03.06.2005, 09:07 Uhr

Ein relatives Risiko

Soll eine Voip-Einführung nicht zum unkalkulierbaren Abenteuer geraten, muss eine Vielzahl an weichen und harten Faktoren bei der Migration berücksichtigt werden. Vielleicht zögern gerade deshalb noch viele Unternehmen, Voice over IP (Voip) auch bei sich einzuführen. Am Ende dieses Artikels finden Sie eine Übersicht der "Technischen Hürden" und ausserdem eine "Checkliste zur Voip-Einführung".
Noch zögern viele Unternehmen, Voice over IP (Voip) als Ersatz für die klassische Telefonie einzuführen. Entscheider fürchten nämlich, so das Ergebnis einer Gartner-Erhebung, dass mit der Migration zur IP-Telefonie eine unüberschaubare Kostenlawine auf sie zurollt. Eine Angst, die vor allem dann nicht ganz unbegründet ist, wenn nicht mehr in die Netzinfrastruktur investiert wurde. Als Hinderungsgrund für eine Voip-Migration sticht das Kostenargument nur bedingt. Einerseits lässt sich die Einführung der IP-Telefonie auch in mehreren Stufen bewältigen, anderseits müssen Netzkomponenten sowieso ausgetauscht werden, wenn sie den Zenit ihrer Lebenserwartung überschritten haben. Zudem eröffnet die Voip-Einführung Chancen, wenn etwa im Zuge des Projektes die Netzinfrastruktur konsolidiert wird. Die hier häufig erforderliche Neuausschreibung der WAN-Verbindungen ergibt etwa Einsparpotenziale, wenn günstigere und leistungsfähigere Technologien für die Fernverkehrsinfrastruktur gewählt werden. Ferner lassen sich durch ein geschicktes Voice-Routing bei der IP-Telefonie in der Regel die Telefonkosten drastisch senken.
Der Kostenaufwand relativiert sich zudem, wenn noch weiche Faktoren, die oft nicht direkt in Zahlen messbar sind, einbezogen werden, wie Gartner in dem Bericht «2005: The Year of IP Telephony: Get your Hands Dirty» aufzeigt. Durch die Konvergenz von Telekom- und IT-Welt lässt sich nicht nur das Management der IT-Infrastruktur vereinfachen, sondern viele Arbeitsprozesse können effizienter gestaltet werden. Beispiele hierfür sind etwa die Darstellung etablierter Web-Prozesse als Sprachanwendungen oder in Verknüpfung mit der IP-Telefonie über das Session Initiation Protocol (SIP) mit XML-orientierten Messaging-Diensten.

Synergien planen

Damit diese Synergien in der Praxis zum Tragen kommen, sollten IT-Manager vor einer Voip-Migration abteilungsübergreifende Arbeitsgruppen einberufen, um zu erfahren, was die einzelnen Fachbereiche wollen. Aus technischer Sicht existieren bei der Voip-Migration vier kritische Teilbereiche: das WAN, die interne LAN-Infrastruktur, die Ausfallsicherheit sowie die Sicherheits-Policy im Unternehmen.

Ein relatives Risiko

Gerade im WAN-Bereich dürften auf viele Unternehmen, die mit einer Einführung der IP-Telefonie liebäugeln, grosse Veränderungen zukommen. Die häufig noch als Fernverkehrs-Backbone verwendeten Frame-Relay-Strukturen eignen sich laut Gartner nur bedingt für die IP-Sprachtelefonie. Zwar nutzen etliche Unternehmen auch hierfür Frame Relay, doch nach Meinung von Gartner ist das Management einer solchen Infrastruktur aufwändig und kostspielig. Der Knackpunkt ist dabei, dass in einem Frame-Relay-Netz selbst beim Einsatz von Voip zwischen zwei Standorten letztlich dedizierte Punkt-zu-Punkt-Verbindungen erforderlich sind, was dem eigentlich verbindungslosen Charakter des Internet Protocols widerspricht. Erschwerend kommt hinzu, dass die dynamische Bandbreitenzuweisung unter Frame Relay für die IP-Telefonie nicht flexibel genug ist. Dies treibt nicht nur die Kosten in die Höhe, sondern macht das Ganze auch umständlicher. So muss die Bandbreite jedes Mal für das gesamte Netz neu kalkuliert werden, wenn ein Standort hinzukommt.
Ist der Bandbreitenbedarf der IP-Telefonie heute noch eine Schlüsselanforderung an ein Netz, so ändert sich dies laut Gartner in den nächsten Jahren dramatisch. Nach Einschätzung der Analysten macht das Telefonieren über IP im Jahr 2008 nur noch zehn Prozent des Bandbreitenbedarfs eines Anwenders aus. Möglich wird dies durch die Entwicklung wirkungsvollerer Audiocodecs, die es erlauben, die Sprache effizienter zu komprimieren, so dass weniger Bandbreite benötigt wird.

MPLS als WAN-Backbone

Deshalb raten die Gartner-Consultants gerade bei über mehrere Standorte verteilten Installationen zu einem MPLS-basierten (Multi Protocol Label Switching) IP-VPN als Backbone. Dies bringt gleich mehrere Vorteile: So erhält der Anwender im Rahmen eines MPLS-Netzverbundes häufig mehr Bandbreite als in einem Frame-Relay-Netz - und dies zu besseren finanziellen Konditionen. Zudem eröffnen MPLS-Netze die Möglichkeit, so genannte «Classes of Services» zu definieren. Damit können die Sprachpakete gegenüber E-Mail und anderen Applikationen, die nicht in Echtzeit reagieren müssen, priorisiert werden. Diese Methode verhindert nicht nur die im Zusammenhang mit der IP-Telefonie gefürchteten Latenzprobleme, sondern erleichtert auch die Verkehrsplanung. Unverzichtbar ist die Definition von Serviceklassen zudem, wenn etwa bei der Voip-Migration die TK-Anlagen der Filialen durch einen zentralen Telefon-Server am Hauptstandort ersetzt werden sollen. MPLS wartet im Vergleich zu Frame Relay noch mit einem anderen Vorteil auf: Zwischen den einzelnen Niederlassungen existiert kein Single Point of Failure mehr, so dass die Service-Provider hier in der Regel eine Ausfallsicherheit garantieren, die sehr nahe an jene von klassischen Telefonnetzen heranreicht.

Ausfallsicherheit im LAN

Die geforderte hohe Ausfallsicherheit ist meist auch der Grund dafür, warum im Zuge der Voip-Einführung ein Redesign der LAN-Infrastruktur erforderlich ist. Aus Kostengründen wurde nämlich in der Vergangenheit kaum ein lokales Netz aufgebaut, das den Verfügbarkeitsansprüchen einer Telefoninfrastruktur entsprach. Zudem existieren in vielen Netzen Altlasten, die nicht den Ansprüchen der IP-Telefonie entsprechen. Als weiterer Knackpunkt entpuppt sich oft die Stromversorgung. Während bei einer klassischen TK-Anlage meist eine Notstromversorgung genügt, stellt sich die Situation bei der IP-Telefonie anders dar. Da-bei sind die Telefone noch das geringste Problem, denn sie können Strom meist mit Power over Ethernet (PoE) bekommen. Einspeisegeräte sind auch als Vorschalteinheiten erhältlich, so dass nicht zwangsläufig Switches und andere Netzkomponenten ersetzt werden müssen. Schwieriger gestaltet sich jedoch die Stromversorgung der aktiven Netzkomponenten, die in einem konvergenten Sprach- und Datennetz auch bei einem Stromausfall weiter funktionieren müssen. PoE mit seiner relativ knappen Reichweite scheidet aus, da es nur eine begrenzte elektrische Leistung liefert. Bei grossen Installationen sollte deshalb eine alternative Versorgung über einen Notstromgenerator in Erwägung gezogen werden.

Ein relatives Risiko

In vielen Fällen hat eine geplante Voip-Migration noch eine weitere Konsequenz: Die Sicherheits-Policy eines Unternehmens muss neu definiert werden. Würde etwa ein Netzadministrator, wie häufig in der Vergangenheit praktiziert, bei einer Virenepidemie die betroffenen Netzsegmente einfach von der restlichen Infrastruktur isolieren, so könnten alle User in dieser Gruppe nicht mehr telefonieren. Um dies zu vermeiden, empfiehlt es sich, IP-Telefone in einem eigenen Virtual LAN (VLAN) zu betreiben.

Einbinden Externer

Eine weitere Herausforderung ist im Voip-Zeitalter die Anbindung externer Mitarbeiter, wenn diese ebenfalls über IP telefonieren sollen. Um nämlich Denial- of Service-(DoS-)Attacken auf die IP-Telefonanlage vorzubeugen, darf das Session Initiation Protocol (SIP) nicht durch die Firewall transportiert werden. Andererseits benötigt der externe Mitarbeiter das SIP, um überhaupt ein IP-Telefonat führen zu können. Dieser Zielkonflikt lässt sich am geschicktesten lösen, indem diese Kollegen über verschlüsselte VPNs an die Voip-Infrastruktur angebunden werden. Diese Schutzmassnahmen greifen aber nur dann, wenn gleichzeitig die PCs, Notebooks oder Router der externen Mitarbeiter mit Personal Firewalls ausgestattet sind. Ansonsten besteht nämlich die Gefahr, dass Schädlinge durch das gesicherte VPN geschleust werden.
Des Weiteren sollten Unternehmen bereits heute ihre Spam-Filter daraufhin überprüfen, ob sie in der Lage sind, unerwünschte Telefonwerbung (Voice-Spam) zu filtern. Die meisten Experten sind sich nämlich darin einig, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis das IP-Telefon klingelt und eine automatisch digital erzeugte Stimme Viagra zum Sonderpreis offeriert.
Diese vielfältigen Herausforderungen einer Voip-Migration dürften häufig die IT-Budgets der Unternehmen überfordern, sofern nicht regelmässig in ein Upgrade der Netzkomponenten investiert wurde. In solchen Fällen empfehlen die Gartner-Berater, die Migration nicht auf einen Schlag vorzunehmen, sondern als einen mehrjährigen Prozess mit verschiedenen Teilprojekten zu planen, um die anfallenden Kosten besser zu verteilen. Oder der Anwender fährt zweigleisig und setzt eine hybride IP-TK-Anlage ein, die auch klassische Telefone unterstützt. Ebenso denkbar ist es, dass in der Übergangsphase, während das Netz optimiert wird, die vorhandene Telefonanlage parallel zur IP-Telefonie betrieben wird.

Ein relatives Risiko

Weitere Informationen


Checkliste zur VoIP-Einführung

o Was kostet die alte Infrastruktur?
o Welches Einsparpotenzial bringt Voip?
o Wo können Synergien genutzt werden?
o Werden die Bedürfnisse der Fachabteilungen berücksichtigt? In abteilungsübergreifenden Arbeitsgruppen eruieren.
o Ist das Weitverkehrsnetz Voip-tauglich?
o Wo liegen Engpässe?
o Entspricht die eigene Sicherheits-Policy den Anforderungen der IP-Telefonie?
o Ist eine mehrstufige Migration ratsam, da sonst zu viele Aufgaben auf einmal zu bewältigen sind?
o Welcher Hersteller erfüllt die Anforderungen am besten?
o Kann der Anbieter Referenzprojekte vorweisen?

Technische Hürden

o Frame Relay ist als WAN-Backbone nur bedingt geeignet
o Classes of Services für die IP-Telefonie im WAN
o Altlasten wie Hubs im LAN
o Stromversorgung der IP-Telefone und aktiven Netzkomponenten
o VLAN, um Voip vom restlichen Datenverkehr zu trennen
o Schutz vor Voice-Spam
o sichere Einbindung externer Mitarbeiter
o Ortung von Notrufen
Jürgen Hill



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