16.05.2011, 06:00 Uhr

Drei Monate im Jahr arbeiten Frauen umsonst

Männer und Frauen werden für gleiche Arbeit nicht gleich entlöhnt. Das schlägt auf die Motivation. Wenn die Schweiz hoch qualifizierte Fachkräfte rekrutieren will, muss sie auch hier ansetzen. Initiativen dafür gibt es.
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Die Autorin ist Senior Consultant bei Knobel Corporate Communications Mann und Frau sind gleichberechtigt. Das Gesetz sorgt für ihre rechtliche und tatsächliche Gleichstellung, vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit. Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit: Was die Schweizerische Bundesverfassung seit 1981 in Artikel 8 als Grundrecht definiert, ist oft nur Makulatur. Noch heute, mehr als 30 Jahre später, gibt es signifikante Unterschiede. Gemäss einer Lohnstrukturerhebung des Bundesamtes für Statistik (BfS) von 2008 verdienen Frauen in der Schweiz 19,3 Prozent weniger als Männer – für gleiche Arbeit. Je höher in der Hierarchie der Job (und damit die Frau) angesiedelt ist, desto eklatanter der Unterschied. Auch in anderen Teilen der Welt ist das Lohn­ungleichgewicht ein aktuelles Thema. In der EU läuft zurzeit ein Programm, das sich mit diesem Thema und seinen langfristigen Folgen, z.B. für Renten, auseinandersetzt (Strategy for equality between women and men 2010?–?2015). Nicht jedes Land bezahlt jedoch gleich ungerecht. Nach Berechnungen des Europäischen statistischen Bundesamtes (Eurostat, Statista 2011) glänzt das vermeintliche «Macho-Land» Italien mit einer Quote von «nur» 4,9 Prozent, dafür tummeln sich Deutschland (23,2 Prozent), Österreich (25,5 Prozent) und die Tschechische Republik (26,2 Prozent) am unteren Ende der Tabelle. Die ansonsten in Gleichstellungsfragen sehr fortschrittlichen nördlichen Länder finden sich im Mittelfeld zwischen 17 und 20 Prozent. Diese Zahlen aus 2008 belegen, dass der Lohnunterschied in der EU durchschnittlich 23,2 Prozent betragen hat.

Branchenunterschiede

Betrachtet man die einzelnen Branchen, ergibt sich EU-weit ebenfalls ein recht differenziertes Bild. Die grössten Lohnunterschiede gab es im 2. Quartal 2010 bei der Erbringung von Finanz- und Versicherungsdienstleistungen (-2068? Euro für Frauen). Bei der Gewinnung von Steinen und Erden und im Bergbau verdienen Frauen sogar leicht mehr als Männer (+6 Euro pro Monat). Auch das Baugewerbe (-168? Euro), die Wasserversorgung (-135? Euro) und Verkehr und Lagerei (-86?Euro) zahlen recht ähnlich für gleiche Arbeit. Bei dieser offiziellen Auswertung erstaunt, dass gerade die Länder und die Branchen, die man gemeinhin für männerdominiert hält, gepunktet haben. Das gilt allerdings nicht für die IT-Branche. In Europa ist dies die Branche mit der drittgrössten Ungerechtigkeit, gleich nach der Finanz-/Versicherungsbranche und der Energieversorgung. Anders als im Gesamtvergleich schneidet die Schweiz hier auch nicht besser ab als der Rest Europas: Schweizer IT-lerinnen müssen einen Lohnunterschied von 30 Prozent in Kauf nehmen – ein guter Grund dafür, dass sich so wenig Frauen für IT-Berufe entscheiden. Unternehmen, die an dieser Stellschraube drehen, wirken also auch dem viel beschworenen IT-Fachkräftemangel entgegen.

Gründe für Lohnungleichheiten

Es ist unbestritten – zwischen unterschiedlichen Personen, egal, ob Mann oder Frau, gibt es auch Qualifikations- und Erfahrungsunterschiede. Es bestreitet auch niemand, dass sich diese Kriterien im Lohn niederschlagen. Wenn aber laut Schweizer Bundesamt für Statistik damit ca. 60 Prozent der Lohnunterschiede erklärbar sind, bleiben immer noch 40 Prozent, die nicht nachvollziehbar und daher diskriminierend sind. Auch in einem so sehr auf Demokratie und Gleichheit ausgerichteten Land wie der Schweiz ändert sich diese Situation nur sehr langsam. In den Jahren 1998 bis 2006 ist die Differenz gerade einmal um 0,5 Prozent geringer geworden. Schon beim ersten Job kann der Lohnunterschied 10?bis?20 Prozent betragen – trotz gleicher Qualifikation. Oft werden Frauen auch die weniger anspruchsvollen Tätigkeiten angeboten. Diese bieten dann zwar die Möglichkeit, in Teilzeit zu arbeiten, dafür aber wenig Aufstiegs- oder Weiterbildungsmöglichkeiten. Entsprechend schlechter ist die Entlöhnung. Ausgehend vom tradierten Rollenbild des Mannes als Ernährer der Familie und der Frau als Mutter und Zuverdienerin, werden Teilzeitstellen zudem meist in frauengeprägten Niedriglohnbranchen und -berufen angeboten. Qualifizierte oder Spitzenpositionen sind heute zwar offiziell nicht mehr nur den Männern vorbehalten, die «Schere im Kopf» schneidet aber immer noch dieses Bild. Qualifizierte Frauen mit Kind, die vorübergehend Teilzeit arbeiten wollen, müssen häufig mit einem tieferen Level vorliebnehmen. Um nicht vollends in die Falle zu geraten, sollten sich Frauen bewusst sein, dass sie nicht alle Doppelbelastungen allein zu tragen haben. In Ländern wie Schweden oder Deutschland wird diese Haltung «sanft unterstützt». Es gibt dort Regelungen, wonach ein Teil des Anspruchs auf Elternurlaub verfällt, wenn nicht Mann und Frau jeweils Teile davon wahrnehmen.

Die Schweiz tut viel

Initiativen gegen die Lohnungerechtigkeit gibt es genug – sei es der «Lohngleichheitsdialog», den Bund und Sozialpartner im vergangenen Jahr lanciert haben, sei es der «Equal Pay Day», den die BPW (Business and Professional Women) ins Leben gerufen haben und 2011 bereits zum dritten Mal durchführen, oder die Stiftung «equal-salary». Deren interessanter Ansatz: Auditiert durch KPMG Lausanne wurde in Zusammenarbeit mit Yves Flückinger, dem Direktor des Observatoire Universitaire de l’Emploi (OUE) der Universität Genf, ein Zertifizierungsmodell entwickelt, das Unternehmen bescheinigt, Männern und Frauen die gleichen Chancen zu bieten. Im «War of Talents» kann dies ein entscheidender Vorteil sein. Nicht nur Frauen arbeiten gern bei einem Unternehmen, das sich öffentlich für einen ethischen Ansatz bezüglich der Entlöhnung einsetzt. Das Unternehmensimage verbessert sich und intern wird die Motivation bestehender Teams gestärkt. Stärker auf die Öffentlichkeit ausgerichtet sind die Aktivitäten der Business und Professional Women (BPW). Der von BPW organisierte «Equal Pay Day» definiert den Tag im neuen Jahr, an dem Frauen den gleichen Lohn in der Lohntüte haben wie die Männer am Ende des vorhergehenden Jahres. Dieser Tag ist zumeist im März. Bis zu diesem Datum müssen Frauen quasi unentgeltlich arbeiten. Diese Lohndifferenz ist nicht nur ungerecht, sie verstösst auch gegen das Gleichstellungsgebot und damit gegen die Bundesverfassung. In diesem Jahr ist es am 11. März wieder so weit. «Frauen gebührt für gleiche Arbeit auch gleicher Lohn. Und wenn ein Unternehmen dies umsetzt, gewinnt es nicht nur weibliche Talente, sondern auch Männer, die begreifen, dass eine ethisch motivierte Lohnpolitik Ausdruck einer Grundhaltung des Unternehmens ist, die auch ihnen wichtig sein sollte», erklärt Judith Baumberger, Präsidentin BPW Club Zürich und Unternehmensberaterin in HRM-Fragen. Auch für die Firmen lohnt sich diese Sichtweise: Ein ethisch verantwortungsvoll handelndes Unternehmen kann ein langfristiger und zuverlässigerer Geschäftspartner sein und wird die besten Talente für sich gewinnen – egal, ob Mann oder Frau.



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