Exklusivinterview zu eZürich 03.02.2012, 12:24 Uhr

«Wir müssen hart arbeiten»

Computerworld hat sich exklusiv mit Daniel Heinzmann, Direktor Organisation und Informatik der Stadt Zürich, unterhalten - ein Gespräch über den Stand der eZürich-Initiative, den Mangel an hochqualifizierten Fachkräften und schwierige politische Rahmenbedingungen.
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Daniel Heinzmann, Direktor Organisation und Informatik der Stadt Zürich
Computerworld: Mit der eZürich-Initiative soll die Limmatstadt bis 2014 zum europäischen Topstandort für ICT-Dienstleistungen werden. Wie weit ist man momentan mit der Erreichung dieses ambitionierten Zieles?
Daniel Heinzmann: Am Ende der Legislatur im Jahr 2014 wird erstmals gemessen, wie weit wir auf dem Weg gekommen sind. Dass wir dann bereits am Ziel sind, haben wir nie kommuniziert. Auch Rom wurde nicht an einem Tag gebaut. Aber wir wollen einen starken Anfang setzen, die Pflöcke einschlagen, die nötig sind, damit wir in den nächsten 10 bis 15 Jahren ein Top-ICT-Standort werden - dies gerade im Umfeld der immer stärker bedrängten Bankindustrie auf dem Platz Zürich. Wir finden es wichtig, dass der Standort Zürich diversifiziert ist. Die ICT-Branche ist eine ideale Ergänzung zur Finanzindustrie.
Computerworld: Was ist hier seit dem Launch von eZürich passiert?
Heinzmann: Mit dem Start von eZrich ist es uns gelungen, alle wichtigen Exponenten der Schweizer ICT-Industrie, der grossen ICT-Anwenderunternehmen, der ICT-Verbände und der Politik an einen gemeinsamen Tisch zu bringen. Das hat es in der Schweiz bisher nicht gegeben. Die Bereitschaft dafür zeigt, dass die Zeit reif ist, das Potential der ICT in der Schweiz auszubauen.
Computerworld: Das heisst konkret?
Heinzmann: In den letzten anderthalb Jahren konnten wir mehr Bewusstsein für die Bedeutung des ICT-Standorts Zürich - und Schweiz - in der Bevölkerung, Politik, Wissenschaft und Wirtschaft schaffen. Davon profitiert die Branche; sie erhält grössere Aufmerksamkeit für ihre Anliegen. Aus unserer Sicht ist diese Bewusstseinsbildung ein wichtiger erster Schritt. So wie heute der Finanzplatz Zürich untrennbar mit Zürich verbunden ist - nicht nur in den Köpfen der Zürcher -, soll das künftig auch mit dem ICT-Standort Zürich sein.
Computerworld: Wie geht es mit eZürich derzeit im Allgemeinen voran?
Heinzmann: Wir befinden uns zurzeit wie geplant in der Konzeptphase. Im Laufe dieses Jahres werden zahlreiche Projekte konkretisiert und dadurch auch sichtbar. Kleinere Projekte wurden bereits jetzt realisiert, so mehrere e-Partizipationsprojekte und diverse mobile Apps der Stadtverwaltung. Grössere Vorhaben benötigen aber eine längere Planungszeit. Im Mai 2012 wird der Zürcher Stadtrat beispielsweise das eZürich-Grobkonzept verabschieden, das rund 20 verwaltungsinterne Projekte aus allen Departementen beinhaltet. Wir werden laufend informieren. Auf der nächsten Seite gehts weiter.
Computerworld: Der Schweizer Banken-Software-Experte Avaloq hat vor kurzem bekannt gegeben, dass in Zürich und Thalwil rund 120 Stellen gestrichen werden. Software-Riese Microsoft hat bereits im vergangenen Jahr sein Zrcher UC-Labor geschlossen. Was bedeuten solche Massenentlassungen bzw. Laborschliessungen für die eZürich-Initiative?
Heinzmann: Natürlich ist das ärgerlich und für die Betroffenen schlimm. Doch Veränderungen der Strategie von Unternehmen oder Anpassungen an das konjunkturelle Umfeld hat es immer gegeben und wird es auch weiterhin geben. Man muss auch diesen Stellenabbau in Relation zu den rund 40?000 ICT-Beschäftigten im Wirtschaftsraum Zürich sehen. Fakt ist, dass es im Raum Zürich nach wie vor zu wenige hochqualifizierte Applikationsentwicklern gibt und dass Unternehmen deshalb gezwungen sind, ausländische Fachkräfte zu rekrutieren.
Computerworld: Ein Umstand, der von so manchen politischen Akteuren nicht gerne gesehen wird.
Heinzmann: Der oft gehörte Vorwurf, man entlasse «teure» Schweizer, um «billige» Ausländer einzustellen, stimmt so nicht. Der Mangel, gerade an hochqualifizierten und spezialisierten Fachkräften, ist akut und wird noch stark zunehmen. Die Erfahrung zeigt, dass die Einstellung dieser hochqualifizierten Arbeitskräfte ihrerseits auch wieder Stellen für weniger spezialisierte Informatiker schafft, weil ganze Arbeitsbereiche in der Schweiz erhalten bleiben und nicht ins Ausland verlagert werden müssen.
Computerworld: Vor einem Jahr wurden während dem eZürich-Workshop zwölf Schwerpunkte definiert, wie die Stadt Zürich zu einem ICT-Topstandort wird. Einer dieser Punkte lautet «Standortförderung über die Erhöhung der Kontingente für ausländische Fachkräfte» - wie weit ist man mit diesem Projekt?
Heinzmann: Natürlich ist die Erhöhung der Kontingente ein zentrales Anliegen der Zürcher ICT-Industrie. Wir sind im intensiven Austausch mit Kanton und Bund zu diesem Problem, das wir jedoch nicht alleine lösen können.
Computerworld: Wie viele ausländische Fachkräfte werden Ihrer Meinung nach denn benötigt, wenn Zürich dereinst zum europäischen Silicon Valley werden sollte?
Heinzmann: Diese Frage können wir isoliert für den Wirtschaftsraum Zürich so nicht beantworten. Primär müssen wir alles unternehmen, dass ausreichend hochqualifizierte ICT-Fachkräfte in der Schweiz an den Hochschulen und in der höheren Berufsbildung ausgebildet werden. Der Rückgriff auf ausländische Fachkräfte soll sekundär für die Abdeckung von Bedarfsspitzen erfolgen.
Auf der nächsten Seite: «eZürich ist eine langfristig angelegte Initiative»
Computerworld: Zurzeit gibt es für den Kanton Zürich ein Kontingent von 3600 Arbeitsbewilligungen für ausländische Spitzenkräfte. Das dürfte bei weitem nicht ausreichen, falls eZürich zum Fliegen kommt. Was muss ihrer Ansicht nach beim Kontingent der Arbeitsbewilligungen unternommen werden?
Heinzmann: eZürich ist eine langfristig angelegte Initiative. Darum gelten unsere Anstrengungen auch ganz gezielt der verstärkten Nachwuchsförderung. Die Erhöhung der Kontingente für Nicht-EU/EFTA-Personen ist auf schweizerischer Ebene derzeit politisch nur schwer durchsetzbar. Wir müssen vor allem dafür sorgen, dass die administrativen Hürden für jene KMUs tiefer werden, die Fachkräfte aus dem Nicht-EU/EFTA-Raum anstellen wollen. Darum ist eines der Ziele des Streams «Start-up Förderung», mit Unterstützungsmassnahmen den Jungunternehmen bei der Beschaffung von Arbeitsbewilligungen zu helfen.
Computerworld: Blicken wir in die Zukunft: Bis 2017 wird schweizweit ein Mangel an 32'000 ICT-Fachkräften befürchtet - ein Viertel davon alleine im Kanton Zürich. Was muss ihrer Ansicht nach unternommen werden, damit dieses Szenario nicht eintritt?
Heinzmann: Die wichtigste Massnahme ist, junge Menschen für die ICT zu begeistern und sie für die Wahl eines ICT-Berufes zu motivieren. Das setzt einen Imagewandel der ICT-Berufe und der Branche als Ganzes voraus. Wir wollen mit den Aktivitäten von eZürich der breiten Öffentlichkeit verständlicher machen, dass die Informations- und Kommunikationstechnologien einen unabdingbaren Beitrag leisten, um die anstehenden und die künftigen Herausforderungen in der Industrie, im Dienstleistungssektor und in der Umwelttechnologie besser bewältigen zu können.
Computerworld: Dabei wird man auch die Unternehmen in die Pflicht nehmen müssen, oder?
Heinzmann: Auf der Ebene der Berufsbildung müssen Unternehmen und Verwaltung viel mehr Lehr- und Praktikumsplätze zur Verfügung stellen. Diese sind die Basis dafür, dass wir zu den dringend benötigten Absolventen mit höherer Berufsbildung kommen. Auf der Hochschulstufe wären eigentlich genügend Studienplätze vorhanden. Es fehlt hier schlicht und einfach an geeigneten jungen Menschen, die ICT studieren wollen.
Computerworld: Kommen wir nochmals auf die zwölf Projekte zurück, die am eZürich-Workshop definiert wurden. Wie weit sind die einzelnen Projekte fortgeschritten? Was sind die nächsten konkreten Lösungen, die im Zuge von eZürich der Öffentlichkeit präsentiert werden?
Heinzmann: Zu allen zwlf Themen des eZrich-Workshops vom Januar 2011 haben wir Arbeitsgruppen gebildet, in denen die Workshop-Teilnehmenden mitarbeiten und konkrete Projekte entwickeln. Die einzelnen Streams sind unterschiedlich weit fortgeschritten. Dies liegt auch in der Natur des Kooperationsansatzes, wo der Fortschritt insbesondere davon abhängt, ob die verschiedenen Partner genügend Ressourcen zur Verfügung stellen können.
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Computerworld: Sind denn einzelne Vorhaben bereits besonders weit fortgeschritten?
Heinzmann: Am weitesten gediehen ist das Projekt «Data Purse», ein Kooperationsprojekt  der Zürcher Unternehmen DSwiss, Adnovum, Netcetera sowie der Universität und der Stadt Zürich. Zusammen bauen wir eine Plattform für die elektronischen Interaktionen von Benutzern mit Unternehmen oder öffentlichen Verwaltungen. Sie ermöglicht, Daten mit Bank, Steueramt, Polizei oder Versicherung über ein einziges Konto elektronisch auszutauschen.
Für den Stream «Start-up-Förderung» baut die Stiftung «BlueLion» einen Inkubator für ICT- und Cleantech-Start-ups in der Werkerei Schwamendingen auf. Dieser soll im April 2012 eröffnet werden. Es sind auch verschiedene Projekte im Bereich der Aus- und Weiterbildung und Nachwuchsförderung geplant.
Computerworld: Was geschieht im Verwaltungsbereich?
Heinzmann: Auf Verwaltungsseite steht das Thema «Open Government Data» zurzeit stark im Fokus. Die Schweiz hat diesbezüglich im internationalen Vergleich einen Rückstand, den wollen wir in Zürich aufholen. Bereits letztes Jahr haben wir die Kooperation mit (dem jetzigen Verein) opendata gesucht und im Oktober einen gemeinsamen Anlass durchgeführt. Nächster Schritt ist der Aufbau eines OGD-Portals in der Stadt Zürich. Die Liveschaltung planen wir auf Mitte Jahr 2012. Des Weiteren werden wir dieses Jahr die Website der Stadt Zürich für mobile Geräte optimieren und mit einer entsprechenden Informationsstruktur versehen.
Computerworld: Nach dem Start der eZürich-Initiative im Herbst 2010 haben Sie im Interview mit uns erwähnt, dass es für eZürich «mehr als ein paar Träumer und Spinner» braucht. Wenn Sie nun Zwischenbilanz ziehen: Wer hat sich bis jetzt bei eZürich durchgesetzt - Realisten, Träumer oder Spinner?
Heinzmann: Jedes Projekt, das zu einem Erfolg werden soll, braucht eine starke Vision - so wie «Zürich als Silicon Valley Europas». Wir sind nach wie vor überzeugt, dass Zürich dieses Potenzial hat. Die Erfahrung der letzten anderthalb Jahre hat uns aber auch gezeigt, dass wir daran noch hart arbeiten müssen.
Computerworld: Inwiefern?
Heinzmann: Wir befinden uns einerseits in einem komplexen politischen Umfeld. Nur schon das Thema Kontingente zeigt, dass auch bei «einfachen» Themen oft Kanton und Bund miteinbezogen werden müssen, um gute Lösungen zu erzielen. Zudem ist es anspruchsvoll, verschiedene Unternehmen dazu zu bringen, für eine grössere Sache gemeinsam zu investieren - insbesondere dann, wenn der Erfolg für die eigene Firma nicht sofort greifbar ist. Ich würde also sagen, «Träumer» müssen wir auf jeden Fall bleiben, sonst verlieren wir den Blick auf die gemeinsame langfristige Vision.
Harald Schodl



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