Cloud 19.10.2012, 06:00 Uhr

Das grosse Geld lockt- aber nicht alle werden gewinnen

Schweizer IT-Chefs wollen die Cloud. Aber unkontrollierbare Risiken bereiten ihnen Kopfschmerzen. Computerworld hat nachgefragt, was sich Cloud-Kunden wünschen und was Cloud-Anbieter tun sollten.
Gewagter Sprung in die Cloud?
Cloud Computing gilt als IT-Wachstumslokomotive, die nichts und niemand mehr aufhalten kann. Die Top-500-Umfrage, die Computerworld alljährlich unter Schweizer ICT-Firmen durchführt, bestätigt diese euphorische Einschätzung. Seit Jahren behauptet Cloud Computing dort mit Abstand den Spitzenplatz. Das Beschaffungsmodell Cloud sei das stärkste Zugpferd für die kommenden zwei Jahre, glaubt aktuell eine überwältigende Mehrheit von 68 Prozent. Aber: Ist hier der Wunsch der Vater des Gedankens, oder wird tatsächlich schon auf breiter Front investiert? Viele Schweizer IT-Manager wollen womöglich nicht als Ewiggestrige gelten und reden der Cloud das Wort, behalten ihre geschäftskritischen Applikationen und Daten aber dann ? aus Sicherheitsgründen ? doch lieber on-premise. Einige Mutige hingegen preschen voran.

IBM: Cloud-Hypejahr 2011

Wer verdient in der Cloud hier und heute bereits das grosse Geld, was ist noch Hype, was bereits Realität? Ein aufschlussreiches Statement zum Schweizer Cloud-Markt kommt von IBM. Die zweite Jahreshälfte 2011 sei in der Schweiz der «absolute Hype» gewesen, betont Markus Zollinger, Leiter Cloud Computing bei IBM Schweiz. Schon seit Längerem seien Cloud-Services wie E-Mail, E-Commerce- und Shopping-Lösungen in der Schweiz verbreitet.
Jetzt aber starten Firmen auch anspruchsvolle Transformationsprojekte und lagern geschäftskritischere Anwendungen wie Customer Relationship Management (CRM), Enterprise Ressource Planning (ERP) und Supply-Chain-Management (SCM) in die Cloud aus. Nach Recherchen der Computerworld ist Hewlett-Packard gerade dabei, mit seinem CRM weltweit von Oracle/Siebel auf den Cloud-CRM-Pionier Salesforce umzusteigen. IBM selbst nennt als Referenzkunden für die SmartCloud Services den Marketingdienstleister nViso und den TV-Service-Anbieter Otrum. Viel stärker als etwa in den USA oder in Asien würden in der Schweiz jedoch Risiken wie der sogenannte Vendor?s Lock-in ? also die Abhängigkeit von einem einzigen Cloud-Anbieter ? und Sicherheitsaspekte diskutiert, betont Zollinger. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Der Schweizer Markt Eine Umfrage vom Schweizer Marktforscher MSM Research unter 108 Schweizer Unternehmen kam zu ähnlichen Ergebnissen. Die lokale Datenhaltung der Cloud-Anbieter, mit anderen Worten ein Rechenzentrum in der Schweiz, wird zum entscheidenden Erfolgskriterium. Dieser Aussage stimmten 44,8 Prozent der von MSM Research Befragten voll und ganz, 27,6 Prozent immerhin noch halbwegs zu. Noch stärker sprachen sich die Umfrageteilnehmer für Cloud-Standards und Cloud-Zertifikate aus, die dem gefürchteten Vendor?s Lock-in entgegenwirken. Der Hintergrund: In einer standardisierten Cloud könnten Kunden ohne Probleme von ihrem Cloud-Anbieter zu einem leistungsstärkeren oder preisgünstigeren Konkurrenzanbieter wechseln. 57,5 Prozent sind der festen Überzeugung, dass eine Cloud ohne Standards und Zertifikate keine Zukunft hat. Auf der Notenskala von 1 (stimme gar nicht zu) bis 4 (stimme voll und ganz zu) erhielt diese Gretchenfrage die höchste Durchschnittsnote: eine 3,43.

33,09 Milliarden US-Dollar

Weg mit den Silos in der Cloud, heisst also der Prio-1-Wunsch der Schweizer Kunden. Einige Cloud-Anbieter haben ihre Hausaufgaben anscheinend immer noch nicht erledigt. Von diesen, in der Schweiz besonders leidenschaftlich diskutierten, Bedenken einmal abgesehen sieht es jedoch so aus, als ob punkto Software as a Service (SaaS) jetzt die ganz grosse Welle anrollt. Forrester-Analyst Stefan Ried prognostiziert für 2012 ein weltweites Marktvolumen von 33,09 Milliarden US-Dollar. Bereits im vergangenen Jahr stellte Software as a Service mit 21,2 Milliarden Dollar weltweit das mit Abstand grösste Stück am gesamten Cloud-Umsatzkuchen, und der Aufwärtstrend soll über die nächsten Jahre anhalten.
SaaS biete den grössten und nachhaltigsten Wachstumsmarkt für Cloud-Service-Provider, resümiert Forrester-Analyst Ried. Andere Cloud-Segmente können da nicht mithalten. Infrastructure as a Service (IaaS) kam 2011 weltweit auf einen Gesamtumsatz von 2,94 Milliarden, das strategisch wichtige Marktsegment Platform as a Service (PaaS) ? wie zum Beispiel Force.com und Microsoft Windows Azure ? gar nur auf 0,82 Milliarden US-Dollar. Lesen Sie auf der nächsten Seite: UBS nutzt Oracles HCM Den extrem lukrativen SaaS-Markt teilen sich Dickfische wie IBM, Microsoft (Dynamics Online), Oracle, Cisco Systems, Google (Google Apps) und SAP unter sich auf. In der Schweiz stellt SAP Country Manager Stephan Sieber, der vor einigen Wochen Stefan Höchbauer auf dem Chefsessel von SAP Schweiz abgelöst hat, dem Cloud-ERP BusinessByDesign (ByD) ein gutes Zeugnis aus. Insbesondere die ByD-Komponente SAP Sales on demand werde von Schweizer Kunden stark nachgefragt, sagte Sieber im Gespräch mit Computerworld. Geradezu markttypisch, denn Vertriebslösungen, CRM, Lohn­abrechnung und Personalmanagement gehören zu den IT-Services, die oft und gerne als Erste in die Cloud ausgelagert werden. Ein zweiter Reference Case: Der Lebensmittelkonzern Nestlé hat das Human Capital Management (HCM) von SAP/SuccessFactors im Einsatz ? eine waschechte Personalmanagementlösung aus der Cloud. Anfang 2012 hatte SAP den Cloud-HR-Spezialisten für 3,4 Milliarden US-Dollar akquiriert. Das Unternehmen wird zwar eigenständig weitergeführt, gehört aber seitdem zum SAP-Imperium.

UBS nutzt Oracles HCM

Nicht nur Nestlé, auch die Grossbank UBS führt das Personalmanagement ihrer 65000 Mitarbeiter (in mehr als 50 Ländern) aus der Cloud. Die UBS entschied sich allerdings für die HCM-Lösung des Konkurrenten Oracle. «Die Grossbank will eine ganze Reihe von Oracle Fusion Human Capital Management Modulen implementieren, darunter Global HR, Business Intelligence, Performance Management und Talent Management», sagt Adrian Schlund, Country Leader von Oracle Switzerland.
Oracle hat Grosses vor in der Cloud: Unter anderem stehen Database-Cloud-Services (Oracles Datenbank), Java-Services, Web-Services, Mobile-Services sowie Document- und Analytics-Services auf der Agenda. Etwa 100 in Java programmierte sogenannte Fusion-Apps, also Geschäftsanwendungen, die sowohl on-premise als auch in der Cloud laufen, sind bereits auf dem Markt. Jede SaaS-Applikation habe ihre eigene Adaptionskurve am Markt, betont Forrester-Analyst Ried. Cloud-Applikationen wie CRM, HCM und das Beschaffungswesen (eProcurement) seien weltweit bereits recht verbreitet. Für CRM-Systeme aus der Cloud prognostiziert Ried den Höhepunkt der Marktdurchdringung für 2013. Business Intelligence (BI) und Product Lifecycle Management (PLM) aber stehen erst am Anfang der Wachstumskurve; ERP-Lösungen sieht Ried, auch wegen der Komplexität der Systeme, noch stärker im Rückstand. Der innovative Markt für Business Process as a Service (BPaaS) ? Cloud-Lösungen, wie sie von der Software AG oder der Cordys Process Factory angeboten werden ? entsteht gerade erst. Lesen Sie auf der nächsten Seite: IaaS droht Preiszerfall

IaaS droht Preisverfall

Schon heute sehr weit verbreitet ist ? trotz tie­ferer Umsätze ? Infrastructure as a Service (IaaS), also Computing/Server und Speicher aus der Wolke. Vor allem Amazon EC2, aber auch Google App Engine gehören zu den Pionieren. Dieses Cloud-Marktsegment werde sehr früh, etwa 2014, seinen Peak erreichen, danach stagnieren und ab 2020 deutlich schrumpfen. Zum Vergleich: 2020 rechnet Forrester mit weltweiten SaaS-Umsätzen von 132,57 Milliarden US-Dollar, der IaaS-Markt werde im gleichen Jahr lediglich ein Marktvolumen von prognostizierten 4,78 Milliarden erreichen.
Martin Häring von Akamai pflichtet dieser Einschätzung bei. IaaS sei kein Geschäft, in dem man sehr viel Geld verdienen könne, weil die Leistungen und Preise der IaaS-Anbieter ? CPU-Zyklen, Anzahl CPU-Kerne und Gigabyte Speicherplatz ? sehr genau miteinander vergleichbar seien, stellt Häring fest. Als typische IaaS-Kunden sieht er preissensitive Mittelständler. «Die Anbieter müssen den Stack nach oben gehen, hin zu Mehrwert, der zusätzlich bepreist werden kann», betont Häring. Mit anderen Worten: Mit Software as a Service verdient man das grosse Geld. Als Angebote auf dem Markt hebt Häring unter anderem die Google-Apps, die auch vom Schweizer Me­dienhaus Ringier eingesetzt werden, Salesforce und Microsoft Office 365 (u.a. SharePoint, SQL Server, Lync, einfache Office-Apps) hervor. IaaS glänzt mit überzeugenden Vorteilen wie Skalierbarkeit und stark reduzierten IT-Fixkosten ? Bezahlen nach Verbrauch ?, wird aber schnell zur sogenannten «Commodity» werden, was in Konsequenz den Preisverfall einleitet. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Privat, hybrid oder öffentlich

Dreisprung: private, hybrid, public

Schweizer Unternehmen, die selbst eine Cloud-Infrastruktur einführen wollen, unterscheiden in der Regel zwischen der privaten, der hybriden und der öffentlichen (public) Cloud. Grosse Konzerne wie Hewlett-Packard und Citrix versuchen deshalb, ihren Kunden durch integrierte Cloud-Architekturen grösstmöglichen Mehrwert zu bieten. HPs sogenannte «Converged Cloud» etwa lässt dem Kunden die Freiheit der Wahl, wo er seine Business-Applikationen in heterogenen IT-Landschaften letztendlich laufen lassen will: traditionell im eigenen Rechenzentrum, in der Public Cloud, der Private Cloud oder in einer von HP verwalteten «Managed Cloud». http://www.computerworld.ch/businesspraxis/hard-software/artikel/citrix-trick-enduser-cloud-fuer-jedermann-60462/«Der Schweizer Markt wacht punkto Cloud auf», sagte Hans-Peter Klaey, Senior Vice President HP Software. «In den USA haben wir riesige Pilotprojekte mit Grosskonzernen gefahren, aber das machen wir in der Schweiz jetzt auch», so Klaey weiter. Das Geschft von HP besteht zurzeit zum grossen Teil aus der Private Cloud und aus Cloud-Service-Anbietern, die selbst eine agile Cloud-Infrastruktur aufbauen wollen. Am anderen Ende des Spektrums steht Citrix mit seiner Vision einer persönlichen Cloud für Endanwender. Zu den Enduser-Lösungen, die Citrix auf den Markt gebracht hat, zählen: die Document-Sharing-Lösung Sharefile über alle Devices (Follow-Me-Data), Collaboration aus der Cloud, GoToMeeting (auch für iPad) mit Videokonferenzsystem oder das Mobility Pack für (mobile) Windows-Applikationen. Die Idee dahinter: Nicht die Systeme, sondern die Anwender mit ihren Devices sind die wahre Cloud. Eine geschickte Strategie, mit der das Unternehmen dem Wettbewerb Marktanteile abspenstig machen könnte.



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