19.02.2014, 10:01 Uhr

Diese IT-Skills sind in der Schweiz gesucht

Die Industrialisierung in der IT macht gewisse Jobs überflüssig und verlangt nach neuen Fähigkeiten. Wer diese nicht mitbringt, muss sie sich aneignen. Ansonsten gibt es in der heutigen IT-Welt keinen Platz mehr.
Wer sich als ITler nicht weiterbildet, hat auf dem Arbeitsmarkt fast keine Chancen mehr
Ottmar Bolliger ist 52, verheiratet und hat 3 Kinder. Die letzten 20 Jahre arbeitete der gelernte Maschinenbauingenieur bei einer grossen Schweizer Bank als Systemadministrator. Weitergebildet hat er sich nie, es schien unwichtig. Seit 6 Monaten bereut er dies. Denn Bolliger wurde auf die Stras­se gesetzt, jemand anderes hat seine Arbeit übernommen. Der Neue sitzt in Indien oder Polen, Bolliger ist das egal. Er hat genug damit zu tun, sich einen neuen Job zu suchen. Einfach ist das nicht. Systemadministratoren werden selten gesucht, wer keine IT-Ausbildung besitzt, hat ohnehin wenig Chancen. Wenn er dann seinem Arbeitsvermittler erzählt, dass er bisher 10 000 Franken im Monat verdient hat und aufgrund seiner Lebensumstände mindestens 80 Prozent davon erhalten muss, sinken die geringen Vermittlungschancen gegen Null. Ottmar Bolliger ist eine erfundene Person. Wer sich aber heute auf dem Arbeitsmarkt umsieht, kann viele ähnliche Lebensläufe ent­decken. 3234 Informatiker waren im Dezember 2013 in der Schweiz auf Stellensuche, berichtet das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Wie kann das sein in einer Branche, die ständig davon redet, extrem vom Fachkräftemangel betroffen zu sein? Von der kolportiert wird, bis ins Jahr 2020 25000 Stellen ersetzen zu müssen? Die plausibelste Antwort: Die IT-ler, die auf dem Markt sind, befriedigen nicht die Bedürfnisse der Unternehmen. Denn sie bringen Fähigkeiten mit, die auf dem Markt nicht mehr gebraucht werden.

Es gibt Personal, aber nicht für alles

Stefan Bryner, HR-Verantwortlicher in der Dienstabteilung Organisation und Informatik der Stadt Zürich (OIZ), kommt die augenblickliche Arbeitsmarktsitation entgegen: «Momentan ist es – sicher auch durch die aktuellen Vorgänge in der Finanzindustrie bedingt – in manchen Bereichen einfacher als vor 10 Jahren, die passenden Mitarbeitenden zu finden. Beispielsweise konnten wir im Bereich eGovernment Top-Leute für uns gewinnen.» Doch nicht alle Positionen kann Bryner auf diese Weise besetzen. So tut er sich aktuell schwer damit, System Center Configuration Manager (SCCM) zu finden. «SCCM braucht viele Jahre Erfahrung. Das können die Leute auf dem Arbeitsmarkt, die das nicht schon mitbringen, nicht in ein oder zwei Kursen lernen.» Bryner hat darum einen Ratschlag für alle, die sich nicht in Bolligers Situation wiederfinden wollen: «Menschen, die vom Outsourcing oder einer Technologieablösung bedroht sind, rate ich dringend an, sich weiterzubilden. Dabei ist es wichtig, die Technologie- und die Marktentwicklung zu beobachten.» Die Verantwortung dafür liege aber bei jedem Einzelnen. «Unternehmen können die Mitarbeitenden darin lediglich unterstützen.» Lesen Sie auf der nächsten Seite: Welche Fähigkeiten sind gefragt?

Welche Fähigkeiten sind gefragt?

Die meisten Unternehmen bieten IT-Weiter­bildungskurse an, da ihnen bewusst ist, dass das Wissen der Mitarbeiter ihr grösster Fundus ist. Falls dem nicht so ist, sollte man sich selbst weiterbilden. Doch in welche Richtung? Gemäss der Brugger Marktforschungsfirma Master Chain Technologies (mc-t ) werden vor allem Applikationsentwickler gesucht. 6085 solcher Stellen sind gemäss ihrer Analyse im letzten Jahr ausgeschrieben worden. Insbesondere Java- und Dot-Net-Entwickler seien beliebt. Zum Vergleich: ICT-Architekten wurden weniger oft gesucht, db/2-Spezialisierung ist sogar stark rückläufig (vgl. Tabelle links). Doch Applikationsentwickler kann man nicht einfach werden. «In der Applikationsentwicklung mitzuhalten, wird immer schwieriger», sagt Tino Senoner, Chef von mc-t. «Mit 50 auf Dot-Net umzuschulen, ist eine sehr grosse Herausforderung. Spätestens mit 40 müssen Informatiker sich hinterfragen und entscheiden, welche Tätigkeiten sie in Zukunft ausführen wollen und dabei auf steigende Marktbedürfnisse setzen.» Noch drastischer drückt sich Patrick Burkhalter aus, CEO von Ergon Informatik. Für ihn ist Software-Entwicklung auf hohem Niveau ohne fundierte Ausbildung nicht möglich: «Bei den älteren Informatikern wird der Unterschied zwischen denen mit und denen ohne Studien­abschluss besonders deutlich. Wer studiert hat, dem fällt es dank seines Konzeptwissens leichter, kontinuierlich auf dem neusten Stand zu bleiben.» Für Ergon kämen wegen der hohen Komplexität der Projekte nur Leute infrage, die technologische Entwicklungen rasch erfassen und einordnen können und breit einsetzbar sind. Sein Tipp für Quereinsteiger: User-Interface-Designer. «Es gibt nichts Schlimmeres als Informatiker, die User-Interfaces designen. Es gibt aber extrem wenige Designer, die User-Interface gelernt haben», sagt Burkhalter. Generell werde alles, was mit Schnittstellen zu tun hat, immer wichtiger. «Wenn es darum geht, Business-Prozesse in IT abzubilden, haben wir Bedarf», erklärt der Ergon-CEO. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Gesucht: IT-Business-Schnittstellen

Gesucht: IT-Business-Schnittstellen

Martin Haas, Leiter Migros IT-Services, hat ganz ähnliche Bedürfnisse. Er sucht in seinem Bereich künftige «Projektleiter, Business Process Engineers, System Engineers, SAP-Spezialisten, aber auch Fachkräfte für den Betrieb der umfangreichen und komplexen Systeme». Er ist überzeugt, dass darin die Zukunft liegt: «Die strategische Ausrichtung der Informatik, definiert durch die Business-Bedürfnisse, gibt massgeblich das Berufsbild des Informatikers vor.» Haas hat die Migros-IT in den letzten 4 Jahren von 282 auf über 470 Stellen ausgebaut, da die Konsolidierung der IT-Infrastruktur mehr personelle Ressourcen erforderte. Trotzdem leidet er unter dem Fachkräftemangel. «Zurzeit fehlen in der Migros IT-Services rund 80 Informatikfachkräfte,» sagt Haas. Dadurch sei man gezwungen, gewisse Projekte anzupassen und hinauszuzögern. «Wir hätten viel IT-Personal aus den einzelnen Genossenschaften, das ich sehr gerne übernehmen würde. Dazu müssten die Arbeitskräfte in die Region Zürich ziehen. Meist sind sie nicht bereit, diesen Kompromiss einzugehen.» Die Schweizer seien nach wie vor zu wenig flexibel, kritisiert der IT-Chef. Das Fachkräfteproblem bei der Migros wird in einigen Jahren noch akuter, denn gemäss Haas beträgt das Durchschnittsalter bei Migros IT-Services etwas über 40 Jahre. «Wir benötigen das ganze Spektrum an gut ausgebildeten Informatikfachkräften. Begonnen bei eigenen Lehrlingen, Mitarbeitenden mit entsprechenden Weiterbildungen in Informatik, aber selbstverständlich auch Studienabgänger unterschied­licher Fachrichtungen», folgert er. Welche spezi­fischen Fähigkeiten ein Informatiker mitbringen muss, um bei der Migros eingebunden zu werden, ist stark funktionsabhängig. «Voraussetzung ist eine solide Informatik-Grundausbildung. Egal auf welchem Bildungsweg,» sagt Haas. «Dazu kommen Teamfähigkeit, Lösungsorientierung, Zielfokussierung, Belastbarkeit, aber auch Kreativität in der Lösungsentwicklung und nicht zuletzt die Fähigkeit, Business-Aufgabenstellungen in Prozesse und Informa­tiksysteme abzubilden.» Lesen Sie auf der nächsten Seite: Banken-Informatiker zu unflexibel

Banken-Informatiker zu unflexibel

Warum es nicht wie das OIZ machen und die vielen Banker und Versicherer rekrutieren, die auf der Strasse stehen? Haas hat es versucht,  aber das klappe nur in Einzelfällen: «Als ich einen Leiter Infrastruktur suchte, habe ich bewusst viele Personen aus dem Bankenumfeld angeschaut. Dabei musste ich feststellen, dass die Bankbranche einen hohen Spezialisierungsgrad aufweist. Im Detailhandel braucht es jedoch Generalisten, die beispielsweise in einem Netzwerkbereich sehr gut sind, aber die ganze Bandbreite verstehen.» Es gibt aber noch andere Gründe, warum die Banken-IT-ler nicht so einfach anderswo angestellt werden. Bei der Recherche zu diesem Artikel haben einige CEOs, CIOs und HR-Manager hinter vorgehaltener Hand erzählt, dass es unter den aktuell arbeitslosen Informatikern einige gibt, die sehr wenig können und sehr viel verdienen. Diese seien während des Internethypes angestellt worden, deren Aufgaben aber mittlerweile nicht mehr existent oder überflüssig. Diesen Leuten kann man nur raten, sich weiterzubilden. In Sachen Spezialisierung gibt es verschiedene Möglichkeiten, eines sucht man aber sowohl beim OIZ, bei Ergon, bei der Migros und bei vielen anderen Firmen: Informatiker, die eine Schnittstelle zwischen IT und Marketing bilden können und Business-Know-how mitbringen. Wer keine Lust oder nicht die Fähigkeit hat, sich dies anzueignen, sollte sich fragen, ob er wirklich noch in der heutigen IT-Welt arbeiten möchte. Es gibt auch ausserhalb der Branche tolle Jobs.



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