Wie beim Umzug
30.06.2017, 15:20 Uhr
Man sollte aufräumen, bevor man zügelt
Die Agenda von PostFinance-CIO Markus Fuhrer ist proppenvoll: Die Umstrukturierung der IT, Mobile Payment, Harmonisierung des Zahlungsverkehrs, Digitalisierung und noch die Umstellung des Kernbankensystems. Wie macht er das?
Computerworld: Sie arbeiten derzeit an sehr vielen Baustellen gleichzeitig. Wie priorisieren Sie?
Markus Fuhrer: Wenn so viele Aufgaben gleichzeitig zu erledigen sind, muss jeder im Team von Anfang an begreifen, wohin der Weg führt. Ich habe das gemeinsame Ziel immer wieder erklärt, was den Teamspirit für das Erreichen grosser Ziele gestärkt hat.
CW: Was ist denn das grosse Ziel?
Markus Fuhrer: (hebt ein Schaubild hoch) Sehen Sie, wir kommen aus einer sehr heterogenen, über die Jahre gewachsenen IT-Landschaft mit einem schwerfälligen Konzept von zwei Releases pro Jahr. Der Markt spielt aber heute an einem ganz anderen Ort. Damit wir Geschwindigkeit aufnehmen können, müssen wir zuallererst die IT-Architektur aufräumen und unser Kernbankensystem erneuern. Das ist gegenwärtig unser grösstes und wichtigstes Projekt – es heisst bei uns Core Banking Transformation, CBT. Erst dann sind wir bereit für die Digitalisierung und für das Digital Powerhouse, zu dem wir Post- Finance entwickeln wollen. Dieses Bild habe ich schon 2013 gezeichnet, aber es gilt nach wie vor. Ich kann unseren Mitarbeitern darauf unseren Weg erklären, damit sie ihn verstehen und mitgehen. Neue Technologien und Methoden in Ehren, sie sind vorhanden und etabliert – viel wichtiger ist, dass die Leute sich als Teil der Lösung unserer Herausforderungen verstehen.
CW: Zeigen Sie doch, wo Sie aktuell stehen, vor oder nach dem Punkt Harmonisierung des Zahlungsverkehrs …
Fuhrer: Seit Anfang 2016 ist alles für den neuen Zahlungsstandard ISO 20022 bereit. Wir begleiten unsere Kunden bei der Umstellung auf die neuen Formate – teilweise seit mehr als einem Jahr. Aktuell beschäftigt uns die letzte Etappe der Überführung des Kernbankensystems. An Ostern 2018 führen wir es ein. Wir stehen also zwischen der Harmonisierung und dem Go Live des neuen Kernbankensystems.
CW: Nochmal zurück zur Eingangsfrage: Sie haben jede Menge Baustellen, wie priorisieren Sie?
Fuhrer: Klare Priorität hat die Erneuerung des Kernbankensystems. Wir haben einige Lehren aus Grossprojekten anderer Firmen gezogen. Häufig werden solche Projekte aufgegleist und dann beim Marketing- oder IT-Chef platziert. Bei uns ist der CEO Hansruedi Köng Vorsitzender des Steuerungsausschusses. Er schaut sich jeden Monat mit der gesamten Geschäftsleitung die aktuellen Themen an und stellt, wenn nötig, auch mal etwas hintan. Wichtig sind ausserdem strategische Partnerschaften, denn ein Projekt dieser Grösse könnten wir nicht alleine stemmen. Dabei muss PostFinance im Lead bleiben und darf sich nicht verzetteln. Bei Grossvorhaben vergleichbarer Unternehmen sind bis zu 300 Firmen dabei – wir haben drei bis vier Haupt-Player.
CW: Wer denn?
Fuhrer: Zum Beispiel Accenture, die uns seit 2013 bei CBT beraten. Wir wollten dafür von Anfang an deren A-Team. Damals hat der Verwaltungsrat gefragt: Können wir das bezahlen? Mein Argument: Wenn das Grossprojekt mit dem A-Team ein Jahr früher fertig wird, lohnt sich diese Investition. Das Accenture-Team hat in Deutschland schon eine ähnliche Transformation durchgeführt. Unsere Projektmaschine ist auf kleinere und mittlere Projekte eingestellt, ab und zu bewältigen wir auch etwas Grösseres. Aber für ein so gigantisches Vorhaben brauchen wir Leute, die das schon einmal gemacht haben.
Zur Person
Markus Fuhrer
Der Wirtschaftsinformatiker hat ein Advanced Management Diplom in Unternehmensführung und ist seit 27 Jahren bei PostFinance in den unterschiedlichsten IT- und Führungspositionen tätig. Ab 2013 übernahm er als «Leiter Core Banking Transformation» die Erneuerung des Kernbankensystems. Seit September 2014 ist Markus Fuhrer CIO und Mitglied der Geschäftsleitung. Ab Juli 2017 werden die beiden Abteilungen IT und Operations zusammengelegt. Markus Fuhrer ist dann als «Leiter IT und Operations» sowohl CIO als auch COO und damit Chef der gesamten «Delivery Factory» von PostFinance.
Der Wirtschaftsinformatiker hat ein Advanced Management Diplom in Unternehmensführung und ist seit 27 Jahren bei PostFinance in den unterschiedlichsten IT- und Führungspositionen tätig. Ab 2013 übernahm er als «Leiter Core Banking Transformation» die Erneuerung des Kernbankensystems. Seit September 2014 ist Markus Fuhrer CIO und Mitglied der Geschäftsleitung. Ab Juli 2017 werden die beiden Abteilungen IT und Operations zusammengelegt. Markus Fuhrer ist dann als «Leiter IT und Operations» sowohl CIO als auch COO und damit Chef der gesamten «Delivery Factory» von PostFinance.
Umstieg auf BaNCS
CW: Sie steigen auf BaNCS des indischen Anbieters TCS um. Gab es hierzulande nichts Passendes?
Fuhrer: Nicht für unsere hohen Performance- und Stabilitätsanforderungen. Wir sind in der Schweiz Marktführerin im Zahlungsverkehr und verarbeiten mehr als 1 Milliarde Transaktionen pro Jahr. Das Kernbankensystem TCS BaNCS ist zum Beispiel bei der State Bank of India und bei der Bank of China installiert – das ist der Proof of Concept, dass es unsere Transaktionszahlen meistern kann.
CW: Liegen Sie im Plan?
Fuhrer: Aktuell sind wir gut im Plan. Wichtig ist ein konsequentes Timeboxing, also die Meilensteine konsequent zu einzuhalten, denn sämtliche Ressourcen kosten Geld. Dabei ist es wichtig, den Inhalt straff zu managen. Manchmal muss man auch auf die Umsetzung gewisser Kann-Anforderungen verzichten. So hat man auch die Termine und Kosten im Griff. Ende Februar dieses Jahres haben wir die letzte Software- Lieferung aller beteiligten Systeme und Applikationen erhalten. Nun integrieren und testen wir. Die Einführung werden wir in Dress Rehearsals – Generalproben – viermal durchspielen, bevor wir an Ostern 2018 live gehen.
CW: Das klingt sehr nach traditionellem Wasserfall. Wo sind Sie denn schon agil unterwegs?
CW: Ein ziemlicher Spagat …
Fuhrer: Die grosse Herausforderung ist es, gleichzeitig mit der Einführung des neuen Kernbankensystems auch die Entwicklung des Unternehmens zum digitalen Powerhouse aufzugleisen. Einerseits führen wir CBT mit der Wasserfall- Methode, anderseits fördern wir die Agilität des Unternehmens. Das Ziel ist, keine Wasserfall-Grossprojekte mehr zu fahren, sondern komplexe Projekte aufzuteilen und schon von Beginn an agil und mit Prototyping zu arbeiten.
CW: Fühlen sich Ihre Entwickler in den altmodischen Wasserfall-Projekten gegenüber den trendigen agilen Teams nicht benachteiligt?
Fuhrer: Nein. Mittelfristig werden alle Mitarbeitenden agil arbeiten, denn das ganze Unternehmen soll sich – soweit es geht – agil entwickeln.
CW: Auch ausserhalb der IT?
Fuhrer: Ja. Zum Beispiel haben wir bei CBT mit dem Fach das ganze Requirement Engineering in agilen Teams gemacht. Wir haben in dreiwöchigen Sprints die Requirements beschrieben, Stand-up-Meetings abgehalten, Backlogs gemanaged und alles sehr iterativ abgewickelt. Unsere Erkenntnis ist, dass man grundsätzlich in allen Unternehmensbereichen agil vorgehen kann.
CW: Wenn Sie dem Projektleiter des Berliner Flughafens einen Tipp für erfolgreiche Grossprojekte geben sollen, was wäre das?
Fuhrer: (kurze Denkpause) Ich kann hier keine Ratschläge erteilen, denn jedes Projekt hat unterschiedliche Herausforderungen. Aber aus meiner Erfahrung meine ich: Ganz klar, sich mit dem Inhalt zu beschäftigen und nicht nur die Anwesenheit der Mitarbeiter oder den Budget- und Zeitrahmen zu überwachen. Man muss ein klares Zielbild vor Augen haben, mit dem man die Mitarbeitenden inspirieren kann. Das entsteht erst einmal aus dem Wissen, über das man zu Beginn verfügt. Wichtig ist, schnell auszuprobieren, ob die kritischen Dinge so funktionieren, wie man sie sich gedacht hat, und das Zielbild aus diesen Lehren anpasst. Man muss die Meilensteine konsequent einhalten und auch Kompromisse eingehen, zum Beispiel weniger wichtige Inhalte auf später verschieben – es müssen nicht immer vergoldete Türklinken sein. Und nicht zuletzt braucht man die richtigen Leute am Steuer.
Scheitern in Teilbereichen ist erlaubt
CW: Zum Thema Timeboxing: War die Kernbankenmigration ursprünglich nicht schon für 2015 geplant?
Fuhrer: Für das Hypothekengeschäft hatten wir ursprünglich Avaloq eingeführt. Unsere Idee war, dass Avaloq auch unser Volumen im Zahlungsverkehr bewältigen kann. Als sich unsere Erwartungen nicht erfüllten, haben wir entschieden, auf TCS BaNCS zu wechseln.
CW: Scheitern in Teilbereichen ist erlaubt?
Fuhrer: Ja, denn dies liegt im Interesse des Projekterfolgs als Ganzem: schnell zu Fehlern stehen und daraus die Lehren ziehen, ohne das grosse Ganze in Gefahr zu bringen.
CW: Zuzugeben, dass man es nicht schafft, ist für einen Mitarbeiter sicher nicht so einfach. Wie fördern Sie eine solche Kultur des Scheiterns?
Fuhrer: Erst einmal müssen die Misserfolgskriterien definiert werden: Ab wann entscheiden wir, abzubrechen und einen anderen Weg zu beschreiten? Dass man zu Misserfolgen steht, ist essenziell. Es gehört bei uns zum Standard, bei allen agilen Projekten die Erfahrungen zu analysieren. Man kann aus allem etwas lernen. Wer scheitert, wird nicht benachteiligt. Das wäre der grösste Fehler, schliesslich geht es ums Ausprobieren. Schnell scheitern heisst schnell lernen. Das Wichtigste für unser digitales Powerhouse ist, dass unsere Mitarbeiter Arbeitsmethoden wie Prototyping, Disciplined Agile sowie DevOps lernen und sich in interdisziplinären Teams bewegen können. Das schlägt sich auch in unserer neuen Organisation nieder.
CW: Steht der angekündigte strukturelle Umbau des Gesamtunternehmens damit im Zusammenhang?
Fuhrer: Ja. Die Geschäftsleitung hat schon vor über zehn Jahren begriffen, dass Informatik ein Thema von strategischer Bedeutung ist. Der CIO ist Teil der Geschäftsleitung. Ein Geschäftsleitungsausschuss kümmert sich um die IT, ein Verwaltungsratsausschuss um CBT. Je mehr PostFinance zum Technologieunternehmen wird, desto präsenter ist die IT. Den Fintechs und Bigtechs würde es nie einfallen, sich ihre Informatik funktional in der Linienorganisation aufzustellen. Da ist die IT selbstverständlicher Bestandteil der Produkte und des Geschäfts. Deshalb stellen wir auch keinen Chief Digital Officer ein – das wäre ein Wegdelegieren des Themas. Von der Geschäftsleitung bis zum Mitarbeiter ohne Führungsfunktion: Jeder muss ein bisschen Chief Digital Officer werden. Denn wir bauen keine Software, sondern Produkte.
Das Denken der Mitarbeitenden ändern
CW: Ist es nicht ziemlich schwierig, das Denken der Mitarbeitenden zu ändern?
Fuhrer: Der heutige IT-Nachwuchs findet es nicht mehr interessant, in einem schwerfälligen Wasserfall-Unternehmen zu arbeiten. Doch das ist nicht einfach eine Frage der Generation: Viele unserer älteren Mitarbeitenden haben die agilen Projektmethoden schnell übernommen. Wir müssen unseren Mitarbeitern bloss die Chance geben, den Wechsel zu vollziehen. Es gibt künftig vielleicht weniger Projektmanager und Teamleiter, dafür mehr Scrum-Master und interdisziplinäre Teams. Marketing-, Legal- und Security-Spezialisten sowie Tester sitzen schon heute von Anfang an am Tisch. Es macht den Mitarbeitern schlicht mehr Spass, für ein Thema im ganzen Lifecycle verantwortlich zu sein.
CW: Der Kampf um die Fachkräfte ist gross, warum sollten die Besten gerade bei ihnen in Bern anfangen?
Fuhrer: ICT-Fachleute können bei uns viel bewegen. Wir haben kleine Teams, eine agile Arbeitsweise, eine moderne, mobile Arbeitsumgebung und die Work-Life-Balance kommt auch nicht zu kurz. Wir suchen übrigens immer gute Architekten, die komplexe Themen angehen können und natürlich Java-Programmierer.
CW: Welche interne Struktur erwartet die IT-Experten bei Ihnen?
Fuhrer: Wir waren – wie viele Firmen – bisher sehr funktional aufgestellt. Diesen Sommer richten wir uns mit den Bereichen Retail, Corporate und Investment Solutions nach den Kunden aus und legen die Bereiche IT und Operations zusammen. Die «Factory» der Bank kommt dann aus einer Hand. So sind wir bereit für die schrittweise Umstellung auf DevOps, wo die Teams interdisziplinär zusammengesetzt sind.
Lehren aus dem Mega-Projekt Kernbankentransformation
CW: Sie haben das Mega-Projekt Kernbankentransformation zwei Jahre lange geleitet, was haben Sie persönlich daraus gelernt?
Fuhrer: Das war eine ganz neue Herausforderung, weil das Projekt wie ein Unternehmen im Unternehmen ablief, mit Mitarbeitern aus allen Bereichen, die es in den verschiedenen Phasen auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören galt. Ich glaube, es hat PostFinance generell gutgetan, sich für CBT interdisziplinär zusammenraufen zu müssen und sich als Unternehmen hinter ein so grosses Ziel zu stellen.
CW: Bis Ihre Entwicklung fertig ist, will der Kunde vielleicht schon wieder etwas ganz anderes …
Fuhrer: Genau deshalb ist die funktionale und technische Entkopplung in der IT-Architektur so wichtig. Unsere Produkte dürfen nicht vom Sechs-Monate-Rhythmus der Releases abhängig sein. Die verschiedenen Systeme, das Payment- oder Kartengeschäft etwa, müssen unabhängig vom Kernsystem agil weiterentwickelt werden. Für dieses Ziel legen wir mit CBT das Fundament. Wenn man eine schwerfällige IT-Architektur mit zu vielen Abhängigkeiten hat, wird das nicht klappen. Da kann man noch so agil sein.
CW: Der klassischen Bank wird zunehmend die Existenzberechtigung abgesprochen, insbesondere beim Zahlungsverkehr, Ihrem grössten Geschäftsbereich. Wo sehen Sie neue Chancen?
Fuhrer: Wir haben eine sehr breite Kundenbasis und geniessen das Vertrauen unserer Kundinnen und Kunden. Diese Ausgangslage wollen wir nutzen. Wir möchten eine Plattform mit offenen Schnittstellen bieten und sehen die Zusammenarbeit mit Fintechs als grosse Chance. Wir bringen eigene neue Produkte, wollen aber auch Drittprodukte integrieren und die Wertschöpfungskette erweitern. Das wichtigste Element unseres Powerhouse-Konzepts ist es, schnell und agil neue Themen anzugehen.
CW: Was zum Beispiel?
Fuhrer: Es geht um ein unkompliziertes Onboarding und ein von Anfang bis zum Ende gelungenes Kundenerlebnis. Es kann nicht sein, dass der Kunde beim Nutzen unserer Produkte viele Friktionen erlebt. Unsere Kunden sollen über alle Kanäle auf einfache Art mit uns interagieren können. Wir bieten Apps und digitales Onboarding an und helfen in den Filialen den Kunden, die digitalen Produkte zu nutzen – Stichwort Omnichannel. Wir überdenken auch unser Produktportfolio und harmonisieren die historisch gewachsene Vielfalt an Produktvarianten.
CW: Sind Chatbots ein Thema?
Fuhrer: Natürlich, wir prüfen aktuell die Einführung eines digitalen Assistenten für das Beantworten häufig gestellter Kundenfragen.
CW: Wie sieht es beim Thema Big Data aus, also in Ihrem Fall mit der Monetarisierung von Transaktionsdaten?
Fuhrer: Sie sprechen PostFinance Benefit an. Bei diesem neuen Service können uns unsere Privatkunden ihre Transaktionsdaten zur Auswertung zur Verfügung stellen. Diese Kunden erhalten anschliessend im E-Banking auf sie zugeschnittene, vergünstigte Angebote von unseren Geschäftskunden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Geschäftskunden keinen Zugang zu Kundendaten haben. Trotzdem erreichen sie dank PostFinance Benefit jene Zielgruppen, die eine Affinität für ihre Produkte aufweisen. Der Streuverlust der Marketingaktion ist also sehr klein. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass der Geschäftskunde keinen Rückschluss ziehen kann, wer von seinem Angebot profitiert. Der Kunde zahlt im Laden zuerst den vollen Preis und Post- Finance vergütet ihm anschliessend die Vergünstigung.
CW: Zum Start von PostFinance Benefit gab es ein Datenschutzproblem, weil die Einwilligung zur Datennutzung eben nicht freiwillig war. Wäre das nicht abzusehen gewesen?
Fuhrer: Wir haben aus diesem Fehler gelernt. Heute wissen wir, dass Opt-in der richtige Weg ist. Man muss dem Kunden die Wahl lassen und Vertrauen aufbauen. Wenn wir dem Kunden erklären, welche Vorteile ihm PostFinance Benefit bietet und wie wir mit seinen Daten umgehen, bin ich überzeugt, dass er auch für solche Angebote offen ist. Mogelpackungen dagegen erkennt der Kunde rasch und akzeptiert sie nicht.
So entstehen bei der PostFinance neue Projekte
CW: Wie entstehen neue Projekte? Wie sieht Ihr Innovationsmanagement aus?
Fuhrer: Seit 2013 haben wir das PostFinance Lab. Sowohl Interne als auch Externe können im Lab Ideen bis zur Marktreife vorantreiben, zum Beispiel eine Mitarbeiterin mit einem Studienkollegen. Unser Innovationsprozess hat zwei Jury Gates, die passiert werden müssen. Schon am Gate 1 sind Kaderleute von PostFinance dabei. Wer dort mit seiner Idee besteht, bekommt finanzielle Unterstützung – etwa 50 000 Franken – und hat dann sechs bis zehn Wochen Zeit, einen Prototyp zu entwickeln. Wir wollen verhindern, dass jemand seitenweise Konzepte schreibt. In Design Thinking ausgebildete Coaches helfen, die Idee weiterzuentwickeln. Mitglieder der Direktion unterstützen ebenfalls, zum Beispiel bei der Wirtschaftlichkeitsrechnung oder Marktpositionierung. Schon im Gate 2 sitzt man unserem CEO gegenüber. Dann wird entschieden, ob ein Projekt daraus wird – in welcher Form auch immer: integriert oder über eine gemeinsame Firmengründung.
CW: Wie gross ist der Output an umsetzbaren Ideen?
Fuhrer: Ziel war es ursprünglich, etwa vier Ideen pro Jahr am Gate 2 zu haben. Heute haben wir sieben am Gate 2 und 24 am Gate 1. Das Lab hat uns auch intern geholfen, an Agilität zu gewinnen. Das heute sichtbarste Produkt aus unserem Innovationsmanagement ist Twint.
CW: Kommen auch rein externe Teams, Start-ups zum Beispiel, mit ihren Ideen?
Fuhrer: Ja, viele, unser Ansatz im Innovationsmanagement hat sich herumgesprochen. Wir beobachten die Start-up-Branche. Die wenigsten Fintechs wollen wirklich eine Bank werden. Die ganze Compliance und die regulatorischen Anforderungen sind zu umständlich für sie. Darum suchen sie die Zusammenarbeit. Ich bin überzeugt, wenn man offen ist und gemeinsam Chancen nutzt, können sehr gute Produkte und Dienstleistungen entstehen.
CW: Sie haben sich in letzter Zeit an so einigen Start-ups beteiligt.
Fuhrer: Ja, Moneymeets zum Beispiel, ein Multibanking-Anbieter. Wir finden dieses Unternehmen interessant, weil wir womöglich bald unsere Schnittstellen für Dritte öffnen müssen. Darauf wollen wir vorbereitet sein und uns Know-how aneignen. Oder Tilbago, eine kleine Luzerner Firma, die den Betreibungsprozess digitalisiert. Ihr Produkt passt sehr gut zu PostFinance SmartBusiness, unserem Debitorenmanagement für KMU. Es gibt ganz verschiedene Formen, neue Geschäftsbereiche zu erschliessen.
CW: Zum Beispiel bei der Kreditvermittlung.
Fuhrer: Sie meinen Lendico. Diese Firma bietet alternative Finanzierungen in Form von Crowdlending. Letztes Jahr sind wir mit der Lendico Schweiz AG ein Joint Venture eingegangen. Sie wissen ja, PostFinance darf keine Kredite vergeben. Deshalb arbeiten wir beispielsweise im Hypothekarbereich mit Partnern wie Valiant oder der Münchener Hypothekenbank zusammen. Und bevor Sie fragen: Nein, das ist keine Umgehung des Gesetzes. Wir vermitteln nur, finanziert wird vom Partner. Dass wir nicht selbstständig Kredite vergeben dürfen, ist ein gewichtiger Wettbewerbsnachteil – gerade im aktuellen Zinsumfeld.
CW: Alle diese Start-ups haben mit dem Thema Bezahlen zu tun. Denken Sie auch in ganz andere Richtungen?
Fuhrer: Wir denken in alle Richtungen, die mit Finanzdienstleistungen zu tun haben. Die Entwicklung der Technologien spielt für Banken eine grosse Rolle: Machine Learning und KI werden uns sehr helfen.
Unterbrüche im Onlinebanking der Postfinance
CW: Das Onlinebanking von PostFinance hatte in letzter Zeit mehrmals mit Unterbrüchen zu kämpfen, über die Gründe gab es diverse Spekulationen. Was war denn nun wirklich der Grund?
Fuhrer: Wir haben das Problem offen benannt. Doch es war offenbar so banal, dass man uns nicht geglaubt hat. Wir hatten ein Problem mit einem Server, und zwar in einer Zone, in der die Applikationen liegen, nicht in der Access-Zone. Es gab also keinen Angriff von aussen. Der Server war da, hat aber nicht gearbeitet. Wir mussten ihn neu aufsetzen, bevor wir das System wieder hochfahren konnten. Seit den beiden Ausfällen Anfang Jahr stehen wir im Scheinwerferlicht. Sonst hätten andere kleine Störungen nicht so hohe Wellen geworfen. Die Sicherheit der Daten und Kundengelder war zu keiner Zeit bedroht.
CW: Könnte das noch einmal passieren, welche Vorkehrungen haben Sie getroffen?
CW: Sind Ausfallzeiten von ein bis zwei Stunden nicht zu lang?
Fuhrer: Jede Störung ist für unsere Kunden ärgerlich. Wir bedauern dies sehr. Sie müssen bedenken, dass wir die Applikationen noch testen, bevor wir sie wieder hochfahren. Wenn das Core-Netzwerk ausfällt, müssen wir alle Komponenten neu starten. Es ist niemandem gedient, wenn wir wieder hochfahren, bevor das System stabil ist. Die Internetdienstleistungen – unsere Webseite – standen relativ schnell wieder zur Verfügung. Aber das E-Banking haben wir diversen Tests unterzogen, bevor wir es wieder für die Kunden freigeschaltet haben.
CW: Kann die Ablösung des Kernbankensystems solche Störungen künftig verhindern?
Fuhrer: Die Ablösung der alten Technologien und der Abbau unnötiger Redundanzen reduziert die Komplexität – zum Vorteil der Stabilität und Verfügbarkeit. Ein Grossteil des Projekts CBT besteht im Aufräumen der funktionalen und technischen Architektur. Wir wechseln von einer 15 bis 20 Jahre historisch gewachsenen Umgebung mit Technologien wie Ada, VMS und Sybase auf eine moderne IT- Architektur und auf Technologien, die über unseren Service-Bus einfach integrierbar sind und so für Modularität und Flexibilität sorgen. Es ist wie beim Umzug: Man sollte aufräumen, bevor man zügelt. Zwischen 2007 und 2012 haben wir die Informatik einem Fitnessprogramm unterzogen und insbesondere unsere IT-Landschaft im Rechenzentrum harmonisiert, beispielsweise durch Virtualisierung. Das Ziel war sehr ambitiös: Trotz des Ausbaus unseres Geschäfts wollten wir von 129 auf 77 Millionen Franken Betriebskosten runter. Gelandet sind wir letztlich bei 89 Millionen. Das Ziel war bewusst ehrgeizig. Hätten wir die Latte auf 100 Millionen gelegt, wären wir bei 105 Millionen gelandet. Das hat nur funktioniert, weil sich unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für grosse Ziele begeistern können.