09.06.2008, 11:55 Uhr

Blendende Ideen und kommerzielle Flops

Die Schweizer Informatikgeschichte ist reich an Erfindungen, die aber nicht kommerziell verwertet wurden. Warum ist das so? Ein Podiumsgespräch hat nach Anworten gesucht.
Gregor Henger, Niklaus Wirth, Stephan Klapproth und Wolfgang Fichtner (von links nach rechts) diskutieren über verpasste Chancen in der Informatikgeschichte der Schweiz.
Nicht nur die Informatik-, sondern auch die Wissenschaftsgeschichte der Schweiz ist gespickt mit verpassten Chancen. Das wurde auch an der Podiumsdiskussion deutlich, die anlässlich der Buchvernissage des Bandes «Informatik in der Schweiz - Eine Erfolgsgeschichte verpasster Chancen» von Gregor Henger, in Zürich stattgefunden hat. Unter der Moderationsleitung von Fernsehmann Stephan Klapproth äusserten sich neben dem Autor, die beiden ETH-Professoren Niklaus Wirth und Wolfgang Fichtner sowie Thomas Meyer, Schweizchef von Accenture, die als Sponsor die Publikation ermöglichte.
Dabei berichtete Henger etwa über den Toggenburger Mathematiker Jost Bürgi, der anno 1588 im stillen Kämmerlein die erste Logarithmentafel berechnete, seine Erfindung aber nicht veröffentlichte, so dass heute der Schotte John Napier als Erfinder gilt. Auch der EDV-Riese Bull wäre heute ein Schweizer Elektronikkonzern, hätten in den 1930er Jahren die Westschweizer Uhrenmacher nicht gebockt und und sich dem Lochkartenmarkt verweigert. Aber auch die jüngere Geschichte hat Beispiele parat, bei denen Schweizer Erfindungen in der Informatik gemacht haben, aber anderen die Kommerzialisierung gelang. Ein solches Schicksal ereilte etwa den von Wirth entwickelten Compiler Pascal. Dieser war sehr populär und in den 1970er Jahren sehr verbreitet. «Vor allem in Russland und China war Pascal erfolgreich, weil es nicht amerikanisch war», erklärt Wirth. Diese Popularität wurde dann aber von dem Amerikaner Philippe Kahn nach dessen ETH-Studium zu Geld gemacht. Kahn gründete die Firma Borland und vertrieb unter der Bezeichnung Turbo-Pascal die helvetische Erfindung.
Wirth reut diese verpasste Vermarktungschance heute noch nicht. Erfolg lasse sich nicht nur kommerziell messen. In seiner Welt sei die Vermittlung von Wissen wichtig. «Und akademisch gesehen war Pascal sehr erfolgreich», argumentiert er. Warum ist die Schweiz also kein Silicon Valley geworden? Neben dem anscheinend geringeren Drang, aus guten Ideen einen Reibach zu machen, sind auch weitere Mentalitätsunterschiede hierfür verantwortlich. «Wir haben nicht denselben Pioniergeist wie die Kalifornier», meint Fichtner. Dort bedeute auch ein kommerzieller Flop nicht das Ende einer Karriere, ist er überzeugt.
Aber auch das wurde während der Diskussion klar: Die Schweiz hat sich gebessert. «Heute ist die ETH ein Erfolgsmotor. Alleine an unserem Institut wurden sechs bis sieben Firmen erfolgreich gegründet», argumentiert Fichtner. Der kommerzielle Aspekt ist somit auch hierzulande in der akademischen Welt angekommen.
Allerdings plagen ernsthafte Nachwuchssorgen die Schweiz, und zwar sowohl in der Industrie als auch in der Lehre. Kaum noch jemand entscheidet sich für das Informatik-Studium. «Öffnet das Land auch für Indien und China», fordert daher Fichtner. Wirth stimmt dem zu, meint aber auch, man müsse dafür sorgen, dass eigene Leute gut ausgebildet würden. Das Problem dabei sei die Grundhaltung der jungen Leute und ihrer Lehrer. «In unserem Land grassiert ganz allgemein eine Feindlichkeit gegenüber der Technik», sagt er. «Alles ist suspekt, was kompliziert ist und wo man exakt sein muss», moniert Wirth. Diese Grundhaltung gegenüber den exakten Wissenschaften gelte es zu ändern, ist Wirth überzeugt.



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