iOS 8 und OS X 03.06.2014, 07:01 Uhr

Harmonisch vereint

Die Keynote der WWDC zeigte, was Apple unter Feinschliff versteht. Auf iOS- und Mac-Anwender kommen spannende Zeiten zu.
Gut gelaunt: Craig Federighi
Die alljährliche Keynote der WWDC (World Wide Developer Conference) ist vorbei. Die Katzen sind aus dem Sack und die Welt weiss nun, was die nächsten beiden Versionen von iOS und OS X zu bieten haben. Neue Hardware war zwar keine dabei – doch was an neuen Funktionen angekündigt wurde, wird bestehende Apple-Geräte so aufwerten, als wären sie gerade dem Montageband entsprungen. Apple-CEO Tim Cook hielt sich an dieser Keynote dezent im Hintergrund. Der Mann des Abends (oder des Morgens, je nach Zeitzone) war Craig Federighi, Senior Vice President für die Software-Entwicklung bei Apple. Natürlich ist die Entwicklermesse genau sein Ding. Doch davon abgesehen dürfte er zurzeit der kurzweiligste Showmaster der Firma sein. Sichtlich aufgekratzt führte er durch das Programm; kein Wunder, denn an Highlights herrschte dieses Jahr keine Mangel.

Alles schwingt in Harmonie

Sowohl iOS 8 als auch OS X 10.10 wurden angekündigt, was nicht anders erwartet wurde. Erfreulich ist, wie erwachsen die beiden Systeme bei der Präsentation wirkten. Sowohl iOS 7 als auch OS X «Mavericks» mussten eine Menge Kritik einstecken, weil die Neuerungen zum Teil an der Stabilität nagten (OS X) oder das neue Design nicht bei allen Anwendern gut ankam (iOS 7). Damit dürfte im Herbst Schluss sein, wenn die beiden Systeme auf die Öffentlichkeit losgelassen werden. Im Folgenden fassen wir die wichtigsten Neuerungen zusammen – allerdings ist die Liste bei weitem nicht vollständig. Nächste Seite: OS X 10.10 «Yosemite»

OS X 10.10 «Yosemite»

Das Mac-Betriebssystem erhält ein Facelifting. Es wird flacher, frischer und orientiert sich optisch an iOS – allerdings ohne an der grundsätzlichen Bedienung zu rütteln. iOS-Geräte und Macs bleiben zum Glück unabhängige Geräteklassen. Trotzdem wachsen die beiden Systeme auf eine Weise zusammen, die bis jetzt einzigartig ist. Genauer: Wer das iPhone nicht mit einem Mac verbandelt, dem entgeht eine Menge, denn die beiden Geräte spielen sich jetzt gegenseitig in die Hände. Apple fasst die folgenden Neuerungen übrigens unter dem Begriff «Continuity-Features» zusammen. Da wären: Handoff. Mit «Handoff» werden aktuelle Arbeiten nahtlos zwischen Macs und iOS-Geräten herumgeschoben. Die unfertige E-Mail, die Tabelle in Numbers, der Brief in Pages: Sie alle müssen warten, weil der Zug in zehn Minuten losfährt. Also wird der Mac verlassen und das iPad eingepackt. Später wird beim Öffnen der jeweiligen App exakt der letzte Stand der Dinge gezeigt, da die Datei mit allen Änderungen automatisch über Apples Web-Dienst «iCloud» synchronisiert wurden.
Instant Hotspot. Das iPhone erkennt, wenn ein MacBook in der Nähe ist, und umgekehrt. Wenn das Apple-Notebook die eigenen vier Wände (und damit auch das WLAN) verlässt, wird das iPhone automatisch zum Hotspot – selbst dann, wenn es in der anderen Ecke des Raumes oder in der Tasche steckt. Die Verbindung erfolgt automatisch und verlangt keine Interaktion des Benutzers. SMS. Sollte ein Nicht-iPhone-Besitzer eine klassische SMS anstelle einer iMessage schicken, dann wird diese nicht nur wie bis anhin in derselben App angezeigt, sondern auch zwischen allen Geräten synchronisiert, die unter derselben Apple-ID angemeldet sind. Telefon. Ein Husarenstück in bester Apple-Manier: Wenn man vor dem Mac sitzt und ein Anruf über das iPhone eingeht, wird dieser Anruf inklusive Rufnummer und Kontaktinformationen auf dem Bildschirm des Macs angezeigt. Der Anruf kann dort sogar entgegen genommen werden, indem das Mikrofon des Rechners verwendet wird. Umgekehrt kann am Mac eine Telefonnummer auf einer Website oder in einem Dokument direkt mit dem iPhone gewählt werden! Das Mobilgerät wird also zur natürlichen Erweiterung.
Airdrop. Halleluja! Über «AirDrop» lassen sich Daten nicht mehr nur zwischen Macs oder iOS-Geräten austauschen, sondern auch quer über die Systeme hinweg! «Continuity» ist für Mac-Anwender das «Boah!»-Feature schlechthin. Über die anderen Neuerungen berichten wir später im Detail. Das neue System ist für Entwickler ab sofort verfügbar, die offizielle Einführung erfolgt im Herbst. Neu ist, dass Apple im Sommer eine öffentliche Beta anbietet, die auch Nicht-Entwicklern zur Verfügung steht. Die Beta ist – genau wie das fertige System – für alle Mac-Besitzer kostenlos. Nächste Seite: iOS 8

iOS in Zahlen

Tim Cook konnte es nicht lassen, in Richtung Android zu sticheln und dabei kräftig Salz in die Wunde der Konkurrenz streute. Dazu reichten ein paar Zahlen: Apple verkaufte bis heute über 800 Millionen iOS Geräte. Davon entfielen rund 100 Millionen auf den iPod touch, etwa 200 Millionen auf die iPads und über eine halbe Milliarde Geräte auf die iPhones. So weit, so gut. Ausserdem gewann Apple in den letzten zwölf Monaten über 130 Millionen neue Kunden, die zum ersten Mal ein Apple-Gerät erwarben. Laut Apple sind ausserdem 97 Prozent der Kunden mit ihren Geräten sehr zufrieden, was massgeblich mit den schnellen und konsequenten Updates zu tun habe.
Und dann folgten die Zahlen, die bei den Entwicklern einfuhren wie ein gut geschmiertes Zäpfchen: Während das neuste iOS 7 auf rund 89 Prozent der aktiven iOS-Geräte installiert ist, bringt es Android «KitKat» gerade einmal auf 9 Prozent. Die Fragmentierung des Marktes gehört also zu Apples geringsten Problemen, und die Entwickler sollten das wissen. Doch was hat iOS 8 zu bieten? Soviel vorweg: eine Menge! Nächste Seite: Top-Features in iOS 8 iCloud Drive. Ist diese Neuerung das fehlende Dateisystem, nach dem wir in den letzten Jahren gelechzt haben? iCloud Drive gleicht Daten zwischen allen Apple-Geräten mit derselben Apple-ID ab. Dabei lassen sich neuerdings beliebige Dateien synchronisieren, so wie wir es bereits von Dropbox und anderen Cloud-Diensten her kennen – nur jetzt halt mit voller iOS-Unterstützung.
Dabei sind die Preise sensationell günstig. 5 GB gibt es umsonst. 20 GB kosten 0.99 $ im Monat, 200 GB schlagen mit 3.99 $ im Monat zu Buche. Das Ganze lässt sich bis zu einem Terabyte ausbauen. Im direkten Vergleich: 100 GB Online-Speicher kosten bei Google Drive 23.88 US-Dollar im Jahr, bei Apple sind es umgerechnet 23.94 US-Dollar! Apple bietet also dem Preisdrücker schlechthin Paroli. Warm anziehen muss sich hingegen Dropbox, denn dort kosten 100 GB immer noch 145 Franken pro Jahr. QuickType. Vorschläge, noch während getippt wird: Das kennt man unter Android zwar schon lange. Doch iOS 8 erfasst auch den Kontext einer Konversation und passt während des Tippens die vorgeschlagenen Wörter automatisch an. Wenn die Frage also «Gehen wir heute ins Kino oder Essen?» lautet, dann sind «Kino» und «Essen» bereits unter den Vorschlägen zu finden. Neues iMessage. iMessage kann jetzt auf Knopfdruck Video- und Audiobotschaften übermitteln. Gruppen-Konversationen sind genauso möglich, wie die zentrale Ablage aller Attachments, üblicherweise Fotos. Viel besser noch: Neben Texten lassen sich jetzt auch Video- und Audiobotschaften übermitteln. Ein Knopfdruck genügt, und schon kann das iOS-Gerät des Gegenübers wie ein Anrufbeantworter besprochen werden.
Nächste Seite: Das iPhone als Gesundheitsapostel Health. Und das wäre dann die Gesundheits-App, die bereits lange zuvor in der Gerüchteküche herumgeisterte. Allerdings verwendet Health keine eigene Hardware; stattdessen können andere Anbieter ihre Daten an die Apple-App weiterreichen. In den USA lassen sich die Ergebnisse der Messwerte sogar in Kürze an einige ausgesuchte Kliniken weiterleiten – automatisch, versteht sich. Wenn es die Umstände erfordern, meldet sich anschliessend automatisch der Herr Doktor und schaut nach dem Rechten.
Family Sharing. Eine «Familien-App» im besten Wortsinn! Bis zu sechs Personen im selben Haushalt teilen Fotos, Apps, Bücher, Kalender, Adressen und mehr. Integriert wurde auch die Funktionalität der App «Finde meine Freunde», mit der sich der Rest der Bande über GPS lokalisieren lässt. Ausserdem teilt sich die ganze Familie eine Kreditkarte für die Einkäufe bei Apple. Möchte zum Beispiel der Sprössling einen Einkauf im App Store tätigen,  dann erhalten die Eltern automatisch eine Anfrage auf dem eigenen iPhone, mit dem der Kauf autorisiert werden kann – oder auch nicht. Nächste Seite: Fotos und Neuerungen zu Siri
Fotos. Alle Fotos gehören der Familie: Dabei werden nicht nur die Schnappschüsse über iCloud abgeglichen, sondern auch die Optimierungen. Für Verbesserungen stehen neue, leistungsfähige Werkzeuge zur Verfügung. Die Bearbeitung ist nicht-destruktiv, kann also jederzeit rückgängig gemacht werden. Der Abgleich der Fotos und Änderungen erfolgt über iCloud. Die Fotos werden darüber hinaus auf allen Geräten lokal gespeichert und sind somit ständig verfügbar.
Für den Mac soll Anfang 2015 ein kompatibles Gegenstück erscheinen, das die Fotos ebenfalls synchronisiert. Unklar ist jedoch, inwiefern diese Möglichkeiten Einzug in Apples Fotoprogramme iPhoto und Aperturen finden werden. Es bleibt zu hoffen, dass diese beiden Programme endlich ein Teil des Workflows werden.

«Hey, Siri!»

Apples digitale Assistentin soll künftig auf den Zuruf «Hey, Siri!» reagieren (so wie «OK, Glass», «Hi Jack!» usw.) Ausserdem soll die Spracherkennung deutlich verbessert worden sein. Und zu guter Letzt reicht es, bei laufender Musik Siri zu aktivieren, damit der Song über Shazam erkannt wird. Auch das ist natürlich nur ein kleiner Ausschnitt aus den zahlreichen Neuerungen. iOS 8 wird – wie üblich – zusammen mit dem nächsten iPhone unter die Leute gebracht. Dabei werden das iPhone 4S, das iPad 2, das erste iPad Air, der iPod touch 5G und natürlich alle neueren Geräte unterstützt. Die Betaversion ist für registrierte Entwickler in Kürze verfügbar. Nächste Seite: Was Entwickler begeistert – und uns ebenfalls

Neue Fundamente

Die WWDC stellt natürlich die Entwickler in den Vordergrund – und die waren sichtlich begeistert. In Kürze werden unter iOS völlig neue Anwendungen möglich. Das liegt zum Teil an neuen Schnittstellen, aber auch daran, dass Apple die Einschränkungen des Systems ein wenig aufweicht, ohne dabei die Sicherheit des Systems zu kompromittieren. Extensions. Neu ist es möglich, dass Apps untereinander kommunizieren. Craig Federighi demonstrierte das anhand einer Foto-App, die ein Bild entgegennahm, modifizierte und wieder in der Fotosammlung speicherte. Solche Interaktionen werden jedoch stets über das System abgewickelt; die zweite App kann sich also keine weiteren Rechte oder Zugriffe verschaffen. TestFlight. Entwickler können nun Beta- oder Demoversionen zur Verfügung stellen, die sich kostenlos herunterladen lassen. Nach einer bestimmten Zeit werden die Apps automatisch deaktiviert.
Bundles. Endlich wird es möglich, dass Entwickler mehrere Apps zu einem Bündel schnüren und damit günstiger anbieten können! Allerdings wünschen wir uns diese Funktion eher für den Mac App Store, da der Preis bei den iOS-Apps bereits jetzt schon unterirdisch tief ist. Alternative Tastaturen. Die Standard-Tastatur lässt sich auf Systemebene durch ein anders Modell ersetzen, wie es unter Android schon lange der Fall ist. Wer hätte gestern noch gedacht, dass sich iOS so weit öffnen würde?
Nächste Seite: Haussteuerung und 3D-Grafiken vom Feinsten HomeKit. Apple schickt sich definitiv an, die Haussteuerung zu übernehmen. Durch «HomeKit» wird die Grundlage geschaffen, um die Haustüre, das Licht, die Überwachungskamera oder was auch immer über ein gemeinsames Protokoll zu steuern. Es wird spannend, zu sehen, wie die Hardware-Hersteller darauf reagieren. Darüber hinaus lassen sich die eigenen vier Wände über Siri steuern!
Metal. Die neue 3D-Umgebung «Metal» macht aus den iOS-Geräten waschechte Spielkonsolen mit Grafiken, die man bis anhin nur auf wesentlich grösseren Geräten zu sehen bekam.
In einer beeindruckenden Demo zeigten die Abgesandten von Epic Games, wie sich tausende Objekte bei einer hervorragenden Darstellung mit dem Finger manipulieren liessen. Da Metal an den Apple-eigenen A7-Chip gekoppelt ist, dürfte das Android-Lager schwer daran zu beissen haben. Nächste Seite: Ein erstes Fazit

War die WWDC ein Erfolg?

Definitiv. Es war zum Vornherein klar, dass Apple keine neue Gerätekategorie zeigen würde, denn eine solche würde garantiert in einer eigenen Veranstaltung vorgestellt werden. Stattdessen wurden mehr als nur ein paar «solide Updates» gezeigt. Mac-Anwender werden erfreut zur Kenntnis nehmen, dass der bestehende Rechner mit Yosemite deutlich aufgewertet wird. Die neue Zusammenarbeit mit dem iPhone sorgt ausserdem dafür, dass sich die Leistungsfähigkeit der Macs mit der mobile Kommunikation des iPhones verbindet. Und genau so haben es sich wohl die meisten vorgestellt: keine seltsamen Zwitter zwischen PCs und Tablets, sondern die Symbiose von zwei Gerätekategorien, die ihre Eigenheiten, Stärken und Vorzüge beibehalten.
Genauso wichtig sind jedoch die neuen Werkzeuge, die Apple den Entwicklern in die Hände drückt. Die Verwaltung des Familienkontos, die Haussteuerung, die 3D-Engine … diese Möglichkeiten werden dafür sorgen, dass wir in Zukunft neue, spannende Anwendungen und Geräte sehen werden – auch wenn sich diese nicht ums Handgelenk schnallen lassen. ! VIDEO !



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