Dextra Rechtsschutz und sum cumo Sapiens 17.01.2022, 06:11 Uhr

«Auch digital lässt sich nicht alles automatisieren»

Die digitale Rechtsschutzversicherung Dextra ist ein Erfolgsmodell. CEO Beat Riniker, der neue CTO Cyril Perrig und Ingolf Putzbach vom IT-Partner sum cumo Sapiens berichten vom gemeinsamen Wachstum und den aktuellen Herausforderungen als IT-getriebener Versicherer.

Ingolf Putzbach von sum cumo Sapiens mit Beat Riniker und Cyril Perrig von Dextra Rechtsschutz (v. l.)
(Quelle: Stefan Walter)
Die Rechtsschutzversicherung Dextra mit Sitz in Zürich-Altstetten ist seit der Gründung praktisch vollständig digitalisiert. Das Unternehmen kann so deutlich schneller neue Produkte lancieren oder auf Heraus­forderungen wie die aktuelle Corona-Krise reagieren. Von Anfang an wurde Dextra vom strategischen IT-Partner sum cumo Sapiens begleitet. Co-Geschäftsführer Ingolf Putzbach blickt mit Dextra-CEO Beat Riniker auf das gemeinsame Wachstum zurück und diskutiert mit dem neuen Dextra-CTO Cyril Perrig über Chancen und Herausforderungen der digitalen Versicherungswelt.
Computerworld: Schon bei der Gründung hatte Dextra das Alleinstellungsmerkmal «moderne IT». Wie sah 2012 eine «moderne IT» aus?
Ingolf Putzbach: Dextra besass bei der Gründung noch überschaubare finanzielle Mittel. Es galt also, eine IT-Lösung zu entwickeln, die das Budget nicht sprengte und gleichzeitig den Anwendungsfall Rechtsschutzversicherung optimal abbildete. Hinzu kam noch, dass Dextra die erste Versicherung überhaupt werden sollte, die rein digital verkauft. Eine solche Software war nicht von der Stange zu haben.
Im Unterschied zu den klassischen Versicherungs­anwendungen sollte die neue Lösung ein Frontend besitzen, über das die Policen online vertrieben werden. Weiter war ein Web-­Portal notwendig, in dem der Versicherungsnehmer im ­Service- und insbesondere im Leistungsfall direkt bedient werden kann.
Die Anforderungen an die IT haben wir mit Dextra ­damals gemeinsam definiert. sum cumo war ebenfalls noch sehr jung. Mit Dextra als erstem Versicherungskunden ent­wickelten auch wir uns weiter. Wir programmierten zwar eine Individual-Software speziell für Dextra, die dann aber auch für andere Versicherungsfälle verwendet werden konnte.
CW: Hätten Sie mit der Software auch eine Rechtsschutzversicherung für den deutschen oder einen anderen Markt programmieren können?
Putzbach: Durchaus. Zwar unterscheidet sich das Geschäftsmodell einer Rechtsschutzversicherung in der Schweiz von dem in Deutschland. Die Software war und ist aber flexibel genug, um den Unterschied abbilden zu können. Heute würde man allerdings die Plattform so nicht mehr nutzen.
CW: Warum würden Sie heute eine andere Lösung oder Technologie ­wählen?
Putzbach: Wenn wir heute noch einmal starten würden, wäre die Ausgangslage eine komplett andere. Denn es gab in der IT grosse Fortschritte, die sich damals noch nicht abgezeichnet haben – ich denke nur an die Modularität und die offenen Schnittstellen. Beides war in der ersten Version der Dextra-Lösung noch nicht so vorhanden. Mittlerweile haben wir die Software allerdings grösstmöglich nach diesen Prinzipien weiterentwickelt.
CW: Gibt es noch Komponenten aus den Anfangszeiten?
Putzbach: Ja, es gibt eine Legacy, um das böse Wort zu verwenden. Ein Grossteil der Plattform ist inzwischen erneuert worden, aber einzelne Komponenten laufen un­verändert seit fast zehn Jahren. Erst mit dem zweiten und dem dritten Versicherungskunden hat sum cumo auch die Architektur gewechselt. Die Individualentwicklung wurde abgelöst durch Produkte, die nun von den Kunden beliebig kombiniert werden können.
Dextra hatte das Pech, dass sie der erste Kunde war. Für sie wurde alles neu geschrieben. Der neue Produktansatz eröffnet jetzt aber auch für Dextra die Chance, dass die Legacy über kurz oder lang ebenfalls durch Produkte ab­gelöst und ersetzt werden kann.
Info
Zu den Gesprächspartnern
Beat Riniker amtet seit September als CEO von Dextra Rechtsschutz. Zuvor war er 15 Jahre bei der Versicherung Protekta beschäftigt, zuletzt als Leiter Recht und Leistungen. Der Rechts­anwalt studierte Jura an den Universitäten Bern und Sheffield und absolvierte eine Fortbildung im Versicherungswesen an der Hochschule St. Gallen.
Cyril Perrig bekleidet seit Juni die Position des CTO bei Dextra Rechtsschutz. Er wechselte aus der gleichen Position beim Treuekarten- und Deal-Anbieter poinz, bei dem er über drei Jahre tätig war. Frühere Karriere­stationen Perrigs waren Leitungspositionen bei Swisscom und Zühlke. Er absolvierte ein Informatikstudium an der ETH Zürich und der Universität im schwedischen Lund. Weiter hält Perrig einen Executive MBA von der Hochschule für Wirtschaft Zürich.
Ingolf Putzbach ist seit Juli 2016 der Co-Geschäftsführer von sum cumo Sapiens. Zuvor war er Leiter der Versicherung Die Bayerische, Gründer des Beratungsunternehmens Arkwright Consul-ting und Deutschland-Geschäftsführer des IT-Dienstleisters Halogen. Putzbach hält ein Diplom als Wirtschaftsingenieur von der Technischen Universität Hamburg.

Nichts geht mehr ohne IT

CW: Die Fach-IT ist komplett im Outsourcing. Werden die Software und alle Daten auch in einem deutschen Rechenzentrum gehostet?
Cyril Perrig: Ja, ein grosser Teil der Dextra-IT ist ausgelagert an sum cumo. Vor etwa anderthalb Jahren fiel der Entscheid, mit einem weiteren IT-Dienstleister zusammen­zuarbeiten. In dieser Kooperation ging es um den Aufbau eines Data Warehouses. Wir wollen heute und in Zukunft vermehrt Entscheidungen aufgrund unserer Geschäfts­daten treffen können. Technologien wie künstliche Intelligenz und Machine Learning sollen helfen bei der Automatisierung von internen Prozessen und beispielsweise der Fallbearbeitung. Im Oktober und November dieses Jahres haben wir zwei Software-Ingenieure eingestellt.
CW: Welche Aufgaben haben die beiden Ingenieure?
Perrig: Sie sollen uns zunächst bei der Weiterentwicklung des Data Warehouses unterstützen. Ausserdem besteht hre Aufgabe darin, um die Kernsysteme herum Anwendungen zu programmieren, die wir für die Prozessautomatisierung nutzen wollen.
“Wir wollen Dextra Rechtsschutz zu einem juristischen Concierge weiterentwickeln, der unseren Kunden auch selbstständig hilft„
Beat Riniker
Ein Beispiel ist die automatische Fallverteilung: Je nach Sachverhalt und Auslastung sowie Kompetenz des An­gestellten werden den Mitarbeitenden die Fälle vom Computer zugewiesen. Dabei kommt Machine Learning zum Einsatz.
Ein anderes Beispiel ist die automatisierte Courtagen-Abrechnung für die Broker.
Beide Prozesse können wir unabhängig von den Kernsystemen entwickeln. Wir benötigen allein die offenen Schnittstellen zu den Daten.
Putzbach: Ich erachte es als ein Merkmal einer modernen IT, im Kerngeschäft auf Standardprodukte zu setzen. Wenn es um die Alleinstellungsmerkmale geht, sind Individuallösungen gefragt. Sie müssen sich allerdings natürlich problemlos an die Kernsysteme anbinden lassen.
CW: Wäre ein Data Warehouse nicht auch ein attraktives Zusatzgeschäft für sum cumo Sapiens gewesen?
Putzbach: Ehrlich gesagt fehlt uns die Expertise in diesem Geschäft. Unsere Stärken sind bei den Kernplattformen, den Front­ends und dem Marketing. Inklusive der Online-Vermarktung und -Werbung.
Beat Riniker: Für Dextra war es ein grosser Vorteil, dass wir die Software quasi auf der «grünen Wiese» entwickeln konnten. So blieb uns beispielsweise erspart, dass wir ein vorhandenes Kundenportal einsetzen mussten – wie es bei vielen Markt­begleitern der Fall ist. Wir konnten das Anwaltsportal, das Brokerportal und auch die Kundenportale aus einer Hand beziehen und somit ein einheit­liches Benutzererlebnis ge­währleisten.
Der CTO ist gleichzeitig der IT-Leiter. Cyril [Perrig] sitzt in der Geschäftsleitung, was bei einer digitalen Rechtsschutzversicherung den durchaus hohen Stellenwert der IT für das Geschäft widerspiegelt.
CW: Ein gutes Stichwort. Wie gut funktioniert eine Versicherung, wenn die Computer nicht laufen?
Perrig: Es funktioniert nicht mehr viel. Denn wir sind in den Büros komplett papierlos unterwegs. Unsere Briefpost wird gescannt, die Kommunikation geschieht via E-Mail, die Fallbearbeitung erfolgt digital und auch die Telefonanlage ist ein Computer. Wir könnten ohne diese Systeme zwar einige Tage weiterarbeiten, müssten die Informationen aber anschliessend in die Systeme einpflegen.
Diese digitalen Arbeitsabläufe bringen uns bezüglich Flexibilität und Effizienz grosse Vorteile, wobei gleichzeitig die Abhängigkeit von einer funktionierenden IT-Infrastruktur immens gross ist.
Putzbach: Bisher hatten wir glücklicherweise keine Ausfälle zu beklagen. Auch unsere Systeme sind bei Providern mit sehr hohem Service Level gehostet. Bei einer Verfügbarkeit von über 99,5 Prozent und robuster Technik kann normalerweise auch nicht viel passieren.
Riniker: In der aktuellen Pandemie-Situation bietet uns dieses IT-getriebene Setup die Option, von einem Tag auf den anderen ins Home Office zu wechseln. Einige Mitbewerber mussten die Kunden um Geduld bei der Fallbearbeitung bitten, da sie nur einmal pro Woche ins Büro durften.

Selbst ist der Kunde – und der Verkäufer

CW: Es gab Anfang Jahr einen Relaunch. Ist die Rechnung für Dextra aufgegangen?
Riniker: Ja, der Relaunch war sogar sehr erfolgreich. Neben unseren All-in-One-Produkten haben wir neu Flex-Lösungen im Angebot, bei denen sich die Kunden ihren Rechtsschutz individuell zusammenstellen können. Wir sind positiv überrascht, wie gut diese flexiblen Produkte bei unseren Kunden ankommen. Die Befürchtung, dass Kunden von dieser Wahlfreiheit überfordert sind oder nur noch das absolute Minimum versichern wollen, hat sich nicht bestätigt. Im Gegenteil: Viele Versicherungsnehmer stellen sich sogar umfassendere Rechtsschutzpakete zusammen als unsere Standardpakete L und XL.
Ingolf Putzbach hat als Co-Geschäfts­führer von sum cumo Sapiens die IT von Dex­tra mitentwickelt
Quelle: Stefan Walter
Putzbach: Aus der technischen Perspektive war der Relaunch ein Quantensprung. Die herkömmlichen Versicherungen mussten sich darauf beschränken, möglichst viele Standardprodukte anzubieten, damit sie die Policen überhaupt noch verarbeiten können. Dextra ist es dank der modernen Frontend-Technologie SCIP Sales möglich, die Produkte stark zu individualisieren. Das erfüllt die heutigen Bedürfnisse von Konsumenten, Maklern und Brokern. Die erhöhte Nachfrage kann die neu entwickelte Plattform trotzdem hoch automatisiert verarbeiten.
Im nächsten Schritt können die Produktmanager neue Produkte selbst konfigurieren, aufschalten und bewerben. Somit erhält Dextra zusätzliche Wettbewerbsvorteile, denn viele Konkurrenten können derart individualisierte Policen technisch gar nicht umsetzen.
CW: Nun kann der Produktmanager ohne Programmierkenntnisse eine neue Police zusammenbauen?
Putzbach: Genau. Eine technisch affine Person kann durchaus eine neue Versicherungspolice selbst zusammenstellen. Dafür sind keine Programmierkenntnisse erforderlich. Dank der Integration von Antrags- und Schadensportal kann der Produktmanager auch gleich die Antragsstrecken einsehen sowie prüfen. Wenn das Produkt den Anforderungen entspricht, ist es mit wenigen Mausklicks auf der Webseite aufgeschaltet und kann sofort verkauft werden.

IT-Leiter als Übersetzer für das Business

CW: Braucht es in dieser Konstellation überhaupt einen IT-Verantwortlichen?
CTO Cyril Perrig ist seit Juni 2021 für die interne IT von Dextra verantwortlich
Quelle: Stefan Walter
Perrig: Ich denke schon. Denn bei einem Digitalversicherer stehen neben den Kernsystemen Themen an wie Prozessoptimierung, künstliche Intelligenz und die interne Infrastruktur mit modernen Workplaces und effizienten Collaboration-Tools. In Zeiten, in denen überall gearbeitet werden kann, braucht es Personen, die für eine effiziente IT sorgen. Das hat vor meinem Start bei Dextra im Juni gefehlt. Als Person vor Ort können Herausforderungen ganz anders adressiert werden als von einem externen Partner, der die DNA der Dextra nicht gleich gut kennt.
Riniker: Für mich ist der IT-Leiter auch ein Übersetzer bei neuen Bedürfnissen. Ich kann Cyril [Perrig] meine Ideen und Wünsche für neue Anwendungen erklären. Er gibt sie dann in einer für die IT adäquaten Art und Weise weiter an sum cumo. Oder er kann sie selber umsetzen.
Putzbach: Uns als Outsourcing-Partner von Dextra kommt es sehr entgegen, wenn wir auf der Kundenseite einen Ansprechpartner haben, der die Bedürfnisse seines Unternehmens kennt und auch Anforderungen adäquat kommunizieren kann. Das erleichtert uns die Arbeit immens. Dextra ist hier einmal mehr ein Vorreiter, aber auch bei anderen Kunden beobachten wir die Entwicklung, dass IT-Expertise intern aufgebaut wird.
CW: Heute zählen Rechtsschutz, Autoversicherung, Hausrat, Haftpflicht und Gebäudeversicherung zu Ihrem Portfolio. Was folgt?
Riniker: Die angesprochenen Versicherungen deckt unsere Ausgründung Simpego ab. Dextra wird sich nicht weiter diversifizieren. Wir fokussieren uns auf Rechtsschutz und wollen unabhängig bleiben. Das ist unser USP [Unique Selling Proposition, Anm. d. Red.] und der Vorteil, den wir als unabhängiger Rechtschutzanbieter im Vergleich mit Marktbegleitern haben. Dort schliessen Kunden eine Haftpflichtversicherung für ihr Auto ab und eine Rechtsschutzversicherung. Im Schadensfall kann es sein, dass die Tochtergesellschaft gegen die Muttergesellschaft klagen muss. Dieses Szenario vermeidet Dextra durch seine Unabhängigkeit.

Künstliche Intelligenz im Rechtsschutz

CW: Wie skalierbar ist das Versicherungsgeschäft auf andere Themen oder internationale Märkte?
Beat Riniker amtet seit September als CEO von Dextra Rechtsschutz
Quelle: Stefan Walter
Riniker: Auch hier streben wir keine Veränderung an. Wir konzentrieren uns auf den Schweizer Markt, der auch dank dreier Landessprachen schon anspruchsvoll genug ist.
Putzbach: Der Rechtsschutz ist in vielen Ländern gar nicht etabliert. Eine gewisse Verbreitung gibt es allein im deutschsprachigen Raum. Aber selbst hier sind die Bedingungen sehr verschieden. In Deutschland zum Beispiel haben die Rechtsschutzversicherer kaum Handlungsspielraum.
CW: Sie haben erwähnt, dass die Software durchaus skaliert – sowohl bei den Themen als auch bei den Märkten.
Putzbach: Ja, die Software skaliert über Länder, Themen und Währungen hinweg. Sie ist auch bei Versicherungen in Deutschland und Österreich im Einsatz und könnte natürlich auch von Gesellschaften beispielsweise in Frankreich oder Italien genutzt werden. Dank den Anfängen in der Schweiz waren die Anwendungen von Beginn an mehrsprachig.
CW: Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz im Versicherungsgeschäft?
Perrig: Aktuell nutzen wir Machine Learning – wie schon erwähnt – für die automatisierte Fallverteilung innerhalb des Unternehmens. Bei zwischen 50 und 100 Fällen pro Tag ist der Computer hier eine grosse Hilfe. In der Postverteilung ist ebenfalls künstliche Intelligenz im Einsatz, wobei es sich jedoch um ein Standardprodukt handelt, das wir eingekauft haben.
Die zwei Software Engineers werden uns nun helfen, weitere Prozessoptimierungen mit KI respektive Machine Learning zu realisieren. Beide sind Spezialisten auf diesem Gebiet, die wir explizit deshalb angestellt haben.
Putzbach: Für diverse Anwendungsfälle gibt es heute Spezialanwendungen, die man in eine Plattform wie unsere integrieren kann. Ich denke beispielsweise an eine automatische Schadensabwicklung für Fahrzeugversicherungen. Die künstliche Intelligenz erkennt auf Fotos des Unfall­wagens innerhalb von Sekunden, welcher Schaden vorliegt, und kann auf Knopfdruck eine Auszahlung der Schadenssumme veranlassen. Dann ist der Fall fast ohne mensch­liches Zutun innerhalb von fünf Minuten abgeschlossen.
Riniker: Meine Erfahrung zeigt, dass die bisherigen Lösungen mit künstlicher Intelligenz und Machine Learning noch nicht genügen, um unsere Qualitäts- und Sicherheitsstandards für den Rechtsschutz in der Schweiz zu erfüllen.
Dennoch kann der Computer zweifellos schon heute viele Prozesse einer Rechtsschutzversicherung enorm erleichtern: Etwa bei der automatisierten Prüfung von Arbeitszeugnissen, Bussgeldbescheiden oder den Geschäftsbedingungen von Unternehmen. Die letztendliche Entscheidung, wie juristisch vorgegangen werden soll, muss im Anschluss aber immer noch der Rechtsberater treffen.
Perrig: Eine weitere Anwendung von künstlicher Intelligenz ist ein Chatbot. Im September kam tatsächlich ein Kollege mit dieser Idee auf mich zu. Ich schlug vor, dass wir mit einer Chat-Integration auf unserer Webseite starten. So liess sich mit relativ wenig Aufwand feststellen, ob die Kunden überhaupt mit uns chatten möchten. Eine passende Lösung konnte mit Unterstützung von sum cumo innerhalb weniger Tage auf unserer Webseite integriert werden. Nun sehen wir, dass einige Kunden tatsächlich mit uns chatten wollen und sammeln dabei wertvolle Erkenntnisse für die Umsetzung dieser Technologie.

Warum ein IT-Partner so wichtig ist

CW: Wenn Sie noch einmal starten dürften, würden Sie nochmals einen starken IT-Partner wählen?
Riniker: Unbedingt! Die Partnerschaft hat uns anfangs sehr geholfen, um überhaupt eine Plattform für das Geschäft aufbauen zu können. Seitdem war sum cumo Sapiens uns stets ein wichtiger strategischer Partner, ohne dessen IT-Kompetenz wir unsere Systeme und Leistungen nicht in dem Mass hätten verbessern können.
CW: Würde sum cumo Sapiens sich nochmals als Partner der Dextra anbieten?
Putzbach: Ja. Für uns hat sich das partnerschaftliche Geschäftsmodell durchaus bewährt. Wir haben mittlerweile auch noch anderen Kunden eine Starthilfe gegeben, damit sie ihr eigenes digitales Geschäftsmodell aufbauen konnten. Dextra hatte das Glück und das Pech zugleich, dass wir selbst ebenfalls noch in der Startphase waren. Im Gegensatz dazu können Neukunden heute extrem von allen unseren Erfahrungen profitieren.
“Als Outsourcing-Partner sind wir dankbar dafür, wenn der Kunde eine IT-Expertise selbst aufbaut„
Ingolf Putzbach
CW: Ist sum cumo Sa­piens weiterhin hauptsächlich im Versicherungsgeschäft tätig?
Putzbach: Ja, die meisten unserer Kunden sind im Versicherungssektor aktiv. Vor einigen Jahren konnten wir noch ein Unternehmen aus dem Lotterie­bereich gewinnen, mit dem wir ebenfalls eine digitale Plattform entwickelt haben. Versicherungen und Lotterien weisen doch einige Ähnlichkeiten auf [schmunzelt]. Beide basierten früher auf Papier, beide lassen sich aber komplett digital abbilden und auch weitgehend automatisieren. Bei den Lotterien gibt es die Besonderheit, dass vor der Ziehung sehr viel Traffic auf den Seiten ist, weil viele Spieler noch kurz vor Annahmeschluss ihre Gewinnscheine ausfüllen. So haben wir von und mit unseren Lottokunden gelernt, wie hochskalierbare Plattformen aufgebaut sein müssen.

Künftige Software für den Versicherungsmarkt

CW: Welche Software liefern Sie für den Versicherungsmarkt der Zukunft?
Putzbach: Wir haben in den letzten Jahren viel an der Ende-zu-Ende-Automatisierung von Geschäftsprozessen gearbeitet. Schon heute ist der Versicherungsabschluss automatisiert, vom Antrag bis hin zum effektiven Vertrag. Der unterschriebene Vertrag steht sofort und überall zur Verfügung: im Kundenkonto, im Vermittlerbereich und in der Datenbank des Versicherers. Vertragsänderungen werden automatisch überall nachgepflegt und erfordern keinen ma­nuellen Eingriff mehr. Hier können wir Einsparungen für die Versicherungen realisieren. Ausserdem glauben wir, dass solche Prozesse dem Kaufverhalten der jüngeren Kundengeneration entspricht.
In Zukunft spielt die Musik stärker im Bereich der Leistungsbearbeitung. Die angesprochene Bildererkennung von Fahrzeugschäden ist ein gutes Beispiel. Im Rechtsschutz halte ich allerdings eine vollständige Automatisierung für unwahrscheinlich. Aber einzelne Prozesse lassen sich sicher noch stärker als bisher automatisieren, insbesondere im Zusammenspiel mit Partnern.
Cyril Perrig und Beat Riniker von Dextra Rechtsschutz sowie Ingolf Putzbach von sum cumo Sapiens im Gespräch mit Computerworld (v. l.)
Quelle: Stefan Walter
CW: Welche IT benötigen Sie für das Versicherungs­geschäft der Zukunft, Herr Perrig?
Perrig: Das Ziel muss es sein, Mitarbeitende durch die Automatisierung von trivialen, wenig wertschöpfenden Tätigkeiten zu entlasten. Sie können sich vermehrt auf das Kerngeschäft konzentrieren, sodass wir mit der aktuellen Belegschaft weiter wachsen können.
Meiner Meinung nach spielen hier neben dem soliden Kernsystem auch die modernen Collaboration-Tools und die Workplace-Ausstattung eine entscheidende Rolle. Wir wollen unseren Mitarbeitenden ermöglichen, im Chalet in den Bergen genauso gut zu arbeiten wie im Büro.
CW: Haben Sie schon erwogen, das Workplacemanagement aus dem Haus zu geben?
Perrig: Es gab durchaus Überlegungen in diese Richtung. Und wir holen uns in Teilbereichen auch externe Unterstützung. Mein erklärtes Ziel ist allerdings, in Zukunft vermehrt Know-how intern aufzubauen, um auch selbst schnell und flexibel agieren zu können.

Die Rechtsschutzversicherung der Zukunft

CW: Wie sieht für Sie, Herr Riniker, die Rechtsschutzversicherung der Zukunft aus?
Riniker: Das Geschäft der Zukunft sind personalisierte Versicherungsangebote. Mit unseren modularen Produkten sind wir dabei schon auf dem richtigen Weg.
Meine Vision ist, Dextra zu einem juristischen Concierge weiterzuentwickeln. Wenn ein Kunde ein juristisches ­Problem hat, kann er sich an uns wenden, auf welchem Weg auch immer. Sei es persönlich, per Telefon, E-Mail, Chat oder auch auf Papier. Um unsere Leistungen zu beziehen, soll er nicht zwingend ein bestimmtes Produkt kaufen oder eine Police abschliessen müssen.
CW: Wie wollen Sie diese Vision umsetzen?
Riniker: Wir wollen in Prozessen, Produkten und im Marketing digitaler und effizienter werden, aber gleichzeitig den persönlichen Kontakt zum Kunden beibehalten, den dieser so sehr an uns schätzt.
Viele juristische Probleme, die uns als Rechtsdienstleister erreichen, lassen sich sehr schnell lösen, wenn man die richtigen Informationen und Werkzeuge hat. Viele dieser Informationen und Werkzeuge, wie etwa Rechtsratgeber, Checklisten oder Musterschreiben, können wir unseren Kunden auch digital zur Verfügung stellen. In Zukunft kann dies durch Machine Learning immer mehr automatisiert werden – denn die Maschine lernt aus Tausenden Präzedenzfällen sowie Datenpunkten und liefert dem Kunden so die passende Lösung für seine Probleme.
Aber nicht alles lässt sich automatisieren. Jeder Rechtsfall und jeder Kunde ist einzigartig – und eine echte, kompetent und einfühlsam beratende Ansprechperson kann kein Computer ersetzen.
CW: Welches ist der von den Konsumenten am häufigsten nachgefragte Rechtsfall?
Riniker: Der Führerausweis-Entzug ist einer der häufigsten Streitfälle aktuell. Im Zuge der Corona-Pandemie bekommen wir aber auch vermehrt Anfragen zum Arbeitsrecht. Ein weiterer häufig auftretender Rechtsfall sind Auto­unfälle mit Körperschäden. Hier ist häufig spezialisierte Expertise gefragt, die schnell kostspielig wird. Nur schon aus diesem Grund rentiert sich eine Rechtsschutzversicherung.
Auch häufig sind die von mir liebevoll als «Kassensturz»-Fälle bezeichneten Streitigkeiten, wenn zum Beispiel ein Käufer auf einem Online-Marktplatz nicht zahlt, die Ware nicht geliefert wird oder der Konsument schlicht und ergreifend übers Ohr gehauen wurde. Dabei profitieren wir oftmals von unseren Erfahrungswerten mit problema­tischen Gegenparteien. So können wir einige Kunden beispielsweise besser im Umgang mit Inkassofirmen beraten. Hierbei haben sich bestimmte Vorgehensweisen bewährt, beispielsweise Zahlungsaufforderungen via E-Mail ver­senden, standardisierte Anfragen schicken oder eine Betreibung in Aussicht stellen. Diese Fälle bergen auch viel Potenzial für Automatisierungen.
CW: Sie haben vermehrte Anfragen zum Arbeitsrecht in der Pandemie erwähnt. Wie viel mehr Fälle gab es?
Riniker: Wir hatten im vergangenen Jahr zwischen 20 und 30 Prozent mehr Auskünfte und Fälle von Arbeitnehmern, zum Beispiel wenn zwischenzeitlich ihr Lohn ausgefallen ist oder sie gekündigt wurden. Mittlerweile hat sich die Lage allerdings glücklicherweise schon wieder beruhigt.
Zur Firma
Dextra Rechtsschutz
wurde 2012 als rein digitaler Versicherungsanbieter gegründet. Schon damals war der IT-Dienstleister sum cumo mit an Bord. Das gilt auch für die Ausgründung Dextra Versicherungen im Jahr 2016. Die neue Gesellschaft bediente zunächst den Markt der Autoversicherungen, 2020 kamen noch weitere Sparten hinzu und der Name änderte sich in Simpego. Heute beschäftigt Dextra Rechtschutz am Hauptsitz in Zürich und im Büro in Bern 114 Mitarbeitende. www.dextra.ch



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