Die E-Mail ist tot, es lebe die E-Mail

Im Gespräch mit IDCs Wafa Moussavi-Amin

Wafa Moussavi-Amin ist Analyst und Geschäftsführer beim Marktforschungs- und Beratungsunternehmen IDC
Quelle: IDC
Wafa Moussavi-Amin ist Analyst und Geschäftsführer beim Marktforschungs- und Beratungsunternehmen IDC. Im Gespräch mit Computerworld erklärt er, warum die E-Mail auch künftig wichtig für die Kommunikation in Unternehmen sein wird und weshalb Chat-Plattformen nicht unbedingt die Produktivität der Mitarbeiter steigern.
Computerworld: Die E-Mail wurde in den letzten Jahren schon mehrfach für tot erklärt. Aktuell gelten Chat-Plattformen als der E-Mail-Killer. Wie sehen Sie die Zukunft der E-Mail im Arbeitsleben?
Wafa Moussavi-Amin: Ich würde sagen – Totgesagte leben ewig. Natürlich können wir heute im Berufsleben auf verschiedenen Kanälen wie Messaging, Chats oder Social Media kommunizieren. Dennoch ist und bleibt die E-Mail eines der wichtigsten Medien, sie kann nicht ersetzt werden. Chat-Plattformen werden ihre guten Dienste leisten, aber nur für die interne Kommunikation. Für den Umgang mit Kunden, Partnern oder Lieferanten bleibt die E-Mail der Quasi-Standard bei der Verbindung externer Kommunikation mit internen Geschäftsprozessen.
Computerworld: Warum eignen sich Chat-Plattformen nur für die interne Kommunikation?
Moussavi-Amin: Ein grosses Problem derzeit ist die fehlende Kompatibilität zwischen den verschiedenen Plattformen. Die beteiligten Firmen müssten dieselbe Plattform benutzen. Auch die Präsenzinformationen, die anzeigen, ob ich gerade verfügbar bin, sind extern aus rechtlicher Hinsicht kaum umzusetzen.
Computerworld: Welche Vorteile bieten Chat-Plattformen aus Ihrer Sicht gegenüber der E-Mail?
Moussavi-Amin: Die Vorteile liegen ganz klar in einer schnellen und unkomplizierten Live-Kommunikation. Allerdings bezweifle ich, dass Chats im Vergleich zu E-Mails beruflich wirklich die Effizienz steigern.
Computerworld: Das sehen die Anbieter von Chat-Plattformen anders. Sie versprechen eine höhere Effizienz.
Moussavi-Amin: Sie versprechen eine schöne, heile Welt mit hoher Flexibilität, permanenter Erreichbarkeit und schnellen Antworten. Aber das ist nicht realistisch. Der Mensch soll immer mehr Informationen verarbeiten und alles am besten gleichzeitig. Das wird nicht funktionieren. Wir verbringen heute im Schnitt rund ein Fünftel unserer Arbeitszeit mit Meetings und Live-Kommunikation. Wenn die Chats dazukommen, wird das noch aufwendiger. Wir können in Chats viel Zeit verlieren und arbeiten nicht produktiv, wenn wir zu oft abgelenkt werden.
Computerworld: Demnach wäre die E-Mail durch die asynchrone Kommunikation ein Mittel zur Entschleunigung und höheren Produktivität.
Moussavi-Amin: Ja, durchaus. Eine E-Mail können wir später oder zeitversetzt beantworten. Wir können Zeitfenster für die Bearbeitung einplanen und haben einen grösseren Gestaltungsspielraum. Zudem entwickelt sich die E-Mail weiter.
Computerworld: Inwiefern?
Moussavi-Amin: Die grundlegenden Probleme bei den E-Mails waren bislang die schiere Masse der Nachrichten und Spam. E-Mails mit Anhang werden zudem oft als Ablage benutzt und nicht gelöscht. Das füllt die Posteingänge und der Bedarf an Speicherplatz wächst. Abhilfe schaffen hier beispielsweise Lösungen wie SharePoint für die zentrale Dateiablage oder intelligente Filter, die Spam blockieren, Mails nach bestimmten Kriterien vorsortieren oder auch anzeigen, ob die Mail direkt an mich gerichtet ist oder ich nur auf CC stehe.
Computerworld: Welches Potenzial bietet hier Künstliche Intelligenz?
Moussavi-Amin: Wir stehen bei KI zwar erst am Anfang, sie bietet aber grosses Potenzial für die Zukunft beim Priorisieren von Absendern und Themen sowie beim Text-Mining. Die Entwicklung geht hin zu intelligenten Mail-Systemen, die E-Mails vorsortieren und händische Arbeit obsolet machen. Die E-Mail entwickelt sich stetig weiter.
Ich gehe davon aus, dass E-Mail, Chat oder auch Twitter künftig miteinander verschmelzen werden. Die E-Mail lebt weiter. Wenn eine Technologie durch die Chat-Plattformen gefährdet wird, dann ist es eher das Telefon.



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