Zur Strafverfolgung
10.12.2018, 17:05 Uhr
Umstrittener EU-Entwurf zum Austausch von elektronischen Beweismitteln erhält Zustimmung
Die EU-Staaten wollen eine länderübergreifende Datenfreigabe schaffen. Bei Straftaten solle dies zu einem schnelleren Ermittlungserfolg führen.
Ermittler sollen zur Verfolgung schwerer Straftaten einfacher Zugriff auf E-Mails und Chat-Mitteilungen aus anderen EU-Ländern erhalten. Die Justizminister der EU-Staaten sprachen sich am Freitag in Brüssel mehrheitlich dafür aus, neue Regeln für die länderübergreifende Datenfreigabe zu schaffen. Sie sehen vor, dass Dienstanbieter wie etwa die Deutsche Telekom künftig innerhalb von zehn Tagen auf Auskunftsanträge aus dem EU-Ausland antworten müssen. In Notfällen soll sogar verlangt werden können, Informationen binnen sechs Stunden herauszugegeben. Dies könnte zum Beispiel bei Terrorermittlungen oder Kindesentführungen der Fall sein.
Derzeit müssen sich Ermittler in der Regel viel länger gedulden, bis sie elektronische Beweismittel (e-evidence) aus anderen EU-Staaten bekommen. Bei einer Europäischen Ermittlungsanordnung beträgt die Frist nach Angaben der EU-Kommission derzeit 120 Tage und bei einem Rechtshilfeverfahren sogar zehn Monate.
Deutsche Justizministerin stimmt gegen Vorschlag
Die deutsche Justizministerin Katarina Barley (SPD) stimmte im EU-Ministerrat gegen den Vorschlag. Man teile das Ziel, die Verfahren zu beschleunigen, sagte sie. «Deutschland ist allerdings nicht einverstanden mit dem Weg, der dort beschritten wird.» Als konkreter Kritikpunkt gilt die geplante Möglichkeit, dass künftig zum Beispiel polnische oder ungarische Ermittler ohne Einverständnis der deutschen Behörden bei der Telekom Informationen abfragen können. «Wir wissen, die rechtsstaatlichen Prinzipien werden in der Europäischen Union nicht überall gleichermassen gewahrt. (...) Wir halten deswegen das Vier-Augen-Prinzip für wichtig», sagte Barley. «Es kann nicht nur der Provider entscheiden, ob Daten herausgegeben werden, sondern der betroffene Mitgliedsstaat sollte das auch tun.»
Auch der FDP-Fraktionsvize im Bundestag, Stephan Thomae, forderte, den Schutz der Grundrechte der Bürger «nicht allein privaten Unternehmen» zu überlassen. «Die ersuchten Mitgliedstaaten müssen prüfen, ob eine Beweisanforderung rechtmässig ist und ob zum Beispiel Berufsgeheimnisse oder der unantastbare Kernbereich privater Lebensgestaltung berührt werden», erklärte er. Zudem sollte der dem Überwachten vorgeworfene Tatbestand auch in dem Land strafbar sein, an das das Auskunftersuchen gehe.
Kritik an geplanter Datenfreigabe
Kritik an der Ausgestaltung der neuen Regeln kommt auch vom deutschen Branchenverband Bitkom. «Die Fristen für eine Herausgabe der Daten sind für Unternehmen viel zu kurz bemessen, um etwaige Behördenanfragen inhaltlich korrekt prüfen zu können», kommentierte Geschäftsleitungsmitglied Susanne Dehmel. Zudem könnten neben den grossen Anbieter von elektronischen Kommunikationsdiensten, sozialen Netzwerken und Providern von Internetinfrastruktur auch kleine und mittelständische Anbieter betroffen sein. Diese müssten wegen der kurzen Fristen rund um die Uhr Personal bereitstellen, das eventuelle Anfragen der Behörden beantworten könne.
Die Kritiker des Gesetzgebungsprojektes müssen nun darauf hoffen, dass das Europaparlament Nachbesserungen durchsetzt. Es hat bei dem Thema Mitspracherecht. Der derzeitige Vorsitzende des EU-Justizministerrats verteidigte hingegen das Projekt. Es müsse einen schnellen Zugang zu elektronischen Beweismitteln geben, um Kriminalität wirksam bekämpfen zu können, sagte Österreichs Justizminister Josef Moser. Die Befürworter verweisen darauf, dass Ermittler strenge Regeln befolgen müssen, wenn sie Daten von einem Provider in einem anderen EU-Staat anfragen. So muss zum Beispiel ein Ermittler in seinem Heimatland erst eine richterliche Genehmigung beantragen, wenn er bei einem Provider im EU-Ausland Inhaltsdaten wie Texte, Videos oder Bilder abfragen will.
Zudem sollen Daten nur dann direkt bei den Providern abgefragt werden können, wenn sich die Ermittlungen auf schwere Straftaten beziehen. Eine Bedingung ist, dass eine Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren möglich sein muss. Ausnahmen sind nur bei Terrorermittlungen oder bestimmten Cyberstraftaten geplant.
Ende-zu-Ende-Verschlüsselung könnte zu Problemen führen
Ungeachtet der neuen Regeln werden Ermittler weiterhin Probleme haben, an viele Inhalte digitaler Kommunikation heranzukommen. Während Telekommunikations-Anbieter verpflichtet sind, SMS-Nachrichten herauszurücken, setzen viele Chatdienste wie WhatsApp oder Apples iMessage auf Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Bei diesem Prinzip haben grundsätzlich nur Absender und Empfänger Zugriff auf den Inhalt der Nachrichten – die Dienste selbst aber nicht.
Die Anbieter könnten dann höchstens Auskunft darüber geben, wer wann mit wem kommuniziert hat. Zugleich sind aber Online-Backups der Nachrichten in vielen Fällen nicht mehr durch Ende-zu-Ende-Verschlüsselung geschützt - und damit könnten dann entsprechend auch Inhalte an die Ermittler gehen. Unter anderem das FBI in den USA fordert schon seit Jahren Hintertüren für Behörden in den Verschlüsselungssystemen.
Um die Unternehmen in der EU zur Zusammenarbeit bei Auskunftsersuchen zu bewegen, wollen die Mitgliedstaaten auch mit Strafen drohen. Sie sollen sich auf bis zu zwei Prozent des jüngsten Jahresumsatzes belaufen können. Für ein Unternehmen wie die Telekom könnte dies im Extremfall eine Milliardensumme sein.