Wilhelm Petersmann, Fujitsu 23.06.2020, 13:03 Uhr

«Schweizer Banken müssen ihre digitalen Services ausbauen»

Banken stehen unter Druck: Sie müssen Ihre Geschäftsprozesse digitalisieren und dennoch persönliche Services anbieten. Was auf Finanzdienstleister zukommt, zeigt Fujitsu in einer Studie. Schweiz-Chef Wilhelm Petersmann erläutert die wichtigsten Erkenntnisse und Trends.
Wilhelm Petersmann ist Managing Director von Fujitsu Österreich und Schweiz sowie Head of Financial Services EMEIA beim IT-Konzern
(Quelle: NMGZ/Computerworld)
Computerworld: Fujitsu hat kürzlich eine Studie zum Thema Future of Finance durchgeführt. Welche Erkenntnisse lassen sich aus der Studie «Technology and the new Banking Customer» für die Schweiz ableiten?
Wilhelm Petersmann: Online-Banking und Mobiles Bezahlen sind akzeptiert. Zusätzliche digitale Services und eine Automatisierung von Geschäftsabläufen werden erwartet. Der Gedanke ist vor allem, einfache Transaktionen ohne Bindung an Bürozeiten oder Personal zu erledigen. Gleichzeitig haben viele Menschen aber weiterhin den Wunsch nach einer persönlichen Beratung durch Kundenbetreuer. Das schliesst wiederum die Akzeptanz von Chatbots oder anderen KI-basierten Systemen nicht aus – was allerdings nicht für inhaltliche Anlage- und Finanzberatung gilt. Sicherheit ist ein Schlüsselfaktor; hinsichtlich der Funktionalität digitaler Services ebenso, wie der Datensicherung und -weitergabe. Also: Schweizer Banken müssen ihre digitalen Services ausbauen. Gleichzeitig sollten sie traditionelle Stärken nicht vernachlässigen, wie die exzellente persönliche Kundenbetreuung.
CW: Financial Services ist ein weites Feld. Was versteht man bei Fujitsu darunter?
Petersmann: Hier reden wir über die gesamte Finanz- und Versicherungsindustrie: Banken, Versicherungen, Pensionskassen, Kreditkarten-Institute, Börsen, Finanzbehörden etc. In Deutschland, Österreich und der Schweiz betreuen wir aktuell über 200 Kunden aus dieser Branche. Aus technischer Sicht stehen die Entwicklung der Infrastruktur, Hybrid-IT und Multi-Cloud-Lösungen im Fokus. Das Thema Daten: also Datenhoheit, -verarbeitung, -nutzung und -sicherheit. Hinzu kommen Lösungen und Services im Rahmen der Modernisierung von Anwendungen und Transformationsprojekten. Wir verstehen uns auch als Inkubator, insbesondere bezüglich neuer Technologien wie KI, Blockchain, Big Data und Analytics sowie unserem Quanten-Computing-inspirierten Digital Annealer (Erklärung Kasten am Seitenende, Anm. d. Red.). 
CW: Können Sie, aus Sicht von Endkunden, drei wesentliche Trends im Bereich Financial Services nennen?
Petersmann: Erstens Robot Process Automation; die Bereitstellung automatisierter Services, die das Leben von Menschen vereinfachen. Stellen Sie sich vor, sie suchen ein Eigenheim und brauchen einen Kredit. Sie fotografieren mit Ihrem Smartphone das gewünschte Haus, erhalten online den Preis und eine Auswahl von Finanzierungen. Sie geben die benötigten Informationen ein. Abschicken – schon haben Sie den Kredit mit dem Smartphone beantragt. Zweitens die Bereitstellung technologiebasierter Services, die auf Basis von KI Empfehlungen geben. Sie wollen ein effizientes Management Ihrer Hypotheken für das neue Haus, einen optimalen Kompromiss zwischen Zins und Laufzeit bezogen auf Ihre Einkommensverhältnisse. Sie geben die Basisdaten in ein digitales Formular ein. Et voilà – Sie bekommen in Sekunden auf Sie zugeschnittene Angebote. Jederzeit, auch ausserhalb der gängigen Bürozeiten oder an Feiertagen. Ähnlich funktioniert das mit Versicherungen. Drittens die Entwicklung von Services, die ohne Mittler funktionieren. Dazu zählen der Ausbau von sogenannten Sharing Economies, wo Anbieter und Kunden direkt verbunden sind, oder in soziale Medien integrierte Bank- sowie Bezahlservices.
CW: Dafür werden die Finanzdienstleister neue technische Ansätze verfolgen müssen. Was braucht es hierfür? Welche sind die IT-Bedürfnisse aus Sicht von Banken, Versicherern und sonstiger Financial Services?
Petersmann: Viele Finanzdienstleister müssen zuerst ihre Infrastruktur skalierbar ausbauen. Ein Beispiel: Eine Bank in Deutschland führte eine Lösung für die digitale Bearbeitung von Kreditanträgen ein. Dann kam die Corona-Krise. Plötzlich nutzten viele Kunden den Service. Für diese Last war die IT-Infrastruktur der Bank nicht ausgelegt. Das System ging mangels Kapazitäten in die Knie. Daraus folgt: Der Ausbau von Cloud-Services auf Basis einer skalierbaren Hybrid IT ist eine Grundlage für die Digitale Transformation. Über die Cloud-Infrastruktur als Plattform können dann verschiedenste Lösungen implementiert und als Services zur Verfügung gestellt werden. Technologische Kernthemen sind auch die Automatisierung von Geschäftsprozessen, die Erfassung von Kundenbedürfnissen durch KI oder die technisch getriebene Optimierung von Portfolios inklusive Risikoreduktion.
CW: Welche Bedürfnisse sehen Sie aus Anbietersicht, welche Unterschiede gibt es zur End-Kundensicht?
Petersmann: Finanzdienstleister sind konfrontiert mit Fragen bezüglich ihrer IT-Infrastruktur, Sicherheit, der Regulierung, den Veränderungen im Wettbewerbsumfeld, von Kundenwünschen und technologischen Innovationen. Sie sind gezwungen, ihre Geschäftsmodelle digital anzupassen und neue Wege der Kunden-Interaktion und -Bindung zu entwickeln. Für Endkunden wiederum sind nur einfach zu nutzende digitale Services akzeptabel. Gleichzeitig machen diese sich Gedanken über die Sicherheit der von ihnen genutzten Anwendungen und die Nutzung Ihrer persönlichen Daten durch Anbieter. IT und Geschäftsprozesse sind heute untrennbar verbunden. Die verschiedenen Anforderungen – von Finanzdienstleistern, IT-Anbietern, Partnern und Kunden – müssen alle in die Entwicklung neuer Services einfliessen. Nur so lassen sich massgeschneiderte Lösungen entwickeln. Hierfür nutzt Fujitsu das Prinzip der Co-Creation.
CW: Können Sie Co-Creation kurz erklären?
Petersmann: Digitalisierung ist das Zeitalter des «Wir». Vertreter aller Bezugsgruppen – der Kunde mit seinen verantwortlichen Mitarbeitern, die IT-Dienstleister, Berater – bringen ihre Sicht oder Bedürfnisse ein. Gemeinsam wird eine innovative, massgeschneiderte Lösung entwickelt. Im Rahmen von speziellen Workshops können die Teilnehmer auf Erfahrungen aus vielen anderen Projekten zurückgreifen und dabei von Musterlösungen profitieren. Diese lassen sich, ähnlich Bauklötzchen, aus einem grossem Vorrat zu verschiedensten Ergebnissen kombinieren. Eine derartige Expertise hilft bei der Entwicklung von spezifischen Lösungen ungemein, gleichzeitig lassen sich dadurch auch Entwicklungskosten senken. Für die Durchführung haben wir an verschiedenen Standorten unsere DTCs – Digital Transformation Centers, beispielsweise in München. Zusätzlich können wir mit unserem mobilen DTC auch direkt zum Kunden fahren und bieten neuerdings auch virtuelle Co-Creation-Sessions online an.
CW: Banken lassen sich schon aus Sicherheitsgründen nur ungern in die Karten blicken. Wie offen sind diese für das Thema Co-Creation und wie funktioniert die Kooperation in der Praxis?
Petersmann: Die Feedbacks unserer Kunden nach solchen Workshops sind ausgesprochen positiv. Beliebte Themen sind: Robotic Process Automation, Migration zu Hybrid IT- oder Multi-Cloud-Umgebungen, Optimierung mittels Digital Annealer, Wirtschaftlichkeitsnachweise für den Einsatz von Blockchain, KI-Konzepte, Big Data und Analytics. Um in ein Thema einzusteigen, braucht man für einen Workshop zwischen einem halben und einem Tag. Ziele können dabei die Erstellung von Roadmaps, Wirtschaftlichkeits- oder Machbarkeitsnachweisen sein. Sicherheitsbedenken sind für Kunden aus der Finanzindustrie kein Problem. Vor dem Beginn solcher Projekte werden grundsätzlich Vertraulichkeitserklärungen unterzeichnet.
Kurz erklärt
Digital Annealing
Das Digital Annealing von Fujitsu ist eine Brückentechnologie hin zum Quantencomputing auf Basis konventioneller Silizium-Halbleiter. Mit dieser Lösung lassen sich komplexe kombinatorische Optimierungsprobleme bis zu 10000 Mal schneller berechnen als mit herkömmlichen IT-Infrastrukturen. Digital Annealing ist auch als Cloud-Service verfügbar, inklusive der Beratung durch Spezialisten. Denn bei der Verwendung von quantencomputing-inspirierten Rechnern ist spezielles Know-how erforderlich, um Aufgabenstellungen passend für das System einzurichten.



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