden und unserer Entwicklungsabteilung. Und weil das ein sehr grosses Geschäft ist, waren auf beiden Seiten die Top Executives involviert.
Lesen Sie auf der nächsten Seite: kulturelle Unterschiede
Sie kennen wie bereits geschrieben auch Swisscom als Arbeitgeber. Was sind die Unterschiede?
Huawei ist ein grosses globales Unternehmen mit 150 000 Mitarbeitern. Swisscom ist in zwei Ländern vertreten und hat über 20 000 Angestellte. Klar gibt es auch neben der Grösse Unterschiede, aber das liegt auch daran, dass die zwei Unternehmen verschiedene Rollen als Netzwerkanbieter beziehungsweise Operator haben.
Und kulturelle Differenzen gibt es keine?
Doch, klar. Die Stärke von schweizerischen Unternehmen ist sicher die gute Planung. Huawei‘s Stärke beschreibe ich mal so: Kämpfen, wenn es ein Problem gibt, dann lösen wir es schnell. Das Feedback eines Kunden war typisch: Alle Firmen liefern grüne Bananen, aber ihr macht sie am schnellsten gelb! Das ist auch die Stärke der Organisation: Wenn der Kunde ein Problem hat, setzen wir alles daran, dieses so schnell wie möglich zu lösen, der Rest interessiert nicht.
Dazu passt auch eine frühere Aussage von ihnen: «Ich habe noch nie in einem Unternehmen gearbeitet, dass so kundenorientiert arbeitet wie Huawei».
Das ist richtig, Huawei ist extrem kundenorientiert. Wir wissen: derjenige der unseren Lohn zahlt, ist der Kunde.
Das ist nicht besonders originell
Ja, das sagen alle Firmen, das steht in jedem Strategiepapier und in jeder Vision. Aber gelebt wird es unterschiedlich, das habe ich selber erfahren. Man merkt schnell, ob sich die Mitarbeiter in Richtung Kunde oder in Richtung Chef orientieren.
Also kommt der Kunde an erster Stelle bei Huawei?
Genau. Der Chef ist natürlich nicht unwichtig, er kommt an zweiter Stelle. Und wenn das so ist, bin ich glücklich.
Ist das also die chinesische Philosophie?
Innerhalb Chinas gibt es natürlich riesige Unterschiede, ich würde daher nicht sagen, dass chinesische Unternehmen per se kundenfreundlicher sind. Das ist einfach die Huawei-Unternehmenskultur.
Nebst dieser Kultur ist ein weiterer Vorteil die schier unendliche Menge an Arbeitskräften und Experten, die Sie aus China einfliegen können. Wie häufig nutzen Sie diese Ressource?
Vor allem im Bereich Forschung & Entwicklung haben wir grosse Ressourcen und können darauf lokal zugreifen, wenn wir sie brauchen. Das ist ein Wettbewerbsvorteil. Wir sind in einer Wachstumsphase und investieren in unser Engineering. Wenn wir dann aber die Leute brauchen, stehen sie zur Verfügung. Ich konnte noch nie so direkt auf Ingenieure aus dem Hauptsitz zugreifen wie hier.
Es werden also Leute von China in die Schweiz geflogen?
Ja, da gibt es einige. Die Investitionen in die Flugtickets lohnt sich. Es wird von den Kunden auch sehr geschätzt. Denn wenn der Ingenieur, der das Produkt entwickelt hat, direkt vor Ort ist und mit dem Kunden redet, ist das eine ganz andere Situation als wenn das jemand macht, der vielleicht eine Power-Point-Präsentation gesehen hat. Lesen Sie auf der nächsten Seite: die Sache mit dem Vertrauen
Es findet wohl ein regelmässiger Austausch zwischden dem europäischen und dem globalen Headquarter statt. Wie autonom ist die Schweizer Niederlassung tatsächlich?
Wir sind eine typische Landesregion. Wir rapportieren an die Region, das ist bei uns Westeuropa. Für technische oder strategische Fragen sind wir direkt mit dem Hauptsitz im Kontakt.
Also autonomer wie amerikanische Unternehmen, die ja sehr zentralisiert geführt werden?
Dieses Gefühl habe ich zumindest. Wir haben die Verantwortung hier. Aber wir haben natürlich eine Kompetenzenregelung und schauen, dass wir bei den wichtigen Themen gut mit dem Headquarter abgestimmt sind.
Welchen Stellenwert hat die Schweizer Niederlassung innerhalb des riesigen Huawei-Konzerns?
Überproportional, definitiv. Insbesondere, weil wir in der Schweiz sehr spannende Projekte haben. Wir sind zwar nicht das grösste Land, aber die Schweiz ist in vielen Dingen führend, beispielsweise beim Einsatz neuer Technologien oder bei den Qualitätsanforderungen, die sehr hoch sind. Und ich muss unseren Kunden ein Kränzchen winden, mit denen wir eine sehr partnerschaftliche Beziehung haben, intensiver als in den meisten anderen Ländern. Der Austausch findet über die Herausforderung statt, das ist für ein Unternehmen natürlich wichtig.
Dann kommt ihr Unternehmen in der Schweiz wohl besser weg als in den USA, wo es die Vorwrfe gab, Huawei spioniere den Netzwerkverkehr aus. Wie gingen Sie damit um? Hatte das Auswirkungen aufs Schweizer Geschäft?
Diese Frage höre ich vor allem, wenn ich Interviews gebe, also von Medienleuten. Die Kunden machen sich ihre eigenen Vorstellungen und das Thema ist in der Regel sehr schnell erledigt.
Also kommt das Thema im Gespräch mit Kunden nie auf den Tisch?
Da muss ich breiter ausholen: die technischen Anforderungen im Bereich Datensicherheit sind grosse Herausforderungen in unserer Industrie. Wir sind in der Datenkommunikation so schnell gewachsen, dass hier noch nicht alle Fragen geklärt sind. Die technischen Diskussionen mit Kunden darüber sind sehr gut und bringen uns weiter. Aber die Frage des Vertrauens, die in der Öffentlichkeit gestellt wird, die haben wir mit den Kunden nicht.
Datensicherheit findet nicht auf dem Vertrauenslevel, sondern als technische Lösung statt, was wiederum eine Opportunität für uns ist. Vertrauen ist ein Thema in unserer Industrie, aber wir haben nicht Anschludigungen wie in Nordamerika. In Europa ist das Thema ohnehin mehrheitlich erledigt, verschiedene Regierungen haben uns klar das Vertrauen ausgesprochen.
Dafür hat die EU Untersuchungen wegen Staatssubventionen eingeleitet.
Ja, und die EU hat die Untersuchungen wieder geschlossen. Aber wir müssen uns nichts vormachen: diese Vorwürfe werden wieder kommen. Was man aber spürt ist der Kampf zwischen der Wirtschaftsmacht Nummer 1 (USA) und der Nummer 2 (China). Dieser findet teilweise halt nicht nur auf der ökonomischen Seite statt.
Lesen Sie auf der nächsten Seite: Das Erfolgsrezept
Auf den Punkt gebracht: Was ist das Erfolgsgeheimnis hinter dem riesigen Wachstum von Huawei?
Wir bieten heute die ganze Breite von ICT-Lösungen für Telco-Operatoren und Geschäftskunden an und haben diese teilweise vertikal integriert. Das bedeutet, dass wir sehr viel in Basistechnologien investieren. So haben wir eine eigene Chipset-Fabrik, können also eigene Chips designen. Da haben wir Vorteile, die wir ausspielen können. Zweiter Vorteil ist ein sehr gutes Engineering mit guter Kostenstruktur und globaler Operation. Wir schaffen dadurch sehr schnell den Kontakt zwischen unseren Kunden, dem Front-Office und dem Hauptsitz.
Ihre Konkurrenz behauptet aber, dass Sie vor allem finanziell überzeugen und günstiger Anbieten können. Wie viel billiger sind Sie als Ericsson?
Wenn ich ein Projekt verliere sage ich auch, dass die Konkurrenz Dumping-Preise gemacht hat. Aber es ist ja nicht so, dass wir jedes Projekt gewinnen. Und bei Grossprojekten hat der Preis ohnehin nur dritte Priorität. Zuerst geht es um die technische Lösung und die Innovationskraft. Danach folgt der Status der Firma und dann erst der Preis. Der Kunde sagt uns seine Preisvorstellungen und wir versuchen, nahe heranzukommen. Klar ist aus den gerade genannten Gründen: der Wettbewerb findet heute nicht über den Preis statt. Denn es würde sich kein Kunde für ein Produkt entscheiden, das nicht sehr gut ist, dafür weniger kostet.
Sind die gerade angesprochenen Punkte auch die Gründe für die zwei kürzlich gewonnen Grossaufträge bei Swisscom (FTTS) und Sunrise (Netzwerkerneuerung und Managed Service)?
Wir konnten bei beiden Kunden genau mit diesen Argumenten punkten. Beide sind langfristig orientiert und da hilft es, dass wir eine sehr guten Forschung & Entwicklung haben. Unsere finanzielle Stärke und das Wachstum sind ebenfalls Erfolgsfaktoren.
Allerdings gingen Aufträge bei Orange (Outsourcing) und Swisscom (LTE-Netz) an Ericsson verloren. Warum? Waren Sie bei beiden im Rennen?
Bei Swisscom ist das richtig. Sie hat sich entschieden mit dem bestehenden Lieferanten (Ericsson, Anmerkung der Redaktion) weiterzumachen. Das können wir nachvollziehen, denn die Änderung eines Lieferanten ist mit erheblichen Aufwand verbunden.
Und bei Orange?
Das möchte ich momentan nicht kommentieren.
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Im Unterschied zu Ericsson und anderen Netzausrüstern sind sie zusätzlich im Consumer- und Enterprise-Geschäft tätig. Wie bringen Sie alles unter einen Hut?
Der Aufbau des Bereichs Geschäftskunden ist eine natürliche Entwicklung. Wir nehmen unsere Carrier-Produkte und machen diese kleiner, bei gleichbleibender Qualität und Plattform. Ob ein IP-Netzwerk für einen Operator oder einen Business-Kunde gebaut wird, ist nur eine Frage der Skalierung. Bei Geschäftskunden funktioniert der Vertrieb anders, insbesondere der indirkete Vertrieb über Partner. Wir befinden uns hier in einer Lernkurve und werden jeden Tag besser. Bei den Consumer-Geräten haben wir bei den Samrtphones mit unserem eigenen Brand begonnen, nachdem wir früher nur mit ODM mgefahren sind. Wir sind heute Marktführer in der Breitbandkommunikation (USB-Sticks). Bei den Smartphones sind wir auch schon auf Rang 3 global.
Wie war das möglich und ist es das Ziel, bald die Nummer 1 zu werden?
Wir wachsen in diesem Segment wirklich sehr schnell und verbreiten deswegen unser Portfolio laufend. Zu Beginn setzten wir nur auf Android, seit kurzem auch auf Windows Phone. Wir sehen aber auch, dass jedes Land anders funktioniert. Und wir sind noch nicht in der Lage, eine globale Markenstrategie zu fahren. Deswegen gehen wir jedes Land für sich an, sobald wir eine Möglichkeit sehen.
Welches sind dabei stärksten Märkte?
Asien und die gesamten Entwicklungsländer. Diese sind sehr interessant, weil grosses Wachstumspotential vorhanden ist. Die Kaufkraft in diesen Ländern ist zwar eher gering, wird aber durch ein riesiges Volumen wettgemacht. In diesen Ländern ist der primäre Internetzugang das Smartphone, in unseren Breitengraden eher der Computer.
In der Schweiz sind sie im Smartphone-Bereich aber nicht sehr erfolgreich.
Noch nicht und dafür gibt es zwei Gründe: einerseits ist die Schweiz sehr reich und das Kostenbewusstsein der Kunden damit nicht sehr hoch. Andererseits subventionieren die Operatoren die Post-Paid-Handys nach wie vor stark. Dadurch ist es für uns schwer, einen Markteintritt zu finden, denn normalerweise finden der Eintritt über den Preis statt. Deswegen warten wir mit grosser Markting-Kommunikation, bis wir ein Gerät haben, bei dem die Schweiz «wow» sagt.
Kommt denn bald so ein Hero-Gerät?
Fragen Sie mich in ein paar Monaten nochmal, dann kann ich etwas kommunizieren.
Lesen Sie auf der nächsten Seite: Carrier-Geschäft bleibt Nummer 1
Welchen Stellenwert haben die drei Geschäftsfelder im Schweizer Markt?
Wie viel trägt jedes einzelne zum Gesamtumsatz bei? Wir kommunizieren die globalen Zahlen. Das Carriergeschäft trägt 73 Prozent zum Umsatz bei, der Consumerbereich 22 Prozent und das Enterprisegeschäft fünf Prozent. In der Schweiz ist der Carrier-Anteil höher, der Consumerbereich tiefer.
Wie sehen Sie die Entwicklung dieser Geschäftsfelder in der Schweiz?
Das Carrier-Business bleibt unser grösstes Geschäft. Da sind wir extrem schnell gewachsen und brauchen heute eine Konsolidierungsphase. Wir müssen unsere Versprechen den Kunden gegenüber einlösen. Der Bereich Geschäftskunden ist am Anfang, der wächst aber am schnellsten. Hier investieren wir viel in Kunden und Mitarbeiter, Umsatzmässig ist das Geschäft aber natürlich noch deutlich kleiner wie das Carrier-Business. Und der Smartphone-Bereich hat ein gutes Potential. Aber ich warte im Bereich Brand-Building noch auf ein «Hero-Gerät», um in den Schweizer Markt zu kommen.
Huawei läuft es also hervorragend. Wo sehen sie Probleme?
Auch starkes Wachstum bringt Herausforderungen, aber diese sind mir lieber. Wir rekrutieren stark und brauchen in Bern schon wieder ein neues Büro, weil wir so schnell wachsen. Das ist für Huawei aber fast schon Alltag, alle zwei Jahre steht man vor dem gleichen schönen Problem.
Was ist schwieriger zu finden: Immobilien oder Fachkräfte?
Definitiv die Fachkräfte.
Wo werden diese rekrutiert?
In ganz Europa, der Arbeitsmarkt in der Schweizer ist trocken, wir bilden nach wie vor zu wenig ICT-Spezialisten aus.
Wie viele Lehrlinge bildet Huawei aus?
Noch keine. Uns gibt es erst seit vier Jahren in der Schweiz. Nun haben wir ein stabiles Business, da will ich in Lehrlinge investieren. Zuerst musste aber eine Zukunftsgewissheit bestehen. Die haben wir jetzt.
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