UBS' IT-Chef Mike Dargan 10.08.2020, 10:11 Uhr

«Das Bankwesen ist ein digitales Geschäft»

Von einem Tag auf den anderen schickte die UBS in der Corona-Krise die Mehrzahl ihrer Angestellten ins Home Office. Dabei halfen die IT-Investitionen der Vergangenheit, sagt der globale IT-Chef Mike Dargan.
Mike Dargan ist seit fast vier Jahren der Group CIO der Grossbank UBS
(Quelle: UBS)
Die rund 68'000 Angestellten der Grossbank UBS waren während des Corona-Lockdowns nahezu alle im Home Office. Das Bankgeschäft lief grösstenteils weiter, teilweise sogar besser als zuvor. Für die Informatik dahinter zeichnet Mike Dargan verantwortlich. Der globale IT-Chef war selbst natürlich ebenfalls im Home Office. Und trieb aus dem heimischen Wohnzimmer die agilen Projekte der Bank, die Cloud-Migration und den Wechsel auf neue Vermögensverwaltungsplattformen voran. Im Interview berichtet er ausserdem, dass die IT abgesichert ist, sollte das nächste Virus durch die Datenleitung kommen.
Computerworld: Wie ging UBS mit der Krisensituation im erste Halbjahr um?
Mike Dargan: Auch aktuell arbeitet weltweit immer noch die Mehrheit unserer Mitarbeitenden von zu Hause aus.
CW: Was haben Sie und die IT getan, damit die Kollegen von zu Hause aus arbeiten konnten?
Dargan: Wir investieren bereits seit einigen Jahren in «Remote Working» – wir nennen es «A3»: anytime, anywhere and from any device. A3 macht uns flexibler und sicherer – damit können die Kollegen im Home Office oder mobil arbeiten. Wir standen mit der weltweiten Implementierung kurz vor dem Abschluss und haben die letzte Meile beschleunigt. Diese Investitionen zahlen sich in der aktuellen Situation aus.
Damit konnten wir auf der einen Seite 95 Prozent der Angestellten die Möglichkeit geben, von zu Hause aus zu arbeiten. Andererseits stellten wir die nötige Kapazität sicher, damit zum Beispiel über 60'000 User gleichzeitig eingeloggt sein konnten und die elektronische Kommunikation bei der grossen Anzahl Nutzer funktioniert. Wir hatten Skype for Business bereits in unsere A3-Plattform eingebettet – das war klar von Vorteil. In Spitzenzeiten registrierten wir über drei Millionen Anrufe pro Woche weltweit.
Das eine ist die technische Möglichkeit, das andere ist die direkte Unterstützung der Mitarbeitenden. Wir haben schon vor einiger Zeit eine Reihe von Self-Service-Tools entwickelt: «My Hub». Dieses Portal für Hilfen und Problemlösungen zählte in Spitzenzeiten mehr als 500'000 Zugriffe pro Woche und die Selbstbedienungs-App wurde seit Mitte Februar 16'000-mal heruntergeladen.
Zur Person
Mike Dargan
wurde im September 2016 zum globalen IT-Chef der UBS ernannt. Zuvor war er während fast sieben Jahren in leitenden IT-Rollen in Singapur bei der britischen Standard Chartered Bank angestellt. Zwischen 2005 und 2009 war Dargan als Head of Corporate Strategy bei der damals noch eigenständigen US-Bank Merrill Lynch tätig. Seine Karriere startete er 1999 bei der Strategieberatungsfirma Oliver Wyman. Der gebürtige Brite hält einen Master of Arts von der Universität Oxford.

Home Office als das neue Normal?

CW: Was haben Sie in der IT geändert, um die Arbeit im Home Office zu unterstützen?
Dargan: Wir hatten schon vieles implementiert und mussten nur punktuell nachrüsten. Der Finanzmarkt verzeichnete während der Corona-Zeit um bis zu 300 Prozent mehr Volumen und eine hohe Volatilität. Unsere Systeme waren dem Ausmass an Stress gewachsen, sodass sie superstabil blieben. Im April haben wir sogar die höchste Systemstabilität seit Anfang der Messung überhaupt erzielt. Wir konnten in diesen Zeiten auch Marktanteile gewinnen. Das haben wir an unserer Bilanzpressekonferenz für das erste Quartal gezeigt.
Eine Innovation, die wir in dieser Zeit gemacht haben: Wir mussten für das Onboarding neuer Mitarbeiter eine Lösung finden. Denn während des Lockdowns konnten die neuen Angestellten natürlich nicht ins Büro gehen, Papiere unterschreiben und vielleicht einen Laptop abholen etc. Stattdessen haben wir einen virtuellen Onboarding-Prozess entwickelt: Neue Mitarbeiter melden sich einmalig in unserem System an und können dann eine App auf ihr Smartphone laden. Dort loggen sie sich ein und werden durch den digitalen Onboarding-Prozess geführt. Bei bis anhin rund 700 Personen hat das hervorragend funktioniert.
CW: Hatte die IT während dieser Wochen irgendwelche Probleme, die Sie lösen mussten? Und: Wie haben Sie allenfalls die Schwierigkeiten gemeistert?
Dargan: Ich würde nicht von Problemen sprechen, denn unsere Plattformen und Systeme waren ohne Zwischenfälle operativ. Es ging mehr darum, Lösungen für neue Herausforderungen zu finden: Wie das Onboarding in einer Lockdown-Situation oder eine riesige Anzahl von Mitarbeitern in Indien in einem sehr kurzen Zeitraum in ein Home-Office-Setting zu bringen. Wir haben 87 Prozent der Mitarbeiter in Indien innerhalb von drei Tagen befähigt, von zu Hause aus zu arbeiten. Schlussendlich haben bis zu 97 Prozent der Mitarbeiter von zu Hause aus gearbeitet.
Parallel dazu beschäftigen wir uns ständig mit Cyberrisiken und anderen Themen. Das gehört aber zum Tagesgeschäft. Da wir gut vorbereitet waren auf die zusätzlichen Belastungen durch den Corona-Notstand, konnten wir den Betrieb sehr stabil halten. Unser Fokus liegt auf der Widerstandsfähigkeit unserer Systeme.
CW: Haben Ihre IT-Kollegen ebenfalls von zu Hause aus gearbeitet? Ich denke zum Beispiel an die Mitarbeiter in den Rechenzentren.
Dargan: Abgesehen von Funktionen, die zwingend vor Ort erbracht werden mussten – wie zum Beispiel Arbeiten direkt im Rechenzentrum –, haben praktisch alle IT-Mitarbeiter von zu Hause aus gearbeitet. Das hatte zur Folge, dass wir praktisch alle nötigen Änderungen sowie erforderliche Kapazitätserhöhungen und Innovationen auf Basis virtueller IT-Teams gemacht haben.
CW: Vermutlich war Home Office auch schon vor Corona eine Option. Wird es allenfalls die neue Realität?
Dargan: Home Office war bei uns bereits Teil des Arbeitsansatzes – auch ich habe vereinzelt von zu Hause aus gearbeitet. Die plötzliche Umstellung, dass fast die ganze Organisation nicht mehr ins Office kommt, führte dann aber zu einer massiven Mehrbelastung der Infrastruktur.
Es ist noch zu früh, um genau abzuschätzen, wie der langfristige Einfluss der Corona-Pandemie auf die Art und Weise, wie wir arbeiten und leben, sein wird. Aber wir gehen davon aus, dass es einen Sprung in der Digitalisierung geben wird – durch die Art, wie wir jetzt gelebt haben: von Online-Shopping zu Online-Banking bis hin zum virtuellen Zusammenarbeiten. Wir gehen weiter davon aus, dass wir in Zukunft mehr Nachfrage nach Home Office sehen werden. Wir sind gut aufgestellt, um auf dieses Bedürfnis einzugehen. Der Mensch braucht allerdings auch soziale Interaktion. Das kann bis zu einem Grad virtuell abgedeckt werden – jedoch nicht ausschliesslich.
CW: Gewinnt die IT in der Krise an Bedeutung? Oder Sie persönlich als Global Head Information Technology?
Dargan: Eine Krise ist eine besondere Situation. Für die IT stand im Vordergrund, dass die Menschen zusammenkommen und zusammenarbeiten. Denn letztlich geht es uns auch in der Krisensituation darum, unseren Kunden den bestmöglichen Service zu bieten. Die IT hat hier ihren Beitrag leisten können.
In der Krise hat sich, denke ich, die Geschwindigkeit der Entscheidungsfindung erhöht, weil wir mit einem viel höheren Tempo arbeiten mussten. Für mich war wichtig, so schnell und so gut wie möglich auf die veränderte Situation zu reagieren – das ist uns gelungen.

Cloud-Outsourcing, Mitarbeiter-Insourcing

CW: Würden Sie bitte ein Bild von der IT der UBS skizzieren? Wie ist die Abteilung organisiert und wie viele Mitarbeiter zählt der Bereich?
Dargan: Die Technologie hat bei UBS einen grossen Stellenwert, wenn es darum geht zu definieren, wie wir arbeiten und wie wir Services erbringen. Es handelt sich um eine sehr globale Organisation mit etwa 20'000 Mitarbeitern in insgesamt 30 Ländern.
Wir wollen die Bank in einer immer digitaleren Welt wettbewerbsfähig halten. Unsere Technologiestrategie fokussiert auf vier Bereiche: erstens den Wechsel vom Mainframe auf die private und die öffentliche Cloud, zweitens Agile – wir wollen so schnell wie möglich von den Anforderungen zur Produktion kommen und dabei die Qualität steigern, zum Beispiel mit unseren «Digital Factories», drittens die Plattformen und viertens Innovation und wie wir Trends sehen. Aber ein wirklich wichtiger Teil ist eine gute Unternehmenskultur. Darauf lege ich grossen Wert. Unter anderem deshalb haben wir in den vergangenen drei Jahren einen Fokus auf Insourcing gelegt. So haben wir seit 2016 fast 7000 neue Mitarbeiter fest angestellt.
Weiter wird in der IT grossen Wert auf Training und Weiterbildung gelegt. Allein 2019 haben die Kollegen in Group Technology weltweit etwa 50'000 Schulungsstunden absolviert. Parallel dazu sind wir an der weiteren Stärkung einer Ingenieurskultur: Wir haben eine Gemeinschaft von Distinguished Engineers aufgebaut und mehr als 100 Ingenieure auf der ganzen Welt absolvieren derzeit unser Certified Engineers Program.
CW: Sie erwähnen das Insourcing. Wie haben Sie die Leute ausgewählt?
Dargan: Das Insourcing ist ein Teil unserer IT-Strategie. Wir wollen einen hohen Teil an Festangestellten und weniger Outsourcing-Aktivitäten. Die Gründe sind, dass wir eine nachhaltige Arbeitsweise, die richtige Unternehmenskultur und einen End-to-End-Prozess innerhalb von UBS anstreben. Das sind nicht Eins-zu-eins-Einstellungen von Mitarbeitern der bisherigen Partner.
Wir haben an allen Standorten Interviews geführt und Leute eingestellt – in der Schweiz, Grossbritannien, Indien, Polen und den USA etc. Ausserdem arbeiten wir an den Hauptstandorten mit den lokalen Universitäten und Hochschulen zusammen. Dort gewinnen wir wichtige Talente für unsere Zukunftsprojekte.
CW: War es eine Herausforderung, neue Mitarbeiter einzustellen? Welche Kompetenzen oder Positionen waren allenfalls besonders schwierig?
Dargan: Technologie und Banking sind absolut spannende Tätigkeitsfelder. Es gibt hier manchmal die missverständliche Sicht, dass es zwei grundverschiedene Bereiche sind. Aber das Bankwesen ist in vielerlei Hinsicht ein digitales Geschäft. Wenn man es von diesem Standpunkt aus betrachtet, bieten wir sehr attraktive Perspektiven für Software-Entwickler und Techniker.
Die Kombination aus Kundennähe, Fokus und Kultur zieht Talente an. Wir sehen auch immer wieder, dass ehemalige Mitarbeiter zu uns zurückkehren.

Mainframe, Private und Public Cloud

CW: Wie hoch ist das IT-Budget der UBS?
Dargan: Insgesamt investieren wir jedes Jahr etwa 3,5 Milliarden US-Dollar in Technologie. Das sind etwa 10 Prozent unserer Betriebseinnahmen. Die Gelder verteilen sich 50:50 auf Run the Bank und zukunftsorientierte Projekte sowie Innovation. Die Weiterentwicklung findet dabei in allen Bereichen statt, was sich in der aktuellen Krise bewährt hat. Denn ein Fokus lag auf dem soliden Fundament, ein anderer auf der Widerstandsfähigkeit. Dabei spielte uns in die Karten, dass wir mit dem «ABCDE»-Fokus schon weit fortgeschritten sind: Automation, Un-Bundling, Cloud, Data, Experience. All diese Themen führen wir so, dass wir eine stabile Grundlage für das Geschäft erhalten. In den letzten Jahren hat das gut funktioniert: Wir liefern jährlich rund 120'000 Releases für unsere Systeme aus, mit dem Hauptfokus auf der Stabilität – bei allen erforderlichen und bestellten Änderungen. Unsere DevOps-Erfahrung kommt uns dabei sehr zugute.
Group CIO Mike Dargan hat für die UBS eine Cloud-Strategie entworfen
Quelle: UBS
CW: Sie haben die Cloud-Strategie erwähnt. Welche Fortschritte haben Sie gemacht auf dem Weg, ein Drittel der IT auf dem Mainframe, ein Drittel in der Private Cloud und ein Drittel in der Public Cloud zu betreiben?
Dargan: Seit wir 2018 mit der Umstellung begonnen haben, sind über 20 Prozent der Workloads in die Private Cloud ausgelagert worden. Etwa 180 Anwendungen sind heute in der Public Cloud. Durch unser agiles Arbeiten konnten wir im letzten Jahr acht Prozent mehr Releases liefern – viele mit dem Betrieb in der Public Cloud.
In der Krise haben wir damit an Elastizität gewonnen und können Lastspitzen viel besser brechen als zuvor. Wir haben nun grössere Kapazitäten auch bei den erwähnten hohen Handelsvolumen. Gleichzeitig gewährleisten wir bei geschäftskritischen Anwendungen einen extrem stabilen Betrieb mit einer Verfügbarkeit von 99,9997 Prozent. Mit solch einem Wert sind wir an vorderster Front in der Industrie und auch darüber hinaus.
CW: Was denken Sie, wenn das nächste Virus ein Computervirus ist. Es könnte wahrscheinlich nicht nur die UBS, sondern auch die Infrastruktur des Internets insgesamt beeinträchtigen.
Dargan: Das Computervirus existiert heute schon, wenn ich allein die Anzahl der Cyberangriffe in verschiedenen Industrien betrachte. Und die aktuelle Situation wird von den Angreifern ausgenutzt, zum Beispiel mit Corona-spezifischen Phishing-Attacken.
Wir setzen den Angriffen diverse Layer an Sicherheitsmassnahmen entgegen. Und wir verschlüsseln sämtliche Daten – sowohl On-Premises als auch in der Cloud. Cybersecurity ist für uns eine absolute Priorität – zum Schutz der Bank und zum Schutz unserer Kunden.
CW: Welches ist die grösste Herausforderung der UBS-IT heute? Ist es die Legacy?
Dargan: Es gibt eine Binsenweisheit: Mit dem Tag, an dem Sie eine Technologie implementieren, beginnt sie zu altern. Das Ablösen von Altanwendungen ist eine Herausforderung. Diese müssen wir annehmen und als Bestandteil unserer Tätigkeit fortwährend abarbeiten. Wir haben für das Lifecycle Management ein permanentes und umfassendes Konzept geschaffen, das wir «M-Quadrat» nennen: Wir modernisieren und modularisieren sämtliche unserer Business-Systeme kontinuierlich.
CW: Welches ist heute Ihr grösstes IT-Projekt?
Dargan: Wir denken weniger in den verschiedenen, riesigen Projekten. Vielmehr arbeiten wir auf eine IT-Architektur hin, die komponentenbasiert ist und Microservices unterstützt. Was wir selbstverständlich haben, sind Fokus-Punkte, wie zum Beispiel die Implementierung der Wealth-Management-Plattform in den USA. Dies geschieht in Kooperation mit Broadridge.
CW: Ihr Kollege Stefan Arn (Leiter Technologie für die globale Vermögensverwaltung und das Schweizer Geschäft von UBS, Anmerkung der Redaktion) sprach vor Jahren von einer neuen Vermögensverwaltungsplattform. Handelt es sich um das gleiche Projekt?
Dargan: Nein, die Broadridge-Plattform fokussiert rein auf den US-amerikanischen Markt. Die «One Wealth Management Platform» ist eine Eigenentwicklung. Sie ist vollständig getrennt davon und mittlerweile live in der Schweiz, in Deutschland, in Hongkong und in Singapur.
Diese Plattform beweist gerade während der aktuellen Krise ihren Wert: Wir haben einen massiven Zuwachs beim Volumen verzeichnet – beispielsweise im Wertschriftenhandel und deren Abwicklung, dem Zahlungsverkehr oder den Anwendersitzungen. Ausserdem haben wir auch deutlich mehr Austausch zwischen den Research-Spezialisten und Kunden gesehen. Das lief problemlos auf der neuen Plattform.
CW: Wie funktioniert der Innovationsprozess bei UBS?
Dargan: Die Agilität steht für uns im Zentrum des Innovationsprozesses. Dabei geht es sowohl um Personen und Interaktionen, Prozesse und Tools, Software-Entwicklung als auch um den Umgang mit Veränderung. Nun waren in gewisser Weise die letzten Wochen unfreiwillig ein grosser Auslöser für die Veränderung.
Auch während des Lockdowns haben wir agile Methoden verwendet, um Änderungsprozesse voranzutreiben. Es gab tägliche Stand-up-Meetings, die einfach nicht in einem Büro, sondern via Skype oder Teams stattfanden. Sogar virtuelle Post-its wurden geklebt. Über Entwickler-Tools wie Jira fand auch im Home Office der Austausch statt. Und die Resultate können sich absolut sehen lassen.
Im Mai hatten wir zwei unserer grössten Release-Wochenenden des Jahres. Die Neuerungen waren jeweils immens und wurden von den Kollegen im Business sofort adaptiert. Auch die täglich eingespielten Änderungen wurden sehr gut angenommen – sozusagen im Flug –, auch wenn dafür ebenfalls täglich die Arbeitspraxis angepasst werden musste. Allerdings soll ja genau so das agile Entwickeln und Arbeiten funktionieren.
CW: Die agilen Methoden sind für UBS offenbar der Königsweg in der Software-Entwicklung. Haben Sie auch noch Wasserfall-Projekte?
Dargan: Das Einzige, was zählt, ist der bestmögliche Output. Agile ist der Input. Das Ziel muss es sein, die richtigen Anforderungen zur richtigen Zeit in der richtigen Qualität umzusetzen. Agile wird oft falsch verstanden und zum Teil in einer chaotischen Experimentierecke gesehen – das ist ein komplett falscher Eindruck. Es geht um das iterative Entwickeln – mit Sorgfalt und unter kontrollierten Bedingungen.
Die strikte Trennung zwischen Agile und Wasserfall würde ich in diesem Zusammenhang gar nicht vornehmen. Denn eine allgemeingültige Lösung gibt es sowieso nicht – nur Schwerpunkte im Ansatz. Zum Beispiel bei der Umsetzung von regulatorischen Anforderungen sind Wasserfall-Methoden angezeigt. Allerdings dürfen und sollten auch hier durchaus agile Elemente angewendet werden. So ist die «reine Lehre» von Agile oder Wasserfall in der Praxis wohl nirgends anzutreffen.

Alphabet für die Business-IT der Zukunft

CW: Sie haben ein spezielles Alphabet definiert. Ist das ABCDE – Automation, Un-Bundling, Cloud, Data, Experience – der Masterplan für die Zukunft der UBS-IT?
Mike Dargan von der UBS hat ein Alphabet für die Business-IT der Zukunft definiert
Quelle: UBS
Dargan:
Ich sehe das weniger als Masterplan für die UBS-IT, sondern mehr als Leitthemen für die Informatik im Geschäft der Zukunft. Ich denke, es ist etwas, das sich auf viele Branchen anwenden liesse. Nehmen wir das Beispiel Automatisierung: Wenn wir einen Prozess schaffen können, der ohne manuelle Tätigkeiten auskommt, der durchgängig vom Frontend zum Backend läuft und der dem Konsumenten dabei noch offenbart, was gerade mit seinen Daten geschieht, ist es für das Banking genauso gut wie beispielsweise für den Detailhandel.
Ich denke an ein weiteres Beispiel: Un-Bundling. Un-Bundling hat den Vorteil, dass es zwei Elemente enthält: Modulare Systeme, die zum Beispiel über APIs angesprochen werden können. Und die Blockchain, die trotz Offenheit Vertrauen schafft.
Die Cloud ist schon heute eine verbreitete Technologie. Sie wird in Zukunft aber noch viel mehr Adaptation in den unterschiedlichsten Bereichen erfahren.
Daten sind die Grundlage für alles: Wie wir Dinge konsumieren, seien es Bücher oder Musik, oder wie wir einkaufen oder Bankgeschäfte erledigen und noch vieles mehr.
Schliesslich ist die Experience, auf Deutsch die Benutzererfahrung, die Art und Weise, wie unsere Teams und Berater mit digitalen Lösungen interagieren. Und wie unsere Kunden die Dienste von UBS nutzen.
Bei UBS arbeiten wir mit allen Geschäftseinheiten daran, das Optimum des ABCDE-Ansatzes für die jeweiligen Anforderungen und Bedürfnisse von Kunden zu finden. Dabei ermitteln wir jeweils, mit welchem Angebot die Kunden am besten bedient sind und was ihnen dabei hilft, ihre jeweiligen Geschäftsziele zu erreichen. Damit stärken wir auch die digitalen Kanäle und unterstützen die Kundenberater, sodass die Kunden das Bankgeschäft mit UBS als ideale Erfahrung erleben.
CW: Der Blockchain wird im Banking grosses Innovationspotenzial attestiert. Welche Anwendungen sehen Sie für das Geschäft der UBS?
Dargan: Die Distributed-Ledger-Technologie ist faszinierend. Sie bietet vielfältige Anwendungsmöglichkeiten in den unterschiedlichsten Industrien. Bemerkenswerte Beispiele gibt es für Kunst, für Immobilien, für Rohstoffe etc. Eine sehr interessante Anwendung in der Bankenbranche ist die Handelsfinanzierung. Grundsätzlich besteht das Ziel darin, eine Ware von einem Ort zum anderen zu befördern. Dabei ist bekannt, um welche Ware es sich handelt, welchen Wert diese Ware hat und welchen Weg sie nehmen muss von A nach B. Heute bekommt der Empfänger von der Handelsbank einen Kreditbrief über den Warenwert ausgestellt. Dieser Kreditbrief enthält die unveränderliche Historie des Warentransfers. Eine unveränderliche Historie ist per Definition eine Blockchain.
Gemeinsam mit anderen Unternehmen lancierte UBS im vergangenen Jahr die Plattform «we.trade», die eine Blockchain verwendet. Sie ist eine Alternative zu den heute oft noch manuellen Prozessen, bei denen Dutzende Dokumente physisch versendet werden. Mit einem ersten Handel auf der Plattform haben wir Ende des letzten Jahres bewiesen, dass die Blockchain eine Technologie ist, mit der die Handelsfinanzierung revolutioniert werden kann.
CW: Es dürfte einige Leute geben, die Sie daran hindern wollen, das Geschäft mit der Blockchain neu zu erfinden. Beispielsweise wenn ihr Geschäft dabei in Gefahr gerät.
Dargan: Jede neue Entwicklung in einer Industrie führt dazu, dass bestehende Geschäftsmodelle weiterentwickelt werden. Mit jeder Evolution entstehen auch neue Geschäftsmodelle und neue Jobs. Der Blockchain-Ansatz ist anders, allerdings nicht bedrohlich.

Team-Player im Home Office

CW: Kommen wir noch zu Ihrer Person. Wie sehen Sie Ihre Rolle innerhalb der UBS-Organisation?
Dargan: Die Rolle des CIOs hat sich ganz wesentlich weiterentwickelt. Die IT ist seit Langem keine Back-Office-Lieferstelle mehr und es geht auch nicht um Technologie um der Technologie willen. Je länger, je mehr steht der Bankkunde im Zentrum der IT.
Für mich spielt die Frage, wie wir in Partnerschaft mit dem Business den Weg zum Kunden finden, eine grosse Rolle. Besonders in der momentanen Situation, in der jeder Tag neue Herausforderungen mit sich bringt. In meiner Rolle als CIO kann ich dafür sorgen, dass UBS sicher und widerstandsfähig ist. Und dass die Kunden weiterhin gute Geschäfte machen können.
CW: Sie führen Tausende Mitarbeiter. Wie bleiben Sie mit den vielen Leuten in Kontakt?
Dargan: Es ist mir ein Anliegen, mich mit meinen Mitarbeitern zu treffen – wenn ich zum Beispiel auf Reisen bin. Ich versuche auch auf digitalen Wegen, mit meinen Teams in Verbindung zu bleiben, veranstalte Townhalls, unterhalte einen Blog, treffe mich mit Mitarbeitern auf einen Kaffee. In der gegenwärtigen Situation habe ich noch zusätzliche Anstrengungen unternommen und so viele Leute wie möglich persönlich angerufen. Ich habe mich bewusst bemüht, die Organisation zu erreichen.
CW: Heute wird Ihr Arbeitstag völlig anders sein als an einem normalen Arbeitstag. Wie sieht Ihr Tag heute aus? Und: Was wäre ein normaler Arbeitstag?
Dargan: Mittlerweile habe ich schon fast vergessen, wie ein normaler Arbeitstag ablief.
Die Tage waren sicherlich sehr lang – aber so ging es vielen in der Firma. Typischerweise startet mein Tag früh am Morgen – bevor meine Familie erwacht. Dann arbeite ich die dringlichsten Themen ab und beantworte E-Mails. Wenn die Kinder aufgestanden sind, versuche ich, ihnen beim Frühstück Gesellschaft zu leisten. Die Tage sind geprägt von verschiedensten, schnellen Entwicklungen, auf die wir vonseiten der IT her eine Antwort finden müssen – zusammen mit vielen verschiedenen Schnittstellen. Wenn möglich, versuche ich, zur Nachtessenszeit wieder etwas Zeit mit meinen Kindern zu verbringen. Anschliessend gibt es dann noch kleinere Aufgaben, Gespräche mit dem Team oder den Business Stakeholdern. Generell bin ich aber sehr gut ausgelastet – auch ohne Corona-Mehrbelastung.
CW: Was war bisher der grösste «gefühlte» Erfolg und die grösste Enttäuschung als IT-Chef?
Dargan: Ehrlich gesagt, war ich nie zuvor so stolz auf mein Team wie jetzt. Ich bin beeindruckt, wie die Kollegen sichergestellt haben, dass das Geschäft weiterläuft in einer der grössten globalen Krisen überhaupt. UBS kann von sich selbst sagen, dass sie in den vergangenen Monaten noch stabiler geworden ist.
Zur Firma
UBS
entstand 1998 durch die Fusion der Schweizerischen Bankgesellschaft (SBG) und dem Schweizerischen Bankverein (SBV). Die SBG hatte 1967 den ersten Bankomaten Kontinentaleuropas in Betrieb genommen und 1986 die erste elektronische Bankfiliale (in Zürich) eröffnet. UBS ist einer der weltweit grössten Vermögensverwalter mit verwalteten Vermögen in Höhe von 3,2 Billionen US-Dollar. Die Grossbank hat ihren Hauptsitz in Zürich und ist an allen wichtigen Finanzplätzen der Welt tätig. UBS beschäftigt weltweit über 68'000 Mitarbeiter, davon rund ein Drittel in der Schweiz. Im vergangenen Jahr erzielte UBS einen Umsatz von 28,9 Milliarden US-Dollar.



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