Nachhaltigkeit
08.07.2020, 05:58 Uhr
Höherer Stromverbrauch durch Digitalisierung?
Die ICT-Branche ist stets um ein umweltverträgliches Image bemüht und setzt auf Nachhaltigkeit. Jedoch wird der Energieverbrauch von ICT oft unterschätzt, weil er nicht unmittelbar sichtbar ist und auch nicht gesondert erfasst wird – ein Erklärungsversuch.
Dass fast alle Schweizer Unternehmen digital funktionieren, war beim Ausbruch des Corona-Virus gut zu erkennen. Der Übergang zum Home Office verlief bei den meisten Unternehmen fliessend, und auch die hiesige ICT-Infrastruktur schien dem Ansturm gewachsen zu sein. Gewisse Server, etwa von Online-Shops, liefen jedoch am Anschlag oder gingen sogar offline, da sie für derart hohe Lasten nicht ausgelegt waren.
Die Kommunikationsnetze der hiesigen Provider liefen hingegen flüssig und verkrafteten den zusätzlichen Datenverkehr gut. Dies ist kein Wunder, denn kaum ein europäisches Land treibt die Digitalisierung so intensiv voran wie die Schweiz.
Dies hängt unter anderem mit den hohen Arbeitskosten zusammen, welche die Schweizer Unternehmen zu hoher Effizienz zwingen. Das (nahezu) papierlose Büro ist in Grossfirmen längst Wirklichkeit, und auch KMU tauschen Dokumente zunehmend digital aus. Drucker trifft man
immer seltener an und werden dann höchstens noch als Scanner verwendet.
Online-Sitzungen zwischen verschiedenen Standorten sind eher die Regel als eine Ausnahme, was Zeit und Geld spart und den CO2-Ausstoss senken soll. Letzteres wird ebenso wie das nachhaltige Image gerne nach aussen kommuniziert. Denn weniger Verkehr sorgt für weniger Reisen und senkt die Emissionen, so das Credo.
Alles digital, alles vernetzt
Jedoch bedingt die weitgehende Digitalisierung von
Abläufen und Arbeitsprozessen eine leistungsstarke
IT-Infrastruktur in Rechenzentren sowie entsprechend schnelle, flächendeckende Kommunikationsnetze, um die Daten noch ins hinterletzte Dorf zu bringen.
Und auch hier will die Schweiz Europameister sein: Der halbstaatliche Telko Swisscom will bis 2021 alle 2255 Schweizer Gemeinden mit einem Mix aus Glas- und Kupferkabeln
sowie 4G/5G-Mobilfunknetzen erschlossen haben. Im Rahmen eines DSL-4G/5G-Bondings bietet Swisscom zudem an einigen Standorten die Möglichkeit, schwache Anschlussnetze (etwa wegen langer oder alter Anschlussleitungen) mit schnellem Mobilfunk zu koppeln, um vor Ort akzeptable Bandbreiten zu erreichen.
Die Konkurrenz hat sich im Verband «Suisse Digital» zusammengefunden und drückt ebenfalls aufs Tempo, sprich auf die Datenübertragungsraten. Hier bedienen über 200 Unternehmen ihre Kunden mit regionalen Glasfaser- oder Koaxialkabelnetzen.
Provider Sunrise nutzt zudem in ländlichen Gegenden 5G-Anlagen, um abgelegene Standorte zu erschliessen. Mit diesem Fixed Wireless Access (FWA) genannten Ansatz werden Gebäude über Mobilfunktechnik angebunden. Seit der geplatzten Übernahme von UPC nutzt Sunrise diese Variante vermehrt, da sie kein eigenes Anschlussnetz besitzt.
In den Gebäuden selbst stellen meist Wireless LANs (WLANs) den lokalen Datenfluss sicher. Fest verdrahtete
Büronetze verlieren zunehmend an Bedeutung, obwohl sie nur wenig Strom brauchen und praktisch strahlungsfrei arbeiten. Neben den nur wenig Strom konsumierenden WLAN Access Points (APs) sind natürlich auch hier überall Router nötig, um Verbindungen zum Datennetz aufzubauen.
Der Autor
Rüdiger Sellin
ist Diplom-Ingenieur (FH) und arbeitet seit 1992 als Fachjournalist SFJ/MAZ mit den Schwerpunkten ICT und Elektrotechnik.
Internet der 50 Milliarden Dinge
Aber dies ist erst der Anfang einer noch grösseren Entwicklung. Denn im Zuge der schnell fortschreitenden Digitalisierung – Stichwort «Internet der Dinge» (Internet of Things, kurz IoT) – wird jedes und alles vernetzt. Dazu zählen zum Beispiel bewegliche Dinge wie Medikamente, Halbfertigprodukte und Frischwaren in (Kühl-)Containern und Versandboxen sowie Roboter, Schiffe, Lastwagen, Autos, ja sogar Fahrräder ebenso wie feststehende Dinge wie Häuser, Wetter- und Messstationen, Maschinen und Automaten.
Sensoren und Überwachungskameras senden Daten an zentrale Computer oder werden von ihnen empfangen. So lassen sich Warenflüsse, unerwünschte Situationen sowie ein allfälliger Wartungs- oder Nachfüllbedarf erkennen. Für sich betrachtet verbrauchen eine SIM-Karte oder ein IoT-Sensor nur wenig Strom, und es werden auch nur wenige Daten gesendet. Aber die Masse machts: So werden für 2025 weltweit rund 50 Milliarden via IoT verbundene Dinge prognostiziert.
Um alle gewünschten Daten dezentral zu erheben und an zentrale Rechenzentren zu übertragen, sind flächendeckend verfügbare Fest- und Mobilfunknetze unabdingbar, damit die Daten ausgewertet und je nach Szenario auch verrechnet werden können.
Ohne gut ausgebaute
Infrastrukturen wäre der schnelle und nahtlose Transport grosser Datenmengen unmöglich. Diese verdoppeln sich in Schweizer Mobil- und Festnetzen seit vielen Jahren etwa alle 12 bis 16 Monate. Doch woher kommen diese riesigen Datenmengen eigentlich und wo landen sie? Und wie viel Energie ist für deren Transport und Speicherung nötig?
Blick in die Stromstatistik
Dass Kommunikationsnetze und die nötigen Server ohne Strom nicht funktionieren, ist offensichtlich. Leider wird der Stromverbrauch der ICT-Branche nicht gesondert registriert, sodass nur Schätzungen und ein Blick auf einige Fakten bleiben.
So hat die Wohnbevölkerung der Schweiz stetig zugenommen, von 5,53 Millionen (1960) über 6,87 Millionen (1990) auf 8,55 Millionen (2018). Parallel dazu stieg der Stromverbrauch überproportional von 15'891 GWh (1960) über 46'578 GWh (1990) auf 57'198 GWh (2019).
Bemerkenswert ist dabei, dass der Stromverbrauch von 2005 bis 2019 trotz Internet- und Smartphone-Boom,
Bevölkerungswachstum und Mehrverkehr auf der Schiene praktisch konstant blieb (15-Jahres-Schnitt von 58 82 GWh). Ebenfalls anzumerken ist, dass der Stromverbrauch von 2019 ca. auf das Niveau von 2005 zurückging, was die Steigerung der Energieeffizienz eindrucksvoll belegt.
Für 2020 ist anzumerken, dass künftige Werte wegen des monatelangen Stillstands der Schweizer Wirtschaft kaum als aussagekräftig gelten dürfen. Jedoch wird ein höherer Verbrauch bei den Privathaushalten und ein Einbruch beim
gewerblichen Verbrauch erwartet.
Vergleicht man hingegen die Werte von 1990 mit jenen von 2018 nach Sektoren, so wird deutlich, dass die Privathaushalte und der Dienstleitungssektor die treibenden Kräfte hinter dem steigenden Stromverbrauch sind, was positive
Effekte durch effizientere Haushaltsgeräte oder Beleuchtungen mehr als kompensiert.
Offensichtlich führt also die zunehmende Nutzung von Online-Diensten im privaten wie im geschäftlichen Bereich zu höherem Stromverbrauch. Erfreulich hingegen ist die seit 1990 nur moderate Zunahme beim Stromverbrauch des öffentlichen Verkehrs, dies trotz deutlich höherer Zugfolgen und massivem Streckenausbau.
Mehr Geld für den Cloud-Boom
Neben einer gut ausgebauten Infrastruktur gilt die Schweiz auch als Ort der Neutralität, Stabilität und Sicherheit, was sie zum wichtigsten Standort für Rechenzentren in Europa macht, wie Neu- und Umbauten der letzten Jahre beweisen.
Hier werden Daten aus der ganzen Welt gespeichert und wichtige Anwendungen auf Hochleistungsservern gehostet. Big Data und Cloud Computing sollten die Energieeffizienz im Grunde genommen ja steigern und den Nutzern dabei deutlich tiefere Kosten bescheren.
Denn wenn die Server zentral an einem Standort laufen, sind diese besser ausgelastet und können effizienter betrieben werden, als wenn jede Firma eigene Rechenzentren unterhält. Aber gemäss einer neuen Studie der Berner Fachhochschule übersteigt der Mehrverbrauch beim Strom
die Einsparungen bei Weitem.
Hierzulande existieren insgesamt rund 5000 Data Center, wovon etwa 1300 von
externen Anbietern betrieben werden. Davon sind rund
80 Prozent in- und ausländische Unternehmen.
Neben dem Platzhirsch Swisscom zählen weltweite Anbieter wie Microsoft und Google ebenso dazu wie die Pharmaindustrie oder Rüstungskonzerne, die jährliche Investitionen in Milliardenhöhe leisten.
Gemäss den Marktforschern von MSM Research waren dies 2018 insgesamt mehr als 18 Milliarden Franken (plus 700 Millionen Franken gegenüber 2017), wovon etwa 4,3 Milliarden Franken in den Bau von Rechenzentren inklusive Betriebseffizienzsteigerungen wie Energie und Kühlung investiert wurden. 2018 war somit das bisherige Spitzenjahr der Inbetriebnahme neuer oder umgebauter Rechenzentren.
Tiefere Kosten, höhere Sicherheit
An den gesamten über 18 Milliarden Franken hatten KMU einen bemerkenswert hohen Anteil von 65 Prozent, wobei der Trend weg von Individuallösungen und hin zu standardisierten Cloud-Lösungen geht. Während früher praktisch jeder Betrieb seine Informatik selbst betrieb, waren es 2018 nur noch rund 30 Prozent. Die Cloud ist somit ein fester
Bestandteil der Schweizer Unternehmens-IT, die heute mehrheitlich aus einer hybriden Cloud besteht, einem Mix aus eigener IT-Infrastruktur sowie Services aus der Cloud.
So überrascht es nicht, dass 2018 deutlich weniger in die interne IT, dafür aber rund 5,6 Milliarden Franken an externe Dienstleister floss (+15 gegenüber 2017). In einem modernen Rechenzentrum sind eigene Daten meist deutlich besser geschützt als in der Firmen-IT. Zudem sind feste monatliche Servicekosten deutlich besser budgetierbar als häufige, variable Kostenblöcke aufgrund unerwarteter Ereignisse.
Neben Kosteneinsparungen und flexibler/schnellerer Umsetzung neuer IT-Anforderungen stehen beim Cloud Computing also Sicherheitsaspekte im Fokus, was besonders vor dem Hintergrund zunehmender Cyberattacken gilt. Cloud- Provider pushen beispielsweise aber auch Software as a Service (SaaS) mit besserem Kosten-Nutzen-Verhältnis. Kunden müssen sich hier nicht um neue Software-Releases kümmern, da sie automatisch aufgeschaltet werden.
Cloud Computing bietet also höhere Convenience und Sicherheit, beschleunigt aber auch das Wachstum der Rechenzentren. Insider berichten indes von Überkapazitäten, was nicht gerade für eine hohe Energieeffizienz spricht. Die am Markt erzielten Preise für Hosting und Cloud Computing sind jedenfalls unter Druck, auch weil es (zu?) viele Anbieter gibt.
Fünfmal mehr Energie als ein Auto
Clouds bedingen ebenso Serverfarmen wie Suchmaschinen oder Datenhosts für die wachsende Streaming-Industrie.
In diesem Zusammenhang kommt das Thema künstliche Intelligenz (KI) ins Spiel. Dabei geht es unter anderem um lernende Maschinen, die unsere Gewohnheiten aufzeichnen, untersuchen und daraus etwas ableiten, etwa unsere Interessengebiete, Konsumgewohnheiten oder betrieblichen Prozesse.
Mit diesem Wissen werden bestehende Produkte angepriesen, verbessert oder neue entwickelt. Auch Übersetzungsmaschinen sind selbstlernend und haben mittlerweile ein erstaunlich hohes Niveau erreicht.
Solche über Werbeeinnahmen finanzierte Such- und Übersetzungsmaschinen stehen auch im Fokus, wenn es um deren Energieverbrauch geht. So haben Untersuchungen der University of Massachusetts ergeben, dass selbstlernende Maschinen, wie sie für Übersetzungsprogramme verwendet werden, allein in der Trainingsphase fünfmal so viel Energie benötigen wie ein Durchschnittsauto über dessen gesamten Lebenszyklus.
Das dazu emittierte CO2 bei der Energieerzeugung beträgt etwa 284 Tonnen. Allein zur Optimierung der vernetzten Architektur der Suchmaschinen mithilfe komplizierter Algorithmen werden Hochleistungscomputer jeweils über Tausende von Stunden trainiert.
Ein weiterer Teil des Stromverbrauchs geht zulasten der Endgeräte, die einerseits immer kleiner und leistungsfähiger, andererseits aber auch intensiver genutzt werden. So hat die Batteriekapazität von Smartphones in den letzten fünf Jahren um 50 Prozent zugenommen, während die Häufigkeit des Aufladens im selben Zeitraum etwa konstant blieb, was zusammen mit der intensiveren Nutzung zu steigendem Stromkonsum führt.
Hoteliers berichten, dass ihre Stromrechnungen in den letzten zehn Jahren massiv gestiegen sind, weil die Kunden ihre Smartphones, Tablets und Notebooks im Zimmer laden und zudem nach Gratis-Connectivity in Form von WLANs verlangen – am besten an jedem Ort im Hotel inklusive Wellnessbereich.
Benutzerverhalten treibt Energieverbrauch
Bei den Nutzern stehen die Konsequenzen ihres Verhaltens jedoch weit im Hintergrund. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass eine einfache Suchanfrage auf Google ungefähr 20-mal so viel Energie benötigt wie auf dem Smartphone selbst?
Der grösste Teil dieser Energie tritt bei den erforderlichen Servern in den Rechenzentren auf, die Datenbanken nach dem gesuchten Begriff durchsuchen und dem Benutzer zur Auswahl stellen. Aus eigener Erfahrung weiss man, dass oft sehr viele Links angezeigt werden und kann erahnen, welche Datenmengen in Rechenzentren rund um den Globus gespeichert sind.
Dabei geben sich die grossen Anbieter viel Mühe, rund 80 bis 90 Prozent der gängigen Suchanfragen lokal, also
im Land selbst zu beantworten. Denn eine möglichst lokale Datenspeicherung senkt die Antwortzeiten und reduziert die Netz- sowie Serverbelastung. Es überrascht vor diesem Hintergrund nicht, dass etwa Microsoft und Google eigene, weltumspannende Datennetze betreiben, um ihre weltweiten Data Center mit ihren Kunden zu verbinden.
Erwähnenswert ist auch das Verhalten der Benutzer selbst – das sind wir alle. So werden etwa drei Viertel aller Suchanfragen von mobilen Geräten aus gestartet, und zwar in etwa zwei Drittel aller Fälle stationär, also im Gebäude, was oft grosse Sendeleistungen der Endgeräte nötig macht, um die Wände zu durchdringen. Besser wäre es, auf das hausinterne WLAN zurückzugreifen, das mit nur 100–200 mW operiert und den Akku des mobilen Endgeräts entlastet.
Rasant mit voller Power
Unterwegs sieht die Energiebilanz noch düsterer aus. Denn wenn über 1000 Reisende im Intercity zum Beispiel auf dem Weg von Genf nach St. Gallen ihre E-Mails abrufen, telefonieren oder streamen, sind Endgeräte und Mobilfunksender gleichermassen gefordert.
Während die meisten Autos mit Aussenantennen auf dem Dach ausgestattet sind, verhindert der Metallkörper des Bahnwaggons gute Mobilfunkverbindungen – ein klassischer Faraday’scher Käfig, der sich mit bis zu 160 km/h bewegt.
Da helfen auch die passiven Repeater in den IC-Waggons der SBB nur wenig, und es ist reine Physik, wenn der häufige Handover von Verbindungen bei der Übergabe von rund 1000 aktiven Endgeräten zur nächsten Funkzelle kaum für alle Benutzer gleich gut gelingen kann.
Praktisch bedeutet das: Vor allem die vielen Endgeräte laufen unterwegs mit voller Sendeleistung, was sehr viel Strom verbraucht und noch mehr Strahlung im Zug erzeugt. Die Nutzer verlangen aber unverdrossen nach Connectivity und Steckdosen zum Arbeiten, Telefonieren und Streamen.
Streamen wird beliebter
Eine seit vielen Jahren sehr populäre Anwendung ist dabei das Streamen. Warum noch Videos und CDs daheim aufbewahren, wenn es neben dem Klassiker Apple Music oder Deezer noch Anbieter wie Spotify gibt, die allein 40 Millionen Musiktitel in hoher Qualität auf Abruf bereithalten? Daneben sind auch klassische Musikvideos, wie sie auf YouTube gezeigt werden, weiterhin sehr populär.
Die Plattform wurde 2005 für 1,65 Milliarden US-Dollar von Google gekauft und ist heute die am dritthäufigsten besuchte Website nach Google und Facebook sowie mit 1,9 Milliarden Nutzern die zweitbeliebteste Social-Media-Plattform. Jede Minute werden auf YouTube 400 Stunden Videomaterial hochgeladen, jeden Tag über 1 Milliarde Stunden Videos angesehen, dies zu 70 Prozent über mobile Geräte.
Streaming-Anbieter Netflix erfreut sich ebenfalls grosser Beliebtheit und wird beispielsweise von lokalen Kabelnetzbetreibern als Alternative zu Swisscom TV angepriesen. Dass der Hunger nach Datenspeichern wächst, liegt auf der Hand, sind TV-Sendungen und Videos doch rund um die Uhr auch zeitverzögert auf Abruf verfügbar. Und hochaufgelöste Inhalte benötigen sehr viel Speicherplatz.
Zehn Minuten Video oder fünf Stunden am PC
Auch der Musikkonsum erfolgt kaum noch über die gute alte CD. Denn heute ist es moderner, sein Smartphone daheim mit dem WLAN oder unterwegs via Bluetooth mit dem Auto und dem Mobilfunknetz zu verbinden, um überall Musik zu streamen – dank Flatrates ohne Extrakosten.
Kaum bedacht wird aber, wie viel Strom diese Art des Musikkonsums benötigt, wenn man seine Titel unterwegs von irgendwoher aufs Smartphone lädt. Dabei ist das Streamen von Musik und Videos für über 80 Prozent der Zunahme des weltweiten Datenverkehrs im Web verantwortlich, wie eine Studie der Denkfabrik theshiftproject.org aufzeigt.
Dieser populäre Zeitvertreib benötigt rund 1500-mal mehr Energie als der gewöhnliche Betrieb eines Smartphones. Wer etwa unterwegs auf dem Smartphone zehn Minuten lang Videos anschaut, verbraucht gleich viel Strom, wie wenn er daheim am PC während fünf Stunden nonstop Mails mit angehängten Dateien verschickt. «Streaming ist definitiv das Energieintensivste, was man im Internet machen kann. Dennoch ist es nicht belastender, als einen Raum zu beleuchten. Nur in der Summe hat das Streaming einen
relevanten Effekt.
Er kommt dadurch zustande, dass sehr viel gestreamt wird, allein auf YouTube sind es 1 Milliarde Stunden pro Tag», erläuterte Informatikprofessor Lorenz Hilty von der Universität Zürich in einem Interview mit dem Tages-Anzeiger im Juli 2019. Gemäss einer Studie der Universität Bristol verursacht allein YouTube jährlich 10 Millionen Tonnen CO2, was etwa den jährlichen Emissionen von Frankfurt am Main entspricht.
Der Energieverbrauch sozialer Netzwerke wurde bisher noch nicht untersucht, dürfte ihn aber weiter anheizen. Wenn man bedenkt, was auf LinkedIn, Facebook, Twitter, WhatsApp etc. irgendwo auf der Erde fotografiert, gefilmt und gepostet wird, so kann man erahnen, welche irrwitzigen Datenmengen von den weltweit rund 4,1 Milliarden Internetnutzern täglich verschickt, transportiert und gespeichert werden – das meiste davon vom Smartphone aus.
Mindestens eines dieser Geräte besassen laut Ericsson Mobility
Report Ende 2018 weltweit 60 Prozent der Bevölkerung. In der Schweiz sind es sogar 92 Prozent. Im Trend liegen hochpreisige Geräte mit immer stärkeren Akkus, die immer grössere Displays und leistungsfähigere Prozessoren befeuern.
Rebound-Effekt dämpft Nachhaltigkeit
Die Berner Fachhochschule (BFH) hat im Auftrag des Bundesamts für Umwelt (BAFU) eine Studie zu den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Umwelt durchgeführt und die Ergebnisse Ende April 2020 veröffentlicht. Die Entmaterialisierung von Wertschöpfungsprozessen und die Verlagerung hin zu erneuerbaren Energiequellen verbessert demnach die Ökobilanz.
Allerdings ziehen Effizienzgewinne oft auch eine verstärkte Nachfrage nach sich, was einen erhöhten Rohstoff- und Energieverbrauch sowie zusätzliche Emissionen und mehr Elektroschrott zur Folge hat. Solche Rückkoppelungseffekte werden auch als «Rebound-Effekte» bezeichnet.
Unter deren Berücksichtigung hat die Digitalisierung unter dem Strich bisher einen negativen Effekt auf die Umwelt, lautet das Fazit der BFH. Dank Digitalisierung werden Abläufe effizienter, haben aber auch eine wachsende Datenmenge zur Folge. Diese beschleunigende Wirkung auf unser Wirtschaftssystem ist seit mehreren Jahren zu beobachten und zeichnet sich durch eine übermässige Nutzung natürlicher Ressourcen aus. Überregionale und weltumspannende Ökosysteme laufen dadurch Gefahr «zu kippen».
Folgen lassen sich leicht ausblenden
Da diese Ökosysteme jedoch noch ausserhalb unseres Umfeldes sind, blenden wir die Folgen unseres Handeln einfach aus. Dabei benötigen die Gewinnung und der Transport der nötigen Rohstoffe für elektronische Bauteile wie z. . Displays und Akkus bereits sehr viel Energie, wobei die Rohstoffe in Südamerika, Afrika und Asien mehrheitlich
ohne Rücksicht auf die Ökosysteme gewonnen werden.
Hinzu kommt der Energiebedarf für die Güterproduktion (meist in Fernost) und deren Transport (häufig just in time per Flugzeug zu den Abnehmern in aller Welt). Da elektronische Geräte oft entsorgt und die darin enthaltenen Rohstoffe nicht wiedergewonnen werden, ergeben sich mittelfristig dramatische Folgen für unsere Lebensgrundlagen.
Steigende Nachfrage nach Smartphones
Doch wo entsteht die grosse Nachfrage nach elektronischen Geräten? Gemäss dem Ericsson Mobility Report gab es im dritten Quartal 2018 weltweit 7,9 Mia. Mobilfunkanschlüsse (+3 zum Vorjahr), wobei weltweit 60 Prozent aller Mobiltelefone Smartphones waren (Ende 2018 ca. 5 Mia.). Bis 2024 dürften es 7,2 Mia. sein.
Seit 2019 setzt aufgrund gut ausgebauter und neu in Betrieb genommener 5G-Netze ein erneutes Wachstum ein, wenn auch nicht mehr so stark wie zur Anfangszeit der Smartphones. In der Schweiz ist ihr Anteil seit vielen Jahren sehr hoch, wo 2019 92 Prozent aller Erwachsenen mindestens ein Smartphone besassen. Deren Popularität hat unseren Alltag und unsere Art zu kommunizieren radikal verändert.
Wir sind quasi rund um die Uhr online und konsumieren immer mehr Daten,
namentlich in Form von Videos. Dies führt zu einer enormen Zunahme des Datenverkehrs auf den Mobilfunknetzen; in der Schweiz je nach Provider ist es eine Verdoppelung alle 12 bis 16 Monate.
Gemäss dem im Februar 2019 aktualisierten Ericsson Mobility Report hat der Datenverkehr auf den Mobilfunknetzen zwischen Ende 2017 und Ende 2018 weltweit um 88 Prozent zugenommen. Dies ist der stärkste Zuwachs seit Mitte 2013, als eine Zunahme um 89 Prozent verzeichnet worden war.
Gemäss den Daten von Ericsson machte 2018 der Videoanteil bereits 60 Prozent des mobilen Datenverkehrs aus und könnte bis 2024 auf fast 74 Prozent anwachsen. Wie aus der Grafik ersichtlich ist, spielt die Sprachübertragung nur noch ein untergeordnete Rolle.
Schlechte Klimabilanz
Gemäss MSM Research wird der Anteil der ICT-Branche an den weltweiten CO2-Emissionen auf 3,7 Prozent geschätzt – fast doppelt so viel wie derjenige aus der zivilen Luftfahrt (2 ) oder halb so viel wie der Schadstoffausstoss aller Personenfahrzeuge und Motorräder (8 ). Andere Studien sprechen von unter 2 Prozent, was darin begründet ist, dass nur der reine Stromverbrauch der Endgeräte ohne deren Herstellung, Transport und Entsorgung eingerechnet wird.
Wie auch immer – der ICT-spezifische Stromverbrauch steigt weiter. Weltweit klettert der entsprechende Energiebedarf zurzeit um etwa 9 Prozent jährlich. Steigt das Datenvolumen im Internet und in den Rechenzentren weiterhin um rund 30 Prozent pro Jahr, wäre die ICT-Branche 2025 bereits für 8 Prozent aller weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich.
Es erstaunt, dass solche Zahlen im Bewusstsein meistens ausgeblendet werden – aber der Strom kommt ja bekanntlich aus der Steckdose.