Quantenrechner: Geschwindigkeits-Wunder mit offener Zukunft

Googles Quantenchip

Der Quantenprozessor Sycamore von Google besteht aus 53 funktionsfähigen Qubits. Als Aufgabe für das Benchmarking wählten die Experten von Google das Auslesen und Auswerten einer Zufalls-Quantenschaltung, die Qubits auf zufällige Art und Weise transformiert. Der Auslesevorgang erzeugt eine Reihe von Bitstrings wie etwa 0000101 oder 1011100, von denen einige häufiger auftreten als andere. Die Wahrscheinlichkeitsverteilung ähnelt einem Wellenmuster. Für das Auslesen von Werten aus einer derartigen Wahrscheinlichkeitsverteilung ist ein gigantischer Rechenaufwand notwendig, der auch mit der Komplexität der jeweils verwendeten Quantenschaltung zusammenhängt.
Die Forscher brachten auf dem Quantenprozessor mehrere Schaltungen mit 53 Qubits zum Laufen, die sich nicht mehr auf Superrechnern simulieren lassen. Sycamore benötigte laut Google gerade einmal 200 Sekunden, also rund dreieinhalb Minuten, um diese komplexe Quantenschaltung eine Million Mal auszulesen. Ein aktueller Superrechner hingegen würde für die entsprechende Aufgabe 10'000 Jahre benötigen. Google sieht damit den Zustand der Quantenüberlegenheit erreicht. Doch noch ist nicht alles Gold, was glänzt.

Quelle: Google
Quantenfreundliches Szenario

«Aus wissenschaftlicher Sicht liefert der Quantencomputer von Google natürlich ein tolles Ergebnis, praktisch ist das jedoch völlig irrelevant. Basis der Berechnung ist ein mathematisches Problem, das auch unter Mathematikern als relativ exotisch gilt», meint Manfred Hauswirth, Leiter des Fraun­hofer Instituts für offene Kommunikationssysteme (FOKUS) und Co-Sprecher für den Bereich Quanten-Computing bei der Fraunhofer-Gesellschaft. Google habe das Szenario genau so konstruiert, um zu zeigen, dass der Quantenrechner etwas kann, was ein normaler Computer nicht kann. Für Hauswirth stellt der Quantenchip von Google daher nur einen ersten Schritt in Richtung Quantenüberlegenheit dar.
Auch Frank Wilhelm-Mauch, Professor für Quanten- und Festkörpertheorie an der Universität des Saarlandes und Koordinator des Forschungsprojekts Open­SuperQ zum Bau eines europäischen Quantencomputers, ordnet den Quantenchip des Internetkonzerns nüchtern ein: «Google hat sich ein sehr quantenfreundliches akademisches Pro­blem ausgesucht und damit eine ideale Ausgangsposition geschaffen. Die gestellte Aufgabe war auf den Quantencomputer zugeschnitten. Es ging hier nicht um gesellschaftlichen Nutzen, sondern vor allem um eine Demonstration des technisch Möglichen. Dafür Hut ab vor den Kollegen von Google.»
“Quantencomputer mit Supraleitern sind empfindlich. Sie benötigen extrem tiefe Temperaturen in der Nähe des absoluten Nullpunkts von minus 273,15 Grad„
Frank Wilhelm-Mauch, Professor für Quanten- und Festkörpertheorie an der Universität des Saarlandes
Als technischen Meilenstein sieht er die Grösse des Chips mit 53 Qubits, bisher wurden Quantenprozessoren mit 20 Qubits simuliert. «Die Google-Forscher haben die bislang magische Grenze von 50 Qubits auf einem Chip überschritten und 53 Qubits in einem zweidimensionalen Gitter vernetzt. Ein klassischer Supercomputer füllt dafür eine grosse Halle. Zudem ist es ihnen gelungen, die Fehlerrate des schlechtesten Qubit-Paares unter 1 Prozent zu senken», lobt Frank Wilhelm-Mauch. Das Thema Quantenüberlegenheit sieht er eher als Marketing-Begriff für die Öffentlichkeit. «IBM stellt das ja infrage. Die Debatte bringt aber die Quantencomputer-Community weiter. Ich rechne damit, dass wir bald Quantencomputer mit 60 oder 100 Qubits sehen werden.»



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