Flexibles Arbeiten
18.02.2019, 06:30 Uhr
Mehr Zeit für die Familie
Beim IT-Dienstleister ti&m hat man sich einiges einfallen lassen, um den Spagat zwischen Arbeit und Familie zu schaffen. Mit den Massnahmen sollen insbesondere Mütter wieder in den Job zurückkehren. Davon profitiert auch das Unternehmen, sagt CEO Thomas Wüst.
Computerworld: Es wird viel über Work-Life-Balance und Ansätze wie «New Work» diskutiert. Auch setzen junge Mitarbeiter ihre Prioritäten anders als noch die Generation vor ihnen. Wie erleben Sie das?
Thomas Wüst: Die Mitarbeitenden wollen sich heutzutage Zeit nehmen können für die Familie oder auch für persönliche Dinge wie eine Weltreise. Das mag unternehmerisch zunächst nicht optimal erscheinen, ist aber kein Problem, wenn man es richtig handhabt. Wir bieten ein flexibles Arbeitszeitmodell namens Liquid Working, das wir jüngst aktualisiert haben. Für mich als Arbeitgeber ergibt sich aus der Flexibilität ein Mehrwert. Die Mitarbeiter kehren nach einer Auszeit wieder zu uns zurück und ich habe zufriedenere Kolleginnen und Kollegen, die langfristig bei uns bleiben.
CW: Inwieweit ist Liquid Working auch ein Rezept gegen den Fachkräftemangel?
CW: Inwieweit ist Liquid Working auch ein Rezept gegen den Fachkräftemangel?
Wüst: Derzeit haben wir knapp 70 offene Stellen. Wie alle in der Branche bekunden wir momentan Mühe, diese zu besetzen. Das ist eigentlich ein Luxusproblem. Denn die IT wird immer bedeutender als Enabler für das Business und entsprechend wächst unser Markt. Aber Fakt ist auch, dass es durch den Boom schwieriger wird, freie Positionen zu besetzen. Jedes Unternehmen, das im Bereich der digitalen Transformation unterwegs ist, kämpft damit, Stellen zu besetzen. Hierbei hilft uns das Liquid-Working-Modell, um uns am Markt hervorzuheben.
CW: Ein Teil des Modells sieht zwei Jahre Familienauszeit mit Arbeitsplatzgarantie vor. Das ist ein grosser Schritt für ein Schweizer KMU. Welche Überlegung steckt dahinter und wie funktioniert das Modell?
Wüst: Oft nehmen sich Mütter nach der Geburt ihres Kindes eine Babyauszeit. Wenn eine Frau zwei Jahre zu Hause bleibt, um das Baby zu betreuen und in dieser Zeit das zweite Kind folgt, ist sie vier Jahre aus dem Beruf raus. Bei einem dritten Kind ist die Karriere praktisch vorbei. Und dies, obwohl man Mädchen dazu ermuntert, dass sie das Gymnasium besuchen, wo sie heute in der Überzahl sind. Als junge Frauen studieren sie anschliessend jahrelang als Vorbereitung für gute Positionen in der Wirtschaft. Doch werden sie dann Mutter, ist die Karriere zu Ende. Ich wollte darum ein Modell schaffen, das den Wiedereinstieg in den Job auch nach längerer Zeit ermöglicht. Nach der Geburt ruht die Anstellung der Mutter für maximal zwei Jahre. Anschliessend kehrt sie zu uns ins Unternehmen zurück und arbeitet für mindestens ein Jahr in den Projekten mit. Danach erhält sie erneut die Möglichkeit, für zwei Jahre eine Familienauszeit zu nehmen. Alles mit Anstellungsgarantie.
CW: Was bedeutet das für Ihr Unternehmen aus wirtschaftlicher Sicht? Wie wirkt sich das aus?
Wüst: Wir bewegen uns in einem boomenden Markt. Unser Unternehmen wuchs zuletzt um knapp 20 Prozent. Unser Problem ist ja nicht, dass wir die Leute nicht wollen, sondern dass wir die Leute nicht finden. Daher ist es für uns nur positiv, wenn unsere Kolleginnen nach einer familiären Auszeit wieder in die Firma einsteigen. Es ergibt sich lediglich eine planerische Aufgabe.
“Für mich als Arbeitgeber ergibt sich aus der Flexibilität der Mitarbeitenden ein Mehrwert
„
Thomas Wüst, CEO, ti&m
CW: Wie sieht diese aus?
Wüst: Wir besprechen die Phase mit der jeweiligen Mitarbeiterin und vereinbaren den Wiedereintrittszeitpunkt in das Unternehmen. Auf diese Weise können wir unsere Projektarbeiten sowie die Teamgrössen anpassen.
CW: Wie haben Ihre Mitarbeitenden auf das Update des Arbeitszeitmodells reagiert?
Wüst: Mich beschäftigte die Idee seit einigen Jahren und ich diskutierte sie mit verschiedenen Leuten. Die erste Reaktion der Schweizer Mitarbeiterinnen war Ablehnung, was ich zunächst seltsam fand.
CW: Wie erklären Sie sich die Ablehnung?
Wüst: Zu der Zeit herrschte noch eine klassische Rollenverteilung in den Köpfen der heimischen Mitarbeitenden vor. Dabei obliegt die Kinderbetreuung massgeblich der Mutter, während der Mann seiner Arbeit nachgeht. Bei den Mitarbeitenden aus den EU-Ländern sah es anders aus. Die kannten vergleichbare Modelle bereits aus ihren Heimatländern und begrüssten die Möglichkeit, eine Auszeit zu nehmen, um anschliessend wieder einzusteigen.
CW: Was hat Sie bewogen, die Familienauszeit letztlich doch einzuführen?
Wüst: Wir haben unsere flexiblen Arbeitszeitregelungen dieses Jahr überarbeitet und unter dem Dachbegriff Liquid Working gebündelt. In diesem Zusammenhang habe ich die Idee nochmals aufgegriffen und mit der nächsten Generation Mütter besprochen. Die Frauen, die jetzt schwanger sind, begrüssen das Angebot.
CW: Und die Väter?
Wüst: Ich hatte das Modell zuerst auf die Frauen gemünzt. Ein Denkfehler, wie sich bald herausstellte. Unsere Männer fanden es unfair, dass es nur für Frauen die Möglichkeit gab. Daher haben wir das Modell auf beide Elternteile ausgeweitet. Die Jüngeren, die jetzt Vater geworden sind, schätzen die Möglichkeit, eine Familienauszeit zu nehmen.
CW: Mit der Einführung des Liquid-Working-Modells haben Sie auch die Regeln für den Vaterschaftsurlaub überarbeitet. Was haben Sie genau geplant?
Wüst: Beim Vaterschaftsurlaub sind wir noch in der Diskussion. Wir beobachten, welche Benefits unsere Marktbegleiter anbieten und wo wir stehen. Manche Unternehmen bieten Vätern zwischen 5 und 10 Arbeitstage an. Die staatlichen Institutionen bewegen sich um die 20 Tage. Ich möchte unser Angebot von aktuell 5 auf 10 oder gar 20 Tage ausdehnen. Im März werden wir hierüber mit den Kollegen abschliessend diskutieren. Wie viele Tage es letztlich sein werden, ist weniger relevant.
CW: Was hat Sie selbst motiviert, ti&m familienfreundlicher aufzustellen? Welches waren Ihre persönlichen Beweggründe für den Wandel?
Wüst: Das Ausblenden der Kinder im Job hat mich immer genervt. Als ich meine Karriere gestartet habe, sprach man zwar über Familie, doch diese fand nicht statt.
CW: Wie meinen Sie das?
Wüst: Seit meinem 32. Lebensjahr trage ich eine Profit-Loss-Verantwortung. Die Erwartungshaltung an mich beträgt konstant 150 Prozent Leistung. In Folge war ich wenig zu Hause bei meiner Familie. Mich hat das Ausblenden der persönlichen Lebensbereiche immer gestört und ich nahm mir vor, wenn ich eine Möglichkeit sehe, werde ich dies ändern. Entsprechend versuche ich bei verschiedenen Gelegenheiten, den Nachwuchs in den Arbeitsalltag zu integrieren. Bei uns sind Kinder im Office willkommen! Beispielsweise kann einer unserer Meetingräume in ein Spielzimmer umfunktioniert werden, unter der Bedingung, dass Vorgesetzte und die jeweiligen Kunden einverstanden sind.
CW: Wie funktioniert die Jobflexibilität bei Kundenprojekten? Inwieweit kollidieren hier Wunsch und Wirklichkeit?
Wüst: Will ein Mitarbeiter sein Arbeitspensum vorübergehend auf 60 Prozent reduzieren, bespricht er den Wunsch zunächst mit der Projektleitung. Zusätzlich muss auch der jeweilige Kunde damit einverstanden sein. Dann vereinbart man ein Phase-out. Also eine Übergabezeit, in der die Arbeiten und die Kundenbetreuung an die Kollegen übergeben werden. Bei einem internen Projekt ist es abhängig von der Grösse der Aufgabe einfacher. Hier besprechen sich die Teammitglieder, wann die Umstellung erfolgt und man kann innerhalb einer Woche bereits sein Pensum reduzieren. Die Angebote stehen allen Mitarbeitenden zur Verfügung. Mit der Einschränkung für Führungskräfte, die ihr Pensum nicht unter 80 Stellenprozent herunterfahren sollten. Denn ich möchte die Führung der Teams bei Projekten nicht zwischen verschiedenen Leuten aufteilen. Dafür sind wir zu schnell am Markt unterwegs. Natürlich gibt es auch mal Ausnahmen. Grundsätzlich beobachte ich, dass die
verschiedenen Möglichkeiten des Zeitmanagements rege genutzt werden. Das finde ich supercool!
verschiedenen Möglichkeiten des Zeitmanagements rege genutzt werden. Das finde ich supercool!
Zur Person
Thomas Wüst
hat Informatik an der ETH in Zürich studiert und beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit IT-fokussierter Innovation. 2005 gründete Wüst ti&m und leitet den IT-Dienstleister seither als CEO. Er veröffentlichte mehrere Bücher und publiziert Fachartikel. Sein Fokus gilt dem Thema Innovation und den damit verbundenen Strategien und Lösungen. Wüst ist Vorstandsmitglied von ICTswitzerland und Mitbegründer mehrerer Fachgruppen und -vereine.