Lieferketten-Management
28.09.2022, 06:12 Uhr
Supply Chain mit KI optimieren
Geraten Lieferketten ins Stocken, führt dies in den Unternehmen zu Verzögerungen, Ausfällen und höheren Kosten. Künstliche Intelligenz kann dabei helfen, schneller auf unvorhergesehene Veränderungen reagieren zu können.
Auch an den nur alle drei Jahre stattfindenden Eidgenössischen Schwing- und Älplerfesten (ESAF) gilt es, die Supply Chain sicherzustellen
(Quelle: PPR/Feldschlösschen)
Lieferketten sind in aller Munde, seitdem sie global häufig nicht mehr reibungslos funktionieren. Die Pandemie war aber nur der Auslöser, denn es gibt zahlreiche Trends, die für stetigen Wandel in der Lieferkette sorgen. Wer den Wandel aktiv mitgestalten möchte, braucht nicht nur Erkenntnisse, sondern die passende IT-Infrastruktur und eine Portion operative künstliche Intelligenz (KI).
Die wichtigsten Treiber für den Wandel bei Fertigung und Lieferkette lassen sich grob in fünf Bereiche einteilen: Industrie, IT-Technologie, Nachhaltigkeit, Arbeitsmarkt und Cybersecurity. Die ersten beiden Bereiche bieten dabei die grössten Optimierungspotenziale: Bei der industriellen Produktion erwarten 80 Prozent aller Unternehmen allein aufgrund der besseren Vernetzung und Verzahnung der Produktionspartner deutliche Effizienzsteigerungen. Durch die Einführung von Smart-Factory-Technologien gehen Experten von Kosteneinsparungen von 17 bis 20 Prozent aus.
Cloud-Lösungen ermöglichen mehr Flexibilität und Agilität
Deutliche Veränderungen stehen aber nicht nur bei der Produktion und Logistik, sondern auch bei der Steuerung durch Software-Plattformen an. Unternehmen haben Supply-Chain-Anwendungen bereits zu 90 Prozent in die Cloud verlagert, um agiler und flexibler auf Veränderungen reagieren zu können. KI kommt vermehrt zum Einsatz, insbesondere bei der sogenannten «Predictive Analysis», die grosse Datenmengen nutzt, um möglichst exakte Prognosen für die Entwicklungen in den Lieferketten zu generieren.
Eine traditionelle Lieferkette ist dadurch gekennzeichnet, dass nur ein geringer Informationsaustausch zwischen den einzelnen Abschnitten stattfindet. Diese Silo-Bildung erschwert und verkompliziert nicht nur die zentrale Planung, sondern auch die adäquate schnelle Reaktion auf unvorhergesehene Veränderungen in der Supply Chain. Sie benötigt daher grössere Sicherheitspuffer in Form von Lagern.
Veränderungen in der Supply Chain frühzeitig erkennen
Eine zukunftsorientierte Lieferkette stellt die maximale Transparenz und den intensiven Datenaustausch in den Mittelpunkt. Sie hofft nicht darauf, dass die Supply Chain so funktioniert, wie sie früher einmal geplant wurde, sondern sie ist ein dynamischer Regelkreis, der aufgrund der gesammelten Daten ständig nachsteuert. Sie erkennt Veränderungen frühzeitig und trifft Voraussagen, um darauf schon im Vorfeld zu reagieren und Engpässe zu vermeiden. Auf Wunsch lassen sich zudem Zielvorgaben für gestiegene Nachhaltigkeitsvorgaben einbeziehen (wie verminderte CO2- oder minimale Überproduktionsmengen).
“Viele Firmen haben KI als potenzielle Lösungsmethodik erkannt, scheitern aber daran, die KI in operative Prozesse zu übernehmen„
Gabriel Werner, Blue Yonder
Diese prädikative Lieferkette ist hochdynamisch: Steigt etwa die Nachfrage nach einem Produkt plötzlich an, justiert sie die Herstellung der verschiedenen Bestandteile, das Assembly und natürlich auch die Logistik entsprechend nach.
Letztlich lässt sich eine Lieferkette auf drei verschiedenen Ebenen betrachten:
- Physische Ebene: Sie beinhaltet die Produktionsplanung, Warehouse Automation, Factory Scheduling, Lagerverwaltung.
- Informationsflussebene: Sie regelt, welche Informationen wo gesammelt, konsolidiert, versendet und verarbeitet werden, um eine optimale Informationslage herzustellen.
- Finanzierungsebene mit Businessplanungen, Bedarfsprognosen, Inventarplanungen und Analysen.
Für alle Ebenen fallen eine grosse Menge an Informationen an, die weit über die Datenmengen eines klassischen ERP-Systems hinausgehen. KI- und Machine-Learning-Algorithmen sind dafür prädestiniert, diese grossen Informationsmengen zu verarbeiten, zu analysieren und Prognosen zu stellen. Das bedeutet aber auch, dass Unternehmen dafür andere IT-Infrastrukturen benötigen.
KI ist mit Vorteil ein integraler Bestandteil der Lösung
Viele Firmen haben KI als potenzielle Lösungsmethodik für das Lieferketten-Management erkannt, scheitern aber nach einer ersten Validierung und einem erfolgreichen Probelauf daran, die KI in die operativen Prozesse zu übernehmen. Sie haben für die höheren Anforderungen – verglichen mit Standard-Applikationen – keine etablierten Prozesse: Die zu speichernden und verarbeitenden Datenmengen sind deutlich grösser, ausserdem müssen die der KI und dem Machine Learning (ML) zugrunde liegenden Daten regelmässig neu validiert und die KI-Modelle erneut trainiert werden, um sich der veränderten Wirklichkeit regelmässig anzupassen. Hier sind Lösungen gefragt, die das Thema KI nicht mit einem «das können Sie über eine Schnittstelle einbinden» abhandeln, sondern die KI- und ML-Funktionalität als integrale Bestandteile fest verankert haben. Das garantiert eine schnelle Implementierung und auch dauerhaft funktionierende Lieferketten.
Es gibt viele Anbieter im Markt, die mit mehr oder weniger intelligenten Lösungen zur Supply-Chain-Optimierung aufwarten. Bei der Auswahl des geeigneten Partners ist es ratsam, darauf zu achten, welche Leistungsmerkmale seine Lösungen mitbringen. Dabei sollten folgende Fragestellungen eine Rolle spielen:
- Setzt der Anbieter auf eine eigens entwickelte KI oder greift er auf generische Algorithmen zurück?
- Bietet der Anbieter eine wirklich KI-basierte Supply-Chain-Plattform oder basiert diese lediglich auf Multilayer Perceptron (MLP)?
- Wirbt der Anbieter mit Schnelligkeit, für die er allerdings multiple Test Runs benötigt und auf deren Basis die Entscheidung am Ende trotzdem vom Menschen getroffen werden muss?
- Ist der Anbieter in der Lage, Geschwindigkeit mit Genauigkeit zu vereinen und so zu einer wirklichen Optimierung der Supply-Chain-Prozesse beizutragen?
Idealerweise bietet der Partner eine Software-as-a-Service-Lösung, die es Firmen ermöglicht, Echtzeit-Informationen aus dem gesamten digitalen Ökosystem inklusive externer Datenquellen zu sehen, zu interpretieren und zu nutzen. Hierzu zählen intelligente Planungslösungen für dynamische Lieferketten, die potenzielle Störungen vorhersagen und Pläne mithilfe von ML und Echtzeitinformationen automatisiert End to End steuern können.
Der grösste Vorteil vom Einsatz solcher Lösungen ist die deutlich gesteigerte Transparenz über die gesamte Lieferkette. Damit können Verantwortliche die Planung und Ausführung gezielt austarieren und jederzeit kluge Entscheidungen fällen, die sich nicht negativ auf zukünftige Logistikplanungen auswirken.
KI unterstützt beim Prognostizieren, Reagieren und Optimieren
Mit einer guten KI-gestützten Supply-Chain-Software können Unternehmen:
- proaktiv Transportunterbrechungen prognostizieren,
- alternative Bestände automatisiert identifizieren,
- Nachschuboptionen empfehlen, um die Nachfrage bestmöglich zu decken,
- neue netzwerkoptimierte Routen selbstständig initiieren,
- Lastwagen in den betroffenen Lagern umdisponieren,
- den Personalbedarf neu planen,
- die Preis- und Kategoriemanagement-Einstellungen optimieren,
- die Kooperationsaktivitäten mit Handelspartnern und Lieferanten auslösen, um weitere Unterbrechungen zu verhindern,
- die Produktionsplanung sowie die Materialbeschaffung optimieren und
- die Auswirkung aller Massnahmen auf das Geschäftsergebnis simulieren.
Der Autor
Gabriel Werner
ist Vice President Manufacturing DACH bei Blue Yonder, einem weltweit tätigen Software-Hersteller im Bereich Supply-Chain-Management, Demand-Chain-Management und Enterprise-Resource-Planning. www.blueyonder.com
Dieser Artikel ist im Rahmen der «Top 500»-Sonderausgabe von Computerworld erschienen. Das Heft einschliesslich Ranking lässt sich auf dieser Seite bestellen.