23.03.2016, 06:46 Uhr
Heilende Roboter-Winzlinge an der ETH
Mikro- und Nanoroboter, die Tumore höchstpräzise mit Medikamenten angreifen: So könnte Krebsbekämpfung in Zukunft aussehen. Grundlagen dafür liefert die Gruppe von ETH-Forscher Salvador Pané mit magnetoelektrisch gesteuerten Janus-Maschinen.
Eines Tages nach der Arbeit sass Salvador Pané in einem Trolleybus in Zürich. Er war in seine Gedanken vertieft, doch plötzlich stoppte der Bus aufgrund einer Fahrleitungsstörung. Da kam ihm eine Idee: «Warum können wir nicht einen Mikroroboter erschaffen, der elektrische Energie kabellos erzeugt?» Der Gedanke liess ihn nicht mehr los – mit Folgen: Dem ETH-Forscher und seinen Kollegen ist es gelungen, winzige Partikel herzustellen, die durch Magnetfelder zum einen präzise gesteuert werden und zum anderen elektrische Felder erzeugen.
Das mag für nicht Eingeweihte relativ unspektakulär klingen, aber es ist ein Durchbruch. Die Einzigartigkeit liegt darin, dass eine Mikrostruktur durch eine einzige Energiequelle nicht nur bewegt sondern gleichzeitig zur Ausübung einer weiteren Funktionalität gebracht wird. Bis dahin war das normalerweise nur unabhängig voneinander möglich. Pané und sein Team vom Institut für Robotik und Intelligente Systeme (Iris) haben ihre Forschungsresultate in der Wissenschaftszeitschrift Materials Horizons publiziert. Die Ergebnisse könnten dereinst die Medizin revolutionieren.
Wie die Schichten einer Lasagne
Der Chemiker Pané beschäftigt sich schon seit Jahren mit sogenannten magnetoelektrischen Mikro- und Nanorobotern, die durch elektromagnetische Felder stimuliert werden. Manche dieser Materialien sind aus verschiedenen Schichten aufgebaut, die jeweils eine andere Reaktion auf das angelegte magnetische Feld zeigen. «Sie müssen sich das wie eine zweischichtige Lasagne vorstellen: Eine Schicht reagiert auf das Feld, indem sie sich deformiert. Diese Materialien sind magnetostriktiv», erklärt Pané. «Durch die Deformation gerät die zweite, so genannt piezolektrische Schicht unter Druck und erzeugt dadurch ein elektrisches Feld.» Diesen Effekt machen sich die ETH-Forscher zunutze: Sie haben die eingangs erwähnten Mikropartikel auf einer Seite mit zwei verschiedenen Metallschichten aus Kobalt-Ferrit (magnetostriktiv) und Bariumtitanat (piezoelektrisch) ummantelt – die zwei Schichten der Lasagne: Nachdem ein magnetisches Feld um die Partikel herum erzeugt wird, dehnt sich die innere Schicht aus Kobalt-Ferrit aus, die äussere Schicht aus Bariumtitanat wird deformiert und generiert daraufhin ein elektrisches Feld um die Mikropartikel.
Medikamente zum Ziel bringen
Die Mikroroboter sind nach dem doppelköpfigen römischen Gott Janus benannt, weil sie eben aus zwei unterschiedlichen Hälften bestehen. Bewegt werden die Janus-Partikel mittels rotierender Magnetfelder. Wird dann das Magnetfeld verändert, erzeugen die Mikroroboter ein elektrisches Feld. Damit eröffnet sich ein breites Anwendungsfeld – insbesondere in der Medizin. «Wir könnten die Mikroroboter beispielsweise mit Medikamenten bestücken und gezielt zu Krebstumoren im Körper lenken, wo sie dann durch den Stimulus des generierten elektrischen Feldes ihre Fracht abladen», erklärt Pané. «Damit könnten die Nebeneffekte von Krebsmedikamenten praktisch ausgeschlossen werden, weil eben nur Krebszellen angegriffen werden. Zusätzlich wird die präzise Applikation die Effizienz der Krebstherapien deutlich steigern.» Aber auch andere Anwendungen wie beispielsweise die drahtlose elektrische Stimulation von Zellen könnten sich revolutionär auf die regenerative Medizin ausweiten.
Korrosion im Auge behalten
Bis die Mikroroboter allerdings tatsächlich als Transportmittel für Medikamente eingesetzt werden können, sind viele offene Fragen zu beantworten. Beispielsweise ist noch nicht geklärt, welches die effizienteste Struktur respektive Materialkombination mit den höchsten magnetoelektrischen Eigenschaften ist. Zudem müssen die Mikroroboter hinsichtlich ihrer Verträglichkeit im menschlichen Körper geprüft werden. «Es braucht daher noch viele Experimente», so Pané. Als Beispiel nennt er die Korrosion: «Sie wird in diesem Mikro- und Nanobereich oft übersehen, muss aber genau erforscht werden.» Korrosion kann nämlich nicht nur die Funktion eines Geräts beeinträchtigen, sondern auch Verunreinigungen verursachen. «Wir müssen also genau hinschauen, wenn wir eine Technologie zu einer medizinischen Anwendung bringen wollen», betont der Forscher. Sein Team beschränkt sich deshalb bei der Entwicklung von Mikro- und Nanorobotern nicht nur auf die technische Machbarkeit, sondern erforscht auch die Verträglichkeit, Toxizität und Effizienz der Roboter. Pané ist überzeugt, dass die Mikroroboter eines Tages das Potenzial besitzen, im Bereich der Biomedizin einen wichtigen Beitrag zu leisten. Es wäre das (vorläufige) Ziel einer Reise, die in einem Züricher Trolleybus begonnen hat.