CEO Zühlke Schweiz
12.09.2022, 07:19 Uhr
«Die Schweiz besitzt einen Vertrauensbonus»
Seit über 50 Jahren beschäftigt sich das Unternehmen Zühlke mit Innovation. Schweiz-CEO Nicolas Durville sieht in ethischer Nutzung von KI eine grosse Chance für den Wirtschaftsstandort Schweiz.
Nicolas Durville ist seit 2004 bei Zühlke beschäftigt und amtet seit 2018 als Schweiz-CEO
(Quelle: Daniel Thüler)
Ohne die Talente in der ganzen Welt stünde Zühlke nicht dort, wo sie heute stehen. Das Unternehmen ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen – auch in der Schweiz. Der hiesige CEO Nicolas Durville weiss um die Fachkräfteknappheit, schätzt die internationale Zusammenarbeit und die innovativen Kunden. Zühlke hilft ihnen auch, sich in der digitalen Welt neue Standbeine aufzubauen, wie Durville im Interview berichtet.
Computerworld: Sie feiern demnächst ein rundes Jubiläum bei Zühlke – wenn Sie 20 Jahre im Unternehmen sind. Welche Gründe hat die Treue?
Nicolas Durville: Zühlke hat einen sehr guten Ruf in der Branche und darüber hinaus. Mir macht es Spass, für eine derart renommierte Firma zu arbeiten und weiter den guten Ruf zu pflegen und weiterzuentwickeln.
Bei Zühlke kann ich ausserdem mit sehr vielen enorm talentierten Menschen zusammenarbeiten. Wie viele hier bin auch ich Purpose-getrieben, freue mich also daran, wenn unsere Leistung einen Sinn ergibt. Es hilft sehr, dass Zühlke die Innovation in der DNA hat.
Ein dritter Aspekt ist das starke Wachstum der vergangenen Jahre. Die Anzahl Mitarbeitenden hat sich seit meinem Start verdreifacht. Früher konzentrierte sich das Geschäft auf Zentraleuropa und das Vereinigte Königreich, heute sind wir global an 17 Standorten präsent. Die multikulturellen Einflüsse machen den Job noch spannender!
CW: Welche Konsequenzen hat das internationale Wachstum für das Schweizer Geschäft, für das Sie verantwortlich sind?
Durville: Die Schweiz ist nach wie vor der grösste Standort, an dem annähernd jede zweite Person von Zühlke angestellt ist. Neben unserer Niederlassung in Schlieren gibt es noch einen Standort in Bern. Mittlerweile finden Entwicklung und Produktion aber nicht mehr nur allein in der Schweiz statt. Schweizer Kunden werden auch von Mitarbeitenden der Auslandstandorte unterstützt. Die Herausforderung, genügend qualifiziertes Personal in der Schweiz zu finden, ist einer der Gründe für die internationale Entwicklung. So arbeiten in der Leistungserbringung für Schweizer Kunden vermehrt Talente von verschiedenen Standorten der Zühlke Group zusammen.
CW: Könnten Sie die gleichen Leistungen mit ausschliesslich Schweizer Personal erbringen?
Durville: Ganz klar nein. [seufzt] Als Konsequenz würden wir dann weniger Projekte realisieren können und auch weniger Umsatz erwirtschaften.
Die Shoring-Modelle vor 25 bis 30 Jahren sind hauptsächlich aus Kostengründen etabliert worden. Damals lautete die Kalkulation: Entwicklung in der Schweiz ist teuer, Entwicklung an den entfernten Standorten günstig. Diese Überlegung greift heute zu kurz, denn wir haben in der Schweiz schlicht die grosse Anzahl an Fachkräften nicht, die wir für unsere Projekte benötigen. Deshalb müssen wir die Talente auch im Ausland rekrutieren.
CW: Ist der Fachkräftemangel das grösste Problem für weiteres Wachstum – von Zühlke und auch der Schweiz?
Durville: Für weitere Innovation ist der Mangel an Fachkräften und Talenten sehr akut in der Schweiz. Nicht einmal die Corona-Krise – in der die Beschäftigung in unserem Sektor auf hohem Niveau verharrte – oder eine mögliche Rezession haben hier eine Auswirkung. Denn die Fachkräfte benötigen wir unabhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung.
Eine Lehre, die wir aus der Pandemie gezogen haben, ist die Fragilität der globalen Lieferketten. Es spricht vieles dafür, dass wir künftig nicht mehr einen globalen Wirtschaftsraum haben, sondern mehrere regionale Zonen. Ein international tätiges Unternehmen benötigt dann für jede dieser Zonen – Stichworte sind hier Gesetzgebung und Regulierung – Anpassungen und teils eigene Plattformen. «One size fits all» hat ausgedient, jede der Plattformen muss den regionalen Vorschriften entsprechen.
Wenn Zühlke bis anhin eine Lösung entwickeln konnte, die Unternehmen dann global einsetzen konnten, werden wir künftig verschiedene Plattformen bauen müssen. Für meine Kolleginnen und Kollegen und mich bedeutet das: Wir müssen uns immer neue Plattformen und Technologien aneignen, um die international tätigen Unternehmen bei ihren Projekten unterstützen zu können.
Nachholbedarf bei der Digitalisierung
CW: Die Pandemie hat auch aufgezeigt, welche Bedeutung die Informatik heute für die Wirtschaft hat. Sehen Sie Branchen, die noch Nachholbedarf haben?
Durville: In der Versicherungsbranche hat es noch viele Bereiche, die nicht stark automatisiert sind und innoviert werden können. Die Unternehmen lancieren allenthalben wieder ein neues Portal, bei dem an der Front scheinbar alles digital ist. Im Backend werden aber weiterhin Dokumente ausgedruckt oder versendet, Telefongespräche geführt und Unterschriften gesammelt. So weit waren die Banken vor 25 Jahren schon: Damals gab es die ersten Online-Portale. Sie haben bis heute nicht dazu geführt, dass die Bankfilialen massenweise geschlossen und die Berater alle auf die Strasse gestellt wurden.
CW: Die Schweizer Industrie scheint auch noch Nachholbedarf zu haben …
Durville: Da würde ich zustimmen. Vielen Unternehmen ist in der DNA, dass sie seit Jahrzehnten Produkte entwickeln. Innovation bedeutet häufig, dass eine neue Variante des Produkts lanciert wird. Damit stiften die Hersteller aber oft wenig neuen Kundennutzen.
Einen Schlüssel für Innovation sehe ich in der Vernetzung der Produkte mit Blick auf neue Geschäftsmodelle. So kann sich der Anbieter aber auch neben der Produktion ein neues Geschäftsfeld erschliessen: Er kann das Produkt bereitstellen und nur noch die Nutzung verrechnen.
Ein Beispiel ist ein international tätiger Sicherheitsspezialist. Dort gab es vor einigen Jahren die Überlegung, wie sich statt einer gesicherten Tür allenfalls eine Zutrittskontrolle als Service verkaufen lässt. Potenzielle Kunden waren etwa Arztpraxen, die sich nicht mit einer Schliessanlage auseinandersetzen wollten, sondern allein das Interesse hatten, dass niemand unerlaubt die Praxisräume betritt. Für solche Anwendungsfälle entwickelten wir gemeinsam mit dem Unternehmen eine Zutrittskontrolle, die heute als Abonnement angeboten wird. Solche Services-Modelle sehe ich als nachhaltigen Trend bei der Digitalisierung der Industrie.
CW: Kommen Unternehmen zu Zühlke mit einem Fertigungsproblem – oder mit der Fragestellung, wie sie ihr Geschäft digitalisieren können?
Durville: Danke für die Frage! [lacht] Teils erwecken die vielen Ingenieurinnen und Ingenieure bei Zühlke den Eindruck, wir würden hauptsächlich Produkt-Engineering betreiben. Das ist tatsächlich eine unserer Spezialitäten, aber natürlich nicht die einzige Leistung. Viel mehr positionieren wir uns als Innovationspartner für die Kunden.
Bleiben wir noch beim Beispiel von vorhin: Der Kunde kam auf uns zu mit der Frage, wie sie sich von einer reinen Produkte-Company zu einem Services-Anbieter entwickeln können. Der Ausgangspunkt war damit nicht, nur eine neue Anwendung zu programmieren, sondern die typische Customer Journey zu analysieren und darauf aufbauend ein neues Geschäftsmodell zu entwickeln: Welche Anforderungen haben die Endkunden? Wie wurde das Problem bisher gelöst? Welches sind die Erlösquellen? Welche alternativen Lösungswege gibt es? Erst wenn auf diese Fragen gemeinsam mit unserem Kunden die Antworten gefunden sind, beginnen wir mit dem Entwickeln einer passenden (Cloud-)Lösung.
Standortvielfalt
CW: Sind diese Innovationsprojekte an allen Standorten von Zühlke möglich?
Durville: Ja. Lassen Sie mich das am Beispiel einer grossen Privatbank aufzeigen: Für die Relationship Manager der Bank haben wir eine Lösung für die Kundenberatung entwickelt. Je nach Kunde und Risikoprofil dürfen die Mitarbeitenden aus regulatorischen Gründen nur bestimmte Produkte verkaufen. Die Algorithmen berücksichtigen diese Restriktionen und helfen den Relationship Managern dabei, die passenden Produkte zu finden und das Portfolio zu optimieren. Wie bei den Banken üblich, mussten dafür vorher Dutzende Applikationen angepasst und integriert werden. Nun liefern die dahinterliegenden Systeme die Daten an die neue Lösung, sodass die Recherche stark beschleunigt wird. Die Beraterinnen und Berater haben mehr Zeit für die Kunden.
Diese Lösung ist deshalb besonders, weil sie zwar ursprünglich in der Schweiz entwickelt, wegen des grossen Erfolgs dann aber global ausgerollt wurde. Die Codebasis konnte beibehalten werden, nur die Compliance- und Gesetzesvorgaben mussten für die anderen Länder angepasst werden. Die Programmierung für den asiatischen Raum geschieht mittlerweile hauptsächlich vor Ort, wo auch die Bank eine starke Präsenz hat. Wir sind dem Kunden dorthin gefolgt, was ein Grund für unser internationales Wachstum ist.
CW: Erschliesst sich Zühlke neue Märkte nur gemeinsam mit den Kunden?
Durville: Nein, nicht ausschliesslich. Aber es hilft stark, wenn wir einen neuen Standort mit einem Kunden aufbauen. In Asien ist es so geschehen, wo wir den Markt mit bestehenden Kunden aufgebaut und von unserer internationalen Erfahrung im Banking profitiert haben. Andere Standorte wie Ho-Chi-Minh-Stadt in Vietnam haben wir in erster Linie wegen des Zugangs zu Talenten ausgewählt. Hier spielten die potenziellen Kunden eine untergeordnete Rolle, wobei die Unternehmen in Asien natürlich auch von Ho-Chi-Minh-Stadt aus bedient werden.
CW: Können die Mitarbeitenden von Zühlke mit einem Kunden in die Niederlassung in Singapur wechseln?
Durville: Ein gutes Stichwort, danke! Wir bieten sowohl physische als auch virtuelle Zusammenarbeit.
Im konkreten Beispiel von Singapur oder Hong Kong gab es anfänglich ein gutes Dutzend Schweizer Kolleginnen und Kollegen sowie aus anderen Standorten, die dorthin gewechselt sind. Einige kehrten nach ein bis zwei Jahren zurück, andere blieben dort – teilweise auch aus privaten Gründen. [schmunzelt] Auch heute besteht die Möglichkeit zu einem Wechsel, nicht nur nach Singapur oder Hong Kong, sondern auch in die anderen Niederlassungen.
Die eingangs erwähnte Option, dass unsere Leute im Ausland für Schweizer Kunden arbeiten, gilt natürlich auch umgekehrt. Schweizer Mitarbeitende sind beispielsweise an Projekten in Singapur oder Grossbritannien beteiligt. Auch so können sie die kulturellen Unterschiede und neue Kolleginnen und Kollegen kennenlernen.
CW: Geht die Weltreise für Zühlke weiter? Konkret: Planen Sie eine weitere Expansion?
Durville: Ja. Aktuell evaluieren wir die Expansion in Richtung USA. Das Potenzial ist riesig, die Hürden für den Markteintritt allerdings auch gross. Ich rechne damit, dass wir noch in diesem Jahr einen Entscheid treffen werden.
Eine andere interessante Region ist der asiatisch-pazifische Raum. Australien ist ebenfalls ein sehr spannender Markt mit vielen Wachstums-Chancen. Und eine Niederlassung dort wäre nebenbei auch ein attraktiver Arbeitsort für unsere Mitarbeitenden.
Eine andere interessante Region ist der asiatisch-pazifische Raum. Australien ist ebenfalls ein sehr spannender Markt mit vielen Wachstums-Chancen. Und eine Niederlassung dort wäre nebenbei auch ein attraktiver Arbeitsort für unsere Mitarbeitenden.
Kampf um Talente
CW: In der Schweiz können derzeit viele Lehrstellen nicht besetzt werden. Haben Sie Schwierigkeiten, Lernende zu finden?
Durville: Wir finden durchaus Lernende, aber eine Herausforderung ist die Tatsache, dass wir sehr häufig mit den Kunden in Projekten zusammenarbeiten. Hier sind Lernende nicht immer einfach einsetzbar. Für uns heisst das: Wir müssen auch Projekte akquirieren, in denen Lernende ihre Aufgaben erfüllen können und Lerngelegenheiten erhalten. Wir werden in Zukunft sicherlich noch mehr Lernende ausbilden. Damit haben wir auch eine gewisse Verpflichtung der Gesellschaft gegenüber. Unter anderem engagieren wir uns an Schulen in der Förderung von MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik; Anmerkung der Redaktion). Über die Thematik Lehrstellen hinaus werden wir in diesem Jahr rund 160 Personen in der Schweiz neu anstellen.
CW: Die grossen Technologiekonzerne haben starke Präsenzen in der Schweiz. Mit ihnen stehen Sie ebenfalls im Wettbewerb um die Talente. Sehen Sie diese Konkurrenz eher als Vor- oder als Nachteil?
Durville: Natürlich gibt es einen gewissen Wettbewerb, aber ich sehe eher die Chancen. Wenn sich Technologiefirmen wie Facebook und Google in der Schweiz und speziell in Zürich ansiedeln, ziehen sie weitere Unternehmen und Talente an. Damit wird der Standort attraktiver.
CW: Mit Google haben Sie den Schwerpunkt auf Datenprojekten gemeinsam. Um welche Fragestellungen geht es in Ihren Projekten?
Durville: Unternehmen aus allen Branchen sammeln heute gigantische Datenmengen. Deshalb geht es in der grossen Mehrheit der Projekte um die Fragestellung: Was fange ich mit den Daten an? Die einen setzen wie wild Technologien, Tools und Algorithmen ein, wissen aber nicht, welches konkrete Problem sie lösen wollen. Dieser Ansatz führt nicht zu einem sinnvollen Ergebnis. Unser Ansatz ist: Verwende die Daten gezielt, um ein konkretes Problem zu lösen. Das Problem und der Nutzen müssen im Mittelpunkt stehen.
Konkret haben wir Projekte mit der SBB: Wir helfen dabei, einen geregelten Zugbetrieb sicherzustellen und die Pünktlichkeit weiter zu verbessern. Ein häufiger Grund für Verspätungen sind klemmende Türen. Anhand von Maschinendaten ermitteln wir gemeinsam mit der SBB die Probleme an den Türen und erlauben den Technikern, neuralgische Punkte schon präventiv zu warten oder zu verbessern. Sollte es dann trotzdem zu einer Verspätung kommen – aus welchem Grund auch immer –, dann kann der Betriebsleitstand informieren und die Fahrgäste auf Anschlussverbindungen hinweisen. In einem weiteren Projekt geht es um die Auslastung der Züge: In der SBB-App können die Passagiere die Belegung der einzelnen Wagen ablesen und den optimalen Wartebereich auf dem Perron ermitteln, um in einen möglichst wenig belegten Wagen einzusteigen.
Die Bedeutung der KI bei Zühlke
CW: Sie sprechen die künstliche Intelligenz an. Welche Rolle spielt die Technologie in Ihren Projekten?
Durville: KI ist heute schon in vielen Projekten ein Thema. Ich bin überzeugt, dass in ein paar Jahren KI in sehr vielen Lösungen enthalten sein wird.
CW: Die KI schürt auch Ängste von der Herrschaft der Maschinen. Registrieren Sie solche Befürchtungen in den Gesprächen mit den Kunden?
Durville: Ich höre zwei Meinungen: KI automatisiert alles und kostet Arbeitsplätze oder KI hilft überall und schafft Wohlstand. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo in der Mitte. Zweifellos wird es gewisse Jobs mit repetitiven Tätigkeiten in zehn Jahren nicht mehr geben, weil die Maschinen diese Aufgaben besser, kostengünstiger und zuverlässiger erledigen können.
Jedoch ist diese Entwicklung bereits bekannt, denn die Industrialisierung brachte ähnliche Veränderungen der Arbeitswelt. In der Diskussion um KI kommt mir heute die Ethik zu kurz. Wenn eine KI zum Beispiel für die Rekrutierung eingesetzt wird, dann kann es passieren, dass falsche oder diskriminierende Entscheidungen getroffen werden. Zühlke hat für seine Projekte ein Framework definiert, mit dem Fragestellungen durch eine ethische Brille angeschaut werden.
CW: Fordern die Kunden eine ethische Prüfung der KI?
Durville: Nein, noch nicht. Aber diese Fragen werden kommen, davon bin ich überzeugt, weil die Regulatoren das Problem erkannt haben. Heute herrscht im Markt etwas Goldgräberstimmung – auch mit Firmen, die sich nicht explizit um die Ethik kümmern. Unser Framework ist eine zentrale Value Proposition von Zühlke in diesem Bereich.
Grundsätzlich würde ich mir von der Schweiz wünschen, dass sie eine Vorreiterrolle einnimmt bei der Diskussion um die Ethik von künstlicher Intelligenz. Wir besitzen einen Vertrauensbonus im Vergleich mit anderen Nationen hinsichtlich Datennutzung. Wir haben eine politische Stabilität, die ihresgleichen sucht. Dann besitzen wir einen hohen Standard beim Datenschutz. Und wir haben die ETH, die führend ist in diesem Bereich. Aber wir sind zu bescheiden und zu wenig selbstbewusst. China und die USA sind weltweit führend in der Nutzung von KI. Aber die Schweiz wäre hervorragend aufgestellt, um die Entwicklung zu prägen und bei der Regulierung eine Vorreiterrolle einzunehmen. Denn: Wo hätten Sie es lieber, dass Ihr Algorithmus mit vertraulichen Daten entwickelt wird? In China, in den USA oder in der Schweiz? Die meisten würden hier wohl die Schweiz wählen.
CW: Sie erwähnten, dass Sie als CEO viel mit Kunden sprechen. Um welche Projekte handelt es sich dabei?
Durville: Auch wenn ich operativ nicht mehr stark involviert bin in die Projekte, spreche ich doch fast täglich mit den Kunden. Im Unterschied zu früher, als die IT-Nerds übertrieben gesagt noch im Serverraum eingeschlossen waren, kann sich heute kein C-Level mehr der Digitalisierung verschliessen. Die IT-Themen sind auf der Teppichetage angekommen. Das Fachwissen ist dort oft noch nicht so präsent, wie es sein müsste. Ich sehe es als meine Aufgabe an, den Gesprächspartnern aus der Geschäftsleitung und dem Verwaltungsrat Fragen zu beantworten und Empfehlungen abzugeben. Zum Beispiel zu den Themen Cloud, Innovation oder KI, bei denen ich Impulse liefern kann zu den Projekten oder auch künftigen Vorhaben.
CW: Wie würden Sie das Geschäft von Zühlke generell charakterisieren? Welche Schwerpunkte gibt es?
Durville: Zwei Drittel sind reine Software-Projekte, ein Drittel sind Produktinnovationen mit Hardware, die wir mitentwickeln. Ein Beispiel hier ist der Lawinenrucksack von Mammut. Gemeinsam mit dem Ausrüster haben wir das bestehende Produkt auf eine kostengünstigere und vor allem einfachere Herstellung hin optimiert. Auch ist der Rucksack nun leichter und widerstandsfähiger.
Das Schöne an diesen Projekten ist ihre Anschaulichkeit. Einen Lawinenrucksack kann ich herumzeigen, einen Software-Algorithmus weniger. Häufig haben wir auch gar keinen Zugriff auf die zugehörigen Applikationen, die natürlich in der Infrastruktur der Kunden laufen. Dahinter verbirgt sich zwar von Zühlke programmierter Code, der aber ja dem Kunden nutzen soll und nicht der Demonstration unserer Fähigkeiten.
Pläne für die Zukunft
CW: Wir haben im Sommer einen grossen Zuschlag für Zühlke in einer öffentlichen Ausschreibung gesehen. Das Verfahren ist sehr aufwendig für beide Seiten. Wie positionieren Sie sich?
Durville: Wir sind bei öffentlichen Ausschreibungen sehr selektiv. Bei manchen Vorhaben wird sehr viel Wert auf den Preis gelegt, was nicht zu uns passt. Denn wir definieren uns nicht in erster Linie über den Wert, den wir für unsere Kunden liefern. Im angesprochenen Fall der künftigen «Justitia 4.0»-Plattform lag der Schwerpunkt auf der Qualität, der Präsentation, dem Renommee und dem Commitment des Partners. Deshalb haben wir uns dafür entschieden, an der Ausschreibung teilzunehmen. Aber, wie sie andeuten: Das Verfahren ist sehr aufwendig, sehr kompetitiv und sehr zeitintensiv.
Ein Pluspunkt für uns war sicher unsere Praxis, dass die Mitarbeitenden, die am Bieterverfahren teilnehmen, auch im Projekt arbeiten werden. Denn der Kunde kauft ja kein Produkt, sondern Vertrauen in die Fachleute. Deshalb müssen hier die gleichen Personen involviert sein.
CW: Wie funktioniert Innovation bei Zühlke?
Durville: Sowohl Bottom-up als auch Top-down. Wir haben unsere Organisation mittlerweile vollständig auf Value Streams entlang von Branchen umgestellt und arbeiten nach agilen Prinzipien. Daneben treiben verschiedene Practices ihre Themen wie eben Daten & KI, Cloud, Innovationsberatung oder Nachhaltigkeit voran. Der Hauptteil der Innovation findet in den Value Streams statt, die sehr viel Autonomie haben.
So bestimmt die Geschäftsleitung nur, wie viel in Innovation investiert wird. Mit diesem Budget realisieren wir innovative Ideen von Teams. Es sind also unsere Mitarbeitenden selbst, die sich für die Finanzierung ihrer Idee bewerben und das Budget auch untereinander im «Participatory Budgeting» verteilen. Wenn ein Team etwa eine Cloud-Idee umsetzen möchte und ein anderes Team ein Data-Projekt plant, können die zwei Gruppen das Budget untereinander verhandeln und aufteilen. Aber auch umverteilen oder komplett verzichten, wenn man sieht, dass ohne zusätzliche Mittel das eine Projekt nicht verwirklicht werden kann. Das schafft mehr Accountability und Transparenz bei den Mitarbeitenden – als wenn einfach die Geschäftsleitung beschliesst, wie der Kuchen verteilt wird.
Generell investieren wir 10 Prozent unseres Umsatzes in Innovation und Weiterbildung. Dabei stehen wir im Wettbewerb sehr gut da – auch verglichen mit den grossen Namen unserer Branche. Bei den Studienabgängern schaffen wir es regelmässig in die Top 10 der Unternehmen, bei denen sich die Talente zuerst bewerben.
CW: Welche Pläne hat Zühlke für die nähere Zukunft?
Durville: Zwei Themen in unserem Geschäft, die wir aktuell stark vorantreiben, sind Daten & KI sowie Nachhaltigkeit. Ein aktuelles Beispiel für ein laufendes Datenprojekt ist ein globaler Versicherungskonzern, dem wir helfen, eine 360-Grad-Sicht auf seine Kunden zu gewinnen und daraus einen kompetitiven Vorteil zu ziehen.
Im Bereich Nachhaltigkeit wollen wir erstens intern erreichen, dass wir unseren Ressourcenverbrauch besser messen, ausweisen, verringern und kompensieren. In diesem Jahr werden wir klimaneutral sein. Wir wollen aber auch das Geschäft aufbauen, mit dem wir unseren Kunden helfen, selbst ihren Beitrag zur Nachhaltigkeit zu erhöhen. Denn bei vielen Unternehmen üben die Investoren vermehrt Druck aus. Zukünftige Waren sollen schon von vornherein nachhaltig entwickelt werden: Hier optimieren wir den Energieverbrauch, die Materialauswahl, das Recycling und weitere Aspekte. Diese Optimierungen reduzieren den ökologischen Fussabdruck über die gesamte Lebensdauer eines Produkts und der Effekt ist somit viel grösser, als wenn lediglich bei der Fertigung angesetzt wird. Wir sind überzeugt, dass wir mit unseren Fähigkeiten als Innovationsdienstleister einen gewichtigen Beitrag zur Transformation hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft leisten können.
Zur Person und Firma
Nicolas Durville bekleidet seit Mitte 2018 den Posten als CEO und ist Partner von Zühlke Schweiz. Parallel ist er Mitglied der Gruppenleitung. Der 50-Jährige ist seit 2010 Mitglied der Geschäftsleitung und war zuvor als Bereichsleiter, Group CIO sowie Business-Unit-Leiter tätig. Bevor er 2004 zu Zühlke kam, war er in leitenden Positionen bei Cambridge Technology Partner (heute Atos) beschäftigt. Durville hält einen ETH-Abschluss
in Elektrotechnik.
in Elektrotechnik.
Zühlke wurde 1968 von Gerhard Zühlke gegründet. Das erste Produkt war der beschlagfreie Wegwerfzahnspiegel «Mirodent». 1973 entstand die Abteilung Datentechnik. 1980 erweiterte der Konzern sein Portfolio um Management-Beratung. Ab 1998 wurden die ersten Niederlassungen im Ausland eröffnet: Die Standorte in Frankfurt und London entstanden. Danach folgte die Expansion nach Asien. Das Unternehmen beschäftigte
Ende 2021 weltweit rund 1600 Mitarbeitende. www.zuehlke.com/ch
Ende 2021 weltweit rund 1600 Mitarbeitende. www.zuehlke.com/ch
Dieser Artikel ist im Rahmen der «Top 500»-Sonderausgabe von Computerworld erschienen. Das Heft einschliesslich Ranking lässt sich auf dieser Seite bestellen.