20.10.2005, 18:51 Uhr

Was die IT von der Industrie lernen kann

Die Industrialisierung des Informationsmanagements soll die IT hinsichtlich Effektivität und Effizienz optimieren. Um den notwendigen Umbruch zu unterstützen, bietet das Lean-Production-Konzept aus der industriellen Fertigung Lösungsansätze an.
IT-Bereiche in Unternehmen befinden sich derzeit in einem starken Wandlungsprozess. Getrieben durch wachsende interne Betriebs- und externe Marktziele sind sie aufgefordert, den kontinuierlich ansteigenden Anforderungen gerecht zu werden. Diese Entwicklung verlangt von den IT-Bereichen einen Spagat. So erwarten Kunden sowohl eine schnelle Lieferung als auch eine hohe Qualität der angebotenen IT-Dienstleistungen. Innerbetrieblich indessen besteht die Zielstellung, kosteneffizient und flexibel bei gleichzeitigem Abbau von Ressourcen zu produzieren. Neue Konzepte sind erforderlich damit das Management von IT den gestiegenen Anforderungen gerecht werden kann.

Transfer von Lean Production in die IT

Durch den Transfer von Lean Production in die IT sollen Verbesserungen in den Bereichen Beschaffung, Produktion und Bereitstellung von IT vorangetrieben werden. Das Konzept von James P. Womack zielt insbesondere auf ein effizientes Prozessmanagement, eine starke Kundenorientierung sowie auf schlanke Produktionsstrukturen ab. Die Übertragung eines solchen Szenarios in eine Lean IT spielt sich auf der genannten Basis folgendermassen ab:
o Eliminierung redundanter, nicht-wertschöpfender Prozesse durch Einführung eines industriellen Qualitätsmanagements (Six Sigma, Service-orientiertes Qualitätsmanagement).
o Stärkere Kundenorientierung in der IT-Entwicklung und -Produktion durch bessere Integration in die Prozesse des Dienstleisters (Lead-User-Konzept, Produktkataloge).
o Aufbau von spezialisierten Leistungszent-ren, die sich auf die Fertigung oder den Betrieb von Zwischenprodukten etwa SAP R/3 oder den Betrieb von Maschinen (Bereitstellung von Speicher-, Netzwerk- oder Rechenleistung) spezialisieren.
Die genannten Zielstellungen verfolgt Lean Production beziehungsweise Lean IT durch die Konzepte Just-in-Time (JIT), Total Quality Management (TQM) und Value Engineering (VE). Hohe Einspar- und Optimierungspotenziale liegen insbesondere im Kapazitätsmanagement durch verbesserte Planungssicherheit mit Hilfe von JIT, in der Anwendungsentwicklung durch Einführung von VE mittels stärkerer Fokussierung auf den Betrieb von IT und dem IT-Qualitätsmanagement durch Transfer von TQM-Methoden wie Six Sigma zur Reduktion von Verschwendung sowie Erhöhung der Kundenzufriedenheit.
Durch einen solchen integrierten Ansatz, werden die Organisation, die Prozesse sowie die Mitarbeiter einem tief greifenden Wandel unterzogen:
1. Organisatorischer Umbruch durch den Wandel von der Projekt- zur Produkt-orientierung
2. Verstärkte Prozessorientierung durch Anwendung der Konzepte JIT, VE und TQM
3. Wandel vom technikfokussierten IT- zum kundenorientierten Servicemitarbeite

Hin zur Produktorientierung

Ein wesentliches Element von Lean IT ist die Verschlankung von ineffizienten Strukturen. Dafür ist ein grundlegender Umbruch in der IT erforderlich. Die traditionelle Arbeitsweise eines IT-Bereichs sieht die Entwicklung von Applikationen in Projekten vor. Die Kosten dafür werden meist nur innerhalb der Entwicklungsphase einer Applikation zugerechnet. Dabei wird vernachlässigt, dass durchschnittlich 80% der Kosten im Betrieb einer Applikation anfallen. Um den Betrieb der IT in den Griff zu bekommen, ist es notwendig den Fokus von IT-Projekten hin zu IT-Produkten zu verschieben. Im Gegensatz zur Projektbetrachtung ermöglicht die Produktbetrachtung eine erhöhte Transparenz insbesondere für das IT-Kostenmanagement. Das IT-Produkt wird dabei als kundenindividuelles Bündel von IT-Leistungen erfasst. Es unterstützt die Geschäftsprozesse der Fachabteilung innerhalb der einzelnen Aktivitäten. Beispielweise werden im Falle einer Anwendung zur Kreditvergabe die Kosten nicht nur dem Entwicklungsprojekt zugeschlagen, sondern der Fokus wird durch die Produktsicht auf den Betrieb verschoben. Verschiedene Leistungszentren, die IT-Leistungen liefern, werden dafür von einem Produktmanager koordiniert. Das IT-Produkt «Kreditvergabe» setzt sich dabei beispielsweise aus den IT-Leistungen «Kundendaten anlegen», «Bonität prüfen», «Kredit freigeben» und «Geld überweisen» zusammen. Durch Identifikation der IT-Leistungen, welche die grössten Kostenblöcke verursachen, können gezielter Einsparungsmassnahmen durchgeführt werden. Für diesen Wandel von der Projekt- zur Produktorientierung sind neue Prozesse in der IT erforderlich.
Verstärkte Prozessorientierung
Lean IT erfordert, dass Produkte entsprechend den Kundenanforderungen geliefert werden. Dafür muss in der Ziel- und Definitionsphase ein stärkerer Dialog zwischen Fachabteilung und IT stattfinden. Denn an diesen Stellen wirken sich nachträgliche Modifikationen besonders kostspielig aus. JIT, VE und TQM spielen eine bedeutende Rolle für den Abbau dieser Prozessineffizienzen und können an die Bedürfnisse der IT angepasst werden:
o JIT: Durch die Standardisierung von IT-Produkten und die Dokumentation in IT-Produktkatalogen wird ein reibungsloser Bestell- und Liefervorgang ermöglicht. Der IT-Dienstleister kann aufgrund einer geplanten Absatzmenge seine Kapazitäten optimal ausrichten, Ressourcen zeitnah einkaufen und somit Kosten einsparen.
o VE: Neue Anforderungen an IT-Produkte werden durch die Integration der Fachabteilung in den Entwicklungsprozess realisiert. Ziel ist es, alles Überflüssige zu vermeiden und den Kundennutzen zu steigern. Der Fokus liegt insbesondere darin, die Produktkosten im Betrieb zu senken. IT-Produkte werden unter Beachtung des ökonomisch Machbaren streng nach Vorgaben der Fachabteilung hergestellt.
o TQM: Prozesse zur Herstellung sowie Rollen und Verantwortlichkeiten der Leistungszentren und IT-Produktmanager sind in einem Handbuch zu dokumentieren. Eine erhöhte Kundenzufriedenheit bei verbessertem Ressourceneinsatz soll durch einen kontinuierlichen Reifegrad- und Leistungsmessung der Prozesse zur Beschaffung, Produktion und Bereitstellung von IT angesteuert werden. Regelmässig stattfindende Audits fördern eine Kultur, die nach kontinuierlicher Verbesserung strebt.
Soll ein solcher Wandel erfolgreich vollzogen werden, so muss er zunächst in den Köpfen der Menschen stattfinden. Neben der Implementierung einer «Lean IT» muss daher auch die dahinter liegende Philosophie vom Management an die Mitarbeiter in den Produktionslinien weitergegeben werden. Nur dann besteht die Chance, dass ein technikfokussierter IT-Mitarbeiter sich zum kundenorientierten Dienstleister weiterentwickelt.
Der Wandel beginnt im Kopf
Die Einführung von Lean IT birgt die Gefahr eines jeden Veränderungsprozesses. Auf Seiten der Mitarbeiter kann eine grosse Unsicherheit über die Zukunft ausgelöst werden. Das Management verpasst es meist, die Ängste wie Arbeitsplatz- oder Kompetenzverlust seiner Mitarbeiter durch eine geeignete Informationspolitik weitestgehend abzubauen.
Bei der Einführung von Lean IT sollte man das Risiko der Ablehnung durch die Mitarbeiter so gering wie möglich halten. Verschiedene Akzeptanzfaktoren begünstigen den Wandel bei Veränderungsprozessen. Die Akzeptanz wird gefördert, wenn die Betroffenen die Veränderung kennen und damit umgehen können. Es ist die Aufgabe des Managements durch entsprechende Anreize und Vorgaben an die Mitarbeiter, Rahmenbedingungen zu schaffen, welche die Motivation der Mitarbeiter fördert. Voraussetzung dafür ist die Vorgabe einer klaren Marschrichtung. Diese muss vom Management in der Unternehmensstrategie verankert sein und offen an die Mitarbeiter kommuniziert werden.

Ein Business Enabler

Die Messlatte für die Bereiche liegt hoch. Sie müssen sich von einem traditionell aufgestellten IT-Bereich zum IT-Dienstleister weiterentwickeln. Dies ist jedoch nur das erste Ziel der Reise. Durch eine individuell angepasste IT-Unterstützung wird es verstärkt die Aufgabe des IT-Dienstleisters sein, die Geschäftsprozesse des Kunden zu optimieren. In der finalen Entwicklungsstufe nimmt er die Rolle des «Business Enablers» ein, der das Kundengeschäft durch Prozessinnovation aktiv vorantreibt, beispielsweise durch Einsatz der RFID-Technologie in Logistikprozessen.
Um diese Rolle in Zukunft bestmöglich ausfüllen zu können, bietet Lean IT ein Gerüst, in dem Methoden aus der industriellen Fertigung auf die IT übertragen werden können. Die Elemente JIT, VE und TQM bilden dafür einen Rahmen.
Für einen erfolgreichen Transformationsprozess muss der bisherige Fokus der IT vom operativen Bereich, um eine strategische Komponente erweitert werden. Die IT-Strategie fokussiert sich dabei in Zukunft nicht nur auf die Entwicklung, sondern richtet auch einen verstärkten Blick auf den Betrieb von IT. Damit verbunden ist ein tiefgreifender Wandel, der nicht von heute auf morgen umgesetzt werden kann. Entscheidend dafür sind die Mitarbeiter des Unternehmens. Nur wenn es dem Management gelingt Anreize zu schaffen, welche sie vom Nutzen der Ver-änderung überzeugen, kann ein Umbruch in Richtung Lean IT erfolgreich vollzogen werden
Carlos Bravo-Sanchez, Falk Uebernickel, Rüdiger Zarnekow, Ignazio Cassis



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