Managing Director Avaya Schweiz 19.04.2021, 06:33 Uhr

«Die künftige Arbeitswelt fördert ‹as a Service›»

Der Kommunikationsspezialist Avaya konnte mit Cloud-Lösungen Millionen Angestellte im Home Office unterstützen. «As a Service» wird an Bedeutung gewinnen, sagt Schweiz-Chefin Ourania Odermatt.
Ourania Odermatt führt seit gut einem Jahr die Geschäfte von Avaya in der Schweiz
(Quelle: Alexandra Rätzer/Avaya Schweiz)
Ohne die Cloud hätte die geschäftliche Kommunikation während der vergangenen Monate kaum funktioniert. Der Kommunikationsanbieter Avaya stattete seine Schweizer Kunden mit zusätzlichen Produkten und Services aus, damit der Wechsel ins Heimbüro reibungslos funktionierte. Dabei waren manchmal auch hemdsärmelige Lösungen gefragt, sagt Managing Director Ourania Odermatt im Interview.
Computerworld: In der Krise haben die Kommunika­tionstechnologien an Bedeutung gewonnen. Wird mittlerweile schneller investiert?
Ourania Odermatt: Ich erlebe derzeit eher eine Verun­sicherung. In vom Lockdown stark betroffenen Branchen üben sich die Verantwortlichen in Zurückhaltung bei den Investitionen – selbst wenn die Vorteile offensichtlich sind. Die Hotellerie ist ein gutes Beispiel. Insbesondere in den städtischen Lagen stehen unsere Kunden voll auf der Investitionsbremse, weil sie die Folgen der Krise noch immer nicht abschätzen können. Denn die Geschäftsleute werden so schnell nicht zurückkehren. An den Tourismusdestinationen ist die Lage anders, obwohl auch dort derzeit natürlich die Gäste aus Fernost massiv fehlen. Sie sind immerhin technologieaffin, sodass sich Investitionen schneller rechnen. Bis diese Rechnung allerdings aufgeht, werden wohl noch einige Monate vergehen, befürchte ich.
CW: Im März vergangenen Jahres dürfte die Nachfrage nach Ihren Produkten durch die Decke gegangen sein.
Odermatt: Das ist korrekt. Die Entwicklung begann allerdings schon einige Wochen vorher, als die Infektionssituation in Italien eskalierte. Ich pendle von Arth-Goldau – damals noch mit dem Zug. Der Zug kommt teilweise aus Mailand. Als ich an einem Montag Mitte März vergangenen Jahres in den Zug einstieg, war ich allein im Waggon. Selbst nach dem Umsteigen in Zürich auf den Zug nach Winterthur war ich allein im Waggon. Am Schweizer Hauptsitz in Wallisellen angekommen, habe ich das Team zusammengerufen und mit den Kollegen eine Kampagne vorbereitet. Sie zielte auf eine optimale Ausstattung der Kunden im Home Office: Headsets, Kameras, Software und Zubehör. Wir haben ermittelt, welche Produkte auf Lager waren und wo es allenfalls einen Engpass geben könnte. Wir waren glücklicherweise gut ausgestattet und konnten auch Tausende zusätzliche Lizenzen bereitstellen.
Als dann der Lockdown zur Realität wurde, waren wir über Wochen rund um die Uhr am Telefon mit den Kunden. Unseren Grosskunden aus der Schweizer Banken- und Versicherungswelt und auch den Partnern sowie deren Kunden wurde unbürokratisch geholfen. Ihnen wurden zeitlich begrenzte Lizenzen bereitgestellt, die das Arbeiten von zu Hause aus wesentlich vereinfacht haben. Weiter haben wir Behörden, Bildungsinstitutionen und Gesundheitseinrich­tungen spezielle Bundles geschnürt. Sie bekamen genauso unbürokratisch temporäre Lizenzen für die Collaboration-Lösungen von Avaya. Letztendlich haben wir weltweit 2,5 Millionen Anwendern von mehr als 11 000 Kunden ermöglicht, im Home Office zu arbeiten. Dafür haben wir unter anderem rund 2,0 Millionen zusätzliche Lizenzen für unsere unterschiedlichen Produkte freigeschaltet.
CW: Gibt es Beispiele von Schweizer Kunden, die dank Ihrer Initiative weiterarbeiten konnten?
Odermatt: Neben den Banken und Versicherungen wurden dem Gesundheitsdienstleister Icas sowie dem Callcenter-Betreiber Telag der Weg ins Home Office ermöglicht. Icas arbeitete provisorisch mit Umleitungen der Telefone, was immense Kosten verursachte. Wir haben ihnen geholfen, die Telefonanlage komplett umzustellen und so die Mehrkosten in den Griff zu bekommen.
Ein bemerkenswertes Beispiel war die «AI for business»-Konferenz, die Ende März 2020 kurzfristig zu einem Online-Anlass umgebaut wurde. Damals kamen die Veranstalter rund um die Gründerin Sophie Hundertmark auf uns zu mit der Frage nach einer Lösung für Online-Konferenzen. Unser Produkt «Avaya Spaces» war zu dem Zeitpunkt noch nicht erprobt für Anlässe dieser Grösse. Trotzdem haben wir die Rechenzentren in Frankfurt hochgefahren und die Konferenz gehostet. Die über 500 Teilnehmer hatten viel Freude, dass der Anlass nicht ausfiel. Mittlerweile haben wir auch die «C-Level»-Events gehostet sowie einen Anlass von Icas mit 500 Teilnehmern – und alles hat reibungslos funktioniert.
Zur Person
Ourania Odermatt
wurde im Januar vergangenen Jahres zum Managing Director von Avaya Schweiz und Österreich ernannt. Sie war im Juni 2019 als Global Account Manager zu Avaya gekommen. Zuvor war Odermatt mehr als 15 Jahre bei IBM in unterschiedlichen Führungspositionen tätig, zuletzt als EMEA Key Account Senior Project Executive.

Kundschaft und Büroumzug

CW: Wer sind Ihre bestehenden Kunden in der Schweiz?
Odermatt: Viele unserer Kunden sind global tätige Grosskonzerne mit Hauptsitz in der Schweiz. Dieses Geschäft wurde über Jahre aufgebaut und ist immer noch ein bedeutender Sektor. Allerdings haben wir auch einige Kunden verloren – was mit dem Gläubigerschutz- Verfahren in den USA Ende 2016 zu tun hatte. Es hatte zwar keine Aus­wirkungen auf die Geschäfte in Europa, ist aber doch in den Köpfen der Entscheider hängen geblieben. Seit Abschluss des Verfahrens Ende 2017 verzeichnen wir wieder Wachstum – und konnten sogar US-amerikanische Regierungsstellen als Kunden gewinnen. Wir werten diese Abschlüsse auch als Beweis, dass Avaya ein solider und vertrauenswürdiger Partner ist.
CW: Ist der Schreiner aus Hausen am Albis ebenfalls ein potenzieller Kunde für Avaya?
Odermatt: Selbstverständlich. Unsere Produkte wenden sich nicht ausschliesslich an Grosskonzerne. Wenn der Schreiner zum Beispiel auf einer Baustelle realisiert, dass ein Bauteil fehlt, kann er per Video seinem Kollegen in der Werkstatt den Defekt zeigen und so die Ersatzteilproduktion beschleunigen und vereinfachen. Wir haben auch bei uns im Haus ein Beispiel für einen Selbstständigen, der sich unsere Technik zunutze macht: Der Sales-Mitarbeiter Niklas Albrecht ist gleichzeitig ein Shihan, also Grossmeister, in Karate. In den Zeiten von Kontaktbeschränkungen unterrichtet er via «Avaya Spaces». Eine Entwicklung aus dem Lockdown ist, dass für Avaya das Kundenbedürfnis noch stärker in den Mittelpunkt des Geschäfts rückt. Mittlerweile unterscheidet niemand mehr, ob der Kunde hundert Arbeitsplätze oder einen PC hat. Alle möchten benutzerfreundliche und zuverlässige Technologie einsetzen, ob aus der Cloud oder dem eigenen Serverraum. Wir können und wollen alle Bedürfnisse befriedigen.
Die neuen Büros von Avaya Schweiz zügelte Ourania Odermatt zu einem Anbieter von Coworking Spaces
Quelle: Alexandra Rätzer/Avaya Schweiz
CW: Welches Projekt hat Ihnen zuletzt Freude gemacht?
Odermatt: Aus einem Spital bekamen wir die Anfrage, ob sie die Kommunikationslösung von Avaya auch für Gegenstände verwenden können. Denn in der Einrichtung kamen häufiger einmal die Rollstühle abhanden. Die Rollstühle wurden mit Beacons ausgerüstet, die sich an beliebigen Orten im Spital selbstständig registrierten. Wenn sie sich zu lange nicht melden und in einem bestimmten Umkreis um die Gebäude herum nicht auffindbar sind, alarmiert die Avaya-Lösung das Personal am letzten bekannten Aufenthaltsort der Rollstühle. So liess sich der Schwund tatsächlich minimieren. Durch eine Erweiterung der Beacon-Funktionen lassen sich zusätzlich noch die Wartungszyklen der Rollstühle kontrollieren. Mittlerweile quietscht in dem Spital kein einziger Rollstuhl mehr und Defekte sind sehr selten geworden. Bei einem anderen Kunden aus dem Gesundheitssektor konnten wir viele DECT-Geräte durch Smartphones ab­lösen. Damit die Smartphones mit der Avaya-App vor der Operation abgelegt werden können, haben wir ein Device mit einem RFID-Chip versehen, das anhand des Standorts automatisch eine Stellvertreterfunktion aktiviert.
CW: Sie haben Anfang Jahr die Büros von Avaya Schweiz gezügelt. Welche Gründe gab es?
Odermatt: Im Vergleich zu vor 20 Jahren ist die Schweiz-Organisation heute aus zwei Gründen personell kleiner. Wir haben auf ein indirektes Vertriebsmodell über Business-Partner gewechselt und das Network Business verkauft. Aktuell sind rund 20 Personen bei Avaya Schweiz beschäftigt. In der Westschweiz sind zudem einige Stellen ausgeschrieben. Die Mitarbeitenden können genau wie wir hier in Zürich neu in allen Büros des Anbieters IWG schweizweit arbeiten, wenn sie es wünschen. Unser Mietvertrag im Industriegebiet von Wallisellen lief aus, sodass wir nun in moderne und zeitgemässe eigene Büroräumlichkeiten im Spaces Ambassador House Glattpark gezogen sind.

«As a Service», Datenschutz und Ausblick

CW: Welche Bedeutung hat das «as a Service»-Liefermodell für Avaya?
Odermatt: Eine grosse Bedeutung. Avaya macht 85 Prozent der Umsätze mit Services und Software. Eines unserer Alleinstellungsmerkmale allerdings ist die Kombination von Services und Software mit der eigenen Hardware. Sie hat uns in der Krise auch geholfen, denn wir hatten so gut wie keine Lieferengpässe. Unsere Kunden schätzen die Verfügbarkeit der Telefone für ihre Angestellten im Home Office. Zu Beginn des Lockdowns gab es einige Unternehmen, die in den «Panik»-Modus verfallen sind und fast wahllos Lösungen für das Remote-Arbeiten angeschafft haben. Als sich die Situation stabilisiert hatte – und das adäquat ausgestattete Home Office das neue Normal wurde – sind die Firmen in den Change-Modus gewechselt. Vielenorts wird heute über die Auswirkungen der Krisenzeit auf die Arbeitswelt von morgen nachgedacht. In den diversen und meistens variablen Szenarien spielt das «as a Service»-Liefermodell eine zentrale Rolle. Denn Kunden müssen sich nicht mehr festlegen und teure Infrastruktur anschaffen. Die benötigten Leistungen können «as a Service» bezogen werden, je nach Bedarf in einem Remote-Setting oder in den traditionellen Büros. Der Trend zu «as a Service» zeichnet sich neu ab – unabhängig von Branche und Firmengrösse.
“Der Trend zu ‚as a Service‘ zeichnet sich neu unabhängig von Branche und Firmengrösse ab„
Ourania Odermatt
CW: Wenn der Kunde aus Compliance- oder Datenschutzgründen auf dem Rechenzentrumsstandort Schweiz besteht: Können Sie ihn dann bedienen?
Odermatt: In der Private Cloud oder im Hosting-Modell gibt es selbstverständlich Optionen in der Schweiz. Unsere Cloud-Lösungen hosten wir momentan in einem Rechenzentrum in Frankfurt. Die «Spaces»-Applikation läuft in Google-Rechenzentren. Der Plan von Avaya ist, eigene Rechenzentrumsdienstleistungen anzubieten. Bis dieser Plan umgesetzt ist, beliefern wir die Kunden aus Data Centern von Partnern, die unsere Standards an Datenschutz und Sicherheit erfüllen. Da es diese Anlagen bereits gibt, haben wir keinen Grund, die Kunden warten zu lassen.
Avayas Ourania Odermatt will sowohl mit dem Enterprise- als auch dem KMU- Geschäft wachsen
Quelle: Alexandra Rätzer/Avaya Schweiz
CW: Welche Pläne hat Avaya für die nähere Zukunft?
Odermatt: Wir wollen uns weiterhin stark um die Bestandskunden kümmern. Sie bilden die Grundlage für unser Geschäft, was uns verpflichtet, an ihrer Seite zu stehen und uns kontinuierlich weiterzuentwickeln – sei es mit Innovationen oder auch mit zukunftsorientierten Lösungen. Weiterhin haben wir uns zum Ziel gesetzt, im Enterprise-Geschäft zu wachsen. Wir wollen uns neu positionieren und so Kunden zurückgewinnen sowie Neukunden mit unseren Angeboten ansprechen. Die Hospitality-Sparte – wie wir sie nennen – bietet mit grossen Hotelketten und Spitälern noch einiges Potenzial. Andere Konzerne, die sich vor drei bis fünf Jahren für einen Marktbegleiter entschieden haben, möchten wir angesichts der regelmässig anstehenden Renovationsvorhaben wieder von Avaya überzeugen. Drittens soll das «as a Service»-Modell im Schweizer Markt positioniert werden. Dafür laufen derzeit die Vorbereitungen zur Markteinführung.
CW: Welche (neue) Funktion in einer Avaya-Lösung hat Sie persönlich am stärksten beeindruckt?
Odermatt: Eine Funktion in der Videokonferenzlösung «Avaya Spaces» – die automatische Transkription von Wortbeiträgen (Speech to Text). Sie erleichtert das Protokollieren immens, was sonst immer eine zeitaufwendige Aufgabe war. Die Technologie basiert auf einer Kooperation mit Nvidia, bei der künstliche Intelligenz für diverse Anwendungen genutzt wird. Transkription ist ein Feature, das automatische Ausblenden von Hintergrundgeräuschen (beispielsweise im Home Office) ein anderes, das Überlagern von zwei Videobildern – dem Sprecher und seiner Präsentationsfolien – ein drittes.
CW: Wenn Sie die Transkription ansprechen, muss ich nach der Erkennung von Schweizerdeutsch fragen.
Odermatt: Zum Start wird Schweizerdeutsch sicherlich nicht zu den unterstützten Sprachen gehören. Wenn ich aber zurückblicke auf die bemerkenswert schnelle Entwicklung von «Spaces» nur schon im vergangenen Jahr, wird die Implementierung nicht lange auf sich warten lassen. Die Firma Spitch, der dieses Feature anbietet, ist ein Partner von Avaya, der die schwizerdütsche Herausforderung gerne annimmt. Die Funktion wird aber erst dann freigegeben, wenn sie unsere hohen Qualitätsmassstäbe erfüllt.
Zur Firma
Avaya Schweiz
wurde 2000 als Niederlassung des US-amerikanischen Kommunikations­unternehmens Avaya gegründet. Der Mutterkonzern war im gleichen Jahr als Ausgliederung aus Lucent Technologies entstanden. Am neuen Schweizer Hauptsitz im Glattpark in Opfikon beschäftigt der Konzern heute etwas mehr als 20 Mitarbeitende.



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