«Wir müssen digitalisieren»
Der Widerstand
CW: Hatten Sie grosse Widerstände zu überwinden, weil die Kunden nicht mehr Formulare ausfüllen, sondern eine App auf dem Smartphone nutzen sollen? Auf der Baustelle mit Handschuhen …
Nicke: Nein. Die Rückmeldungen nach den Schulungen waren erstaunlich positiv. Allerdings haben wir bei allen drei Anwendungen während der Entwicklung eng mit ausgewählten Praktikern zusammengearbeitet – und ihre Wünsche mit berücksichtigt. Zum Beispiel kann der Beauftragte für die periodische Kontrolle direkt in der App die Kontaktdaten aller Mieter einer Liegenschaft abrufen, wenn er Fragen hat. Dafür hätte er vorher erst umständlich mit der Verwaltung telefonieren müssen.
CW: Widerstand dürfte es ausserdem bei Ihnen intern gegeben haben. Denn die Applikationen nehmen dem einen oder anderen Mitarbeiter sicherlich den Job weg.
Meyer: All die Technik dient hauptsächlich der Entlastung unserer Mitarbeiter. Denn wir spüren den Fachkräftemangel – und haben gleichzeitig so viele spannende Kundenanfragen. Wir sind froh um jeden Mitarbeiter, der sich den Herausforderungen der Kunden stellt. Zudem wird das Kundenumfeld immer anspruchsvoller: In der Vergangenheit haben wir ausschliesslich Anschlussgesuche entgegengenommen. Ein Kunde benötigte Strom entweder für eine Baustelle oder ein Haus.
Heute gibt es Einspeisungen von Fotovoltaik, Speicherung oder den Zusammenschluss von Kunden für den Eigenverbrauch. Diese Geschäftsfelder sind für die Installateure noch so neu, dass sie mit Fragen auf uns zukommen. Hier benötigen wir das Personal, um den Handwerkern mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Es fallen keine Jobs weg, wir können uns stärker um die Kunden kümmern.
CW: Dennoch dürfte es in der Belegschaft einige Veränderungen durch die neuen Plattformen gegeben haben.
Meyer: Das stimmt. Zum Beispiel hatten wir für den befristeten Netzanschluss früher einen Partner, der die Fälle für uns abgewickelt hat. Neu hat diese Aufgabe ein internes Team junger Mitarbeiter übernommen. Damit haben wir quasi ein Insourcing gemacht.
Für den mit «Kuss» digitalisierten Prozess haben wir ein langjähriges Team in fünf Abteilungen, das die früheren Prozesse bestens kannte. Je näher die Mitarbeiter mit dem Kunden zusammengearbeitet haben, desto grösser waren die Widerstände gegen die neue Lösung. Sie sind berechtigt stolz, dem Kunden auch mit dem alten Prozess einen guten Service geliefert zu haben und wollen sicher sein, dass dies auch mit dem neuen System möglich ist. Deshalb haben sie sich zunächst gegen den Wechsel gewehrt.
CW: Wie haben Sie die Widerstände verringert?
Nicke: Ehrlich gesagt war und ist dies der schwierigste Teil des Projekts. Die Prozessanalyse und die Programmierung sind aufwendig, das Verringern der Widerstände ist aber nervenaufreibend. Denn es geht um die Menschen.
Für die Entwicklung der neuen Plattform haben wir ein Scrum-Verfahren eingesetzt. Dabei waren wir sehr tolerant beim Erweitern des Projektziels. Wir haben auf formale Change Requests verzichtet und stattdessen den Mitarbeitern zugestanden, spontan noch Verbesserungsvorschläge anzubringen. Dann sind wir recht häufig auch auf die Vorschläge der Fachkollegen eingegangen und haben sie mit in das Projekt hineingenommen. Mit dieser Offenheit für die Bedürfnisse der Kollegen haben wir eine hohe Benutzerakzeptanz erreichen können. Sie ging allerdings auf Kosten einiger zusätzlicher Monate Projektlaufzeit. Immerhin sind wir im Budget geblieben.
Nach dem Go-Live habe ich persönlich unter anderem Sprechstunden angeboten: Gemeinsam mit den Kollegen schaue ich ihre individuellen Fälle an und erkläre den neuen Lösungsweg. Weiterhin haben die Entwickler der neuen Plattform zusätzlich die Mitarbeiter direkt unterstützt und beispielsweise jeweils am Arbeitsplatz supportet.