«Fehlende Fokussierung bremst Innovation»

Innovation beim Telko

CW: Wie funktioniert Innovation bei Swisscom?
Lehner: Das klassische Innovationsmanagement gibt es bei uns nicht mehr. Die digitale Innovation führt mein Kollege Roger Wüthrich-Hasenböhler, unser Chief Digital Officer, mit der eigenen Digital Business Unit (DBU). Diese Kollegen haben die Möglichkeit, einerseits Ressourcen des Konzerns zu nutzen und andererseits unser Kerngeschäft aktiv herauszufordern. Diese Konstellation finde ich inte­ressant, weil wir uns so früher mit disruptiven Entwicklungen auseinandersetzen müssen.
Weiter haben aber auch alle Mitarbeiter die Option, Innovationen zu lancieren. Je nach Potenzial können sie unterschiedlich hohe Budgets beantragen, mit denen sich ein Projekt im Idealfall via «Kickboxen» realisieren lässt. Daneben gibt es natürlich einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess, der sehr breit verankert ist und Bottom-up auch gut funktioniert. Denn es muss nicht immer eine nobelpreisverdächtige Innovation sein – auch im Kleinen gibt es hervorragende Ideen, die den Kunden und den Kollegen im Alltag weiterhelfen.
Urs Lehner ist zufrieden mit dem Innovationsprozess bei Swisscom
Quelle: Swisscom
CW: Gab es schon einen Angriff auf das Kerngeschäft von Swisscom aus der Organisation?
Lehner: Nehmen wir zum Beispiel das Banking Business, das in meiner Verantwortung liegt. Als wir vor drei Jahren die Fintech-Einheit gegründet haben, haben sich Kollegen aus dem Banking beschwert, dass ihr Hauptgeschäft damit torpediert wird. Der Unmut legte sich aber recht schnell. Heute haben wir eine sehr gute Zusammenarbeit, die eine gemeinsame Innovations-Pipeline betreut. Ein weiteres Beispiel ist Blockchain: Die Entwicklung findet im DBU-Team statt und unser Banking Business betreibt die Blockchain auf einer Finma-konformen Plattform.
CW: Welches sind die grössten Hindernisse für Innovation bei Swisscom intern?
Lehner: Um es vorab zu sagen: Swisscom lässt den Mitarbeitern viel Freiraum für Innovation. Das wird häufig genutzt. Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen: Die grösste Herausforderung bleibt der Fokus. Für einen ehemaligen Telekommunikationsanbieter ist unser Leistungsspektrum insbesondere im Bereich der IT-Services sehr breit. An allen Ecken und Enden können Innovationen entstehen. Wir müssen nun fokussieren und entscheiden, welche Innovation getrieben wird und welche nicht. Wenn ein Entscheid negativ ist, müssen wir sicherstellen, dass die Idee tatsächlich nicht weiterverfolgt wird. Hier sind uns die Freiräume für die Mitarbeiter teilweise etwas im Weg.
Wenn ich über die Landesgrenzen hinausblicke und uns zum Beispiel mit internationalen Partnern wie Verizon oder Vodafone vergleiche, sind wir bei Innovation im Quer­vergleich und in Relation zur Grösse durchaus solide auf­gestellt. Bei manchen Themen sind wir dem Wettbewerb sicherlich voraus, bei anderen aufgrund der schweize­rischen Kompromisskultur teilweise nicht konsequent genug beim Vorantreiben respektive beim Beenden von Projekten.
CW: Von welchem Vorhaben hat sich Swisscom zuletzt bewusst verabschiedet?
Lehner: Ein Beispiel, bei dem wir mittlerweile am Ende der Lernkurve angelangt sind, sind Produkt-Eigenentwicklungen im Software-Geschäft. Vieles von dem, was wir im Grosskundengeschäft noch im Portfolio haben, würden wir heute nicht noch einmal lancieren. Mittlerweile hinterfragen wir uns häufiger und konsequenter, ob wir wirklich der richtige Owner für ein Thema sind. Zahlt eine Lösung auf das Kerngeschäft ein oder ist sie lediglich «nice to have»? In den letzten Jahren sind wir bei dem Entscheid zwischen Kern- und Zusatzgeschäft konsequenter geworden.
CW: Demnach wird auch die Frage nach dem «Make or Buy» heute mehrheitlich mit «Buy» beantwortet?
Lehner: Ja, das «Not invented here»-Syndrom ist gross­flächig ausgestorben. Es gibt zwar gute Gründe für einen «Make»-Entscheid, er muss aber wohlüberlegt sein und langfristig ein lukratives Geschäft versprechen. In meinem Geschäftsbereich gibt es beispielsweise nur noch einen Verantwortlichen für das Produkt- und das Alliancemana­gement. Dieser Kollege trifft mit seinem Team die Entscheide zu «Make or Buy» in unserem Serviceportfolio. Ein Hintergrund für das Zusammenlegen der Verantwortlichkeiten ist auch: Swisscom mag aus der Schweizer Perspektive ein grosses Unternehmen sein. Im Vergleich mit den globalen Playern ist Swisscom aber ein Klein­betrieb. Sie können nicht um den Faktor zwei, sondern den Faktor X mehr investieren als wir.
CW: Hat der «Buy»-Entscheid Konsequenzen für das Portfolio oder die Organisation? Etwa im Produkt­management oder in der Entwicklung?
Lehner: Allein im Enterprise-Portfolio haben wir in den vergangenen zwei Jahren etwa 60 Produkte aus dem Vertriebsportfolio gestrichen. Die Wartung und Weiterentwicklung waren sehr aufwendig und die Leistung in der Breite nicht nachhaltig. Dieses Aufräumen ermöglicht auch wieder Raum, um Neues zu schaffen.



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