Hintergrund 21.02.2020, 16:30 Uhr

Quantenrechner: Geschwindigkeits-Wunder mit offener Zukunft

Quantencomputer sind superschnell. Doch praktische Anwendungen sind nicht in Sicht. Der Übergang von der Grundlagenforschung zur angewandten Forschung ist dafür inzwischen geschafft.
(Quelle: Shutterstock / Amin Van)
«Historischer Meilenstein», «Wissenschaftlicher Durchbruch» und sogar der Vergleich mit dem ersten Flug der Gebrüder Wright – die Schlagzeilen überschlugen sich, als Ende Oktober der Artikel «Quantenüberlegenheit mit Hilfe eines supraleitenden Prozessors» über den Quantencomputer von Google in der Zeitschrift «Nature» erschien.
Was war passiert? Google hatte mit seinem Sycamore-Prozessor, der aus 53 Quantenbits (Qubits) besteht, ein Problem innerhalb von 200 Sekunden gelöst, für das der schnellste Superrechner der Welt dem Internetkonzern zufolge ungefähr 10'000 Jahre benötigen würde. Daher beansprucht Google die sogenannte Quantenüberlegenheit (Quantum Supremacy) für sich – den Moment, in dem ein Quantencomputer etwas berechnet, das kein klassischer Computer mehr berechnen kann, zumindest über den Zeitraum eines Menschenlebens hinweg.
Doch ist das wirklich der Durchbruch, von dem viele Forscher schwärmen? Um diese Frage zu beleuchten, muss zunächst geklärt werden, wie ein solcher Quantencomputer überhaupt funktioniert.

Qubits mit mehreren Zuständen

Ein klassischer Rechner rechnet mit binären Bits, die nur einen der beiden Werte 0 oder 1 annehmen können. Das heisst, Register und Speicherinhalte haben zu jedem Zeitpunkt einen einzigen Wert. Ein Quantencomputer hingegen nutzt sogenannte verschränkte Quantenbits, (Qubits). «Qubits sind Quantenobjekte und können damit in mehreren Zuständen zugleich existieren, sprich sie können eben nicht nur die Werte 0 oder 1 annehmen, sondern durch die Überlagerung von Quantenzuständen auch jede beliebige Kombination aus beidem», erklärt Ingolf Wittmann, Technical Director HPC bei IBM in Europa. Da Register und Speicherinhalte mehrere Werte gleichzeitig in Überlagerung enthalten können, werden viele Rechenwege gleichzeitig durchlaufen. So ist bereits ein einziger Quantenprozessor in sich massiv pa­rallel. Er benötigt dazu im Gegensatz zu einem klassischen Rechner nicht mehrere Prozessorkerne.
“Quantencomputer werden vermutlich nie klassischen Computern im Allgemeinen überlegen sein, sondern gemeinsam mit ihnen arbeiten„
Ingolf Wittmann, Technical Director HPC bei IBM in Europa und Ambassadors Leader Global von IBM Q
Ein Qubit wird erst dann auf einen konkreten Wert festgelegt, wenn es gemessen wird. Jedes zusätzliche Qubit verdoppelt dabei die Leistungsfähigkeit des Systems – bei 50 Qubits gäbe es also zwei hoch 50 Kombinationsmöglichkeiten. Ausser den Überlagerungen der Zustände 0 und 1 in den jeweiligen Qubits nutzen Quantencomputer die Verschränkung zweier Quantenbits. «Durch diese Eigenheit der Quantenmechanik, die Einstein als ‹spukhafte Fernwirkung› bezeichnete, lassen sich zwei Qubits so miteinander koppeln, dass jede Manipulation des einen Qubit einen direkten Effekt auf das andere Qubit hat», erläutert Ingolf Wittmann.
Die Wahrscheinlichkeit, eine bestimmte Lösung des jeweiligen Rechenproblems am Ende der Rechnung zu messen, wird durch die Wellenfunktion des Quantencomputer-Chips beschrieben. Diese setzt sich aus den Wellenfunktionen der Qubits zusammen. Die Wahrscheinlichkeitsverteilungen stehen miteinander in Wechselwirkung. Ein guter Quanten-Algorithmus nutzt die Interferenz dieser Wellenfunktionen, sodass sich die falschen Lösungen aufheben und die korrekten Lösungen verstärken. Auf diese Weise lassen sich wesentlich mehr Daten und komplexere Aufgaben viel schneller parallel statt linear berechnen.

Googles Quantenchip

Der Quantenprozessor Sycamore von Google besteht aus 53 funktionsfähigen Qubits. Als Aufgabe für das Benchmarking wählten die Experten von Google das Auslesen und Auswerten einer Zufalls-Quantenschaltung, die Qubits auf zufällige Art und Weise transformiert. Der Auslesevorgang erzeugt eine Reihe von Bitstrings wie etwa 0000101 oder 1011100, von denen einige häufiger auftreten als andere. Die Wahrscheinlichkeitsverteilung ähnelt einem Wellenmuster. Für das Auslesen von Werten aus einer derartigen Wahrscheinlichkeitsverteilung ist ein gigantischer Rechenaufwand notwendig, der auch mit der Komplexität der jeweils verwendeten Quantenschaltung zusammenhängt.
Die Forscher brachten auf dem Quantenprozessor mehrere Schaltungen mit 53 Qubits zum Laufen, die sich nicht mehr auf Superrechnern simulieren lassen. Sycamore benötigte laut Google gerade einmal 200 Sekunden, also rund dreieinhalb Minuten, um diese komplexe Quantenschaltung eine Million Mal auszulesen. Ein aktueller Superrechner hingegen würde für die entsprechende Aufgabe 10'000 Jahre benötigen. Google sieht damit den Zustand der Quantenüberlegenheit erreicht. Doch noch ist nicht alles Gold, was glänzt.

Quelle: Google
Quantenfreundliches Szenario

«Aus wissenschaftlicher Sicht liefert der Quantencomputer von Google natürlich ein tolles Ergebnis, praktisch ist das jedoch völlig irrelevant. Basis der Berechnung ist ein mathematisches Problem, das auch unter Mathematikern als relativ exotisch gilt», meint Manfred Hauswirth, Leiter des Fraun­hofer Instituts für offene Kommunikationssysteme (FOKUS) und Co-Sprecher für den Bereich Quanten-Computing bei der Fraunhofer-Gesellschaft. Google habe das Szenario genau so konstruiert, um zu zeigen, dass der Quantenrechner etwas kann, was ein normaler Computer nicht kann. Für Hauswirth stellt der Quantenchip von Google daher nur einen ersten Schritt in Richtung Quantenüberlegenheit dar.
Auch Frank Wilhelm-Mauch, Professor für Quanten- und Festkörpertheorie an der Universität des Saarlandes und Koordinator des Forschungsprojekts Open­SuperQ zum Bau eines europäischen Quantencomputers, ordnet den Quantenchip des Internetkonzerns nüchtern ein: «Google hat sich ein sehr quantenfreundliches akademisches Pro­blem ausgesucht und damit eine ideale Ausgangsposition geschaffen. Die gestellte Aufgabe war auf den Quantencomputer zugeschnitten. Es ging hier nicht um gesellschaftlichen Nutzen, sondern vor allem um eine Demonstration des technisch Möglichen. Dafür Hut ab vor den Kollegen von Google.»
“Quantencomputer mit Supraleitern sind empfindlich. Sie benötigen extrem tiefe Temperaturen in der Nähe des absoluten Nullpunkts von minus 273,15 Grad„
Frank Wilhelm-Mauch, Professor für Quanten- und Festkörpertheorie an der Universität des Saarlandes
Als technischen Meilenstein sieht er die Grösse des Chips mit 53 Qubits, bisher wurden Quantenprozessoren mit 20 Qubits simuliert. «Die Google-Forscher haben die bislang magische Grenze von 50 Qubits auf einem Chip überschritten und 53 Qubits in einem zweidimensionalen Gitter vernetzt. Ein klassischer Supercomputer füllt dafür eine grosse Halle. Zudem ist es ihnen gelungen, die Fehlerrate des schlechtesten Qubit-Paares unter 1 Prozent zu senken», lobt Frank Wilhelm-Mauch. Das Thema Quantenüberlegenheit sieht er eher als Marketing-Begriff für die Öffentlichkeit. «IBM stellt das ja infrage. Die Debatte bringt aber die Quantencomputer-Community weiter. Ich rechne damit, dass wir bald Quantencomputer mit 60 oder 100 Qubits sehen werden.»

Kritik von IBM

Tatsächlich bezweifeln drei Forscher von IBM im Blog-Beitrag «On Quantum Supremacy“ die Behauptung der Google-Forscher, eine Quantenüberlegenheit erreicht zu haben. Sie argumentieren, dass eine ideale Simulation der gleichen Aufgabe auf einem klassischen System in 2,5 Tagen erfolgen könne und nicht mehrere Tausend Jahre dauere – und das in grösserer Genauigkeit. Das ist bislang nur eine Behauptung, einen Beweis bleiben die IBM-Forscher noch schuldig.
Ingolf Wittmann von IBM sagt dazu: «Die Begriffe ‹Vorherrschaft› oder ‹Überlegenheit› im Kontext von Quantencomputern werden von fast allen missverstanden und sind irreführend. Quantencomputer werden vermutlich nie klassischen Computern im Allgemeinen überlegen sein, sondern gemeinsam mit ihnen arbeiten, da jeder seine eigenen Stärken hat.»
Komplizierte Technik: So sieht ein Teil des Quantencomputers IBM Q aus
Quelle: IBM
Auch bei IBM arbeite ein 53-Qubit-Rechner in einem Forschungszentrum, so Wittmann. Für ihn zeigt das, dass die Forschung auf dem Gebiet der Quantenrechner sehr schnell voranschreitet und damit mehr und mehr Unternehmen oder akademische Institutionen von den künftigen Vorteilen der Technologie profitieren werden.
Laut Wittmann liegt die Aufgabe darin, wirklich programmierbare Quantencomputer-Systeme aufzubauen, die eine breite Palette von Quantenalgorithmen und -programmen reproduzierbar und zuverlässig durchführen können und sich ausserhalb von Forschungslaboren betreiben lassen. «Das ist der einzige Weg, um praktische Lösungen mit Hilfe von Quantencomputern zu realisieren. Nur dann kommen wir dahin, dass wir aus der Kombination Quantenrechner plus klassische Systeme echte Vorteile oder eine Überlegenheit gegenüber ausschliesslich klassisch konzeptionierten Rechnern erzielen», erklärt Wittmann.

Vielfältige Einsatzgebiete

Quantencomputer werden dank ihrer extremen Rechengeschwindigkeit überall dort zum Einsatz kommen, wo daten- und rechenintensive Aufgaben warten, etwa in der Medizin, der Materialforschung oder bei logistischen Planungen im Handel. Die Marktforscher von IDC sehen drei Gruppen von Einsatzszenarien: erstens Künstliche Intelligenz mit dem Trainieren von Modellen und Mustererkennung etwa für Use Cases wie Fraud Detection, zweitens Modellierung und Simulation von unterschiedlichen Szenarien wie Kryptografie, Materialforschung oder in der Quantenchemie und drittens für Optimierungsaufgaben.
IDC betreibt laut Matthias Zacher, Senior Consulting Manager bei dem Marktforschungsunternehmen, umfangreiches Research zum Thema Quanten-Computing, um zu sehen, ob es einen Markt gibt beziehungsweise wie er sich entwickelt. «Aktuell ist der Markt mit Herstellern wie IBM, Amazon, Microsoft, Google, D-Wave, Rigetti oder Atos relativ klein. Wir befinden uns noch in einer frühen Phase mit überwiegend Laborstudien. Bis 2027 rechnen wir mit einem Volumen von etwa zehn Milliarden Dollar. Das künftige Geschäftsmodell dürfte vor allem im Bereich Quanten-Computing als Managed Service liegen.»
“Aktuell ist der Markt für Quantencomputing relativ klein. Wir befinden uns noch in einer frühen Phase mit Laborstudien„
Matthias Zacher, Senior Consulting Manager bei IDC

Viele Herausforderungen

Doch bis Forscher und Firmen einen fehlertoleranten Quantencomputer entwickelt haben, werden noch viele Jahre ins Land ziehen. Denn dafür müssen sie einige Herausforderungen meistern. Ein grosses Problem ist die Skalierbarkeit. Wirklich nützliche Berechnungen sind erst möglich, wenn die Quantenchips ein weitaus grösseres Volumen als die 53 Qubits des Google-Computers umfassen – und zwar in ausreichend guter Qualität und mit aktiver Fehlerkorrektur. Quantencomputer sind nämlich von ihrer Natur her sehr fehleranfällig, da Qubits nicht nur eine 0 oder 1, sondern beliebige Zustände annehmen können, auch unerwünschte Mischzustände. Es geht darum, das Signal vom Rauschen zu unterscheiden. Das heisst: Ein Quantencomputer kann nicht im Alleinbetrieb arbeiten, sondern benötigt eine Fehlerkorrektur. Dafür sorgen spezielle Algorithmen, die auch Rechnungen mit nicht 100 Prozent zuverlässigen Qubits ermöglichen.
Für Frank Wilhelm-Mauch sind auch neue Materialien für Qubits notwendig, um die Fehlerrate auf 0,01 Prozent zu senken. «Quantencomputer mit Supraleitern sind empfindlich. Sie benötigen extrem tiefe Temperatur in der Nähe des absoluten Nullpunkts von minus 273,15 Grad, das muss beim Ansteuern der Qubits berücksichtigt werden. Wenn man wirklich grosse Computer bauen will, wird es notwendig, Kältemaschinen in isolierten Behältern mit flüssigem Helium miteinander zu verbinden. Andere Ansätze mit Ionen-Qubits benötigen ein Hochvakuum.»

Experten gesucht

Um die Grundlagenforschung an der Technologie selbst und die Hardware zu verbessern, sind natürlich kompetente Experten gefragt, auch für die Entwicklung von Anwendungen für Quantencomputer. Hier ist es nicht so einfach möglich, von Java oder Python auf das Thema Quantencomputer umzusatteln. Um die Forschung und Entwicklung von Applikationen auf echten Quantensystemen zu ermöglichen, stellt beispielsweise IBM seine IBM-Q-Systeme in der Cloud für die Allgemeinheit zur Verfügung. IBM baut sein IBM Q Network als Ökosystem und Kooperation von Quantenexperten und Firmen auf und aus, um das Thema Quanten-Computing voranzutreiben.
Auch die Hochschulen sind nicht untätig. Seit dem Wintersemester beispielsweise bietet die deutsche Universität des Saarlandes den Studiengang «Quanten Engineering». Die Hochschule will Ingenieure ausbilden, die das Wissen um die Quanten mit technischem Know-how verbinden. In Saarbrücken sind zudem alle drei zentralen Gebiete der  Quantentechnologie-Forschung vertreten: Quantencomputer und -simulation, Quantenkryptografie und -kommunikation sowie Quantensensorik.

Sicherheitsrisiko?

Vielfach wird die Befürchtung geäussert, dass Quantenrechner eine Gefahr für die aktuellen Verschlüsselungstechnologien darstellen. Denn Quantencomputer eignen sich besonders gut für die Primfaktorzerlegung grosser Zahlen. Diese spielt auch bei der Kryptografie eine grosse Rolle.
«Für den Schlüsselaustausch sind hohe Primzahlen notwendig. Um die Verschlüsselung zu knacken, braucht es eine sehr hohe Rechenleistung. Quantencomputer könnten diese liefern. Doch das wird nicht morgen passieren, da dafür weit leistungsfähigere notwendig sind. Es bleibt also für die Security-Industrie genügend Zeit, sich darauf vorzubereiten», erklärt Manfred Hauswirth von Fraunhofer FOKUS.
Auch das deutsche Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) befasst sich in seiner Studie «Entwicklungsstand Quantencomputer» mit der Relevanz von Quantencomputern für die Kryptoanalyse - und gibt ebenfalls Entwarnung. «Der grosse Aufwand für Fehlerkorrektur macht es auf absehbare Zeit unwahrscheinlich und vermutlich auch wirtschaftlich uninteressant für akademische und industrielle Labors, einen kryptografisch relevanten Quantencomputer zu realisieren», heisst es dort. «Wenn jedoch eine grosse Industrienation ihre Forschung auf dieses Ziel konzentrieren würde, ähnlich den Apollo-Projekten des 20. Jahrhunderts, so erscheint ein Quantencomputer mit wenigen Millionen physikalischer Qubits erreichbar, der zumindest in 100 Tagen 2048-Bit-RSA brechen kann.» Dazu müsse aber die physikalische Fehlerrate auf einen Bereich von 1:10'000 sinken, so das BSI. Ergebnis wäre eine Grossanlage, die technologische Rekorde und seltene Materialien benötigen würde.
“Um die Verschlüsselung zu knacken, braucht es eine sehr hohe Rechenleistung. Quantencomputer könnten diese liefern. Doch das wird nicht morgen passieren, da dafür weit leistungsfähigere notwendig sind„
Manfred Hauswirth, Leiter des Fraunhofer Instituts für offene Kommunika­tionssysteme (FOKUS)

Fazit & Ausblick

Quanten-Computing erlebt derzeit den Übergang von der Grundlagenforschung in angewandte Forschung unter Beteiligung der Industrie. Doch noch sind wirklich praxisrelevante Anwendungen mit Quantencomputern nicht in Sicht. Bis es so weit ist, kann es noch mehrere Jahre dauern.
Die Herausforderung besteht darin, Systeme mit mehreren Tausend bis Millionen Qubits zu bauen und zugleich die Fehlerrate erheblich zu reduzieren. Das ist auch eine Kosten­frage. Notwendig wäre ein realistischer Plan, der zeigt, wann mit ersten praktischen Anwendungen etwa in der Materialforschung oder bei der Optimierung komplexer Aufgaben zu rechnen ist. Nur dann werden auch die entsprechenden finanziellen Mittel für Quantencomputer bereitstehen.

Herausforderungen für das Quanten-Computing

Kristel Michielsen ist Leiterin der Gruppe Quantum Information Processing am Jülich Supercomputing Centre des Forschungszentrums Jülich
Quelle: Forschungszentrum Jülich / Ralf-Uwe Limbach
Kristel Michielsen ist Leiterin der Gruppe Quantum Information Processing am Jülich Supercomputing Centre des deutschen For­schungszen­trums Jülich. Im Interview erklärt sie, welche Rolle Forscher aus Jülich beim Quantenrechner von Google spielten und welche Herausforderungen beim Thema Quanten-Computing noch zu meistern sind.
Computerworld: Frau Michielsen, Sie haben mit Ihrem Team am Forschungszentrum Jülich die QTRL-Skala (Quantum Technology Readiness Level) entwickelt, eine Metrik zur Beschreibung des Reifegrads der Quantencomputertechnologie. Welche Kriterien liegen dieser Bewertung zugrunde?
Kristel Michielsen: Beim QTRL haben wir uns am Technologie-Reifegrad der NASA orientiert, den diese für die Bewertung von Raumfahrttechnologien auf einer Skala von 1 bis 9 ins Leben gerufen hat. Eine Quantencomputertechnologie befindet sich bei QTRL1, wenn der theoretische Rahmen für das Quanten-Computing formuliert ist.
CW: Und wo stehen momentan die Systeme von Google und IBM auf dieser Skala?
Michielsen: Auf Stufe 5. Es gibt Komponenten, die in einen kleinen Quantenprozessor ohne Fehlerkorrektur integriert sind. Der nächste Schritt wären Komponenten, die in einen kleinen Quantenprozessor mit Fehlerkorrektur integriert sind, sie befinden sich dann auf Stufe QTRL 6.
CW: Stellt der Quantencomputer von Google also wirklich diesen Durchbruch dar?
Michielsen: Was Google erreicht hat, ist auf jeden Fall ein Meilenstein, weil es die Technologie bei den gatterbasierten Systemen in der Form noch nicht gab. Ich würde Googles Quantenrechner mit einem Heissluftballon vergleichen, der aufsteigt und fliegt, wir wissen aber nicht genau, wohin. Der Durchbruch ist, dass der Ballon fliegt. Jetzt müssen wir noch lernen, ihn zu steuern.
QTRL-Skala (Quantum Technology Readiness Level): Sie beschreibt als Metrik den Reifegrad der Quantencomputertechnologie
Quelle: Kristel Michielsen, Thomas Lippert / Forschungszentrum Jülich
CW: Inwieweit war eigentlich das Forschungs­zentrum Jülich an diesem Erfolg von Google beteiligt? Was war Ihre Aufgabe?
Michielsen: Wir haben ein Programm entwickelt, welches das Verhalten eines Quantencomputers simulieren kann. Für die Zusammenarbeit mit Google haben wir unseren Superrechner JUWELS benutzt, um die Leistung und Berechnungen von Quantenschaltungen zu überprüfen. Dabei haben noch andere Forschungszentren und Universitäten Google unterstützt.
CW: Doch bis die ersten Quantencomputer praktische Probleme lösen, wird es noch dauern. Welche Herausforderungen müssen Forscher und Firmen noch lösen? 
Michielsen: Damit die Quantensysteme praxisrelevante Berechnungen starten können, müssen sie grösser werden. Die 53 Qubits des Goo­gle-Rechners reichen noch nicht. Möglicherweise kann bereits ein Chip mit 100 Qubits kleinere praktische Aufgaben lösen, wahrscheinlich müssen die Systeme aber grösser sein und Tausende bis Millionen Qubits umfassen. Das Problem: Rechner mit einer hohen Qubit-Zahl müssen kontrolliert werden, damit sie nicht zu viele Fehler machen. Aktuell ist die Fehlerrate noch viel zu hoch. Die Fehlerkorrektur ist eine grosse Herausforderung für die nächsten Jahre.
Hinzu kommt unter anderem der grosse Aufwand für die physische Umgebung. Quantencomputer benötigen oft absolute Nulltemperatur und müssen vor Strahlung und Vibrationen abgeschirmt werden. Wann all diese Herausforderungen gelöst sind, ist schwer zu sagen.
CW: Der Wettbewerb zwischen Google und IBM, Europa, China und den USA dürfte das Thema Quanten-Computing weiter vorantreiben. Wer hat hier im Moment die Nase vorn?
Michielsen: Im Moment liegen die USA vorne. Um den Rückstand aufzuholen, hat die Europäische Kommission das eine Milliarde Euro schwere Programm „Quantum Technologies Flagship“ gestartet. Darüber hinaus gibt es auch nationale Förderprogramme, über die man Anträge für Quantenforschung stellen kann. Und die Projekte laufen koordinierter ab. Das Forschungszentrum Jülich ist etwa am Bau des europäischen Quantencomputers OpenSuperQ beteiligt, an dem mehrere Universitäten, Forschungszentren und Unternehmen arbeiten.
Grundsätzlich werden wir von der hohen Rechenleistung von Quantencomputern nur profitieren, wenn wir sie im hybriden Modus nutzen und als Beschleuniger von Supercomputern sehen. Wir werden zum Beispiel einen Quantenrechner von D-Wave mit unserem Hochleistungsrechner JUWELS verknüpfen. Damit hoffen wir künftig auch praktische Probleme besser zu
lösen.



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