11.08.2005, 10:20 Uhr

Virtuelle Patientenakte als universelle Arbeitsplattform

Die IT-Durchdringung von immer mehr Arbeitsbereichen im Krankenhaus führt zu einer wachsenden Vielfalt an Anwendungen. Selbst bei der Entscheidung für einen einzigen Anbieter bildet letzten Endes jede Anwendung eine Insellösung, die in die IT-Landschaft eingepasst werden muss. Hier setzt Anwendungsintegration an.
In der Anfangszeit hat man sich im Krankenhaus noch häufig auf den Einsatz von Kommunikationsservern beschränkt, deren Aufgabe es war, einzelne Anwendungen per einfachem Messaging und Datentransformation miteinander zu verbinden.
Nach einem Ende Juni vom Bundesrat gefassten Beschluss soll die Abrechnung medizinischer Leistungen künftig über eine Speicherkarte mit integriertem Mikroprozessor abgewickelt werden. Ende 2006 sollen alle nötigen Formalitäten für die Umsetzung erledigt sein. Dadurch gehen die
Anforderungen an Integration weiter und umfassen die Geschäftsprozesse, also die fachlichen Abläufe innerhalb des Krankenhauses. Wenn die Geschäftsprozesse dabei die Grenzen einer einzelnen Anwendung überschreiten, wird dies zur Herausforderung für die IT-Leiter. Mit modernen Integ-rationsplattformen kann man solche Abläufe abbilden und überwachen und auch neue «Composite Applications» entwickeln, die - etwa als Portallösung - wie eine neue Anwendung wirken, in Wirklichkeit aber auf vorhandenen Anwendungen aufbauen.

Virtuelle Patientenakte

Herkömmlich orientieren sich die Abläufe im Krankenhaus an der Patientenakte, deren elektronisches Abbild deshalb auch die Grundlage der meisten Informationssysteme im Krankenhaus bildet. Die Patienten-akte der Zukunft muss allerdings nicht nur die im Krankenhaus direkt entstandenen Informationen beinhalten, sondern auch Daten von niedergelassenen Ärzten, zuweisenden Kliniken und nachbehandelnden Einrichtungen. Für diese Anforderungen sind jedoch bisherige Systeme wie etwa Krankenhausinformationssysteme (KIS), die nur auf krankenhausinterne Datenflüsse ausgerichtet sind, nicht ausgelegt. Mit geeigneten Integrationsplattformen lassen sich interne wie externe Daten in einer virtuellen Patientenakte zusammenfassen.

Virtuelle Patientenakte als universelle Arbeitsplattform

Dabei muss zwischen der «elektronischen Patientenakte», wie sie klassisch in IT-Systemen im Krankenhaus verwendet wird und der «virtuellen Patientenakte», wie sie in Integrationsprojekten entsteht, unterschieden werden. Während man in ersterer physisch die in den verschiedenen Bereichen des Krankenhauses entstehenden Daten sammelt und speichert, wie man es früher bereits in Papierform getan hat, bildet die virtuelle Patientenakte eine virtuelle Sicht auf die gesamte Krankengeschichte eines Patienten ab. Das geschieht übergreifend über alle Systeme innerhalb und ausserhalb des eigenen Hauses und unabhängig von Art und Ort der Speicherung der Daten, dafür aber anhand von Regeln etwa für den Datenschutz und den Workflow. Somit bildet die virtuelle Patientenakte auch die Grundlage für den Austausch von Informationen etwa mit nationalen Datenbanken.
Entlang des Behandlungsprozesses ergeben sich viele unterschiedliche Aufgaben der Anwendungsintegration, die jeweils einzelne Bausteine einer virtuellen Patientenakte bilden. Von besonders aktueller Bedeutung sind hierbei das Zuweiserportal und das universelle Dokumentenarchiv.
Schnelle Auskunft
Bei der Einlieferung oder Einweisung eines Patienten fallen unterschiedliche Formen von Patientendaten an: von Protokollen bis zu Arztbriefen. Die virtuelle Akte muss diese unterschiedlichen Formen integrieren und bei Anfragen den verschiedenen autorisierten Stellen zu Verfügung stellen. Die Anfragen an das Krankenhaus wird auf längere Sicht noch überwiegend telefonisch, per Fax und zunehmend auch per E-Mail erfolgen. Sie müssen dann inklusive ihres Bearbeitungsstatus - häufig händisch - verfasst, verfolgt und mit den vorhandenen Informationen abgeglichen werden. Um den Informationsfluss effizienter zu gestalten, bieten sich Zuweiserportale an. Dabei handelt es sich um Kommunikationsplattformen, auf denen zum Beispiel Ärzte einer bestimmten Region jederzeit Zugriff auf die Daten der eigenen Patienten haben und die umgekehrt das Krankenhaus mit Daten des Patienten beliefern. Klassische Krankenhausinformationssysteme enthalten diese Funktionalität nicht.
Häufig ist es zu aufwändig, handelsübliche Customer Relationship Management (CRM-) Systeme an die speziellen Bedürfnisse im Krankenhaus anzupassen; dies rechnet sich bestenfalls für sehr grosse Kliniken oder Krankenhausketten. Eine effi-ziente Lösung besteht deshalb in der Integ-ration einer Web-Anwendung für CRM-Funktionen, die eine virtuelle Akte des Patienten eröffnet. Das Krankenhaus kann auf diese Weise selbst entscheiden, welche CRM-Funktionen in seinem konkreten Umfeld benötigt werden.
Universeller Dokumentenzugriff
Bereits bei der Aufnahme fallen umfangreiche, unstrukturierte Daten an, die in der Patientenakte dokumentiert werden müssen. Weitere Arbeitsschritte, Arztbriefe und Fremdbefunde produzieren wiederum Dokumente, die meist nur in Papierform vorliegen.

Virtuelle Patientenakte als universelle Arbeitsplattform

Wenn ein Krankenhaus lediglich ein KIS besitzt, in dem keine Bilddaten gespeichert werden können, ist daher eine Lösung notwendig, die bei der Aufnahme ins Krankenhaus alle in Papierform vorliegenden Informationen wie etwa Briefe und Fremdbefunde dem Patienten des Krankenhauses zuordnet. Zudem muss sie gezielt die Diagnosen extrahieren und die Originaldokumente im Behandlungsprozess vor Ort immer verfügbar halten.
Eine erste Abhilfe schafft hier eine Fax-Archivlösung, mit der die Dokumente eingelesen, klassifiziert, abgelegt und angezeigt werden können. Zudem ermöglicht eine solche Archivlösung das Verwalten digitaler Fotos und anderer Bilder. Über eine Web-Anwendung wird nach Abfrage zur Patientenidentifizierung im KIS die Fax-Software mit den Patientendaten versorgt und zusätzlich die Klassifizierung der Dokumente - etwa in Zuweiserbrief und Laborbefund - vorgenommen. Diese Web-Anwendung realisiert auch die Diagnoseübernahme. Dazu werden markierte Stellen aus der Dokumentenanzeige erst in ein Programm zur Schrifterkennung (OCR) und dann in handelsübliche Programme zur Unterstützung der Verschlüsselung nach den amtlichen Katalogen übergeben. Eventuelle Korrekturen werden manuell durchgeführt. Das Ergebnis wird dann an das KIS zurückgespielt und ist mittels einer entsprechenden Intranet-Anwendung für die Stationen einsehbar.
Universelle Arbeitsplattform
Neben der eigentlichen Patientenakte muss insbesondere auch der Aspekt des einheitlichen Zugriffs darauf betrachtet werden. Ist die virtuelle Akte über eine Weboberfläche zugänglich, bietet sie nicht nur eine vertraute Benutzeroberfläche, sondern macht im Idealfall den Umgang mit unterschiedlichen Anwendungssystemen wie etwa KIS, Bildarchiv oder Laborsystem überflüssig. Da die Grenzen zwischen administrativer und medizinischer Dokumentation zunehmend verschwinden, greifen heute mehr Mitarbeiter innerhalb und ausserhalb des Krankenhauses auf die Patientenakte zu. Je einfacher sich dieser Vorgang gestaltet, desto produktiver kann die Lösung genutzt werden.

Virtuelle Patientenakte als universelle Arbeitsplattform

Erweitert man das Konzept der virtuellen Patientenakte mit Zugriff auf sämtliche Informationen aller vorhandenen Systeme noch um die Möglichkeit, Aufträge zu erteilen und Verordnungen auszuführen, hat man eine universelle Arbeitsplattform für Ärzte im Sinne einer «Doctor"s Workbench» geschaffen. Eine solche Arbeitsplattform ermöglicht Ärzten die optimale Nutzung der vorhandenen Systeme, ohne diese einzeln bedienen zu müssen. Vielmehr erhalten sie bequemen Zugang zu allen relevanten Informationen «ihrer» Patienten, eine übersichtliche Aufgabenverwaltung und To-Do-Listen und können aus der Arbeitsplattform heraus Leistungen anfordern, Medikamente verordnen und alle unterstützten Funktionen anstossen.
Als universelle Arbeitsplattform für die Ärzte wird diese «Workbench» auch der
zentrale Dreh- und Angelpunkt bei der
Einführung der Gesundheitskarte. Da auf diese Weise die verschiedenen Systeme nicht einzeln angepasst werden müssen, bietet die Plattform ein ganz erhebliches Einsparpotenzial.

Fazit

Die beschriebenen Aufgaben und Lösungsbausteine haben vieles gemeinsam: Sie brauchen alle eine virtuelle Patientenakte, deren Abdeckungsgrad möglichst gross sein muss, und sie benötigen ausserdem eine einfache Integrierbarkeit von zusätzlichen, meist web-basierten Anwendungen als verbindendes Element und zusätzliche Eingabemöglichkeit.
Die Aufgaben, die dabei gelöst werden müssen, sind inhaltlich und organisatorisch so komplex, dass eine IT-Umgebung für die Anwendungsintegration einerseits hoch flexibel und andererseits dabei noch intuitiv zu bedienen sein muss. Denn diese Art von IT-Projekten wird nicht im klassischen Ablauf von Spezifikation, Entwicklung, Test und Routinebetrieb umgesetzt, sondern entsteht in einem iterativen Prozess von Spezifikation, Prototyp, Verfeinerung der Spezifikation, Realisierung und Weiterentwicklung.
Die Basis für eine erfolgreiche Integration bilden dabei die Geschäftsprozesse und -regeln im Gesamtsystem des Krankenhauses. Mit anderen Worten: Ein völlig anderer Ansatz als die Insellösung singulärer Kommunikationsserver. Dazu braucht man externe Dienstleister, die neben technischem Know-how auch krankenhausspezifischen Sachverstand mitbringen und so in der Lage sind, den Brückenschlag zwischen den Anforderungen des Krankenhauses und den Möglichkeiten der Integrationsplattform zu schaffen.
Der Autor:
Michael Ihringer ist Markeitng Director Central and Eastern Europe bei Intersystems
Michael Ihringer



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