26.10.2017, 11:00 Uhr

«Die 190'000 Stellenanzeigen schöpfen wir kaum aus»

Die Rekrutierung von Talenten ist weiterhin eine grosse Herausforderung. Die Tage des klassischen Inserats sind aber gezählt, weiss JobCloud-CEO Renato Profico.
Renato Profico ist seit Januar 2015 CEO von JobCloud
Sowohl Unternehmen als auch Bewerber kommen an den Schweizer Markführern Jobs.ch und Jobup.ch bei der Rekrutierung kaum vorbei. Diese komfortable Situation weiss der Betreiber JobCloud zu schätzen. Im Interview berichtet CEO Renato Profico aber auch, dass sich das Unternehmen nicht auf den Lorbeeren ausruht. Zukünftig soll Technologie den Inserenten und auch den Kandidaten bei der Suche helfen. Computerworld: Haben Sie Ihre aktuelle Stelle über jobs.ch gefunden? Renato Profico: Nein! [lacht] Leider nicht. Mit einer Ausnahme habe ich alle Jobs über Empfehlungen durch meinen Bekannten- oder Kollegenkreis gefunden. Die Ausnahme war Mitte der 1990er Jahre, als ich von der Berlitz Sprachschule zu American Express wechselte. Damals habe ich die Ausschreibung in der Zeitung gelesen und mich regulär mit Papierdokumenten beworben. Das hat geklappt. Seitdem ging es immer ohne explizite Ausschreibung respektive Bewerbung.
Erfahrungsgemäss geschehen circa 30 Prozent der Stellenbesetzungen über Weiterempfehlungen. Mittlerweile gibt es einige Software-Tools, die Mitarbeiterempfehlungen unterstützen. Deswegen hat sich JobCloud am Spezialisten firstbird beteiligt, der seinen Sitz in Österreich hat. Wie lässt sich die persönliche Empfehlung digital abbilden? Die Firma firstbird hat dafür ein Cloud-basiertes Tool entwickelt. Damit kann ein Mitarbeiter offene Stellen des Arbeitgebers auf spielerische Art und Weise im Bekanntenkreis teilen. Er sammelt Punkte, wenn eine Person auf seine Empfehlung hin eingeladen wird, ein Vertragsangebot verschickt oder die Stelle tatsächlich besetzt wird. Die Aktivitäten werden im firstbird-System protokolliert. So kann die Personalabteilung später nachvollziehen, welchen Anteil Mitarbeiterempfehlungen in der Rekrutierung ausmachen. Wird eine vom Mitarbeiter empfohlene Person eingestellt, wird dem Mitarbeiter nach der Probezeit eine «Empfehlungsprämie» ausbezahlt. In Schweizer Firmen sind das typischerweise zwischen 1500 und 2500 Franken. Bei schwierig zu besetzenden Stellen kann die Prämie durchaus auch bei 10'000 Franken liegen.
Welche Zukunft geben Sie der gedruckten Jobannonce? Das ist eine sehr gute Frage. [lacht] Ich bin nun 18 Jahre im Rekrutierungsmarkt. Kurz vor der Jahrtausendwende waren Print-Stelleninserate der einzige Weg, Mitarbeiter zu rekrutieren. Dieses Geschäft hatte ein Volumen von ungefähr 600 Millionen Franken. Erst langsam kam das Internet auf. Monster war mit dem Markteintritt 1995 ein Pionier in den USA. In Europa folgten danach Jobportale wie beispielsweise Jobpilot.de in Deutschland und eben jobs.ch in der Schweiz. Die Online-Stellenbörsen sorgten um die Jahrtausendwende dafür, dass sich das Medium für die Rekrutierung änderte. Anfangs wurden tatsächlich die Print-Stellenanzeigen – teils als PDF und Word – 1:1 ins Netz gestellt. An dem dahinterliegenden Rekrutierungsprozess änderte sich quasi nichts, abgesehen von den massiv tieferen Kosten für die Online-Stellenausschreibungen. Die vergleichsweise geringe Prozess-Veränderung hat ihren Teil dazu beigetragen, dass Print-Ausschreibungen heute so gut wie keine Rolle mehr spielen. Nach 18 Jahren würde ich mich jetzt erstmals darauf festlegen, dass die Tage der Print-Inserate gezählt sind. Ein guter Indikator ist das Volumen, das von 600 Millionen auf mittlerweile zwischen 30 und 40 Millionen Franken gesunken ist.
! KASTEN !
! KASTEN !
Nächste Seite: Wie Rekrutierung nicht funktioniert Hat sich der Rekrutierungsprozess unterdessen also kaum verändert? Nein. Bis zu einem gewissen Grad läuft der Rekrutierungsprozess immer noch so ab wie vor 18 Jahren. Es treffen Bewerbungen in der einen oder anderen Art ein. Das Handling ist aufgrund der digitalen Bewerbungsdokumente einfacher geworden, aber der vor- und nachgelagerte Prozess ist noch immer der gleiche. Auch früher gab es Profile, die schwer zu finden waren, zum Beispiel in der Informatik. Hier ist Active Sourcing erforderlich. Dafür sind heute die Möglichkeiten vielfältiger durch die Vernetzung und die sozialen Medien. Aber auch hier gilt: Der Rekrutierungsprozess ist nahezu identisch. Gibt es auch bei JobCloud noch immer den gleichen Rekrutierungsprozess wie vor 18 Jahren? Nein. Ich halte mein HR-Team an, alle neuen Tools auszuprobieren. Unsere Stellen werden auf allen möglichen Plattformen ausgeschrieben – auch bei den Mitbewerbern. Es geht auch darum, zu verstehen, welche Tools funktionieren und welche nicht.  Danke für die Vorlage. Wo funktioniert die Rekrutierung besonders gut, was funktioniert gar nicht? Danke Ihnen für die Vorlage. [lacht] Die Ausschreibung auf jobs.ch und jobup.ch funktionieren hervorragend! Ein Inserat auf diesen Portalen ist aus meiner Sicht immer noch die effizienteste, preisgünstigste und schnellste Möglichkeit, geeignete Mitarbeiter zu rekrutieren. Für die Bewerber ist es bequem, eine zentrale Anlaufstelle zu haben, auf der sie passende Jobs finden und sie sich per Mausklick bewerben können. Gar nicht funktioniert haben Videos für die Vorselektion. Wir haben von Kandidaten im Vorfeld der eigentlichen Bewerbung ein kurzes Bewerbungsvideo verlangt. In diesem Film mussten sie drei Fragen beantworten. Die Abbruchrate war allerdings nahe bei 100 Prozent. Offenbar sind Multimedia und Video noch nicht angekommen in der Rekrutierung. Erwarten Sie künftig mehr Interaktivität bei den Job-Anzeigen? Ich bin überzeugt, dass die Stelleninserate interaktiver werden. Allerdings haben wir als Plattformbetreiber wenig Einfluss auf den Inhalt der Ausschreibungen. Wir können den Kunden nur die Rückmeldung geben, dass ein wenig ansprechendes Inserat die Erfolgsaussichten schmälert. Jüngst habe ich genau das Gegenteil erlebt: Mein Barbier sucht alle Jahrzehnte mal einen neuen Mitarbeiter. Er hat ein ganz witziges Inserat getextet, auf das er viele Bewerbungen erhalten hat. Wenn sich die Kunden etwas einfallen lassen, ist die Resonanz grösser. Es muss einfach immer authentisch sein. Ein gutes Beispiel für interaktive Inserate sind die VBZ. Dort kann der Bewerber mittels einer Illustration des Zürcher ÖV-Netzes auf spielerische Art und Weise erfahren, welches die Vorzüge der VBZ als Arbeitgeber sind. In das ÖV-Netz integriert ist ein Unternehmensvideo, in welchem Interessierte mehr erfahren. Diese Interaktivität spricht Kandidaten sicher mehr an.  Nächste Seite: Bewerber als Black Box Müssen Sie in Zeiten von Mobile Recruiting viel Überzeugungsarbeit leisten, dass ein Stelleninserat als PDF nicht mehr optimal ist? Wir mussten auf den Mobile-Trend frühzeitig reagieren. Unsere Webseiten sind heute alle «seamless», sie passen sich der jeweiligen Display-Auflösung an. Bei den Kunden müssen wir tatsächlich viel Überzeugungsarbeit leisten, damit sie auf PDF-Inserate verzichten. PDF-Inserate und Mobile-Nutzung beissen sich einfach. Teilweise ist es für die Kunden aber schlicht unrealistisch, eine Alternative zu liefern. Viele sind Kleinst- und Kleinunternehmen, bei denen der Inhaber die Inserate selber schreibt. Wir unterstützen sie mit intuitiven Formularen auf der Webseite, um von den klassischen Formaten weg zu kommen. Geht JobCloud womöglich noch weiter und lanciert einen Werkzeugkasten mit PDF-Import, Videoclips und Vorlagen für Recruiter? Oder auch für Bewerber? Teilweise haben wir diese Tools schon. Sie stammen unter anderem von der Wiener Firma JoinVision, die zu 100 Prozent zu JobCloud gehört. JoinVision steckt hinter unserer Funktion «CV-Extraktion», die Inhalte aus Lebensläufen extrahiert und kategorisiert um diese mit den Vakanzen abgleichen zu können. Der umgekehrte Mecano funktioniert via «Vakanzen-Extraktion». Zurzeit arbeitet das Team in Wien an einer Spracherkennung für Videos. So kann heute schon das gesprochene Wort in Bewerbervideos via Spracherkennung in Text umgewandelt und mittels eines Algorithmus kategorisiert werden. Wird JobCloud vom reinen Stellenvermittler zum Recruiting Manager? Die Überlegungen gibt es, insbesondere mit dem Blick auf unsere primäre Kundengruppe, die KMU. Aufgrund der knappen Ressourcen in den Betrieben ist die Nachfrage nach HR-Dienstleistungen gross. Ein Ziel von JobCloud ist, den Unternehmen alle Services rund um die Rekrutierung aus einer Hand zu bieten. Heute loggen sich die Kunden zwar schon auf unserer Plattform ein, aber nur um Inserate aufzuschalten und die eingegangenen Bewerbungen abzurufen. Noch endet unser Service hier.  Auf der anderen Seite ist es für uns natürlich interessant zu erfahren, was nach der Stellenausschreibung geschieht. Denn bis anhin können wir nicht messen, ob ein Inserat respektive ein Bewerber erfolgreich war. Wir können einem Unternehmen lediglich eine gut besuchte Plattform bieten, auf der sich Jobsuchende bewegen und sich bewerben. Die Firmen wollen allerdings nicht unbedingt möglichst viele Bewerbungen erhalten, sondern die richtige Person einstellen. Eine Möglichkeit ist, über Schnittstellen zu den ATS-Lösungen (Applicant Tracking Systems) der Unternehmen erfolgte Bewerbungen zu messen. So erfahren wir zumindest, ob sich ein Kandidat über unsere Webseite beworben hat. Allerdings wissen wir noch immer nicht, ob die Bewerbung auch erfolgreich war. Um dem tatsächlichen Rekrutierungserfolg auf die Spur zu kommen, testen wir auch Prämienzahlungen an Bewerber. Eine finale Evaluation steht aber noch aus. Nächste Seite: Big Data in der Rekrutierung Nutzen Sie Big-Data-Anwendungen für die Rekrutierung, beispielsweise beim Matching, bei der Analyse oder der Erfolgsvorhersage? Wir fangen gerade damit an. Seit circa einem Jahr haben wir in allen Abteilungen einen Daten-Experten eingestellt. Die Spezialisten aus der IT, aus dem Marketing, der Produktentwicklung und dem Sales arbeiten in einer Task Force zusammen. Ausserdem arbeiten wir aktuell an einem Data-Pool-Konzept, welches als Grundlage für künftige Fragestellungen dienen soll. Aktuell tracken wir natürlich die Benutzerinteraktionen mit der Webseite: Was machen die Benutzer auf der Plattform? Was suchen sie? Wie lange verweilen sie in einzelnen Bereichen? Diese produktspezifischen Daten könnten Anhaltspunkte dafür sein, ob es sich um einen aktiven Kandidaten oder um einen latent an Jobs interessierten User handelt.  Eine zweite Datenquelle sind die Unmengen an Stelleninseraten über die wir verfügen. Stand jetzt zählen wir rund 190'000 Anzeigen. Diesen Pool an Daten schöpfen wir viel zu wenig aus. Die Vision wäre aber ein Predictive Recuiting: Wenn ein Kunde ein neues Inserat erfasst, könnte ihm das System automatisch Empfehlungen für eine gezielte Ausschreibung geben oder gleich passende Kandidatenprofile vorschlagen. 
Wer sind die grössten Wettbewerber? Was macht die Konkurrenz besser? Die grössten Mitbewerber sind die Karriereseiten der Unternehmen. Blende ich diese Seiten aus, sind wir mit Abstand marktführend in der Schweiz. Wir stehen jedoch im Wettbewerb mit internationalen Anbietern wie Indeed oder Google for Jobs, das jüngst in den USA gestartet ist und wohl 2019 nach Europa kommen wird. Die Stärken dieser Anbieter liegen im Suchmaschinenmarketing und in der Suchmaschinenoptimierung. Andere Marktbegleiter wie Glassdoor und the muse bieten sehr viel Inhalt für die User. Um was wird JobCloud vom Wettbewerb beneidet? Die Konkurrenz beneidet JobCloud um die vielen User, die grosse Reichweite und den Zugang zum lokalen Markt. Einige der KMU besitzen keine eigene Webseite. Wenn sie eine Stelle ausschreiben, geschieht das exklusiv auf jobs.ch. Auf diese Inhalte haben dann weder Indeed noch Google Zugriff. Wie wichtig ist es für die Unternehmen, dass JobCloud eine Schweizer Firma ist? Spielt Ihr Standort eine Rolle für die Rekrutierung? Wir haben den Vorteil, den lokalen Markt zu kennen und können uns an die lokalen Gegebenheiten anpassen. Ein internationaler Mitbewerber wird – wie es in der Vergangenheit oft der Fall gewesen ist – sich nicht für die kleine Schweiz verbiegen. Wir schon! Legen die Bewerber Wert darauf, dass ihre persönlichen Daten wie der Lebenslauf in der Schweiz gespeichert wird? Nein, dieses Anliegen haben wir kaum je gehört. Wahrscheinlich hat man heute weniger Vorbehalte, weil Clouds allgegenwärtig sind. Ich denke nur an Apple, Facebook, Google, Instagram und Snapchat.
Zur Firma: JobCloud
ist im Jahr 2013 aus einer Fusion der Firmen jobs.ch und Jobup entstanden und beschäftigt heute 180 Mitarbeiter in Zürich und Genf. Neben den beiden regionalen Jobportalen besitzt das Unternehmen 100 Prozent an dem Wiener Anbieter JoinVision, einem Spezialisten für mehrsprachige semantische Recruiting-Technologien.



Das könnte Sie auch interessieren