04.09.2014, 19:35 Uhr
Swisscom will Wirtschaft digitalisieren
Schweizer Unternehmen sind noch nicht in der neuen, vernetzten Realität angekommen. Die Geschäftsmodelle müssen sich wandeln, meint Grosskundenchef Christian Petit.
Die Schweizer Firmen sind bei neuen Entwicklungen traditionell zurückhaltend. Für diese zögerliche Einstellung zu Hypes und Trends werden die Unternehmen weltweit respektiert sowie teilweise auch bewundert. Die Zurückhaltung birgt aber auch die Gefahr, bei grossen Umwälzungen rasch den Anschluss zu verpassen. Die Swisscom identifiziert die allgegenwärtige Digitalisierung der Wirtschaft als eine geschäftskritische Entwicklung, auf die hiesige Anwenderunternehmen heute noch zu zögerlich reagieren. An der «Swisscom Dialog Arena» am Donnerstag im Zürcher Hallenstadion rief Grosskundenchef Christian Petit die rund 600 Vertreter von Firmen und Partnern dazu auf, sich mit der «Hyperdigitalisierung» schnellstmöglich ernsthaft auseinanderzusetzen. Für Petit ist die Schweiz in einer idealen Ausgangsposition: Die Wirtschaft, die Infrastruktur und die Fachleute zählten zu den weltweit führenden. Um die Position an der Weltspitze zu behaupten, müsse die Schweizer Wirtschaft die Chancen nutzen, die sich durch die Hyperdigitalisierung bieten. Die Swisscom wolle dabei einerseits eine leistungsfähige Infrastruktur bereitstellen, die für künftige Anwendungen wie Machine to Machine Kommunikation, mobiles Business und vernetztes Arbeiten erforderlich sei. Andererseits will der Telekommunikationskonzern auch beraten und Projekte gemeinsam mit Kunden lancieren. «Als grösster ICT-Anbieter der Schweiz hat Swisscom auch eine gesellschaftliche Verantwortung», sagte Petit der Computerworld. Den innovativen Schweizer Unternehmen lieferte Professor Marcus Schögel, Leiter des Instituts für Marketing an der Universität St.Gallen, an dem Anlass kritische Erfolgsfaktoren für Digitalisierungsprojekte. Die Vordenker sollten erstens strategische Einsichten etablieren. Wie Schögel sagte, sei es wenig sinnvoll, die Kunden nach künftigen Investitionen und Plänen zu fragen. Vielmehr gelte es, Szenarien durchzuspielen, in denen die Kunden in Zukunft arbeiten und leben. Daraus sollte der Anbieter dann seine Produktstrategie ableiten. Eine der schwierigsten Aufgaben sieht der Marketing-Professor in dem zweiten Faktor: Dem Identifizieren der relevante Trends. Hier würden den Entscheidern jedoch die Einsichten helfen, die sie aus ihren Unternehmen gewännen und das Marktumfeld biete. Drittens, so Schörgel, sei es an der Zeit zu experimentieren und Prototypen entwickeln. Nicht jedes Projekt müsse zum Erfolg führen, denn auch Fehler seien lehrreich. Als vierten Erfolgsfaktor benannte der Experte die Wahl der richtigen Innovationshöhe. Auf einige Entwicklungen sei idealerweise mit einer alternativen Werbekampagne für bestehende Angebote reagiert, während andere vollkommen neue Produkte inklusive neuer Geschäftsprozesse benötigten. Schliesslich forderte der St.Galler Professor fünftens, das gesamte Unternehmen zu mobilisieren. Gemeint war indes nicht das flächendeckende Ausrollen von iPhones, sondern das Aufrufen aller Mitarbeiter, an dem Innovationsprozess teilzunehmen. Jeder Angestellte sollte Ideen entwickeln können, auch wenn sie Alternativen zu bestehenden Produkten seien. Dabei sei ein Ziel, die interne Konkurrenz bewusst zu suchen. Nächste Seite: ausgezeichnete Digital-Lösungen Nach dem Geschmack von Swisscoms Grosskundenchef Petit wird hierzulande die IT noch zu häufig als reiner Kostenfaktor angesehen. Die Rolle als Innovationstreiber und Enabler des künftigen Geschäfts werde ihr noch zu selten zugestanden. Bei den zwei Lösungen, die an der «Swisscom Dialog Arena» mit dem «Swisscom Business Award» ausgezeichnet wurden, sei das anders. Der Gewinner des Jury-Preises ist der Reiseveranstalter MSC Kreuzfahrten. Gemeinsam mit Swisscom hat das Unternehmen eine Managed Contact Center Solution (MCCS) entwickelt. Mit der Cloud-Lösung beraten 300 Agenten in zwölf europäischen Call Centern die Reisenden neu auch direkt. «Mit MCCS steigt MSC neu in das B2C-Geschäft ein», erklärte Jurypräsident Thomas Wirth. Die Telefon-Consultants würden nicht nur die Kreuzfahrt selbst verkaufen, sondern könnten die Kunden während der Recherche, der Buchung, der Zeit vor der Reise, während der Überfahrt und danach betreuen. «MSC hat neben den bestehenden Kanälen einen neuen Vertriebszweig für neue regionale Märkte geschaffen. Dass die Lösung für MSC über Ländergrenzen hinweg einen Mehrwert bringt, hat uns überzeugt», so Wirth.
Auszeichnung mit Herz
Den erstmals verliehenen Publikumspreis gewann die Stiftung Ticino Cuore mit ihrer Notfall-Lösung für den Kanton Tessin. Die Stiftung bildet Privatpersonen in der Herzrhythmusmassage und der Anwendung eines Defibrillators aus. So sollen Patienten im Falle eines plötzlichen Herzstillstands bis zum Eintreffen des Notfalldienstes betreuen werden können. Dem Netzwerk gehören heute 3500 Tessiner an. Künftig sollen es viel mehr werden, bestenfalls auch in anderen Kantonen. Diese Skalierbarkeit war bis anhin limitiert, denn die Alarmierung der Helfer erfolgte per SMS. Das verursachte hohe Kosten. Günstiger sollen eine Weblösung und eine Smartphone-App sein, erklärte Claudio Benvenuti, Generaldirektor der Stiftung, an dem Anlass. Geht in Zukunft ein Notruf ein, wird der nächst gelegene Helfer über die App alarmiert. Für die Herzrhythmusmassage gibt die App zusätzlich den Takt vor und stellt bei Bedarf einen direkten Kommunikationskanal mit den Medizinern in der Zentrale her.