Computerworld vor 30 Jahren
01.07.2022, 08:59 Uhr
Grosser Wandel bei Business-Software
Vor 30 Jahren begann der Siegeszug von SAP. Ein Schweizer war hautnah dabei. In seiner Heimat eröffneten Buchhändler neue Software-Vertriebswege und die Preise für Standardprogramme begannen zu bröckeln.
In der Buchhandlung Wepf konnten 30'000 Public-Domain-Programme kopiert werden
(Quelle: Computerworld)
Globale Kunden hatte die deutsche Software-Firma SAP bis 1992 aus der Schweiz heraus betreut. In 14 Märkten inklusive der Schweiz war das Unternehmen damals aktiv. Die Umsätze ausserhalb des Heimatlandes betrugen 309 Millionen D-Mark. Der Umsatz in der Schweiz wurde mit 20 Millionen Mark beziffert. Diese Gelder sollten zukünftig nicht mehr nach Biel, sondern direkt an den Stammsitz in Walldorf fliessen.
Mit dem Wechsel ging eine Premiere einher: Als erster Ausländer wurde der Schweizer Hans Schlegel per 1. April 1992 in den SAP-Vorstand berufen. Der bisherige General Manager von SAP International in Biel zeichnete weiter verantwortlich für das globale Geschäft. Neu nahm er allerdings Platz am Vorstandstisch neben den Firmengründern Hans-Werner Hector, Dietmar Hopp, Hasso Plattner und Klaus Tschira sowie dem langjährigen Entwicklungsleiter Henning Kagermann. Der Computerworld zufolge musste Schlegel dafür nicht vom Bielersee ins «trostlose» Walldorf zügeln. «Hans wird in Zukunft – statt wie bisher einen – zwei Tage in Walldorf verbringen müssen», erklärte eine enge Mitarbeiterin aus Biel der Computerworld. Zwei Wochentage werde Schlegel nach wie vor durch die Welt jetten, um die 15 Ländergesellschaften zu betreuen, darunter auch wie bisher die SAP Schweiz.
SAP lanciert Anwendungssystem R/3
Zu den neuen Aufgaben Schlegels zählte die Positionierung des neuen Anwendungssystems R/3. Die Software sollte zunächst in den deutschsprachigen Ländern eingeführt werden, so Computerworld. Mit der Neuentwicklung – die notabene sieben Jahren in Anspruch genommen hatte – stellte sich SAP der neuen Realität. Neben dem zentralistischen Host-Konzept hatte sich der Client/Server-Ansatz etabliert. Während R/2 nur auf /370-Architekturen lief, war R/3 auch für verteilte Systeme ausgelegt. Die Grossrechner wurden zwar weiterhin unterstützt, aber auch eine Reihe von Unix-Varianten. Ähnlich offen gab sich SAP damals bei den Datenbanken, wobei mit Oracle der Anfang gemacht wurde.
Bei allen Anpassungen an die neuen Systemumgebungen sollte R/3 das bewährte R/2 nicht ablösen. Vielmehr wollte SAP bis auf Weiteres zweigleisig fahren und sein Mainframe-System R/2 noch die «nächsten zehn Jahre» weiterentwickeln. Der einfache Grund: «Erst wenn Unix-Maschinen die Verarbeitungsleistung von Grossrechnern bringen, kann man an eine Zusammenführung beider Software-Umgebungen denken», liess sich Bruno Tödtli von SAP Schweiz von Computerworld zitieren.
Kritische Stimmen sprachen dem damals noch kleinen Software-Haus SAP die finanzielle Potenz für die Bewältigung der «Doppelbelastung» ab, schrieb Computerworld. Die SAP-Verantwortlichen in Biel und Walldorf gaben sich unbeirrt überzeugt, sich mit R/3 auch in Zukunft auf dem Wachstumspfad zu bewegen, wenn auch nicht mehr im Bereich der 50-Prozent-Zuwächse der vergangenen Jahre. Heute lehrt uns die Geschichte: SAP sollte für einmal recht behalten. Der Jahresumsatz 1991 von 707 Millionen Mark blieb der letzte unterhalb der Milliardengrenze. In den nächsten fünf Jahren konnte SAP seinen Umsatz mehr als verfünffachen (1996: 3722,1 Millionen Mark).